"Erziehung ist stets die Erzeugung von Wissen und von Trauma zugleich"
Georg Seeßlen: WIR SIND ERZOGENE
Sehr empfehlenswerter Aufsatz auf Seeßlens Blog! Leseprobe:
Was bleibt angesichts dieser Diagnose für die Schulen, die sich nurmehr hilflos noch inszenieren sich als die großen Träger der Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft bzw. für die, die in dieser Institution weiter arbeiten müssen oder gar wollen?
norberto68 zitiert dazu die lesenswerte Abhandlung „Autonomie zwischen Behausung und Abenteuer. Die Lebensaufgabe von Kindern und Rahmenbedingungen für die Schule“ von Ruedi Rüegsegger:
I. Ü. ist der (pensionierte) Kollege Norberto, bei dem ich den Hinweis auf diesen Text fand, unbedingt zu loben, stellt er doch sein umfassendes Wissen der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung:
Bei norberto68 finden - nicht nur - Deutschlehrer/innen eine Fülle von scharfsinnigen Analysen, didaktischen und methodischen Hinweisen.
Als norberto42 [Man ist nicht umsonst Philologe gewesen, das will sagen, ein Lehrer des langsamen Lesens. (F.N.)] überlässt er uns das, was ein hoch professioneller Deutschlehrer in den Jahren seiner Praxis produziert: Analysen, Interpretationen, didaktische Konzepte zum Literatur- (und Grammatik-) Unterricht - zur weiteren Arbeit damit. Meine Hochachtung!!

Sehr empfehlenswerter Aufsatz auf Seeßlens Blog! Leseprobe:
- ... Die Erziehung des Menschen ändert beständig seine Strategien und seine Instanzen. Eltern und Schulen inszenierten sich als die großen Träger der Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft. Sie sollen, wenn es nach dem Willen der Konservativen geht, auch in der post-bürgerlichen Zeit ihre Funktion nicht vollkommen aufgeben und müssen sich deswegen, bezüglich der katastrophalen Verhältnisse, die man so zu beobachten pflegt, schwere Vorwürfe anhören: Sie versagen in der Erledigung einer Aufgabe, die ihnen die Gesellschaft zugleich beständig abspricht, und was bleibt ihnen dann übrig, als sich gegenseitig die Verantwortung für die Unerzogenheit oder die Anti-Erzogenheit oder schließlich die Fehlerzogenheit der nächsten Generation zuzuschieben?
... Die Erzieher sind entmachtet, aber Erziehung ist mehr denn je zum Fetisch der Personenbildung geworden.
Denn von den Erziehern ist der Prozess nicht in die eigenen Hände der Personen gegangen, sondern vielmehr in die Hände von Markt, Medien und Propaganda. Dies hat die Gestalt von Nachrichten, von Werbung, von Diskursen der Unterhaltung, der Meinungen und des Geschmacks. Von diesen neuen Formen der „Erziehung“ erfuhren wir in den sechziger Jahren, als die Rede von „peer groups“ aufkam, und man sich wechselseitig zu erziehen begann, wie in einem Leben als endlose Soap Opera. Auf die vertikale Erziehung durch die sozialen Institutionen war die horizontale Erziehung durch Medien und („marktkonforme“) Performance getreten. Die Erziehung verliert ihre Geschichte, um zugleich Effizienz und Begehren zu gewinnen. Die Strafe verliert sich im Unbewussten, die Belohnung aber nimmt die Form der Ware an. „Die möglichst vollständige Anpassung des Subjekts an die verdinglichte Autorität der Ökonomie ist zugleich die Gestalt der Vernunft in der bürgerlichen Wirklichkeit“ schreibt Max Horkheimer.[1] Die bürgerliche Vernunft der Selbsterziehung zur Anpassung an Markt, Produktion und Konsum hat freilich nun ihre Selbstverständlichkeit verloren. Im Neoliberalismus nehmen Belohnung und Bestrafung in der Erziehung für die verdinglichte Autorität der Ökonomie wieder drastische Formen an; man lockt mit Machtmaschinen zwischen Fitnesstrainer, Automobil und Yacht, und man droht mit dem Entzug noch der kleineren Formen bürgerlicher Sicherheit. Die Verlierer dürfen mit Solidarität der für die Ökonomie erzogenen Menschen nicht rechnen...
Was bleibt angesichts dieser Diagnose für die Schulen, die sich nurmehr hilflos noch inszenieren sich als die großen Träger der Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft bzw. für die, die in dieser Institution weiter arbeiten müssen oder gar wollen?
norberto68 zitiert dazu die lesenswerte Abhandlung „Autonomie zwischen Behausung und Abenteuer. Die Lebensaufgabe von Kindern und Rahmenbedingungen für die Schule“ von Ruedi Rüegsegger:
- Ein anderes Beispiel: Im Radio wird über die Verschuldungsfalle durch Kleinkredite diskutiert. Die Fälle nehmen zu, in denen Leute ihre „neue Armut“ mittels Kleinkrediten bewältigen wollen. Es bestehe ein Verbot, Jugendlichen unter 18 Jahren solche Kredite zu gewähren. Als Lösung schlägt der Bankenvertreter vor, diese Gefahr der Schuldenfalle müsse in der Schule thematisiert werden, nur so sei es möglich, die Leute vor Verschuldung zu bewahren. Statt rigoroser gesetzlicher Bestimmungen für das Kleinkreditgeschäft – wohlverstanden!
Ich will nicht einem Fatalismus das Wort reden, die Schule muss Verantwortung wahrnehmen, wo, realistisch eingeschätzt, ein kleiner Beitrag geleistet werden kann; beispielsweise ist es entscheidend, dass jedes Mädchen und jeder Junge einmal geübt hat, ein Kondom über eine Banane zu stülpen. Aber wir dürfen uns keine Illusionen machen und in Verzweiflung fallen, wenn es dann halt doch nichts nützt, und wir müssen Prioritäten setzen, denn alles, was getan werden müsste, kann nicht an die Schule delegiert werden...
Diese skeptische Beurteilung der Wirkungsmöglichkeit von Schule ist mir wichtig, denn Lehrpersonen neigen zum Idealismus. Sie empören sich über die Ungerechtigkeiten, nehmen die Gefahren für Mensch und Umwelt sehr Ernst, sie wollen die Welt verbessern, indem sie den Kindern helfen, gute Menschen zu werden. Diese Haltung ist vornehm und soll hier in keiner Weise lächerlich gemacht werden. Ist sie aber nicht durch einen kritischen Realismus untermauert, läuft sie Gefahr, in Enttäuschung und Frustration zu enden. Vor allem dann, wenn Kinder und Jugendliche, von den Weltverbesserungsideen nichts wissen wollen, ist das für Lehrpersonen im höchsten Masse kränkend. Wenn sie dann als Reaktion darauf den Problemen und vor allem den Schülern gegenüber zynisch werden, mag man das noch halbwegs verstehen, akzeptieren darf man es jedoch nicht. Denn nichts verkehrt die Ziele von Pädagogik so ins Gegenteil wie Zynismus und Menschenverachtung. Grenzen aufzuzeigen und zu akzeptieren ist deshalb nicht kleinmütig, sondern verantwortungsvoll und unverzichtbar.
- Für die Bewältigung der Lebensaufgaben von Kindern und Jugendlichen, in einer individualisierten Gesellschaft, die von der Globalisierung gepuscht wird, ist die Schule ein zentraler Ort. Diesen bereitzustellen und zu alimentieren ist ist demokratisch legitimierte Pflicht der Politik, diesen einzurichten ist die Aufgabe der Lehrpersonen...
Die Schule soll Kindern und Jugendlichen Sicherheit vermitteln, damit sie Vertrauen aufbauen können, mit dem sie ohne Angst explorieren, die Welt entdecken und begreifen können. Zwischen Behausung (Sicherheit) und Abenteuer (Exploration) sollen sie Erfolge und Selbstwirksamkeit erleben dürfen, um Autonomie erfahren und entwickeln zu können. Um die Hindernisse zu bewältigen, braucht es intelligente Copingstrategien, das heisst Erfindungsreichtum und Kreativität, den Mut, wenn nötig, Hilfe in Anspruch zu nehmen, und verbale Konfliktfähigkeit, um gewalttätige Aggression zu vermeiden...
I. Ü. ist der (pensionierte) Kollege Norberto, bei dem ich den Hinweis auf diesen Text fand, unbedingt zu loben, stellt er doch sein umfassendes Wissen der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung:
Bei norberto68 finden - nicht nur - Deutschlehrer/innen eine Fülle von scharfsinnigen Analysen, didaktischen und methodischen Hinweisen.
Als norberto42 [Man ist nicht umsonst Philologe gewesen, das will sagen, ein Lehrer des langsamen Lesens. (F.N.)] überlässt er uns das, was ein hoch professioneller Deutschlehrer in den Jahren seiner Praxis produziert: Analysen, Interpretationen, didaktische Konzepte zum Literatur- (und Grammatik-) Unterricht - zur weiteren Arbeit damit. Meine Hochachtung!!

gebattmer - 2012/11/13 18:20
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