Die Ästhetik des Widerstands
(... Zuweilen merkt man erst sehr viel später, dass einem etwas Wichtiges fehlt)
Peter Weiss, geboren am 8. November 1916 in Nowawes bei Berlin (heute Potsdam) als Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten ungarischer Herkunft und einer deutschen Schauspielerin, die bei Max Reinhardt spielte. Nach dem 1. Weltkrieg wurde Weiss tschechischer Staatsbürger, 1946 nahm er in seiner Exilheimat Schweden die schwedische Staatsbürgerschaft an. 1939 war er zusammen mit seiner Familie vor den nationalsozialistischen Ariergesetzen dahin geflohen. In Schweden schloss er sich eine Zeitlang auch der "Vänster Parti / Kommunisterna" (der eurokommunistischen KP) an.
Peter Weiss war Maler, Schriftsteller und Filmemacher. Der Malerei waren besonders die dreissiger und vierziger Jahre gewidmet, dem Film die fünfziger Jahre. Erste jugendlich romantische Texte schrieb er gegen Ende der dreissiger Jahre, inspiriert von seinem Idol Hermann Hesse. Surrealistisch inspirierte Prosa und Dramatik begleitete die filmischen Versuche - Experimentalfilme, Dokumentarfilme sowie ein Langspielfilm. Ums Jahr 1960 erregte der bisher weitgehend unbekannte Weiss Aufsehen, als die Prosatexte "Abschied von den Eltern", "Fluchtpunkt" und "Der Schatten des Körpers des Kutschers" erschienen.
Danach folgten die erfolgreichen Dramen "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung von Herrn de Sade" und "Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen" über den Frankfurter Auschwitz-Prozess. In jener Zeit formulierte Weiss in seinen "10 Arbeitspunkten eines Autors in der geteilten Welt" sein sozialistisches Credo. Weitere Dramen bekräftigten den damit geschaffenen Weltruhm: "Viet Nam-Diskurs", "Trotzki im Exil", "Hölderlin" und schliesslich "Der neue Prozess". Die letzten zehn Schaffensjahre widmete Weiss dem riesigen Romankonvolut "Die Ästhetik des Widerstands", einer vielschichtigen Schilderung des antifaschistischen Widerstands. Am 10. Mai 1982 verstarb Peter Weiss in Stockholm.
Doch was besagen schon ein paar dürre biographische Angaben.
'Die Ästhetik des Widerstands', das in den Jahren von 1971 bis 1981 entstandene erzählerische Hauptwerk des Schriftstellers Peter Weiss, gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Romanen der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Im Zentrum des fast eintausend Seiten umfassenden Triptychons, das die Geschichte des Scheiterns sozialistischer Ideale und Kämpfe und das Ausgeliefertsein des Individuums in totalitären Zeiten abbildet, steht die Person eines fiktiven deutschen Widerstandskämpfers. Dieser Ich-Erzähler verlässt als Jugendlicher 1937 Berlin und gelangt über die Tschechoslowakei, Spanien und Paris nach Schweden. Da wie dort wird er Zeuge der Widerstandskämpfe gegen Nazideutschland und der Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei. "Wer ist dieses Ich? Ich selbst bin es."
Der namenlose Protagonist ist in vielen Details dem Autor nachgebildet. Er gibt Peter Weiss Gelegenheit, durch seine literarische Trauer- und Erinnerungsarbeit eine sprachmächtige Aufarbeitung eines historisch entscheidenden Jahrzehnts in der Auseinandersetzung der Ideologien zu liefern. Am Ende steht der Fall des Faschismus, gleichzeitig entwerten sich aber auch die Utopien der europäischen Linken im sowjetischen Personenkult und in der weltanschaulichen Zerrissenheit der Arbeiterparteien. Darüber hinaus arbeitet sich Weiss auch an der für ihn persönlich relevanten Hauptfrage ab, inwieweit politische Notwendigkeit und individuelle Erkenntnis über ästhetische Zusammenhänge miteinander zur Deckung gebracht werden können - auch hier gelingt dem Autor eine bittere Synthese aus Kunsttheorie und Realitätsanspruch: Der Ich-Erzähler und seine Gefährten entwickeln nicht nur über politische Erörterungen und Einschätzungen, sondern ebenso über Lektüren und gemeinsame Kunstbetrachtung eine Art kollektive Weltsicht. Durch die Reflektion seines politischen Tuns wie durch die Deutung großer Kunstwerke erfindet sich der Erzähler im Roman eine eigene Position als geistiger Arbeiter, als freier Schriftsteller, der sich aber aus ebenso freien Stücken der Disziplin einer Kaderpartei unterwirft: "Für den Ruf nach totaler Zertrümmerung der Kunst hatten wir nichts übrig, solche Parolen konnten sich diejenigen leisten, die übersättigt waren von Bildung."
Zu seinem Romanprojekt betrieb Peter Weiss intensive historische Recherchen, um dem entstehenden Werk "breiteste Realität zu geben". Neben der Hauptperson begegnet der Leser Figuren wie Willi Münzenberg oder Herbert Wehner und den Mitgliedern der Widerstandsorganisation um Harro Schulze-Boysen (`Rote Kapelle'). "Ich benutzte die authentischen Namen im Roman als Chiffren", notierte Peter Weiss dazu. Eine dieser Chiffren ist Bert Brecht. Auf ihn und seine Mitarbeiter stößt der Ich-Erzähler im schwedischen Exil. Weiss beschreibt manchmal bis ins quälende Detail alles über die Antagonismen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in Deutschland, Spanien, Schweden und im französischen Exil, denen groß angelegte Ausdeutungen von Gemälden (Picassos 'Guernica') und Romanen (Kafkas 'Das Schloss') gegenüberstehen. [...]
Gut fünfundzwanzig Jahre nach dem Tod von Peter Weiss, gut fünfzehn Jahre nach dem Zerfall des kommunistisch regierten Ostblocks liest man "Wehrt Euch"-Parolen auf den Straßen Berlins und im Osten Deutschlands, diesmal auf den Plakaten der politischen Erben der Nazi-Ideologie - und nicht als illegal hinterlassenes Signum des Widerstands gegen das NS-Regime wie im Roman 'Die Ästhetik des Widerstands'. Zu keinem besseren Zeitpunkt könnte man erinnern an einen der noch vor nicht allzu langer Zeit meistgespielten und meistgelesenen Nachkriegsautoren Deutschlands, an Peter Weiss und seine 'Ästhetik des Widerstands', die nun in einer fast zwölfstündigen Hörspielfassung, erarbeitet und realisiert von Karl Bruckmaier, vorliegt - immer noch monströs, immer noch schwierig, immer noch besessen vom Wunsch, auf der Basis von Vernunft und Verstehen eine bessere Welt zu errichten, ohne deshalb die Menschlichkeit abzuschaffen. ...
Update 11_08
Peter Weiss, geboren am 8. November 1916 in Nowawes bei Berlin (heute Potsdam) als Sohn eines jüdischen Textilfabrikanten ungarischer Herkunft und einer deutschen Schauspielerin, die bei Max Reinhardt spielte. Nach dem 1. Weltkrieg wurde Weiss tschechischer Staatsbürger, 1946 nahm er in seiner Exilheimat Schweden die schwedische Staatsbürgerschaft an. 1939 war er zusammen mit seiner Familie vor den nationalsozialistischen Ariergesetzen dahin geflohen. In Schweden schloss er sich eine Zeitlang auch der "Vänster Parti / Kommunisterna" (der eurokommunistischen KP) an.
Peter Weiss war Maler, Schriftsteller und Filmemacher. Der Malerei waren besonders die dreissiger und vierziger Jahre gewidmet, dem Film die fünfziger Jahre. Erste jugendlich romantische Texte schrieb er gegen Ende der dreissiger Jahre, inspiriert von seinem Idol Hermann Hesse. Surrealistisch inspirierte Prosa und Dramatik begleitete die filmischen Versuche - Experimentalfilme, Dokumentarfilme sowie ein Langspielfilm. Ums Jahr 1960 erregte der bisher weitgehend unbekannte Weiss Aufsehen, als die Prosatexte "Abschied von den Eltern", "Fluchtpunkt" und "Der Schatten des Körpers des Kutschers" erschienen.
Danach folgten die erfolgreichen Dramen "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung von Herrn de Sade" und "Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen" über den Frankfurter Auschwitz-Prozess. In jener Zeit formulierte Weiss in seinen "10 Arbeitspunkten eines Autors in der geteilten Welt" sein sozialistisches Credo. Weitere Dramen bekräftigten den damit geschaffenen Weltruhm: "Viet Nam-Diskurs", "Trotzki im Exil", "Hölderlin" und schliesslich "Der neue Prozess". Die letzten zehn Schaffensjahre widmete Weiss dem riesigen Romankonvolut "Die Ästhetik des Widerstands", einer vielschichtigen Schilderung des antifaschistischen Widerstands. Am 10. Mai 1982 verstarb Peter Weiss in Stockholm.
Doch was besagen schon ein paar dürre biographische Angaben.
'Die Ästhetik des Widerstands', das in den Jahren von 1971 bis 1981 entstandene erzählerische Hauptwerk des Schriftstellers Peter Weiss, gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Romanen der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Im Zentrum des fast eintausend Seiten umfassenden Triptychons, das die Geschichte des Scheiterns sozialistischer Ideale und Kämpfe und das Ausgeliefertsein des Individuums in totalitären Zeiten abbildet, steht die Person eines fiktiven deutschen Widerstandskämpfers. Dieser Ich-Erzähler verlässt als Jugendlicher 1937 Berlin und gelangt über die Tschechoslowakei, Spanien und Paris nach Schweden. Da wie dort wird er Zeuge der Widerstandskämpfe gegen Nazideutschland und der Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei. "Wer ist dieses Ich? Ich selbst bin es."
Der namenlose Protagonist ist in vielen Details dem Autor nachgebildet. Er gibt Peter Weiss Gelegenheit, durch seine literarische Trauer- und Erinnerungsarbeit eine sprachmächtige Aufarbeitung eines historisch entscheidenden Jahrzehnts in der Auseinandersetzung der Ideologien zu liefern. Am Ende steht der Fall des Faschismus, gleichzeitig entwerten sich aber auch die Utopien der europäischen Linken im sowjetischen Personenkult und in der weltanschaulichen Zerrissenheit der Arbeiterparteien. Darüber hinaus arbeitet sich Weiss auch an der für ihn persönlich relevanten Hauptfrage ab, inwieweit politische Notwendigkeit und individuelle Erkenntnis über ästhetische Zusammenhänge miteinander zur Deckung gebracht werden können - auch hier gelingt dem Autor eine bittere Synthese aus Kunsttheorie und Realitätsanspruch: Der Ich-Erzähler und seine Gefährten entwickeln nicht nur über politische Erörterungen und Einschätzungen, sondern ebenso über Lektüren und gemeinsame Kunstbetrachtung eine Art kollektive Weltsicht. Durch die Reflektion seines politischen Tuns wie durch die Deutung großer Kunstwerke erfindet sich der Erzähler im Roman eine eigene Position als geistiger Arbeiter, als freier Schriftsteller, der sich aber aus ebenso freien Stücken der Disziplin einer Kaderpartei unterwirft: "Für den Ruf nach totaler Zertrümmerung der Kunst hatten wir nichts übrig, solche Parolen konnten sich diejenigen leisten, die übersättigt waren von Bildung."
Zu seinem Romanprojekt betrieb Peter Weiss intensive historische Recherchen, um dem entstehenden Werk "breiteste Realität zu geben". Neben der Hauptperson begegnet der Leser Figuren wie Willi Münzenberg oder Herbert Wehner und den Mitgliedern der Widerstandsorganisation um Harro Schulze-Boysen (`Rote Kapelle'). "Ich benutzte die authentischen Namen im Roman als Chiffren", notierte Peter Weiss dazu. Eine dieser Chiffren ist Bert Brecht. Auf ihn und seine Mitarbeiter stößt der Ich-Erzähler im schwedischen Exil. Weiss beschreibt manchmal bis ins quälende Detail alles über die Antagonismen zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in Deutschland, Spanien, Schweden und im französischen Exil, denen groß angelegte Ausdeutungen von Gemälden (Picassos 'Guernica') und Romanen (Kafkas 'Das Schloss') gegenüberstehen. [...]
Gut fünfundzwanzig Jahre nach dem Tod von Peter Weiss, gut fünfzehn Jahre nach dem Zerfall des kommunistisch regierten Ostblocks liest man "Wehrt Euch"-Parolen auf den Straßen Berlins und im Osten Deutschlands, diesmal auf den Plakaten der politischen Erben der Nazi-Ideologie - und nicht als illegal hinterlassenes Signum des Widerstands gegen das NS-Regime wie im Roman 'Die Ästhetik des Widerstands'. Zu keinem besseren Zeitpunkt könnte man erinnern an einen der noch vor nicht allzu langer Zeit meistgespielten und meistgelesenen Nachkriegsautoren Deutschlands, an Peter Weiss und seine 'Ästhetik des Widerstands', die nun in einer fast zwölfstündigen Hörspielfassung, erarbeitet und realisiert von Karl Bruckmaier, vorliegt - immer noch monströs, immer noch schwierig, immer noch besessen vom Wunsch, auf der Basis von Vernunft und Verstehen eine bessere Welt zu errichten, ohne deshalb die Menschlichkeit abzuschaffen. ...
Update 11_08
gebattmer - 2007/05/13 15:05
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