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Welterklaerung

Archäologie (CDVII): Singt Ho! Leben soll Pu! / Er braucht einen kleinen Mundvoll ab und zu!

Im FAZ-Magazin gab es früher einen schönen Fragebogen.
Harry Rowohlt , der am Montag im Alter von 70 Jahren gestorben ist, hat ihn im Mai 1992 ausgefüllt (als pdf hier zu sehen).


...

Ihr Traum vom Glück?
In einem Italo-Western mitgespielt zu haben und sagen zu können: „Kuck mal, der 18. von links -: Das bin ich.“

Was wäre für Sie das größte Unglück?
Wenn es Gott gäbe.

...

http://isabelbogdan.de/wp-content/uploads/2015/06/37-pooh-der-baer-450.jpg

Ich habe mich so an das Leben gewöhnt, daß ich bestimmt unsterblich bin.

(T)ERROR: Ναὶ ναί, οὒ οὔ · Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein - oder 1/0

In der unten empfohlenen 3sat-Gesprächssendung "Vis-à-vis" spielt Frank A. Meyer im Zusammenhang mit dem algorithmischen Machbarkeitswahn die Bibel-Karte und zitiert Matthäus 5,33–37, also die Aussage Jesu gegen das falsche Schwören in der Bergpredigt [1] Dort heißt es:
    33 Ihr habt weiter gehört, daß zu den Alten gesagt ist: "Du sollst keinen falschen Eid tun und sollst Gott deinen Eid halten." 34 Ich aber sage euch, daß ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Stuhl, 35noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel, noch bei Jerusalem, denn sie ist des großen Königs Stadt. 36 Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören, denn du vermagst nicht ein einziges Haar schwarz oder weiß zu machen. 37 Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.
http://cdns2.freepik.com/free-photo/_238849.jpg

Die Analogie der Forderung des Gottes zur zweiwertigen booleschen Variablen – wahr/falsch bzw. true/false oder 1/0 - ist offensichtlich (... wie auch der politische Bezug: der Grieche möge reden: Ναὶ ναί, οὒ οὔ). - Spielräume gibt es da nicht. Oder anders formuliert: Gott und die Mathematik(er) sind keine Dialektikter (- Varoufakis schon).
    „Eure Rede sei aber: Ja – ja; nein – nein; was aber mehr ist als dieses, ist aus dem Bösen.“ Wenn unsere Worte aufrichtig und wahr sind, benötigen sie keine anderen Bestätigungen als ja und nein. Der Sinn der zweimaligen Erwähnung von ja und nein wird durch die sehr ähnliche Stelle in Jakobus 5,12 deutlich: das Ja soll auch wirklich ja bedeuten und das Nein wirklich nein. Alles, was darüber hinausgeht, ist nur ein Zeichen dafür, dass man es im Übrigen mit der Wahrheit nicht genau nimmt, und deshalb aus dem Bösen.
    (Die Bergpredigt: Schwören - Ja oder nein? - bibelkommentare.de)
Wenn gelten soll, dass unsere Worte/Werte (1/0) aufrichtig und wahr sind und dass sie keine anderen Bestätigungen als ja und nein benötigen, gibt es kein anderes Wahrheitskriterium als das der Unterwerfung unter einen Gott bzw. eine formale Logik.

- Alles, was darüber hinausgeht ... , also der Zweifel, zB die Frage danach, ob bei der true/false-1/0-Entscheidung mitgedacht wird, dass wir als Gesellschaft abhängig von der Moral, dem Grad der Moral sind, den die Berechner/Entscheider einbringen in ihre Arbeit, oder eine Überlegung wie diese:
Formale Logik bezieht stationäre und sich nicht ändernde Größen ein: a=a. die Dialektik erwidert a<>a. Beide sind korrekt. A=a zu jedem gegebenen Moment. A<>a zu zwei verschiedenen Momenten. Alles fließt, alles verändert sich. (Leo Trotzki, Über dialektischen Materialismus)
- ist nur ein Zeichen dafür, dass man es im Übrigen mit der Wahrheit nicht genau nimmt, und deshalb aus dem Bösen ... : woraus in der Regel die Lizenz zur Ausschließung derer folgt, die die Ja/Nein-1/0-Logik nicht mitmachen; - sei es durch mehr oder weniger gewaltförmigen Ausschluss aus öffentlichen Debatten oder durch physische Gewalt bis hin zur Eleminierung; die Geschichte der Ausübung von Macht kennt da viele Formen der Exklusion. Es stellt sich der Eindruck ein:

Religionen und weltliche Denkverbotsgebäude sind da nicht zimperlich.
Könnte es sein, dass Religion und Mathematik gleichermaßen gefährlich sein können für's Denken, insofern sie als Binärsysteme potentiell exklusiv (als Adjektiv zu Exklusion, exkludieren) angelegt sind. Die Frage ist dann, wie man sich - und andere (Bildung und Erziehung) - imprägnieren kann gegen das Einsickern eines Totalitäts- und Exklusivitätsanspruchs ins Denken.
Eine interessante Aufgabe für die Didaktik der Mathematik.

Nebenbei bemerkt und weg von der Mathematik noch einmal zur sog. "christlich-jüdischen Tradition": "Der Antisemitismus gehörte, zumindest seit Beginn der Kreuzzüge und bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein, zu den Grundzügen der christlichen Kultur." (Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker, S. 58)
Soviel zur Frage nach Exklusion und schamloser Vereinnahmung.


Ναὶ ναί, οὒ οὔ ?


via Ute. Danke!

Vermessungs- & Vernutzungslogik (II): Die Verantwortung der Mathematik und der kindlich-narzistische Mathematiker

Yvonne Hofstetter, Co-Founder von Teramark Technologies, beschreibt in ihrem Buch "Sie wissen alles" eine drohende Herrschaft intelligenter Maschinen. Nicht die Abschöpfung der Informationen eines jeden einzelnen sei das Problem sondern die Algorithmen, die analysieren, prognostizieren und schlussendlich das Leben berechnen, kontrollieren und bestimmen.
Eine interessante Begegnung.

http://www.dw.de/image/0,,18137394_401,00.jpg

In der 3sat-Gesprächssendung "Vis-à-vis" spricht der Publizist Frank A. Meyer mit Yvonne Hofstetter
, die seit mehr als zehn Jahren intelligente Software-Systeme für Firmen in der Wehrtechnik, in der Sicherheitsvorsorge für Banken und Logistik-Unternehmen entwickelt.

Sehr sehenswert:
Präzise Analyse, politisches Bewusstsein, verständliche Aussagen, z.B. zu Big Data und Algorithmen (ab 11:oo).
Interessant ist hier, dass sie das zunächst erläutert aB von Steuerungsprozessen "zum Beispiel in der Industrieautomatisierung" und "Wir haben das immer nur gebaut ..., wo es um die Steuerung von Objekten des Wirtschaftens geht und nie eingesetzt auf den Menschen, aber in den letzten Jahren ..." sei der - vernetzte - Mensch, der Daten erzeugt, in den Regelkreis einbezogen! Da setzt dann Frau Hoffstetters kritisches Denken ein (gut zusammengefasst hier: Die ZEIT vom 10.09.2014).
Daran finde ich interessant, dass der Mensch erst in den Blick genommen und sein Betroffensein als problematisch empfunden wird, wenn er als Konsument, als Privatmensch betroffen ist. Solange er nur Anhängsel der Objekte des Wirtschaftens ist, die qua kybernetischer Steuerung optimiert werden, wird er - auch von einer kritischen Denkerin - offenbar gar nicht wahrgenommen. Das mag an einem Mangel an marxistischer Grundbildung liegen; man könnte aber auch ohne eine solche darauf kommen, dass die angesprochene Industrieautomatisierung in Deutschland seit den zwanziger Jahren wesentlich gestaltet wurde durch und lange Zeit verbunden war mit dem Label REFA (gegründet 1924 als Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung!!), ansonsten als Taylorismus bekannt ist und immer gerichtet war auf
    "das Schaffen eines aufgabengerechten, möglichst optimalen Zusammenwirkens von arbeitenden Menschen, Betriebsmitteln und Arbeitsgegenständen durch zweckmäßige Organisation von Arbeitssystemen unter Beachtung der menschlichen Leistungsfähigkeit und Bedürfnisse. Im besonderen besteht die Arbeitsgestaltung in der Neuentwicklung oder Verbesserung von Arbeitsverfahren, Arbeitsmethoden und Arbeitsbedingungen, von Arbeitsplätzen, Maschinen, Werkzeugen, Hilfsmitteln sowie in der ablaufgerechten Gestaltung von Arbeitsgegenständen.“ – REFA[1]

Vorbereitung zur Bewaffnung des Armstumpfes nach einer Operation von Professor Sauerbruch. - Zu berücksichtigen ist hier, dass es rationalisierungsmäßig zu der Zeit um die volkswirtschaftlich notwendige Nutzung der verbleibenden Arbeitskraft der Kriegsversehrten des ersten Weltkriegs ging. Daher wurden diese vermessen im Hinblick auf ihre weitere Vernutzbarkeit (Rationalisierung 1984. Hrsg. von der Staatlichen Kunsthalle Berlin und NGBK)

Sehen wir uns die Fabrikszene aus Chaplins "Modern Times" an, dann dürfte sinnfällig sein, dass die Steuerung von Objekten des Wirtschaftens immer eingesetzt war auf den Menschen, allerdings auf den auf seine Arbeitskraft reduzierten Menschen als Anhängsel der Maschine ...



Intreressant, wie gesagt, dass den Nicht-Proleten das Anhängsel-Werden - jetzt einer neuen Maschine (die aber eigentlich wie die alte auf Algorithmen aufsetzt, freilich komplexeren) - erst problematisch wird, wenn es für sie selbst soweit ist. Wie der unten bereitszitierte Karl Marx 1847 in "Das Elend der Philosophie" schrieb :
    "Kam endlich eine Zeit, wo alles, was die Menschen bisher als unveräußerlich betrachtet hatten, als Gegenstand des Austausches, des Schachers, veräußert wurde. Es ist dies die Zeit, wo selbst Dinge, die bis dahin mitgeteilt wurden, aber nie ausgetauscht, gegeben, aber nie verkauft, erworben, aber nie gekauft: Tugend, Liebe, Überzeugung, Wissen, Gewissen etc., wo mit einem Wort alles Sache des Handels wurde." (MEW)
Eine Aufklkärerin ist sie also wohl, die Frau Hofstetter, auch wenn ihr das Wesen von ökonomischen Steuerungsprozessen (verkürzt gesagt C1 + V + M = C2) verborgen bleibt ...

Das schmälert aber nicht den Wert der Einsichten, wenn es zB um die Verantwortung der Mathematik (vorsichtiger formuliert: der Mathematiker(innen?) geht:
Yvonne Hofstetter und Frank A. Meyer über den kindlich-narzistischen Mathematiker (ab 44:00) und die nicht vorhandenen bösen Absichten derer, die mitmachen, die möchten einfach zeigen, was sie können und was möglich ist, nur: wir als Gesellschaft sind abhängig von der Moral, dem Grad der Moral, den diese Menschen einbringen in ihre Arbeit, ... die arbeiten in einem rechtsfreien Bereich ...

= ungehemmte Zweckrationalität

und die Frage nach der notwendigen Kontrolle - durch individuelle Moral, Gesellschaft und Staat (??) Noch einmal also: Unbedingt ansehen (online sichtbar bis 07.03.2016 in der 3sat-Mediathek) und weiter denken!!

Und vgl. auch Ulrich Trottenberg: Als die Atombombe fiel, hatte die Physik ihren Sündenfall. Heute wird massenhaft überwacht, spioniert, berechnet. Müssen sich Mathematiker verantwortlich fühlen? (Süddeutsche Zeitung)


Bei "Vis-à-vis" ebenfalls interessant: Das Gespräch mit Jean Ziegler!

Was ist heute eingreifendes Denken? (II): Die Macht der Dinge und die Ohnmacht der Menschen als Widerspruchszusammenhang - Alexander Kluge: Jeden Morgen liest Hegel Zeitung

Danke, Herr Kluge: "Widerspruchszusammenhang" erfasst präziser, was ich neulich mit Brecht zu klären versuchte: Begriffe: »Die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann« - Was ist heute eingreifendes Denken?

In seiner Dankesrede zur Verleihung des Heinrich-Heine Preises der Stadt Düsseldorf (- mein Gott, wie schwer hat man sich getan, den Heine als Sohn der Stadt anzunehmen!), die heute in der Süddeutschen Zeitung abgedruckt ist (no link available), finde ich à propos Begriffe eine faszinierende Passage zur alten Frage aus dem Universalienstreit:
    Was war zuerst, die Begriffe oder die
    Dinge? Das Selbstbewusstsein der Men-
    schen oder ihre Ohnmacht? In dieser Frage,
    sagst Du, sei ich kein Nominalist, aber auch
    kein Realist. Ich möchte Dir das bestätigen
    an dem Beispiel, das Du anführst; von den
    Bombenentschärfern im Luftschutzkeller.
    Das sind erfahrene Klempner, selbstbe-
    wusste Fachleute. Sie schrauben jede Bom-
    be auseinander, wenn sie als Blindgänger
    am Boden liegt. Im Moment aber sind sie
    dem Bombengeschwader oben ausgelie-
    fert, das seine Bombenschächte über der
    Stadt entleert. Hier weht kein Weltgeist, son-
    . dem die Dinge schlagen zu. Die Macht der
    Dinge (das Geschwader, die Bombe) und die
    Ohnmacht der Menschen (die Lage der Kel-
    lerinsassen) bilden eine antagonistische Re-
    alität. Alle diese Elemente sind keine Nomi-
    na und sie sind keine Realia. Sie sind ein Wi-
    derspruchszusammenhang, Wir Menschen
    sind deshalb nicht ohnmächtig.
An anderer Stelle in der Rede - im Kontext der doppelten Souveränität, der europäischen und der eigenen, nationalen, von der sein Freund Habermas so gerne spricht - bezieht sich Kluge auf Heine und Marx. Und dass passt nun zu der Rede vom Widerspruchszusammenhang:
    Das ist der Blick
    Heines, wenn er sagt: "Ich bin der inkar-
    nierte Kosmopolitanismus". Er ist einge-
    fleischter Weltbürger und Liebhaber zwei-
    er Länder, über den Rhein hinweg.
    "Wo wird einst des Wandermüden
    letzte Ruhestätte sein?
    Unter Linden an dem Rhein?
    Und als Totenlampen schweben
    nachts die Sterne über mir."
    Diese Verse stellt sich Heine als seine
    Grabinschrift vor.
    In den drei Jahren vor seinem Tod tobt
    1853-1856 der Krimkrieg.
    Die Namen Sewastopol und Krim haben
    für uns eine zeitgenössische Konnotation.
    Es lohnt sich, mit Heines witzerfülltemAu -
    ge den Koalitionskrieg des damaligen Wes-
    tens zu betrachten: England, das theatrali-
    sche Weltausstellungs-Frankreich Napole-
    ons m., Piemont-Sardinien, also der Em-
    bryo Italiens, und das Osmanische Reich
    gegen das Russland des Zaren. Das ist der
    erste moderne Krieg. Anders noch als in
    den napoleonischen Kriegen wird eine
    Massenpresse zum Garanten der Kriegs-
    verlängerung. Erstmals Kriegsfotografie,
    Telegrafie (noch in der Schlacht von Water-
    l00 gibt es nur Brieftauben).
    Karl Marx hat in einer New Yorker Zei-
    tung Tag für Tag über diesen Krieg berich-
    tet. Er beschreibt, wie zaristische Staatsan -
    leihen über die Bankhäuser in Hamburg,
    Wien und London die Börse anfachen. Die-
    se Anleihen gewährleisten die russische
    Rüstung. Der Boom, befeuert durch die ho-
    hen Zinsen der russischen Papiere, finan-
    ziert die Rüstungen der Alliierten gegen
    Russland. Diese ersten Schritte zur Globali-
    sierung der Kriegskosten wird Heine ge-
    nauso beurteilt haben wie Marx.
By the way: hochaktuell und sehr interessant zu lesen, wie Marx als Korrespondent der New-York Daily Tribüne über den Krim-Krieg berichtet. (Nachzulesen in MEW 10, S. 516 ff.)

Nicht im Hinblick auf die Krim, aber am Beispiel eines anderen Konflikts und im Hinblick auf die Wahrnehmung und begriffliche Fassung von Einzelheit, Besonderem und Allgemeinem - denn darum geht es doch wohl - sei hier noch eine Leseprobe von Kluge als literarischem Autor empfohlen:
[Ich gehe davon aus, dass die Veröffentlichung als Leseprobe die Wiederveröffentlichung als Leseprobe erlaubt. Suhrkamp ist vermutlich ja auch mit sich selbst beschäftigt ...]

    Jeden Morgen liest Hegel Zeitung

    Der Philosoph las außer den Berliner Blättern täglich die Edinburgh Review. Er war auf das Detail kapriziert. Das findet sich im Rohmaterial der Nach­richt, nicht in der Meinung. Hegel brauchte mehrere Zeitungen, um unter der Tünche der Meinung die Einzelheiten wiederzuerkennen: Er las nicht, er pro­duzierte. Stets neugierig auf die Wirklichkeit, bestehend aus unbezwinglicher EINZELHEIT (zum Beispiel Familien), dem BESONDEREN und dem ALLGE­MEINEN. Diese Dreiheit ist als Durcheinander und nicht als Nebeneinander wirklich. So zeigt die Wahrheit lange Zeit ihr Medusenhaupt und dann in einem glücklichen Blitz auch ihr Gesicht.
    Während er an Teil IV A seiner Phänomenologie schrieb, fesselten ihn die Be­richte über den Sklavenaufstand in St. Domingue, das wir heute Haiti nennen. Die schwarzen Plantagenarbeiter hatten sich zu Soldaten erklärt und kämpf­ten mit dem Leitsatz: Freiheit oder Tod gegen Franzosen, Briten und Spanier. Die revolutionäre Bewegung hatte 500 000 Seelen erfaßt, die über einen Zeit­raum von hundert Jahren von Afrika in die Karibik geschafft worden waren. Sind sie bereit, ihr Leben für die Freiheit zu wagen, so haben sie den Status von Herren, schloß Hegel. Niemanden aber haben sie zum Knecht, fuhr er in der Rekonstruktion des Rohmaterials der Nachricht fort: die britischen Händler nicht, die Franzosen auch nicht. Er hatte bisher nichts davon gehört, daß diese schwarzen Republikaner ihre eigenen Leute zum Knecht machen wollten, der die Arbeit leistet. Einen Herrenstatus wiederum, folgerte Hegel, konnten sie aus ihrer wilden Heimat in Afrika nicht mitgebracht haben. Er hätte auch nicht ihrer Identität während der Sklaverei entsprochen, die sie doch in jedes neue Leben mitnahmen, weil ein Mensch Identitäten nicht ein­fach ablegen und sich neue aussuchen kann, davon ging Hegel aus. Vielmehr schien ihm die Verwandlung von ehemaligen Sklaven in »Herren« auf einem blitzartigen Impuls des Bewußtseins zu beruhen, der in einer revolutionären Situation entsteht, indem ein Mensch sich am anderen entzündet.
    Währenddessen lieferten die britischen Schiffe weiterhin Zucker nach Euro­pa. Er kam aber von Plantagen auf anderen Inseln als Haiti. Die Revolutio­näre schienen seinerzeit abgeschnitten vom Weltmarkt. Selbst wenn sie auf den großen Plantagen weiterhin gearbeitet hätten (das taten sie aber wohl nicht), hätten sie keine Herrschaft darüber gehabt, wie man das wertvolle Luxusprodukt bis zu den Kaffeetassen von Leipzig und in die Münder der Menschen bringt. Besser, sagte sich Hegel, sie wären wieder Sklaven und hät­ten Arbeit.

    Er schwankte, ob es einen menschlichen Status als Zwitter oder Amphibie gebe, so daß im gleichen Bewußtsein (wie die Köpfe eines Doppeladlers, und wir besitzen zwei Hemisphären des Gehirns) Herr und Knecht zur Kooperati­on kämen. Der eine Teil des Bewußtseins verwandelt sich zu jedem Zeitpunkt in den anderen, und die gegenseitige Anerkennung bringt sowohl den Mut, das Leben einzusetzen, wie die (jetzt aber nicht als Furcht vor dem Herrn be­gründete) Willigkeit zur Arbeit hervor. Das dachte Hegel beim Zeitunglesen, schrieb es aber, so wie er es empfand, nicht ins Manuskript. Ab 11 Uhr, wie es seine Gewohnheit war, begann Hegel mit dem Schreiben. Täglich waren fünfzehn Seiten sein Pensum. An diesem Tage kam er bis zu den Sätzen:
    »Das Individuum, welches das Leben nicht gewagt hat, kann wohl als Per­son anerkannt werden; aber es hat die Wahrheit dieses Anerkanntseins [. . .] nicht erreicht. Ebenso muß jedes auf den Tod des anderen gehen [. . .]. Es verschwindet aber damit aus dem Spiele des Wechsels das wesentliche Mo­ment, sich in Extreme entgegengesetzter Bestimmtheit zu versetzen; und die Mitte fällt in eine tote Einheit zusammen [. . .]. Ihre Tat ist die abstrakte Negation, nicht die Negation des Bewußtseins, welches so aufhebt, daß es das Aufgehobene aufbewahrt und erhellt [. . .].«
    (aus: Alexander Kluge: Das fünfte Buch. Neue Lebensläufe. Suhrkamp Verlag: Berlin 2012, S. 157-158.)
Wie wäre es, wenn Hegel einen Artikel über die Kämpfer des ISIS läse?
Schwankte er, ob es einen menschlichen Status als Zwitter oder Amphibie gebe, so daß im gleichen Bewußtsein Herr und Knecht zur Kooperati­on kämen. Der eine Teil des Bewußtseins verwandelt sich zu jedem Zeitpunkt in den anderen, und die gegenseitige Anerkennung bringt sowohl den Mut, das Leben einzusetzen, wie die Willigkeit zur Arbeit hervor. Hätte Hegel das beim Zeitunglesen gedacht, und hätte er es, so wie er es empfand, abermals nicht ins Manuskript geschrieben, sondern wieder so?
»Das Individuum, welches das Leben nicht gewagt hat, kann wohl als Per­son anerkannt werden; aber es hat die Wahrheit dieses Anerkanntseins [. . .] nicht erreicht.«

Wunderbar, wie Kluge hier erkennbar macht, dass der große Dialektiker hinter den Denkmöglichkeiten von Widerspruchszusammenhängen zurückbleibt und in einem begrifflichen Totalitarismus landet, den auch ein Abu Bakr al-Baghdadi pflegt! Insofern stellt sich nochmal die Frage nach der Bedeutung der Begriffe, aber auch die nach der Berufbarkeit auf eine Aufklärung, die uns - abendländisch - den Anderen so überlegen erscheinen lassen soll ...

Die Herausforderung also: Das was geschieht oder was geschehen ist ("Geschichte") nicht länglich zu denken, sondern als Haufen , - eben als Widerspruchszusammenhang.
Ausgewählte Beispiele:
- Update Ukraine (XXXIII) & Syriana: Staatsattrappen, Rackets, Regime und Milizen - Tomasz Konicz
- Pepe Escobar - The Roving Eye (Das wandernde Auge)
- Georg Seeßlen: Die drei großen Leugnungen. Kleines Statement zur Lage der Dinge

Babylon by Bus: I Giardini Pensili Hanno Fatto Il Loro Tempo - Semiramis und die Hure Babylon. Von der Notwendigkeit, sich aus der Glocke der apokalytischen Bilder zu befreien

Die Hängenden Gärten der Semiramis, auch die Hängenden Gärten von Babylon genannt, waren nach den Berichten griechischer Autoren eine aufwendige Gartenanlage in Babylon am Euphrat (im Zweistromland, im heutigen Irak gelegen).
Semiramis, den antiken Quellen nach Gründerin Babylons, eine schillernde Persönlichkeit, „ein geiles und blutbesudeltes Weib“ - wird - wie die von ihr gegründete Stadt - in Literatur und Kunst immer wieder anders in den Blick genommen (siehe unten). Akutell interessant ist in diesem Zusammenhang der apokalyptische Furor des IS gegen die "große Hure Babylon" : "Wir werden euer Rom erobern, eure Kreuze zerbrechen und eure Frauen versklaven" (Florian Rötzer, tp 14.10.2014), der doch auch aus diesem mythologischen Schoß kriecht:



Im Magazin für Theologie und Ästhetik 14/2001 findet sich ein Aufsatz von Richard Herzinger: Die Hure Babylon - Die apokalyptischen Motive eines weltweit grassierenden Antiamerikanismus, dem man nicht in allen Annahmen und Schlussfolgerungen folgen muss, dessen Kernthese aber hilfreich sein könnte zu verstehen, was den Kampf der Badass Jihadis in Black gegen Rom/die Hure Babylon befeuert:
    ... Der Ort aber, an dem die Zivilisation lebendige Form annimmt, ist die Stadt. Dort treffen Fremde unterschiedlicher Abstammung aufeinander und müssen kulturelle Regelwerke schaffen, die von allen respektiert werden können. Aus den komplexen, arbeitsteiligen Beziehungen, die hier entstehen, entwickelt sich der Markt und die Geldwirtschaft. In allen Kulturen ist die Stadt Kern und Motor zivilisatorischer Entwicklung - gerade darum aber steht sie von Anfang an auch unter einem Generalverdacht. Ist ihre Existenz nicht ein unerhörter Bruch mit der natürlich vorbestimmten Lebensweise der Menschen? Reißt sie ihn nicht aus der symbiotischen Einheit der Gemeinschaft mit ihrem angestammten Boden, ist Haltlosigkeit und Ausschweifung nicht die unausweichliche Folge dieser Entwurzelung? Kurz, ist sie nicht Ausdruck und Nährboden einer ungeheuren Hybris, einer gotteslästerlichen Auflehnung gegen die ursprüngliche und ewige Ordnung der Welt? In der jüdisch-christlichen Überlieferung erscheint die Gründung der ersten Stadt gar als indirekte Folge des Verbrechens. Kain, der Brudermörder, wird von Gott dazu verurteilt, "unstet und flüchtig" durch die Welt zu ziehen; so wird er zum ersten Nomaden und schließlich zum Stadtgründer.

    Aus den Städten entwickeln sich Metropolen und schließlich jene "Riesenstädte" der Hochzivilisation, die Oswald Spengler in seinem "Untergang des Abendlandes" bezichtigte, sie saugten dem umliegenden Land seine natürliche Lebenskraft aus. Die große Stadt ist schon von alters her die bevorzugte Zielscheibe apokalyptischer Untergangsphantasien. Sodom und Gomorrha übereignet Gott wegen ihrer Ausschweifungen dem Feuertod. Das biblische Urbild der sündigen Stadt ist aber Babylon, das sein Selbstbewusstsein durch den Bau eines Turms manifestiert, "dessen Spitze bis an den Himmel reiche". Von dieser Demonstration menschlichen Erfindungsgeistes sah sich der Herr in seiner Autorität bedroht, weswegen er die Sprache der Babylonier verwirrte und sie in alle Länder zerstreute, so "dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen".

    Die Apokalyptik prophezeit ein bevorstehendes, endzeitliches göttliches Strafgericht, in dessen Verlauf die Toten auferstehen, die Ungerechten zu Höllenqualen verurteilt und die Gerechten zur Seligkeit erhöht werden. Mit der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament beginnt die Instrumentalisierung apokalyptischer Phantasien für realgeschichtliche Zwecke. Mit der "großen Hure" Babylon, deren Lasterhaftigkeit Johannes in grellsten Farben brandmarkt und deren Vernichtung dem Anbruch des Reichs Gottes vorangehen soll, ist eigentlich Rom gemeint, das Herz des heidnischen Imperiums, von dem die Welt befreit werden müsse.

    Johannes redet freilich noch in poetischen Gleichnissen, und das grausame Weltgericht bleibt noch allein dem Allmächtigen vorbehalten. Gleichwohl dient die Erwartung des erlösenden Weltenendes im Mittelalter - ob in den Kreuzzügen oder bei den Judenverfolgungen - als Rechtfertigung für Massenmord und als Anreiz zum eigenen Opfertod. Seine schlimmste Durchschlagskraft entfaltet die politische Funktionalisierung des apokalyptischen Bewusstseins aber, als sich politische Ideologen dazu ermächtigen, die Weltenreinigung selbst durchzuführen, und sich dabei moderner Technologie und einer zynischen instrumentellen Rationalität bedienen können. Hitlers Wahnbild vom "Tausendjährigen Reich" schöpfte ebenso aus apokalyptischen Motiven wie das Pathos der russischen Revolution - etwa, wenn Majakowski sie mit den Worten besang: "Wie einer zweiten Sintflut Verheerung / Waschen wir wieder die Städte der Welt."

    Die geschlossenen ideologischen Weltanschauungssysteme sind zerbröckelt, der apokalyptische Furor aber sucht sich neue Ausdrucksformen. Und in seinem Fadenkreuz bleibt vor allem die Stadt. Pol Pot begann seine mörderische Umerziehungsaktion gegen ein ganzes Volk mit der Entvölkerung der "dekadenten" Großstädte. In ähnlicher Weise praktizieren heute die Taliban in Afghanistan die Verwirklichung einer radikalen antizivilisatorischen Utopie: Das ist eine Welt ohne Bewegungsfreiheit für das Individuum - und in erster Linie ohne Rechte für die Frauen -, eine Welt ohne Musik, Luxus und Lachen, kurz: eine Welt ohne Städte. Die Mörder von New York und Washington sind nicht der bewaffnete Arm des Islam, sondern dieses Programms einer letztmöglichen Rücknahme menschlicher Zivilisationsentwicklung ...
Was Herzinger offenbar nicht mitdenken kann, ist die Dialektik einer Zivilisationsentwicklung, die industriellen Massenmord, eine ausgeplünderte Peripherie und unbewohnbare Städte dort und in den Zentren hervorgebracht hat. Seine Feier der Stadt als Zivilisationsgewinn ist billig: eine Welt mit Musik, Luxus und Lachen ... Es ist ja nicht schwer zu verstehen, dass es Menschen gibt, die dagegen rebellieren. Zu verstehen, welcher Mythen und Symbole sie sich dabei bedienen, könnte Herzingers Gedankengang dennoch nützlich sein.
Vgl. auch: Für einen neuen Averroismus - Kleines Statement zur Religion; von Georg Seeßlen in seinem Blog.



Whore-of-babylon-luther-bible-1522
The Whore of Babylon illustration from Martin Luther's 1522 translation of the New Testament.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/1c/Waldeck_H%C3%A4ngende_G%C3%A4rten_der_Semiramis.jpg/640px-Waldeck_H%C3%A4ngende_G%C3%A4rten_der_Semiramis.jpg?uselang=de
"Hängende Gärten der Semiramis", signiert H. Waldeck, Öl auf Leinwand, 94,5 x 174 cm

http://hoocher.com/Edgar_Degas/Semiramis_Building_Babylon.jpg
Degas hatte das Gemälde "Semiramis erbaut Babylon" um 1860 begonnen, doch bis zu seinem Tod hatte es nie sein Atelier verlassen. Das Bild stellt eine mythologische Szene dar: Vom Ufer des Euphrat aus betrachtet Semiramis, Königin von Assyrien und Gründerin von Babylon, die Entstehung eines der sieben Weltwunder.

Wir waren in der Rezeption des Mythos schon mal weiter: In der populären Musik wurde gelegentlich das Bild von der Hure Babylon aufgenommen, etwa als Babylon-System. Diesen, aus dem Rastafari-Glauben übernommenen Begriff, etablierte Bob Marley 1978 durch sein Album Babylon by Bus. Marley ging es um die Entfaltung einer schwarzen Identität, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung durch Befreiung aus den Fängen des „westlichen Babylons“:

Bob Marley - War - No More Trouble | Live In Dortmund Germany 1980



Paolo Conte - I Giardini Pensili Hanno Fatto Il Loro Tempo


Guardo una strada… io
non ne ho mai viste così
e dove vada a finire non so dir da qui…
il fondo è lucido e scuro
di un nero già blu…
porta lontano, è sicuro, mai stato laggiù…

Ah, quei bei giardini là
non si vedranno più…

Guarda, il deserto è tatuano:
leonesse e zulù,
terra di grandi sbadigli e sonagli bantù…
Il vento che tutto quanto sparire farà
in un momento i giardini ci riporterà…

Si, quei bei giardini là
li rivedremo qua…

Giardini pensili: dondola il sogno che hai
come una palma, un cespuglio, una cosa che vuoi…
e vedi una strada dall'alto,
la guardi laggiù,
il fondo è lucido e scuro, di un nero già blu

Paolo Conte - I Giardini Pensili Hanno Fatto Il Loro Tempo songtext (Deutsch Übersetzung)

Nachtrag: Georg Seeßlen: Der Weltuntergang als Direktübertragung
weltuntergang_top
PDF download bei GETIDAN

Cognitive Sophistication: Die Westantarktis hat den Kipppunkt überschritten / Finding the 'God' particle could destroy the universe /

- Die Westantarktis hat den Kipppunkt überschritten.
+ Stephen Hawking warnt davor, weitere Experimente mit dem Higgs boson könnten das Universum vernichten.

Von der Notwendigkeit und Unmöglichkeit über den Tod zu sprechen

In den letzten Wochen und Monaten sind (ehemalige) Kollegen verstorben.Von der Notwendigkeit und Unmöglichkeit über den Tod zu sprechen. Dazu etwas Hilfreiches aus dem Audioarchiv kritischer Theorie & Praxis:
    Die Thematisierung des Todes, um den die materialistische Kritik „nie ein großes Gewese“ (Magnus Klaue) gemacht hat, erweckt häufig den Eindruck eines rein intellektuellen Spiels. Im Gegensatz zum Sterben, diesem körperlichen und oftmals schmerzhaften Prozess, scheint es unmöglich den Tod sinnvoll zu fassen: den Tod denkend zu bestimmen, überschreitet die Grenzen des Bestimmbaren. So haben aktuelle Versuche sich dem Thema aus einer kritisch-materialistischen Perspektive zu nähern, nicht zufällig zumeist eine thesenhafte Form.
    Doch jede Beschäftigung mit dem Tod einzustellen, Tod und Sterben voneinander getrennt zu betrachten, greift zu kurz. Nicht ohne Grund sprach Adorno von der Abschaffung des Todes als wesentlichem Bestandteil utopischen Denkens, das versucht über das Bestehende hinauszukommen. Notwendig ist zudem eine Kritik am Umgang mit dem Tod, der „bloß noch die absolute Irrelevanz des natürlichen Lebewesens gegenüber dem gesellschaftlich Absoluten“ bestätigt. Den Tod als „Gegebenes“ (Jean-Paul Sartre) darzustellen und zu akzeptieren, bedeutet der „Ideologie der Unparteilichkeit des Todes“ (Max Horkheimer) zuzureden und die materialistische Kritik daran zu vernachlässigen, wohl wissend, dass in der falschen Gesellschaft “selbst die Utopie von der Abschaffung des Todes falsch wird” (Lars Quadfasel).
    Im Rahmen der Vortragsreihe „Jeder stirbt für sich allein. Von der Notwendigkeit und Unmöglichkeit über den Tod zu sprechen“ werden Malina Schwarz und Morten Lund referieren und dabei an Auseinandersetzungen mit der Ideologie (und den Ideologen) des Todes erinnern. Sie zeigen unterschiedlichste Formen der Verherrlichung des Todes, die mit Martin Heidegger als deutschen Philosophen nicht rein zufällig den einflussreichsten Apologeten des Todes in der Moderne fand, und deren philosophische Kritik. Darüber hinaus zeigen sie aktuelle Entwicklungen im Umgang mit dem Tod, der “Nichtung aller Möglichkeiten” (Jean-Paul Sartre) auf, die zum einen in einer Ökonomisierung des Sterbens und des Todes zu sehen sind; zum anderen in einer Todessehnsucht. In „einer Welt in der es längst Schlimmeres zu fürchten gibt als den Tod“ (Theodor W. Adorno) bleiben Fragen: Wie ist es in diesen Zuständen um die Hoffnung bestellt, das Leben nicht vom Tod diktieren zu lassen? Wenn die gewalttätige Abkürzung des Lebens, die gerade in den verschiedenen Formen der Todessehnsucht ihren Ausdruck findet, nichts anderes ist, als die Dementierung des Glücksversprechens: Ist die Aufforderung das Ende seines Lebens selbst zu bestimmen, kaum mehr als eine voreilige Versöhnung mit Naturkräften?
Malina Schwarz/Morten Lund: Nachruf. Über den Tod im Bestehenden (Download: via AArchiv)

+ Oliver Decker: Ware:Körper. Zur Sozialpsychologie von Markt und Medizin
+ Guido Sprügel: Die Einsamkeit der letzten Dinge. Eine gesellschaftskritische Betrachtung der Sterbehilfe
+ Kirsten Achtelik: Auslese, Perfektionierung und die Last der Entscheidung

Define: Befreiung / Freiheit

Wichtiger noch als die Frage nach der Befreiung wovon scheint mir die Frage nach der Befreiung wozu zu sein.
Die überhaupt zu stellen setzt allerdings voraus, dass über die Frage nach der Freiheit wovon hinreichend nachgedacht wurde.

27. Januar: Pete Seeger ist gestorben

Lesenswert: Farewell Pete Seeger … Fetzen einer Erinnerung in den Siedlungen der Hochhäuser jener Trabantenstädte in den frühen 70ern. Ein schöner Text des geschätzten Bersarin (AISTHESIS)

... Später dann ... kam mir diese Musik eher kitschig und sentimental vor. Das war sie natürlich, nach musikalischen Gesichtspunkten betrachtet, auch. Dennoch blieb dieser Rest haften und wenn ich „What Did You Learn In School?“ hörte, hatte ich damals schnell den Text verstanden, obwohl ich in diesen jungen Jahren als 6- oder 7-Jähriger im Grunde noch gar nichts verstand. Thanks for this! Pete Seeger - What Did You Learn In School?

No Pasarán: Im Sinne eines notwendigen - wenn auch historisch nicht mehr begründbaren - Optimismus denn doch noch dieses Lied. Pete Seeger erkärt's auch nochmal !!



Auf einem wunderbaren Live-Doppelalbum mit Arlo Guthrie stellt er diesem Lied die Rezitaion des letzten Gedichts von Victor Jara voran: ESTADIO CHILE. Thanks for this!

+ Zur Erinnerung an den großen Musikpädagogen Pete Seeger – Humanist, Musiker, Kämpfer gegen Unterdrückung und Krieg - von Eva Petermann

+ How Can I Keep From Singing? Über den gestern verstorbenen großen Folk-Aktivisten, Sänger und unfreiwilligen Popsongwriter Pete Seeger. Von Robert Rotifer (via Mrs. Mop, siehe Kommentar)

27. Januar: Das Rätsel der Leningrader Symphonie von Schostakowitsch

Meine erste Begegnung mit der Musik Schostakowitschs: die 7. Sinfonie, die bei meinem ersten Besuch in Leningrad (1978) an der Gedenkstätte für die Opfer der Belagerung leise, unaufdringlich, aber eindringlich vom Band lief.
Gedenkst_tte_belagerung

Der Besuch der Gedenkstätte war zu diesem Zeitpunkt noch obligatorischer Bestandteil der Stadtrundfahrten für Westtouristen. Später musste man selbst mit dem Taxi hinfahren (Rücksicht auf Befindlichkeiten im Rahmen der Entspannungspolitik – Heute würde ich empfehlen, den Besuch wieder obligatorisch zu machen; - aber das geht wohl nicht mehr! Der heutige Tourist will Sankt Petersburg sehen. - Ich werde immer als völlig verrückt angesehen, wenn ich sage, dass ich erst wieder dorthin fahre, wenn die Stadt wieder Leningrad heißt. Mag sein, - ich stehe dazu!).

SchostakDiese 7-LP-Box habe ich damals für 9 Rubel 40 Kopeken dort gekauft: Die Sinfonien, dirigiert von Kyril Kondraschin, und die bleibt verbunden mit der Erfahrung des Besuchs der Gedenkstätte.

Die 7. Symphonie entstand während der 900- tägigen Blockade Leningrads durch die faschistische deutsche Wehrmacht. Zur Uraufführung am 5. März 1942 mussten Musiker von der Front abberufen werden. Am 9. August 1942 wurde die Sinfonie unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in Leningrad aufgeführt. Lesen Sie unbedingt nach bei

Verena Nees: Das Rätsel der Leningrader Symphonie von Schostakowitsch:

Schostakowitsch hatte die ersten drei Sätze der Symphonie noch in Leningrad im September 1941 niedergeschrieben und seinen engsten Freunden am Klavier vorgeführt. Später erinnert er sich in den Memoiren: „Meine Siebte, die Leningrader Symphonie, schrieb ich rasch. Ich musste sie einfach schreiben. Ringsum war Krieg. Ich war mitten unter dem Volk, ich wollte das Bild unseres kämpfenden Landes in Musik festhalten.“

Schostakowitschs Freund, der Theaterkritiker und -Regisseur Isaak Glikman, berichtet im Vorwort seiner 1998 veröffentlichten Korrespondenz mit Schostakowitsch, dass dieser ihn Anfang August 1941 zu sich gerufen hatte. Er spielte am Flügel „die erhabene, wunderschöne Exposition der Siebten Symphonie und das Variationsthema, das die faschistische Invasion darstellt … Wir versanken in Schweigen. Er unterbrach es mit den folgenden Worten (die ich mir aufgeschrieben habe): ‚Ich weiß nicht, wie sich das Schicksal dieses Stückes entwickeln wird’, und er fügte nach einer Pause hinzu, ‚unausgelastete Kritiker werden mir sicher den Vorwurf machen, dass ich den Bolero von Ravel nachahmen würde. Sollen sie mir den Vorwurf machen, so jedenfalls klingt in meinen Ohren Krieg.“



In der Zeitung Moskovskij bolševik vom 19. April 1942 wird Schostakowitsch mit den Worten zitiert: „Ich wurde benachrichtigt, dass ich die Stadt verlassen sollte. Dies wollte ich auf keinen Fall tun, zumal überall eine kämpferische Stimmung herrschte. Frauen, Kinder und alte Leute zeigten ungewöhnlichen Mut; ich werde ihren Heroismus, den sie im Bombenhagel bewiesen, niemals vergessen. Vor allem die Frauen verhielten sich während der Belagerung der Stadt wundervoll.“

Der Komponist hatte sich zu Beginn der Blockade dreimal erfolglos bemüht, in die Rote Armee aufgenommen zu werden, wurde dann als Feuerwehrmann des Konservatoriums und beim Gräben-Ausheben eingesetzt und letztlich Anfang Oktober mit seiner Familie nach Kuibyschew evakuiert. Dort beendete er die Symphonie im Dezember 1941. Für ihn war klar, auf welcher Seite er stand, er unterstützte die „Gewalt“ der Bevölkerung, die sie zur Verteidigung Leningrads und der Errungenschaften der Oktoberrevolution aufwenden mussten.
„Ich wende mich nur an Menschen, die hören können“

Das Unverständnis für die Siebte Symphonie schlägt sich auch in höchst unterschiedlichen Interpretationen der Dirigenten und Orchester nieder: Die erste Aufführung im Ausland unter Arturo Toscanini, die der Forderung nach einer heroischen Kriegssymphonie nachkam, wurde von Schostakowitsch wütend mit den Worten bedacht: „Alles falsch“. In der Nachkriegszeit gibt es Interpretationen von emotionslos bis übertrieben pathetisch, von forsch-fröhlich bis todtraurig, oder auch einfach zu glatt und oberflächlich, wie beispielsweise manche heutige Aufnahmen aus der ehemaligen Sowjetunion – in den meisten Fällen ist vom Kampfgeist der Leningrader Bevölkerung nicht mehr viel zu spüren, ebenso wenig wie von der Tragik der sowjetischen Geschichte.

Am besten sei die Interpretation von Jewgeni Mrawinski mit den Leningrader Philharmonikern, sagte Schostakowitsch selbst. Sie sei präzise und entspräche seinen Intentionen...


Die können Sie hier hören:
Dmitri Shostakovich: Symphony No.7 in C major, Op.60 "Leningrad"

I. Allegretto (00:00)
II. Moderato (poco allegretto) (26:56)
III. Adagio (37:04)
IV. Allegro non troppo (56:06)

Leningrad Philharmonic Orchestra
Yevgeny Mravinsky, conductor

February 26, 1953
Large Studio of Moscow Radio

    "Die 'Leningrader Sinfonie' ist Symbol des Sieges der besten menschlichen Eigenschaften. Geschrieben in Leningrad, ist sie bis zu den Ausmaßen eines Meisterwerkes von Weltrang gewachsen; man versteht sie auf jedem Längen- und Breitengrad, denn sie schildert die Wahrheit über den Menschen in einem ungewöhnlichen Augenblick seines Unglücks und seiner Erfahrung."
    (Alexej Tolstoi)
In der Zeit der Leningrader Blockade vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944, in der die Wehrmacht auf Befehl Hitlers keine Eroberung Leningrads versuchte, sondern stattdessen die Stadt systematisch von jeglicher Versorgung abschnitt, starben über eine Million Zivilisten. Eine geheime Weisung des Oberkommandos der Wehrmacht vom 23. September 1941 lautete: Der Führer ist entschlossen, die Stadt Petersburg vom Erdboden verschwinden zu lassen. Es besteht nach der Niederwerfung Sowjetrusslands keinerlei Interesse am Fortbestand dieser Großsiedlung. Ausdrücklich mit eingeschlossen war damit der Genozid an den etwa drei Millionen Einwohnern, sie hätten in dem gemäß dem Generalplan Ost neu zu schaffenden deutsch besiedelten Ingermanland keinen Platz mehr gehabt.
Nahrungsmittel zur Versorgung der Millionenstadt konnten nur unter großen Gefahren per Flugzeug oder im Winter über den vereisten Ladogasee per Bahn und LKW nach Leningrad gebracht werden. Die Route über den See lag im Schussfeld der Wehrmacht, im Schnitt kam von drei gestarteten LKW einer in Leningrad an. Besonders dramatisch war die Situation im Jahr 1941. Durch Luftangriffe wurde ein Großteil der Nahrungsmittelvorräte vernichtet, zudem brach der Winter ungewöhnlich früh ein. Der Abwurf gefälschter Lebensmittelbezugsscheine aus Flugzeugen der Wehrmacht tat ein übriges. Die Rationen sanken im Oktober auf 400 Gramm Brot für Arbeiter, 200 Gramm für Kinder und Frauen. Am 20. November 1941 wurden sie auf 250 Gramm, respektive 125 Gramm reduziert. Zudem herrschten Temperaturen von bis zu –40 Grad Celsius in einer Stadt, in der Heizmaterial äußerst knapp war. Allein im Dezember 1941 starben circa 53.000 Menschen, viele von ihnen fielen einfach vor Entkräftung auf der Straße um.
Während der Belagerung wurden etwa 150.000 Artilleriegeschosse auf die Stadt abgeschossen, etwa 100.000 Fliegerbomben fielen.
Bei Versuchen der Roten Armee die Belagerung zu sprengen, kamen etwa 500.000 sowjetische Soldaten ums Leben. Versuche 1941 und 1942 scheiterten; die Offensive, die die Stadt befreien sollte, begann am 14. Januar 1944 und konnte am 27. Januar 1944 zum Abschluss gebracht werden.
(Quelle)


Viktor was born in the spring of '44
And never saw his father anymore
A child of sacrifice, a child of war
Another son who never had a father after Leningrad

Went off to school and learned to serve the state
Followed the rules and drank his vodka straight
The only way to live was drown the hate
A Russian life was very sad
And such was life in Leningrad

I was born in '49
A cold war kid in McCarthy time
Stop 'em at the 38th Parallel
Blast those yellow reds to hell
And cold war kids were hard to kill
Under their desk in an air raid drill
Haven't they heard we won the war
What do they keep on fighting for?

Viktor was sent to some Red Army town
Served out his time, became a circus clown
The greatest happiness he'd ever found
Was making Russian children glad
And children lived in Leningrad

But children lived in Levittown
And hid in the shelters underground
Until the Soviets turned their ships around
And tore the Cuban missiles down
And in that bright October sun
We knew our childhood days were done
And I watched my friends go off to war
What do they keep on fighting for?

And so my child, and I came to this place
To meet him eye to eye and face to face
He made my daughter laugh, then we embraced
We never knew what friends we had
Until we came to Leningrad



Billy Joels "Leningrad": Ein weiteres bedeutendes Musikstück, das uns mit Leningrad verbindet: Deutsche Unternehmer: Heute: Karl Amson Joel, Josef Neckermann und Gustav Schickedanz - oder: Archäologie LXXIIa
(- übrigens einer der meistgesuchten Beiträge in diesem Blog!!)


27. Januar - 1944 und 1945


Archäologie L: 27. Januar 1945 - die Rote Armee befreit das KZ Auschwitz
Zuweilen scheint es mir fast nötig zu sein, darauf hinzuweisen: Es war nicht die Bundeswehr, die Auschwitz befreit hat. Und es war nicht die Bundeswehr, die Bergen-Belsen befreit hat!

... und mein Photo
010_09

und Colour Photos of Street Scenes in Leningrad, 1961 + Color Photos of Leningrad in 1972

Wise Man Says

"Es gibt so viele Arschloch-Typen wie es menschliche Funktionen, Tätigkeiten und Interessengebiete gibt. Und auf jedem Gebiet kann das Verhältnis von AQ zu IQ ein anderes sein. Kein noch so kopfdenkerisches Verhalten bei einem Thema bietet Gewähr dafür, dass nicht schon beim nächsten der Arschdenk mit voller Wucht einsetzt." Charles Lewinsky, Der A-Quotient

Wise Man Says II

"The illusion of freedom will continue as long as it's profitable to continue the illusion. At the point where the illusion becomes too expensive to maintain, they will just take down the scenery, they will pull back the curtains, they will move the tables and chairs out of the way and you will see the brick wall at the back of the theater." Frank Zappa

Haftungsausschluss

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