Zuweilen (XIII): »Kunst kommt von Revolution« - Im memoriam Georg Kreisler
Zuweilen bemerkt man erst (wie ich erst kürzlich und schon häufiger feststellen musste), wenn man vom Tod eines Menschen erfährt, wie wichtig er einem war. Am 22. November starb der Komponist, Musiker, Lyriker, Schriftsteller und Sänger Georg Kreisler im Alter von 89 Jahren. Konkret dokumentiert ein Gespräch, das Georg Seeßlen und Markus Metz im Jahr 2002 mit Kreisler führten (veröffentlicht in KONKRET 7 und 8/02) - ein Auszug:

... Damals wurden Ihre Arbeiten ja auch immer mal wieder Opfer der Zensur.
Damals? Meine Sachen werden noch heute zensuriert. Ich kann nicht alles, was ich schreibe, im Fernsehen bringen. Die Dinge, die ich vor dreißig, vierzig Jahren geschrieben habe, die kann ich heute im Fernsehen oder Funk machen. Aber die Dinge, die ich jetzt mache, nicht. Also hat sich eigentlich gar nichts geändert. Die Zensur ist überall, und wenn sie nicht offiziell ist, so ist sie doch die Schere im Kopf. Das zeigt sich vielleicht auch darin, daß bis heute, und ich bin ja jetzt fast fünfzig Jahre wieder hier, sich noch kein einziger wirklich großer deutscher Verlag für mich interessiert, keine einzige wirklich namhafte deutsche Schallplattengesellschaft, die wesentlichen Zeitungen, die »Zeit« oder die »Frankfurter Allgemeine« oder der »Spiegel« – da komme ich nicht drin vor. Ich beschwere mich überhaupt nicht darüber. Es geht mir ja gut. Ich bin versorgt, ich habe eine wunderbare Frau und lebe ein wundervolles Leben. Aber das ist Zensur. Man sagt in den oberen Etagen: Ach, den Kreisler, den wollen wir lieber nicht. Mir geht der Ruf voraus, staatsgefährdend zu sein.
Das sind Sie ja auch.
Also würden auch Sie mich zensurieren, wenn Sie Politiker wären! Ich nehm’s als Kompliment. Die Gefahr ist nicht sonderlich groß. Aber wo, wenn nicht in der Vergangenheit, könnten wir noch Künstler finden, die es zu zensurieren lohnen würde? Im Kabarett suchen Sie vergeblich. Da ist einfach nichts da. Auf der Bühne, auf dem Theater regt sich gelegentlich ein bißchen was. Es werden noch interessante Bücher geschrieben. Ich glaube, daß durch das Kleinerwerden der Welt, ich nehme ungern das Wort »Globalisierung« in den Mund, die Leute besser informiert sind.
Wir sind da nicht so optimistisch.
Ich weiß nicht, ob das optimistisch ist. Ich glaube jedenfalls nicht, daß sich der gegenwärtige Zustand der Welt mit diesem Gefälle zwischen Armut und Hunger bei einem großen und Reichtum bei einem kleinen Teil der Menschheit auf die Dauer halten wird können. Die Frage ist nur: Ändert man es jetzt, stückweise, langsam, versucht man es zumindest, oder kommt da irgendwann ein großer Krach.
Was macht da die Kunst?
Karl Kraus hat gesagt, Kunst kann immer nur vom Aufschrei kommen, nicht vom Trost. Die Kunst, zum Trost gerufen, verläßt mit einem Fluch das Sterbezimmer der Menschheit. Also: Kunst kann immer nur von Revolution her kommen, anders geht es überhaupt nicht. Ich glaube, eine Kunst wie das Schlagerfestival oder dergleichen ist hochpolitisch, aber im falschen Sinn. Alles, was ich schreiben kann, kommt von einem Protest her. Ich kann mir nicht vorstellen, etwas zu schreiben, was ohne Protest ist. Gegen das Gegenwärtige.
Darüber lachweint man ja auch in Ihrem Buch »Heute leider Konzert«, daß von dem gegenwärtigen Kulturbetrieb keine Kraft des Protestes zu erwarten ist.
Dieser Kulturbetrieb ist, wie schon der Marcuse gesagt hat, eine Kultur der Mächtigen. Und die Kultur der Unmächtigen findet halt noch immer im Abseits statt. Aber ich bin immer Optimist gewesen, und ich glaube, daß sich auch immer wieder etwas ändern wird. Darauf muß man schauen, dafür muß man kämpfen.
Kreislers Kommentar zur sog. Euro-Krise (aus dem Jahr 1996!!) - wahrhaft prophetisch - Danke!!!!
Der Euro
Man kann nicht umhin zu sagen, daß Wien
Eine herrliche Stadt voller Charme ist
Auch London ist schön und Paris an der Seine
Sogar Oslo macht Spaß wenn's dort warm ist.
Aber nix bleibt stabil
Weil die Zeit ändert viel
Die Zeit ändert überhaupt alles
Im nächsten Jahrhundert bleibt nix, wie's halt ist.
Ich bin kein Prophet, aber eins weiß ich g'wiß
Einmal wird der Eiffelturm nicht mehr sein
Und wo jetzt der Louvre steht, wachst der Wein
Nur der Euro, der bleibt
Weil den nix mehr vertreibt
Der wird all's überleb'n, der allein
Unser Wiener Stephansturm, der fallt um
Und wo jetzt die Oper ist, dort san's stumm
Nur der Euro bleibt stehn
Von Berlin bis Athen
Tanzt der Euro um alle herum.
Den Prater werdn's vernichten
Der Rhein wird gestaut, Florenz wird verbaut
Auf'n Petersdom werdn's verzichten
Wenn der Papst protestiert, wird er g'haut
Auf die Champs-Élysées wird kein Wert g'legt
Und das Tivoli wird unter d' Erd g'legt.
Aus Warschau wird Schutt, die Schweiz ist kaputt
Die Grachten erfriern, die Schweden emigriern
Dann werd'n militant alle Häuser verbrannt
Und als Waren- und Bürohäuser neu eingespannt
Nur der Euro wird leb'n
Nur den Euro wird's geb'n
Nur der Euro wird zeig'n, was er kann.
Und er kriecht mit Humor
Aus der Asche hervor
Und fangt immer von vorn wieder an
Mozart verraucht, weil man'n net braucht
Gleich hinter Mozart raucht Goethe.
Bach wird verjazzt, Rembrandt zerkratzt
Und Shakespeare hat auch seine Nöte
Goldoni und Moliere krieg'n ein neu'n Regisseur
Nur findet auch der kein Theater
Denn Theater san g'schlossen, die Museen stehen leer
Und Buchläden gibt es schon lang keine mehr
Was braucht ein moderner Mensch Literatur
Auch von Philharmonikern keine Spur
Nur der Euro bleibt stark
Den legt niemand in Sarg.
Hast du Euro, dann hast du Kultur
Der kann Kunst imitiern
Der kann die Politiker schmiern
Der baut Banken zu den Sternen
Baut McDonald's, baut Kasernen
Der schmückt's Fernsehn mit ein'm Glorienschein
Man ist stolz, Europäer zu sein
Für den Euro sterb'n die Poeten
Und zum Euro lernt man beten
Euro unser, der du bist
Und dann merkt auch der letzte Tourist
Was Europa ist.

... Damals wurden Ihre Arbeiten ja auch immer mal wieder Opfer der Zensur.
Damals? Meine Sachen werden noch heute zensuriert. Ich kann nicht alles, was ich schreibe, im Fernsehen bringen. Die Dinge, die ich vor dreißig, vierzig Jahren geschrieben habe, die kann ich heute im Fernsehen oder Funk machen. Aber die Dinge, die ich jetzt mache, nicht. Also hat sich eigentlich gar nichts geändert. Die Zensur ist überall, und wenn sie nicht offiziell ist, so ist sie doch die Schere im Kopf. Das zeigt sich vielleicht auch darin, daß bis heute, und ich bin ja jetzt fast fünfzig Jahre wieder hier, sich noch kein einziger wirklich großer deutscher Verlag für mich interessiert, keine einzige wirklich namhafte deutsche Schallplattengesellschaft, die wesentlichen Zeitungen, die »Zeit« oder die »Frankfurter Allgemeine« oder der »Spiegel« – da komme ich nicht drin vor. Ich beschwere mich überhaupt nicht darüber. Es geht mir ja gut. Ich bin versorgt, ich habe eine wunderbare Frau und lebe ein wundervolles Leben. Aber das ist Zensur. Man sagt in den oberen Etagen: Ach, den Kreisler, den wollen wir lieber nicht. Mir geht der Ruf voraus, staatsgefährdend zu sein.
Das sind Sie ja auch.
Also würden auch Sie mich zensurieren, wenn Sie Politiker wären! Ich nehm’s als Kompliment. Die Gefahr ist nicht sonderlich groß. Aber wo, wenn nicht in der Vergangenheit, könnten wir noch Künstler finden, die es zu zensurieren lohnen würde? Im Kabarett suchen Sie vergeblich. Da ist einfach nichts da. Auf der Bühne, auf dem Theater regt sich gelegentlich ein bißchen was. Es werden noch interessante Bücher geschrieben. Ich glaube, daß durch das Kleinerwerden der Welt, ich nehme ungern das Wort »Globalisierung« in den Mund, die Leute besser informiert sind.
Wir sind da nicht so optimistisch.
Ich weiß nicht, ob das optimistisch ist. Ich glaube jedenfalls nicht, daß sich der gegenwärtige Zustand der Welt mit diesem Gefälle zwischen Armut und Hunger bei einem großen und Reichtum bei einem kleinen Teil der Menschheit auf die Dauer halten wird können. Die Frage ist nur: Ändert man es jetzt, stückweise, langsam, versucht man es zumindest, oder kommt da irgendwann ein großer Krach.
Was macht da die Kunst?
Karl Kraus hat gesagt, Kunst kann immer nur vom Aufschrei kommen, nicht vom Trost. Die Kunst, zum Trost gerufen, verläßt mit einem Fluch das Sterbezimmer der Menschheit. Also: Kunst kann immer nur von Revolution her kommen, anders geht es überhaupt nicht. Ich glaube, eine Kunst wie das Schlagerfestival oder dergleichen ist hochpolitisch, aber im falschen Sinn. Alles, was ich schreiben kann, kommt von einem Protest her. Ich kann mir nicht vorstellen, etwas zu schreiben, was ohne Protest ist. Gegen das Gegenwärtige.
Darüber lachweint man ja auch in Ihrem Buch »Heute leider Konzert«, daß von dem gegenwärtigen Kulturbetrieb keine Kraft des Protestes zu erwarten ist.
Dieser Kulturbetrieb ist, wie schon der Marcuse gesagt hat, eine Kultur der Mächtigen. Und die Kultur der Unmächtigen findet halt noch immer im Abseits statt. Aber ich bin immer Optimist gewesen, und ich glaube, daß sich auch immer wieder etwas ändern wird. Darauf muß man schauen, dafür muß man kämpfen.
Kreislers Kommentar zur sog. Euro-Krise (aus dem Jahr 1996!!) - wahrhaft prophetisch - Danke!!!!
Der Euro
Man kann nicht umhin zu sagen, daß Wien
Eine herrliche Stadt voller Charme ist
Auch London ist schön und Paris an der Seine
Sogar Oslo macht Spaß wenn's dort warm ist.
Aber nix bleibt stabil
Weil die Zeit ändert viel
Die Zeit ändert überhaupt alles
Im nächsten Jahrhundert bleibt nix, wie's halt ist.
Ich bin kein Prophet, aber eins weiß ich g'wiß
Einmal wird der Eiffelturm nicht mehr sein
Und wo jetzt der Louvre steht, wachst der Wein
Nur der Euro, der bleibt
Weil den nix mehr vertreibt
Der wird all's überleb'n, der allein
Unser Wiener Stephansturm, der fallt um
Und wo jetzt die Oper ist, dort san's stumm
Nur der Euro bleibt stehn
Von Berlin bis Athen
Tanzt der Euro um alle herum.
Den Prater werdn's vernichten
Der Rhein wird gestaut, Florenz wird verbaut
Auf'n Petersdom werdn's verzichten
Wenn der Papst protestiert, wird er g'haut
Auf die Champs-Élysées wird kein Wert g'legt
Und das Tivoli wird unter d' Erd g'legt.
Aus Warschau wird Schutt, die Schweiz ist kaputt
Die Grachten erfriern, die Schweden emigriern
Dann werd'n militant alle Häuser verbrannt
Und als Waren- und Bürohäuser neu eingespannt
Nur der Euro wird leb'n
Nur den Euro wird's geb'n
Nur der Euro wird zeig'n, was er kann.
Und er kriecht mit Humor
Aus der Asche hervor
Und fangt immer von vorn wieder an
Mozart verraucht, weil man'n net braucht
Gleich hinter Mozart raucht Goethe.
Bach wird verjazzt, Rembrandt zerkratzt
Und Shakespeare hat auch seine Nöte
Goldoni und Moliere krieg'n ein neu'n Regisseur
Nur findet auch der kein Theater
Denn Theater san g'schlossen, die Museen stehen leer
Und Buchläden gibt es schon lang keine mehr
Was braucht ein moderner Mensch Literatur
Auch von Philharmonikern keine Spur
Nur der Euro bleibt stark
Den legt niemand in Sarg.
Hast du Euro, dann hast du Kultur
Der kann Kunst imitiern
Der kann die Politiker schmiern
Der baut Banken zu den Sternen
Baut McDonald's, baut Kasernen
Der schmückt's Fernsehn mit ein'm Glorienschein
Man ist stolz, Europäer zu sein
Für den Euro sterb'n die Poeten
Und zum Euro lernt man beten
Euro unser, der du bist
Und dann merkt auch der letzte Tourist
Was Europa ist.
gebattmer - 2011/11/24 20:10
Trackback URL:
https://gebattmer.twoday.net/stories/49622050/modTrackback