Dass in der Kleinstadt an der Havel etwas Unangenehmes unter der Oberfläche gärt, ahnt Mimi Schulz in etwa zu der Zeit, als sie mit großem Trara in die FDJ aufgenommen wird. Mehr und mehr Menschen „machen rüber“, weil das gelobte sozialistische Paradies nicht hält, was es verspricht. Ihr eigener Vater erkrankt zu dieser Zeit und verbittert immer mehr: „Unbemerkt hatte die Wut jahrelang unterm Pflaster gehockt, unter maroden Dielen, in der Kanalisation, auf den Dachböden und hinter verblichenen Fotografien. Bei uns im Haus konnte ich es knistern hören“, blickt die Icherzählerin zurück auf die späten Achtziger in dem Ort, der im Roman nur „Havelstadt“ genannt wird.
Mit der Havelstadt ist der Ort Zehdenick nördlich von Berlin gemeint, in dem die Schriftstellerin, Journalistin und Sängerin Manja Präkels aufwuchs. In ihrem Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erzählt sie vom Leben als Jugendliche in den Wendejahren in dieser Stadt; genauer gesagt vom Leben als „Zecke“, als linke Jugendliche dort. Denn in erster Linie beschreibt sie, wie rechte Skinheads und Nazis – „Gorillas“ nennt sie sie – in den frühen Neunzigern die Hoheit auf den Straßen übernehmen und Angst und Schrecken verbreiten.
Präkels hat 1992 selbst miterlebt, wie ein Bekannter von ihr, Ingo Ludwig, vor einer Dorfdisco von Naziskins überfallen und zu Tode getreten wurde. 17 Jahre alt war sie da. Die Behörden bewerteten damals nicht die Tritte, sondern einen vorangegangenen Treppensturz als todesursächlich. Für die Autorin, die den Fall vor einigen Jahren journalistisch aufgearbeitet hat, war der Todesfall ein Motiv, diesen Roman zu schreiben. Das Buch ist Ingo Ludwig gewidmet, die Figur Krischi an ihn angelehnt...
Mein Freund, Herr P. - ein Experte der literarischen und musikalischen Aufarbeitung der DDR, ihres Erbes, der Wende und der Nachwende -, hat mir das Buch empfohlen (und zukommen lassen). Erst jetzt habe ich es gelesen und möchte es unbedingt weiterempfehlen!
Der Rezensent der taz trifft's i.G.; - nicht folgen kann ich ihm hier:
Die Vorgeschichte hätte man vielleicht etwas kürzer fassen können (erst ab Seite 50 nimmt der Roman Fahrt auf) ...
aber im Gesamturteil dann doch:
... danach aber entwickelt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ einen beeindruckenden Sog, der einen oft tiefer ins Brandenburg der Nachwendezeit versetzt, als einem das lieb ist.
Ich finde gerade die DDR-Szenen aus der Kinder-/Pubertätsperspektive großartig und für den Fortgang des Romans unverzichtbar: Leseprobe!!
Als (ehemaliger) Deutschlehrer kann ich nur sagen: Sehr gut getroffen. Kompliment, Herr Böhmermann. Bis auf das unnötige Lehrerbashing (à la Schröder: Faule Säcke) trifft das die zentralen Schwachstellen des Literaturunterrichts (ob nun klassisch fragend-entwickelnd oder kompetenzorientiert).
Na gut, zwischen mir (1977) und Jan (2017) liegen 40 Jahre und die Tafeln sind inzwischen (fast überall) abgebaut und ersetzt durch Smartboards, so dass der großartige Kabelka-Auftritt mit dem Medienwagen entfallen könnte (... wenn die denn funktionieren würden).
View on YouTube Die ganze Sendung hier in der Mediathek.
Sehenswert: Großartige Neu-Interpretazzionen des mE im DU-Kanon immer überwerteten Fontane, des "Faust", der "Physiker" und der "Verwandlung" - auch wenn ich mit Arno Schmidt dabei bleibe: „eine Naivität - korrekter: eine Frechheit! - von der Kunst zu verlangen, sie habe sich, per fas et nefas, dem Nie=wo des anzupassen; umgekehrt ist es: der Einzelne, der Große Kunst verstehend genießen will, hat sich gefälligst zu ihr hin zu bemühen!“ (via Literatur in der Schule - Warum Klassiker? / FAZ 20.03.2015)
Schon klar, die Herausforderung, das an Photoshop-Philip ranzubringen, ist zweifellos größer geworden ... Aber auch da macht Böhmermann eindeutig klar, dass das in der Verantwortung des Lehrers liegt (ich weiß, dass das jetzt gendermäßig Panne ist, - aber er spielt ja nunmal einen Lehrer. Ansonsten empfehle ich, was schöne Lehrer_innen-Darstellungen angeht, immer wieder gern: Anke Engelke - Deutschkurs für türkische Mitbürger
When I first received this Nobel Prize for Literature, I got to wondering exactly how my songs related to literature. I wanted to reflect on it and see where the connection was. I’m going to try to articulate that to you. And most likely it will go in a roundabout way, but I hope what I say will be worthwhile and purposeful...
"Es ist eine Kunst, den mehr als 800 Seiten umfassenden Roman von Frank Witzel, der im vergangenen Jahr überraschend mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden ist, in ein nicht mehr als eine Stunde und 40 Minuten dauerndes Hörspiel zu verwandeln, ohne die Substanz dieses ausschweifenden 'hybriden Konstrukts aus Pop, Politik und Paranoia', einer Collage aus unterschiedlichen literarischen Verfahren, anzutasten. Dieses kleine Wunder ist der Tatsache geschuldet, dass der Autor gemeinsam mit dem versierten Hörspielregisseur Leonhard Koppelmann an der akustischen Umsetzung des Textes gearbeitet hat und außerdem für die Komposition des Soundtracks verantwortlich zeichnet. Entstanden ist ein unglaublich frisches, lebendiges, den Hörer geradezu anspringendes Hörspiel. Weit davon entfernt, eine 'akustische Fassung' zu liefern, gelingt es diesem Hörspiel, den Roman über einen 13-jährigen Schulversager in Wiesbaden-Biebrich, der sich mit Freunden im Sommer 1969 - vor dem Hintergrund der Kaufhausbrandstiftung der späteren RAF - eine paranoide Welt zusammenzimmert, auf ganz eigenständige Weise neu zu erschließen. Wesentlichen Anteil daran hat die durchgehend mitlaufende zweite Tonspur: eine spannende Mixtur aus Tönen, Geräuschen, Musikfetzen und von Witzel komponierten (und gesungenen) Songs, die einen zusätzlichen atmosphärischen Hörraum für 'Die Erfindung der RAF' schafft." Hörspiel des Monats Juni 2016, Jurybegründung der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, aktuell im Wettbewerb um den Deutschen Hörspielpreis der ARD
Ganz großartig die Passage:
Sogar der Auftritt zweier globaler Verteranen, des bereits ergrauten Mister Obmama und Frau Merkels, dieser eisernen Alten, brachte keine merkliche Veränderung. Beide versprachen, das Ende der Welt würde möglichst lange kontrolliert aufgeschoben werden. "Ein kontrolliertes Ende der Welt". Lächerlich. Apokalypse tröpfchenweise...
Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh; welche vier Stände doch nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläufig; auch sind mir in diesem Augenblick nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse, und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl der Göttinger Philister muß sehr groß sein, wie Sand, oder besser gesagt, wie Kot am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Morgens, mit ihren schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur so viel Lumpenpack erschaffen konnte.
Es waren und sind doch nicht Satiriker wie Heinrich Heine, Monty Python, Serdal Sermuncu und meinetwegen auch Jan Böhmermann, die der Sprache so sehr das Mieder gelockert haben oder lockern, dass heute alle sogenannten Comedians, Rapper und U-tuber an ihren Brüsten fingern können. Sehr verkürzt gesagt reagiert - gute - Satire auf ungerechtfertige und unerträgliche Herrschaftsansprüche und verletzt dazu bewusst Tabus und Geschmacksgrenzen. Comedy macht letzteres auch, bedient aber eher ungerechtfertige und unerträgliche Herrschaftsansprüche, was es der Satire immer schwerer macht, noch mit Tabus zu spielen, wenn alle bereits eingerissen sind.
Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, das "Schmähkritik" betitelte Gedicht zur Kenntnis zu nehmen - ausnahmsweise mal ohne den rechtsrelevanten Kontext (bei SPON aus dem Protokoll der kompletten Passage aus der "Neo Magazin Royale"-Sendung vom 31.3. herauszupräparieren), dann könnte auffallen, dass sich der Text auch aktueller Arschkrampen-Unflat-Sprache bedient, aber sich vor allem bezieht auf Elemente der Volks- und Kinderpoesie, wie Rühmkorf sie dokumentiert hat. Wer immer das geschrieben hat, sie/er muss sich ganz gut auskennen in der Volkspoesie.
Frau Wirtin hat auch einen Pastor
Der trug um den Schwanz nen Trauerflor
Er konnt es nicht vergessen
Daß ihm die böse Syphilis
Die Eichel abgefressen
Frau Wirtin hat auch nen Kaplan
Dem hat's der Türspalt angetan
Einst trieb er's durch die Ritze
Da schlug der Wind die Türe zu
Weg war die Pfeifenspitze
Der Pfarrer von Kempten
Der stärkt seine Hemden
Mit eigenem Samen
In Gottes Namen
Amen
Der Pfarrer von Konnersreut
Der maust's Reserl bals ihn freut
Und wenn sich's Reserl nimmer rührt
Dann ist's stigmatisiert
Der Pfarrer von Speyer
Hat blecherne Eier
Beim Beichten der Lackel
Macht er so ein Spektakel
Der Pfarrer von Loretto
Dem seiner wiegt netto
Zwei Kilo ein Pfund
Sonst ist er gesund
oder auch:
Schade, Soraya kriegt kein Kind
Schade, der Schah hat Luft im Pint
Das wär doch auch etwas gewesen für 103, aber der Volksmund war halt schwer zu belangen ...
Nochmal meine These: Die Ziegenficker-Nummer ist nur begrenzt aufklärerisch und eben letztlich unpolitisch, weil sie am politischen Kern der Auseinandersetzung um die Pressefreiheit in der Türkei vorbeigeht, aber sie ist - literarisch - nicht so schlecht, wie allgemein behauptet wird. Was nicht heißt, dass sie nicht auch grauslich, niveaulos und unverschämt ist.
Den Text hat - kommen wir doch darauf zurück - für den Kontext, der vermutlich zuerst da war, keine/r geschrieben, der/die das Handwerk nicht versteht.
Wenn weder Text noch Text/Kontext verstanden werden, muss schon wieder verwiesen werden auf John Cleese on Stupidity - oder (neu!) auf Das Böhmermann-Paradoxon - Isolde Charim in der Wiener Zeitung vom 15.04.
Je grauslicher, niveauloser und unverschämter Böhmermanns Gedicht ist - vom Ziegenficker bis zum Genitalgeruch -, desto mehr kippt es in Richtung Satire. Denn je grauslicher, desto unglaubwürdiger. Niemand, auch nicht Böhmermann, unterstellt Erdogan im Ernst solche Praktiken. Die Niveaulosigkeit macht aus dem Schmähen einen Schmäh. Je weniger grauslich, je niveauvoller man sich über Erdogan lustig macht - je mehr man der Forderung nach Sachlichkeit und "ernster" Satire Genüge tut -, desto mehr kippt es in Richtung echter Denunziation. Es ist dies die Unterscheidung zwischen Inhalt der Aussage und Art des Aussagens. Wann sagt einer, der sagt: "Es ist verboten, solch eine Schmähkritik zu machen" die Wahrheit? Dieser Gestus, das, was Juristen den "Kontext" oder die "Einbettung" in die Umstände nennen, verschiebt Böhmermanns Aussage. Was im Inhalt denunziert wird, wird durch die Art des Aussagens zur Satire - zu einer mit dialogischer Ökonomie. Denn erst Erdogans Reaktion produziert Böhmermanns zweiten Grund: die wahre Denunziation...
3. Aus den obszönen Kommentarhöllen der Meta-Tagesschau:
Böhmermann war nur das Endglied, aus dem man ersehen kann, wie sich Volksvertreten verbiegen lassen
Am 18. April 2016 um 17:47 von Sieger56
Es geht hier nicht spezifisch um Böhmermann, sondern generell um die Art und Weise wie eine Vertreterin des Volkes kein Rückgrad beweißt. Böhmermann war nur das Endglied, aus dem man ersehen kann, wie sich Volksvertreten verbiegen lassen. Hätten wir in Deutschland einen klaren Standpunkt , könnten sich andere an uns orientieren.
Orientierungslosigkeit, keinen klaren Standpunkt zum Wohle des deutschen Volkes, (wie im Amtseid erklärt) bedeutet Kuschen auf breiter Front. (Rechtschreibung und Zeichensetzung im Original)
Denkbrühe, Phrasenauswurf und Wortkotze, syntaktisch hemmungslos und mit schwach verankerten Sinngeländern
Das ist ein Zauberkessel, worin
Die magischen Kräfte brauen,
Und steckst du in die Ründung den Kopf,
So wirst du die Zukunft schauen –
Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier,
Gleich wogenden Phantasmen,
Doch schaudre nicht, wenn aus dem Wust
Aufsteigen die Miasmen!«
Sie sprach's und lachte sonderbar,
Ich aber ließ mich nicht schrecken,
Neugierig eilte ich, den Kopf
In die furchtbare Ründung zu stecken.
Dieser Autor schreibt unbeirrbar an seinem Programm, an seiner eigenen Autorsprache; er verlangt vom Leser, daß er sich in diese Sprache einarbeitet, daß er zur Schönheit dieser Sprache vordringen muß, die anders nicht zu haben ist - und diese Schönheit ist etwas Schwieriges, das immer neu entsteht und nicht sofort zu erkennen ist.
Helmut Böttiger im Büchermarkt des dlf vom 01.01.1980.
Christian Geissler provozierte mit seinen analytischen Fernsehfilmen nach dem Zweiten Weltkrieg die Öffentlichkeit. Aber er beleuchtete die BRD auf ungewohnte Weise. Er war eine schillernde Randfigur, die man in ihrer ästhetischen Eigenart erst heute richtig würdigen kann. Dies zeigt der zweite Teil der Werkausgabe.
Christian Geissler, ein linker und radikaler Einzelgänger im bundesdeutschen Literaturbetrieb, ist im Jahre 2008 im Alter von 79 Jahren gestorben. 1960 debütierte er mit dem Roman "Anfrage", der eine heftige Diskussion auslöste und auch die Grundlage für seine Fernsehspiele war: Der neuberufene Abteilungsleiter Fernsehspiel beim NDR, Egon Monk, machte Geissler sofort das Angebot, den Roman "Anfrage" für das neue Medium zu bearbeiten und gab ihm in den folgenden Jahren weitere Aufträge.
"Anfrage" hatte Monk elektrisiert, der seine ästhetischen und politischen Vorstellungen bei Bertolt Brechts "Berliner Ensemble" geschärft hatte. Und Geisslers für den NDR konzipiertes Original-Fernsehspiel "Schlachtvieh" knüpft da an, wo "Anfrage" geendet hatte: Es geht um die Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit in der frühen Bundesrepublik...
Anmerkungen: “Wird Zeit, dass wir leben” – Rezeption 1976
“Wie bringt einer fünfzig Personen auf knapp 230 Seiten zueinander, gegeneinander und miteinander in Aktion? Und das ohne den tragenden und gelegentlich trägen Rahmen, der Familienromane und Sagas zusammenhält? (…) Kein Wunder, kein Trick, es ist der Stil, der Aufbau, das Tempo, die balladenhaft-lyrischen Präzision und Konzentration, mit der hier sozialkritisch-realistisch ausführliche Beschreibungen vermieden werden.” (Heinrich Böll / Die Weltwoche, 16.3.1977)
Interview mit Christian Geissler (2005) - Wolfgang Lettow, damals Mitglied des Freien Senderkombinats Hamburg (fsk); hier eine Kurzfassung bei Radio Flora Hannover (via freie-radios.net), in der es u.a. um sein Verhältnis zur RAF geht (siehe unten Dellwo).
Inzwischen gibt es eine Christian Geissler Gesellschaft, auf deren Seiten Sie mehr über Christian Geissler und seine Arbeit erfahren können. Lesebefehl!!
als dein jagender atem
niedergemacht hatte klein
all meine wörter
zum trösten
sind um
dich her
ins bersten
geflogen
flüsternamen
aus deiner liebe
viele
jeder
hat seinen gesagt
leise
als wind
unter die last deiner geflügelten angst
Zum Tod von Christian Geissler(BellaStoria Film)
Buchinfos:
Christian Geissler: "Schlachtvieh. Kalte Zeiten", Mit einem Nachwort von Michael Töteberg, Verbrecher Verlag, Berlin 2015, 245 Seiten, Preis: 24,00 Euro
Zugabe: Ein seltenes Fundstück: "Wir sind bereit den NDR so wie er ist zu übernehmen" ist ein Text des Schriftsteller und Kommunisten Christian Geissler, ehmals freier Mitarbeiter beim Norddeutschen Rundfunk. Der Text wurde von Knarf Rellöm vertont und zusammen mit Nixe (Diana Diamond) gesungen zum Erinnerungsabend am Werk von Christian Geissler am 6. Oktober 2008 in der Vers- und Kaderschmiede beim Polittbüro in Hamburg. (hochgeladen übrigens von Karl-Heinz Dellwo)
"wir haben nie wieder den traum von unserer befreiung zu träumen, ohne die ungeheuer auch.
aber desweiteren nie haben wir die ungeheuer zu nennen, ohne den traum von unserer befreiung auch. nein. wir sind nicht zu retten.
aber wehe denen, die aufhören, unsere rettung zu suchen, an ihr zu arbeiten, um sie zu kämpfen. (...) es bleibt der schmerz."
Eine unglaublich spannende Analyse der Sprache der Weltbank. Erstaunlich, was quantitative linguistic analysis ans Licht bringen kann. (Hätte ich nicht gedacht):
What can quantitative linguistic analysis tell us about the operations and outlook of the international financial institutions? At first glance, the words most frequently used in the World Bank’s Annual Reports give an impression of unbroken continuity. [1] Seven are near the top at any given time: three nouns—bank, loan/s,development—and four adjectives: fiscal, economic, financial, private. This septet is joined by a handful of other nouns: ibrd, countries, investment/s, interest, programme/s, project/s, assistance, and—though initially less frequent—lending, growth, cost, debt, trade, prices. There is also a second, more colourless set of adjectives—other, new, such, net, first, more, general—plus agricultural, partly replaced from the 1990s by rural. [2] The message is clear: the World Bank lends money for the purpose of stimulating development, notably in the rural South, and is therefore involved with loans, investments and debts. It works through programmes and projects, and considers trade a key resource for economic growth. Being concerned with development, the Bank deals with all sorts of economic, financial and fiscal matters, and is in touch with private business. All quite simple, and perfectly straightforward.
And yet, behind this façade of uniformity, a major metamorphosis has taken place. Here is how the Bank’s Report described the world in 1958:
The Congo’s present transport system is geared mainly to the export trade, and is based on river navigation and on railroads which lead from river ports into regions producing minerals and agricultural commodities. Most of the roads radiate short distances from cities, providing farm-to-market communications. In recent years road traffic has increased rapidly with the growth of the internal market and the improvement of farming methods.
And here is the Report from half a century later, in 2008:
Countries in the region are emerging as key players on issues of global concern, and the Bank’s role has been to support their efforts by partnering through innovative platforms for an enlightened dialogue and action on the ground, as well as by supporting South–South cooperation.
It’s almost another language, in both semantics and grammar. The key discontinuity, as we shall see, falls mostly between the first three decades and the last two, the turn of the 1990s, when the style of the Reports becomes much more codified, self-referential and detached from everyday language. It is this Bankspeak that will be the protagonist of the pages that follow.... (Open as a PDF/ Save a PDF file)
Eines der interessantesten Ergebnisse:
Das am häufigsten vorkommendes Wort überhaupt ist nicht, wie sonst in der englischen Sprache, das "the". Es ist das "and", das eine stetig wachsende Zahl von abstrakten Begriffen auch dann zu Aufzählungen koppeln muss, wenn die Glieder keinen erkennbaren Zusammenhang haben.
"Bankspeak", so das Fazit der Autoren, ist eine Sprache. in der alle ökonomischen und politischen Prozesse der Welt, an denen die Weltbank Anteil hat, vor allem eins sind: alternativlos. (Das Verblassen der physischen Welt, Süddeutsche Zeitung pay)
Uwe Timm war kürzlich hier zu einer Lesung und es war ein wunderbares Erlebnis, ihn wieder einmal als Freund und Vertrauten (wir kennen uns gar nicht) zu erleben.
Dass ich das so empfinde, liegt einerseits daran , dass wir z.T. die gleichen Bekannten und Freunde haben (wenn ich ein freundschaftliches Verhältnis des Autors zu seinen Figuren unterstellen darf): ich kannte jedenfalls Kerbel recht gut, Ullrich war ich in Teilen selbst, und ich kannte auch Aschenberger – ich darf sagen – sehr gut (er setzt sich aus HP Bastian, der schon 1975 an Krebs verstarb, und Manfred Lauermann zusammen). Thomas Linde ist mir nicht so nah, aber ich muss gestehen, dass ich bei ihm Rat und Hilfe gefunden habe, als ich einmal die Trauerrede für eine langjährige Freundin und Kollegin halten durfte, die mit 52 Jahren an Krebs verstarb ...
Den anderen Grund für dieses Gefühl der Vertrautheit, vielleicht besser: des Vertraut-Seins vermute ich darin, dass ich als Lesender Uwe Timms Entwicklung als Schreibender und als an einer Haltung Arbeitender über 40 Jahre verfolgen konnte.
Das eine hat mir immer Vergnügen bereitet, das andere (aber das ist ja nicht zu trennen) habe ich immer sympathisch gefunden und mich darin auch wiedergefunden:
An einer Haltung arbeiten.
"Man kann das schon bei Kindern beobachten, wenn sie aus Lust heraus hemmungslos schwindeln. Sie durchbrechen damit ja spielerisch den Druck der Notwendigkeit, dass alles so ist, wie es ist und vor allem: so sein soll. Es ist die phantasievolle Gegenwehr durch Erzählen, und so beginnt der wunderbare Konjunktiv. Es könnte auch anders sein. Darin liegt das utopische Moment von Literatur, und das ist ganz unabhängig von dem jeweiligen Inhalt."
Wenn Sie Uwe Timm beser kennen lernen wollen oder ihn schon kennen und gern sehen und hören, empfehle ich Uwe Timm - Lesung und Gespräch mit Christof Hamann:
..., der in Hannover geboren wurde, hat mit dem Text "Wir waren niemals hier" den 38. Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. (Dirk Wesenberg lebte allerdings nicht lange in Hannover, war Aktenträger bei der Bezirksregierung Lüneburg, zog 1984 nach Wien, wo er ein Kunststudium begann, dieses jedoch nach einer Woche abbrach und für den Falter zu zeichnen begann.)
"Eine wilde, schöne und sehr seltene Liebesgeschichte", begründete die Jury ihre Wahl. Darin beschreibt der Ich-Erzähler eine lang vergangene Beziehung mit einem Mädchen aus Litauen, einem "durch und durch pragmatischen Menschen", wie es im Text heißt. Sie leckt an Batterien und lernt Koreanisch, er studiert Kunst.
Rubinowitz' Figurern erinnern mich immer an die von John Lennon; vgl. zB. Jahresendfiguren III: Season's Greetings and thank you for the fish
I. Ü. hat er den Gegenwind sehr sensibel wahrgenommen, wenn man z:B. liest, wie es (in der WELT) zur schlimmsten Niederlage der deutschen Geschichte kam:
"Es gibt so viele Arschloch-Typen wie es menschliche Funktionen, Tätigkeiten und Interessengebiete gibt. Und auf jedem Gebiet kann das Verhältnis von AQ zu IQ ein anderes sein. Kein noch so kopfdenkerisches Verhalten bei einem Thema bietet Gewähr dafür, dass nicht schon beim nächsten der Arschdenk mit voller Wucht einsetzt."
Charles Lewinsky, Der A-Quotient
Wise Man Says II
"The illusion of freedom will continue as long as it's profitable to continue the illusion. At the point where the illusion becomes too expensive to maintain, they will just take down the scenery, they will pull back the curtains, they will move the tables and chairs out of the way and you will see the brick wall at the back of the theater."
Frank Zappa
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