Sogenannter Zapfenstreich: Vermummte schänden Deep Purple
Was ich eben sah, ist kaum in Worte zu fassen. Ein Sacher-Masoch muss sich meiner bemächtigt haben, dass ich aushielt, was ein öffentlich-rechtlicher Phoenix mir zu zeigen wagte: Einblicke in ein Paralleluniversum, kommentiert von Grenzdebilen, die mich zwangen auch noch erzählt zu bekommen, was ich sah:
"Da standen diese Herrschenden nun persönlich auf dem Balkon vor dem Opernhaus. sie blieben erleuchtet, sonst wurde Nacht. die Lichter des Platzes wurden gelöscht, damit die Reichswehr zu richtiger Geltung kommen konnte. Denn die hatte blinkende Stahlhelme auf und brennende Fackeln in den Händen, damit tanzte sie zu militärischen Musikklängen eine Art Ballett. Es handelte sich um einen Zapfenstreich und stellte einen historischen Moment dar und das sah sehr hübsch aus.
Die Welt war groß und dunkelblau, die tanzenden Männer waren schwarz und gleichmäßig - ohne Gesichter und stumm, in schwarzer Bewegung. Ich habe in einem Kulturfilm mal Kriegstänze von Negern gesehen, die waren etwas lebhafter, aber der Tanz der Reichswehr hat mir auch sehr gut gefallen." Irmgard Keun, Nach Mitternacht (1937 bei Querido in Amsterdam erschienen, geschrieben in Brüssel, Ostende, Paris und Amsterdam ...)
Der göttlichen Keun subtiler Schilderung wäre nichts hinzuzufügen, wenn nicht im Rahmen der Veranstaltung auf Wunsch eines einzelnen Anwesenden, der allerdings nach Schluss der Darbietungen von den Feldjägern abgeholt wurde (wobei noch nicht bekannt ist, wohin er gebracht wurde, so die kommentierenden Grenzdebilen), ein sogenanntes Stabsmusikcorps eines der bekanntesten Lieder der Gruppe Deep Purple geschändet hätte. Dass solche Leute an einer Veranstaltung wie einem Zapfenstreich (ursprünglich handelte es sich um einen Befehl zur Nachtruhe für die Landsknechte im 16. Jahrhundert. Der Truppenführer "strich" auf die Zapfen der Getränkefässer und befahl den Soldaten damit die Nachtruhe) teilnehmen, mag in einer liberalen Gesellschaft angehen, auch dass sie einem König Ludwig was zum Defilieren blasen, wäre noch hinnehmbar. Nicht akzeptiert werden kann allerdings, dass sie ein Werk der Populärkultur schänden, mit dem viele Menschen wichtige Erinnerungen an ihre Pubertät verbinden, mithin auch an gewisse libertäre, rebellische oder gar sexuelle Impulse, die sie gespürt haben mögen, - indem sie es in einer obskuren (manche mögen sogar sagen: perversen) männerbündischen Inszenierung verblasmusizieren. Einen Augenblick lang sah es so aus, als hätten sie ein Einsehen, als ihnen einer sagte, sie sollten den Helm abnehmen und beten, aber dann haben sie den Helm wieder aufgesetzt und auch wieder mit ihren Gewehren rumhantiert, - was ja nun gar nicht zu dem Lied passt:
Hätte der Anwesende, der sich etwas wünschen durfte, von seiner Lieblingsgruppe If You Want Blood oder She's Got Balls (für Steffi) spielen lassen, wäre ja irgendein Sinn erkennbar gewesen und ich hätte nichts dagagen gehabt, weil es vielleicht ja auch noch bezeichnend ist, dass einer so eine
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Nachbemerkung, traurig:
In der Annahme, das K.T. (also Kurt Tucholsky) etwas Gehöriges zum sog. Großen Zapfenstreich geschrieben hat, wollte ich in meiner Rowohlt-Taschenbuchausgabe blättern. Ich musste feststellen, dass sich - und das muss heute zwischen 18.30 und 19.00 geschehen sein- vor Schreck und Scham der Leim aufgelöst hat, so dass ich jetzt nur noch eine Tucholsky-Loseblattsammlung besitze ...
An die 100 000 Soldaten der ruhmreichen Sowjetarmee, die für die Befreiung Berlins, wo dieser Mummenschanz heute stattfand, ihr Leben ließen, mag ich gar nicht denken ...
Nachbemerkung, zustimmend:
... Die Verbindung von Dadaismus und Terror veranschaulichte sich im übrigen besonders schön im Abschieds-Zapfenstreich für Guttenberg. Uniformierte Massen, die mit martialischen Geräten versuchen, „Smoke on the River“ zu spielen. So hat er es wieder geschafft, der Freiherr: Bei ihm muss es eben immer etwas besonderes sein. Und wenn es auch besonders blöde ist. Das heißt: „Bridge over troubled water“ wäre um noch einen Kick strunzig-sentimentalischer gekommen, da hätten doch noch mehr Leser der Guttenberg-Zeitung mitgeheult. Wenn man schon kein deutsches Lied für einen solchen Anlass findet. Wie „Muss I denn zum Städtele hinaus“ oder „Junge, komm bald wieder“...
Georg Seeßlen: „Smoke on the River“
"Da standen diese Herrschenden nun persönlich auf dem Balkon vor dem Opernhaus. sie blieben erleuchtet, sonst wurde Nacht. die Lichter des Platzes wurden gelöscht, damit die Reichswehr zu richtiger Geltung kommen konnte. Denn die hatte blinkende Stahlhelme auf und brennende Fackeln in den Händen, damit tanzte sie zu militärischen Musikklängen eine Art Ballett. Es handelte sich um einen Zapfenstreich und stellte einen historischen Moment dar und das sah sehr hübsch aus.
Die Welt war groß und dunkelblau, die tanzenden Männer waren schwarz und gleichmäßig - ohne Gesichter und stumm, in schwarzer Bewegung. Ich habe in einem Kulturfilm mal Kriegstänze von Negern gesehen, die waren etwas lebhafter, aber der Tanz der Reichswehr hat mir auch sehr gut gefallen." Irmgard Keun, Nach Mitternacht (1937 bei Querido in Amsterdam erschienen, geschrieben in Brüssel, Ostende, Paris und Amsterdam ...)
Der göttlichen Keun subtiler Schilderung wäre nichts hinzuzufügen, wenn nicht im Rahmen der Veranstaltung auf Wunsch eines einzelnen Anwesenden, der allerdings nach Schluss der Darbietungen von den Feldjägern abgeholt wurde (wobei noch nicht bekannt ist, wohin er gebracht wurde, so die kommentierenden Grenzdebilen), ein sogenanntes Stabsmusikcorps eines der bekanntesten Lieder der Gruppe Deep Purple geschändet hätte. Dass solche Leute an einer Veranstaltung wie einem Zapfenstreich (ursprünglich handelte es sich um einen Befehl zur Nachtruhe für die Landsknechte im 16. Jahrhundert. Der Truppenführer "strich" auf die Zapfen der Getränkefässer und befahl den Soldaten damit die Nachtruhe) teilnehmen, mag in einer liberalen Gesellschaft angehen, auch dass sie einem König Ludwig was zum Defilieren blasen, wäre noch hinnehmbar. Nicht akzeptiert werden kann allerdings, dass sie ein Werk der Populärkultur schänden, mit dem viele Menschen wichtige Erinnerungen an ihre Pubertät verbinden, mithin auch an gewisse libertäre, rebellische oder gar sexuelle Impulse, die sie gespürt haben mögen, - indem sie es in einer obskuren (manche mögen sogar sagen: perversen) männerbündischen Inszenierung verblasmusizieren. Einen Augenblick lang sah es so aus, als hätten sie ein Einsehen, als ihnen einer sagte, sie sollten den Helm abnehmen und beten, aber dann haben sie den Helm wieder aufgesetzt und auch wieder mit ihren Gewehren rumhantiert, - was ja nun gar nicht zu dem Lied passt:
Hätte der Anwesende, der sich etwas wünschen durfte, von seiner Lieblingsgruppe If You Want Blood oder She's Got Balls (für Steffi) spielen lassen, wäre ja irgendein Sinn erkennbar gewesen und ich hätte nichts dagagen gehabt, weil es vielleicht ja auch noch bezeichnend ist, dass einer so eine
MännerSchweißBlutbratze
toll findet, - aber The Most Popular Metal Riff In History wird nicht geblasen!Rechtsum! Abtreten!
Zum Beweis: Die schändliche Tat wurde von einem aufmerksamen Zeitgenossen mittels modernster Technologie festgehalten und ist hier nun öffentlich am Pranger bzw. auch für die Strafverfolgungsbehörden verfügbar:View on YouTube
Nachbemerkung, traurig:
In der Annahme, das K.T. (also Kurt Tucholsky) etwas Gehöriges zum sog. Großen Zapfenstreich geschrieben hat, wollte ich in meiner Rowohlt-Taschenbuchausgabe blättern. Ich musste feststellen, dass sich - und das muss heute zwischen 18.30 und 19.00 geschehen sein- vor Schreck und Scham der Leim aufgelöst hat, so dass ich jetzt nur noch eine Tucholsky-Loseblattsammlung besitze ...
An die 100 000 Soldaten der ruhmreichen Sowjetarmee, die für die Befreiung Berlins, wo dieser Mummenschanz heute stattfand, ihr Leben ließen, mag ich gar nicht denken ...
Nachbemerkung, zustimmend:
... Die Verbindung von Dadaismus und Terror veranschaulichte sich im übrigen besonders schön im Abschieds-Zapfenstreich für Guttenberg. Uniformierte Massen, die mit martialischen Geräten versuchen, „Smoke on the River“ zu spielen. So hat er es wieder geschafft, der Freiherr: Bei ihm muss es eben immer etwas besonderes sein. Und wenn es auch besonders blöde ist. Das heißt: „Bridge over troubled water“ wäre um noch einen Kick strunzig-sentimentalischer gekommen, da hätten doch noch mehr Leser der Guttenberg-Zeitung mitgeheult. Wenn man schon kein deutsches Lied für einen solchen Anlass findet. Wie „Muss I denn zum Städtele hinaus“ oder „Junge, komm bald wieder“...
Georg Seeßlen: „Smoke on the River“
gebattmer - 2011/03/10 19:12
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