Zuweilen
... bemerkt man erst sehr viel später, dass einem etwas fehlt. Volker Kriegel starb am 15. Juni 2003 an Krebs.
Beim Wiederentdecken von Topical Harvest, meiner ersten LP von Kriegel (MPS 1976), fällt auf, wie intelligent und elegant da einer Gitarre gespielt hat.
Außerdem hat Volker Kriegel wunderbare Bücher geschrieben und illustriert, z.B. das vom Rock'n' Roll König:
Der König liebte den Rock'n' Roll über alles in der Welt. Oft saß er nachts allein in seinem Thronsaal und spielte auf seiner wertvollen alten Martin-Gitarre die unvergänglichen schönen Songs von den Beatles und den Stones. "Pool On The Hill" war noch immer sein Lieblingslied, und er sang es mit seiner angenehmen Stimme, nicht zu laut, oft mehrmals hintereinander.
Eigentlich war der König ziemlich musikalisch. Er verfügte nicht nur über die bereits erwähnte, recht wohlklingende Stimme, der König hatte sich darüber hinaus im Lauf der Jahre recht ordentliche Kenntnisse über Harmonien und Akkorde angeeignet, er besaß ein außergewöhnlich gutes Gedächtnis für Songtexte, und über sämtliche Neuerscheinungen auf dem Plattenmarkt war er stets bestens informiert.
Trotz allem aber war der König sehr unglücklich.
Es gab da ein Problem, das ihm mehr und mehr zu schaffen machte. Der König hatte nämlich, rundheraus gesagt, ein äußerst beschissenes Timing. Oder anders ausgedrückt: es mangelte dem armen König an einem elementaren Gefühl für Rhythmus. Und ein geradezu abartiges Verhältnis hatte er zu den Pausen. Wenn er ein ganz schlichtes Lied sang, beispielsweise "I Can't Get No Satisfaction", dann kippte er spätestens bei der kleinen Pause zwischen "I Can't Get No -" und "- Satisfaction" hoffnungslos aus dem Takt, und fast nie gelang es ihm, jemals wieder den rhythmischen Anschluß zu finden.
Und so nahm das Verhängnis seinen Lauf.
Die Einleitung war eben vorüber, "I Can't Get No", hatte der König gerade gesungen - da passierte es, in der kleinen Pause zwischen "I Can't Get No -" und "- Satisfaction": eine plötzliche Verwirrung überkam den König, ein jäher rhythmischer Abgrund tat sich auf, sozusagen ein leeres Nichts ... der König hatte eine Sekunde zu lange gezögert, wie so oft an dieser Stelle. In der verzweifelten Hoffnung, durch irgendein Wunder doch noch im richtigen Rhythmus zu landen, schob er viel zu hastig das Wort "Satisfaction" hinterher, obwohl ihn bereits die schmerzliche Gewißheit durchzuckte, daß es nichts mehr zu retten gab.
Schwindel und Panik überkamen unseren König, ohne ein Wort der Erklärung floh er hastig von der Bühne.
In dem jungen Mann, der fünf Minuten später unbemerkt das Schloß verließ, hätte beim besten Willen kein Mensch unseren König erkannt.
gebattmer - 2006/11/05 01:17
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