Zuweilen ... (XXIV): Hermann Kant ist tot
Zuweilen bemerkt man erst (wie ich schon häufiger feststellte), wenn man vom Tod eines Menschen erfährt, wie wichtig er einem war.
Hermann Kant, geboren 1926 in Hamburg, lernt Elektriker, gerät in sowjetische, dann polnische Gefangenschaft, geht nach seiner Freilassung in die DDR, tritt der SED bei, veröffentlicht 1965 den Roman Die Aula, wird 1978 als Nachfolger von Anna Seghers Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR, 1981 Abgeordneter der Volkskammer, 1986 Mitglied des Zentralkomitees der SED. Nach dem Ende der DDR schreibt Kant die Romane Kormoran, Okarina und Kino. In vierzig Beiträgen, Interviews und Gesprächen ist er seit 1978 in konkret zu Wort gekommen. Am 14. August ist Hermann Kant gestorben. Mit Hermann L. Gremliza sprach er in konkret 7/06 über die real existierende DDR und den deutschen Literaturbetrieb. Lesebefehl!!
Und wichtig war er für mich. Am wichtigsten wohl
„Der Aufenthalt“, Roman; Aufbau Verlag, Ost-Berlin. Luchterhand Verlag, Darmstadt, 1977; 600 S., 34,– DM,
der Roman, den ich später auch in Deutsch-LKs mit großem Gewinn habe lesen lassen und den Fritz J. Raddatz (in der ZEIT vom 17. Juni 1977) ganz großartig rezensiert hat:
KONKRET hat zum 90. Geburtstag einen Text nachgedruckt, der 1993 im »Neuen Deutschland « erschienenen ist und den man gelesen haben sollte, wenn man über Hermann Kant, die DDR und Antifaschismus reden will:
Herr über sein Leben bleiben. Ein Nachruf von Regina General (FREITAG, Ausgabe 3316)
Regina General habe ich Anfang der 70er Jahre getroffen; ich berichtete für die Volkszeitung (die viel später mit dem Sonntag zum Freitag wurde) über eine Tagung des Werkkreis Literatur der Arbeitswelt. Sie war als Redakteurin des Sonntag da. Im Gedächtnis ist mir geblieben, dass - als wir uns vorstellten - sie sagte: Mein Name klingt ein wenig militaristisch ... und dass das sehr interessante Gespräche waren.
Zur Person: Regina General. Von Günter Gaus (FREITAG, 24.12.1999)
Hermann Kant, geboren 1926 in Hamburg, lernt Elektriker, gerät in sowjetische, dann polnische Gefangenschaft, geht nach seiner Freilassung in die DDR, tritt der SED bei, veröffentlicht 1965 den Roman Die Aula, wird 1978 als Nachfolger von Anna Seghers Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR, 1981 Abgeordneter der Volkskammer, 1986 Mitglied des Zentralkomitees der SED. Nach dem Ende der DDR schreibt Kant die Romane Kormoran, Okarina und Kino. In vierzig Beiträgen, Interviews und Gesprächen ist er seit 1978 in konkret zu Wort gekommen. Am 14. August ist Hermann Kant gestorben. Mit Hermann L. Gremliza sprach er in konkret 7/06 über die real existierende DDR und den deutschen Literaturbetrieb. Lesebefehl!!
Und wichtig war er für mich. Am wichtigsten wohl
„Der Aufenthalt“, Roman; Aufbau Verlag, Ost-Berlin. Luchterhand Verlag, Darmstadt, 1977; 600 S., 34,– DM,
der Roman, den ich später auch in Deutsch-LKs mit großem Gewinn habe lesen lassen und den Fritz J. Raddatz (in der ZEIT vom 17. Juni 1977) ganz großartig rezensiert hat:
- ...Die Fabel ist verhältnismäßig einfach: Ein noch kurz vor Kriegsende dienstverpflichteter blutjunger Soldat gerät nach panischer Weglauf-Desertion in polnische Kriegsgefangenschaft. Dieser „Aufenthalt“ wird zu einem teilweise qualvollen Entwicklungsprozeß deshalb, weil die flüchtige Zeugenaussage einer Polin und eine wahllos gegriffene SS-Jacke ihm eine falsche Identität geben. Er landet in einem Kriegsverbrecher-Gefängnis, einem Panoptikum des Menschenmülls, den der Krieg produzierte, der den Krieg produzierte. Es entsteht also ein „Streit um den Grenadier Niebuhr“. Ähnlich dem Buch seines großen Vorbilds Arnold Zweig läuft der Roman schwer, ja: schwerfällig an. Wenn an Kants früheren Büchern eine verbale Gummigelenkigkeit verstimmte, jenes Pseudo-Raffinement seiner Schnurrpfeifereien, die Artistik mit artistisch verwechselt – so verstört hier eine erzählerische Bravheit, die eher mahlt statt malt. Statt Realität herzustellen, wird über sie berichtet. Das Wort „Krieg“ fällt das erstemal auf Seite 58; und eine eigenartige Scheu hindert Kant, uns sehen, schmecken, riechen zu lassen, was uns lediglich wie ein Erinnerungsphoto hingeworfen wird: „Ich will nicht erst versuchen, den Gestank zu beschreiben; erfrorenes Fleisch entfernt sich durch Fäulnis von den Knochen, das ist alles.“ ...
Doch dann geschieht etwas Sonderbares. Das Buch dreht sich. Es bekommt einen gänzlich anderen Rhythmus. Eine große Ruhe und Ernsthaftigkeit. Fast wäre man geneigt zu spekulieren, was mit dem Manne Hermann Kant irgendwann im Verlaufe der Arbeit an diesem Roman geschehen sei; vielleicht irgendein einschneidendes persönliches Erlebnis. Wie immer: fast von der Mitte ab hat das Buch einen anderen Ton, eine Überzeugungskraft von großer Intensität. Ich zögere nicht, von Würde zu sprechen. Kant hat nun zu jener Radikalität gefunden, die ein Schriftsteller wohl nur erreicht, wenn er sich nicht auf der Schmunzelwippe seiner Wortfertigkeit irgendwo außen vorbeischwingt, sondern wenn er sich dreingibt und aussetzt. Von hier ab gilt, was Kant auf die Frage eines fingierten Interviewers „Sollte man den ‚Aufenthalt‘ ein Kriegsbuch nennen?“ antwortete „Nein, einen deutschen Bildungsroman“. Das, fürwahr, erreicht Kant mit einer bohrenden Fragestellung, die ins Zentrum unserer deutschen Geschichte trifft – einer Fragestellung, die er jener beschuldigenden Polin quasi abnimmt:
- „Wenn das, was ich sein sollte eine wie die fast würgte, dann mußte ich, dann würde ich, dann war ich... sprich doch weiter. Dann bin ich. Denk doch weiter. Einzige Einzigkeit. Eine Einzelheit. Einzelne Einheit. Einzelner Einzeller. Ich bin klein/mein Herz ist rein/will in kein/ner Zelle mehr sein. Zelle, Zoll, Zahl, Zofe, Zimt, Zement. Wir sagen alle Wörter mit Z. Zelle, nein, nicht Zelle, immer, Zimmer mit Z wie Zuchthaus. Zimmer mit Z wie Zuhause. Zuhause wie Z wie Zimt und Zucker. Zimt und Zucker sind verboten, wir sagen alle Wörter mit Z, die verboten sind. Zimt und Zucker, Zervelatwurst, zentnerweise, Zwieback, Zwiebel, Zwetschgenmus. Zichorie. Wir sagen alle Wörter mit Zuhause, die nicht verboten sind. Zahnbürste, Zeitung, Zopf, Zirkus, Zirkuszelt, Ziege. Wir sagen alle Wörter mit Zuhause: Ziel, zivil, Zukunft, Zauber.Wenn es eine wie die schon würgt. Wenn die schon. Alle Sätze sind verboten, die mit Wenn beginnen.“
Es sind nur zweiundzwanzig Seiten – aber für diese zweiundzwanzig Seiten muß man Hermann Kant danken. Sie suchen ihresgleichen in der deutschen Gegenwartsliteratur. Nicht etwa, weil sie einem den moralischen Atem verschlagen; nein – Kant ist hier zu einer literarischen Intensität gelangt. Man wünschte dieses kurze Kapitel in viele Lesebücher. So Literatur – auch – Identifikationsangebot ist, ob im Werther oder Tonio Kröger oder Ham; so literarische Zucht es vermag, uns zum Nachdenken über uns selber zu verführen, vor Stellspiegeln und in Masken und Rollen, die uns martern und verlocken zu jenem „Du auch?“; so uns Fiktion zwingen kann zum Einbekennen von Schuld und Versagen in der Realität, die wir alle mit verantworten, ob wir sie nun prägen oder vor ihr ausweichen: dann ist Hermann Kant das hier gelungen. Sehr leise, sehr behutsam, fast schweigsam. Was Christa Wolf leider nicht erreichte mit ihrem thematisch so ähnlichen Roman: den Leser zusammenzucken zu lassen...
KONKRET hat zum 90. Geburtstag einen Text nachgedruckt, der 1993 im »Neuen Deutschland « erschienenen ist und den man gelesen haben sollte, wenn man über Hermann Kant, die DDR und Antifaschismus reden will:
- Verordneter Antifaschismus
Wörter wie Galgen und Ghetto, Fallbeil, Rampe und Block; Orte wie Buchenwald, Moabit und Sachsenhausen, wie Birkenau und Theresienstadt; Namen wie Eichmann, Mengele, Höß und Freisler, ein Name wie Himmler, ein Name wie Hitler; Plätze wie Lidice, Babi Jar und Oradour oder wie Stalingrad, Leningrad, Coventry und Warschau oder wie Monte Cassino, El Alamein, Kursker Bogen und Omaha Beach; Vokabeln wie Arisierung und Gasmaske und Gaskammer und Marschbefehl und Rassenschande und Fliegeralarm und Euthanasie und Fremdarbeiter und Kazett; Partizipien wie verschleppt, vermisst, verhungert, vergast, verbotenverbotenverboten – all dies hat so sehr ein Geschrei gemacht, dass es nicht aushaltbar war, und es empfahl uns den Antifaschismus auf eine Weise, die man, wenn nicht Nötigung, so doch Verordnung heißen könnte.
Abgefeimt, wie man sie kennt, sorgten Inhaber der Macht, dass selbst an unschuldigsten Orten kein Entkommen war vor dem, was Schuld geheißen wurde – Kindergärten benannte man nach einer wohl hingerichteten Frau Niederkirchner, Schulen nach einem wohl geköpften Herrn Guddorf, und wie freundlich krumm und lindenbesäumt ein Kleinstadtgässchen auch sein mochte – im Staate DDR war es vor der Gefahr, eines Tages per Verwaltungsakt zur Geschwister- Scholl-Straße ernannt zu werden, niemals sicher. Und nie ganz sicher blieb unsereins vor der verordnenden Kraft von Bildern, Tönen und Berichten. Mich zum Beispiel haben ein paar Fotos geradezu in den Antifaschismus hineingeprügelt. Jenes etwa, auf dem ein Kerl mit Stahlhelm und Karabiner einen Zehnjährigen über die brennende Straße treibt – der Junge hebt die Hände wie ein Alter. Oder die Bilder der Frauen, die nackt sind und gleich tot sein werden. Oder der Mann am Rande der Grube, auf dessen dürren Nacken ein gleichmütiger Henker vor uniformiertem Publikum zielt. Oder diese ganz anderen Blicke aus Waggonluken, von Barackenpritschen und durch Lagerzäune. Oder Ossietzky, den schwarzgewandete Herablassung beglotzt. Thälmann beim Hofgang. Witzleben, der sich vorm Volksgerichtshof an seine Kleider klammert. Oder vom Volkssturm der weinende Bengel. Oder der Knabe, der seinen ausgemergelten Arm zeigt, auf dem die Nummer kaum Platz gefunden hat. Des Reichsministers vergiftete Kinder, ja doch, auch die. Oder das Kind Anne Frank. Gewalttätige Bilder allesamt, vor denen ich Rettung im Antifaschismus fand.
Aber vielleicht war ich zu empfindlich. Ließ mich beeindrucken von Büchern, die Nackt unter Wölfen hießen oder Das siebte Kreuz. Von Filmen mit harmlosen Titeln wie »Die Verlobte« und »Mama, ich lebe«. Ließ mich bedrängen vom rücksichtslosen Cremer und vom einschneidenden Busch. Oder von Brecht & Co. Ließ mir deren Antifaschismus andrehen und übersah, dass Verlage und Plattenpressen, Filmfabriken wie Bühnenbretter dem Staat gehörten und somit nur Mittel zu dessen antifaschistischen Zwekken waren.
Auch ist in Anschlag zu bringen, dass dieser Staat beim Verordnen auf eine gewisse Stimmigkeit zwischen seinen Behauptungen und meinem Erleben achtete. Den Krieg beschrieb er, wie ich ihn kannte. Und was er vom faschistischen Frieden wusste, wusste ich längst.
Mir hat der Staub von Warschaus Ghetto bis an die Knöchel gereicht. Ich zog in Hütten ein, deren Vorbewohner nach Majdanek verzogen waren. Weil es sich ans ganze Deutschland nicht halten konnte, hielt sich Polen an mich als einen Teil davon. Da musste mir später das halbe Deutschland nicht mit Verordnungen kommen. Da soll man mir von verordnetem Antifaschismus sowenig wie von verordnetem Atmen reden. Oder von unserer Geschichte, wie mancher sie möchte. Sie fand als Antwort auf Geschichte statt und war schon deshalb nicht gänzlich ohne Sinn.
Hermann Kant
Herr über sein Leben bleiben. Ein Nachruf von Regina General (FREITAG, Ausgabe 3316)
Regina General habe ich Anfang der 70er Jahre getroffen; ich berichtete für die Volkszeitung (die viel später mit dem Sonntag zum Freitag wurde) über eine Tagung des Werkkreis Literatur der Arbeitswelt. Sie war als Redakteurin des Sonntag da. Im Gedächtnis ist mir geblieben, dass - als wir uns vorstellten - sie sagte: Mein Name klingt ein wenig militaristisch ... und dass das sehr interessante Gespräche waren.
Zur Person: Regina General. Von Günter Gaus (FREITAG, 24.12.1999)
gebattmer - 2016/08/17 18:45
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