Ähnlichkeit und Ästhetik III: Herr A. aka Herr H. auf der Treppe
Mit dem vorangegangenen Eintrag zum Botoxen der Großhirnrinde hat dieser nun insofern zu tun, als es in Herrn A.'s Roman um eine frühere Erscheinungsform des gleichen Phänomens geht, die man eher das Boxen der Großhirnrinde nennen muss und die in den 60er und frühen 70er Jahren beliebt war. Beiden gemeinsam ist das Ziel: die Optimierung von Lernprozessen zum Zwecke der sozialen Selektion. Wie gesagt: von der älteren Erscheinungsform des Phänomens handelt Herrn A.'s Roman, der hiermit nochmals empfohlen sei; - der folgende Auschnitt hat damit allerdings nur mittelbar zu tun:
Sie haben wie üblich in ihrer Ecke neben dem Flipper gehockt, der schon außer Betrieb ist, seit Appaz sich mit Kerschkamp am ersten Freitag jeden Monats im „Voss“ trifft. Und wie üblich war das Voss wieder brechend voll, nicht zum ersten Mal hat Appaz vorgeschlagen, dass sie sich vielleicht an einem anderen Tag treffen sollten...
Er und Kerschkamp haben jedenfalls ziemlich schnell hintereinander die ersten paar Bier getrunken, dann hat Kerschkamp sich "einmal Curry-Pommes“ bestellt. Appaz hat keinen Appetit gehabt, obwohl das Voss für seine Currywurst berühmt ist. Sogar der Ex-Kanzler ist für diese Currywurst früher ins Voss gekommen, noch zu seinen Juso-Zeiten, böse Zungen behaupten, dass von damals auch seine Abneigung gegen Lehrer rührt. Der Ex-Kanzler kommt jetzt nicht mehr, die Lehrer sind geblieben. Genauso wie die Dozenten, Ärzte und Anwälte, die den Stadtteil schon für sich entdeckt haben, als die Fünf- und Sechszimmerwoh-nungen in den ehemals hochherrschaftlichen Häusern aus der Jahrhundertwende auch für Wohngemeinschaften noch bezahlbar waren. Geblieben ist auch die Einrichtung, die, wenn überhaupt, das letzte Mal renoviert worden ist, lange bevor der Ex-Kanzler hier seine erste Currywurst bekommen hat. Und genauso geblieben ist der barsche Umgangston, mit dem die Bedienung jedem, der nicht zu den Stammgästen gehört, seinen Platz an einem der langen Holztische zuweist, ohne irgendeinen Widerspruch zu dulden. Geduzt werden ohnehin alle, und wer es aus Mangel an Erfahrung nicht besser weiß und sein Bier am Tisch bezahlen will, wird unwirsch mit den Strichen auf dem Deckel zur Theke geschickt; ein zweites Mal jeden-falls begeht keiner diesen Fauxpas. Seit kurzem hängt hinter der Theke eine Urkunde, die die Kneipe laut dem Londoner Guardian als „one of the best bars in Europe“ ausweist: „A typical German pub with local beer and delicious pub classics such as currywurst.“
Appaz’ Verhältnis zu dem Szenetreff ist eher gespalten, und als der Wirt Kerschkamp zu dessen fünfzigstem Geburtstag ausgerechnet hat, dass er im Laufe der Jahre bei ihm gut und gerne ein Reihenhaus in Bier umgesetzt hat, hat Appaz das bei weitem nicht so witzig gefun-den wie der überwiegende Teil der anderen Gäste. Allerdings ist auch Kerschkamp bei dieser Eröffnung merklich still geworden, was aber dennoch nicht zu einer Reduzierung seines Bier-konsums geführt hat. Und, ehrlich gesagt, kann man im Voss auch kaum etwas anderes tun, als Bier auf Bier zu trinken, die Akustik ist lausig und gleicht der einer Bahnhofshalle, spätes-tens ab zwanzig Uhr versteht man in den hohen Räumen kaum noch sein eigenes Wort.
An den Freitagabenden kommt erschwerend hinzu, dass sich im Keller eine Rockband ih-ren Übungsraum eingerichtet hat, Lehrer des benachbarten Gymnasiums, die die Jahre bis zu ihrer Pensionierung zählen und sich solange jeden Freitag aufs Neue mit respektabler Beharr-lichkeit ausgerechnet an Songs wie „Dead End Street“ versuchen. Meist aber scheitern sie schon an den ersten Taktwechseln, gleich nach der Zeile „What are we living for?“.
Appaz erinnert sich, wie die Glasscheibe des Flippers im Rhythmus der Bässe gezittert hat. Und wie Kerschkamp sich den letzten Bissen Currywurst in den Mund geschoben und gegen den Lärm angebrüllt hat: „Ich muss dir überhaupt noch eine Geschichte erzählen, du, was mir neulich passiert ist ...!“
Das war dann die Sache mit der Gummipuppe. Und Kerschkamp hat per Handzeichen noch mal zwei Bier geordert. Als kurz darauf die Bedienung kam und sich vorbeugte, um neue Kugelschreiberstriche auf ihre Deckel zu malen, brachte Kerschkamp seine Geschichte ein zweites Mal an. Diesmal allerdings war aus dem vorher nicht näher beschriebenen Mann ein Typ im Anzug geworden, der die Puppe aus dem Kofferraum seines Jaguars holte, „irgend so ein Banker oder Anwalt oder so was“, schrie Kerschkamp der Bedienung ins Ohr, und die Bedienung lachte und strich Kerschkamp im Weggehen wie zufällig über den Arm. Appaz ist sich nicht mehr so ganz sicher gewesen, was an Kerschkamps Geschichte nun eigentlich dran war. Außerdem hat er sich gefragt, ob Kerschkamp und die Bedienung sich womöglich besser kannten, als er bisher dachte.
Wenig später haben die Lehrer im Keller nach einer verunglückten Version von „Death of a Clown“ endgültig aufgegeben. Nacheinander kamen sie durch die Hintertür ins Voss und quetschten sich dann mit ihren Bieren in die Ecke zu Appaz und Kerschkamp. Sie kennen sich schon länger, einer der Lehrer hat Appaz’ Tochter früher in Deutsch unterrichtet. Und einige Male hat es Appaz auch durchaus genossen, sich in irgendwelche Diskussionen über den de-solaten Zustand des Bildungssystems verwickeln zu lassen. Heute allerdings hat er keine Lust auf die Mischung aus Wut und Verzweiflung und den zunehmenden Zynismus gehabt, mit dem die Lehrer versuchen, die letzten Jahre ihres Berufslebens zu überstehen.
Kerschkamp schien es ähnlich zu gehen, er hat Appaz einen kurzen Blick zugeworfen und sein Tabakpäckchen aus der Tasche geholt. Appaz hat sich vor ihm her zur Tür gedrängt.
Sie sind dann nicht die einzigen gewesen, die rauchend vor dem Voss auf dem Fußweg standen. Eine Frau nickte Appaz zu, er konnte sie beim besten Willen nicht einordnen, grüßte aber freundlich zurück. Kurz darauf hat er zum ersten Mal den Hund bellen gehört. Er erinnert sich jetzt auch, dass Kerschkamp noch irgendeinen Kommentar zu dem Bellen abgegeben hat. Vielleicht auch zu Hunden im Allgemeinen, zu herrenlosen Hunden, die einem nachts auf dem Rückweg aus der Kneipe plötzlich den Weg verstellen. Oder so ähnlich. Jedenfalls lehnte Kerschkamp an der Hauswand und laberte ohne Pause, als wollte er die durch die Lautstärke im Voss verlorengegangene Redezeit wieder wettmachen. Und er hat schon deutlich Mühe gehabt, die Konsonanten klar voneinander zu trennen.
Aber Appaz hat sowieso nur halb hingehört. Weil er sich ärgerte, nicht vor der Raucher-pause noch mal pinkeln gegangen zu sein, und jetzt überlegen musste, ob er sich wieder den langen Weg zurück durch die Menschenmassen bis zum Klo quetschen sollte.
Und dann hat Kerschkamp plötzlich gesagt: „Wir gehen da hin, du und ich. Wir beide. Und dann mischen wir den Laden mal so richtig auf.“
„Was? Wohin?“
„Habe ich doch eben erzählt! Ein Abitreffen, von unserem alten Jahrgang. Wo sie uns im-mer nicht einladen, du weißt schon. Aber diesmal hab ich den Termin im Netz entdeckt. Und wir gehen dahin, ist doch wohl klar!“
Appaz hat einen Moment gebraucht, bis er begriff. Ein Klassentreffen, dreiunddreißig Jah-re nach dem Abitur, bei dem sie damals mit Pauken und Trompeten durchgefallen sind. Wes-halb sie auch bisher nie eingeladen wurden, wenn ihre ehemaligen Mitschüler irgendein run-des Jubiläum feierten. Aber jetzt hatte Kerschkamp den Termin also in irgendeiner Leute-Such-Maschine entdeckt und war offensichtlich wild entschlossen, es ihnen allen heimzuzah-len.
„Ohne mich“, hat Appaz nach kurzem Zögern erklärt, „ich will da nicht hin.“
„Du musst! Alleine mache ich das nicht.“
Und dann hat Appaz so was wie einen Filmriss. Sie müssen wohl noch eine Weile mit den Lehrern zusammengesessen haben, Appaz meint sich undeutlich an eine hitzige Diskussion über die neue CD von Jack Bruce erinnern zu können, dass Robin Trower zwar ohne Frage ein exzellenter Gitarrist ist, aber kaum Raum für Jack Bruce selber lässt. Und dass solche Ex-perimente ohnehin keinen Sinn machen, nachdem Bruce, Clapton und Baker ja mit ihrem Reunion-Konzert in der Royal Albert Hall bewiesen haben, dass nichts über die alten Songs von Cream geht, in der alten Besetzung! Später dann hat Kerschkamp sein Fahrrad neben Ap-paz hergeschoben, um ihn noch bis zur nächsten Ecke zu bringen. Es hat angefangen zu nie-seln, Appaz hat sich den Reißverschluss seiner Lederjacke zugezogen, als Kerschkamp pin-keln musste, hat Appaz solange das Fahrrad gehalten. Und kurz vor ihrem Abschied hat Kerschkamp noch zu einem erleuchteten Fenster hinaufgezeigt und gesagt: „Weißt du noch? Da oben waren wir mal zusammen auf einer Fete! Das muss elfte Klasse oder so gewesen sein, mit den ganzen alten Leuten noch. Wäre doch vielleicht sogar ganz schön, die alle mal wieder zu sehen, oder? Also überleg es dir, Alter, ich rufe dich an!“
Damit hat er sich auf sein Rad geschwungen und ist in Schlangenlinien in die Fußgänger-zone eingebogen.
Und Appaz hat den Mann mit dem Beil im Kopf gesehen.
Bei der Urlesung des Romans war übrigens auch einer zugegen, der in dem oben zitierten Auszug vorkommen könnte, wären nicht Realität und Fiktion zwei völlig verschiedene Dimensionen des Seins:
Update: Der Kanal von Kurt Appaz
Sie haben wie üblich in ihrer Ecke neben dem Flipper gehockt, der schon außer Betrieb ist, seit Appaz sich mit Kerschkamp am ersten Freitag jeden Monats im „Voss“ trifft. Und wie üblich war das Voss wieder brechend voll, nicht zum ersten Mal hat Appaz vorgeschlagen, dass sie sich vielleicht an einem anderen Tag treffen sollten...
Er und Kerschkamp haben jedenfalls ziemlich schnell hintereinander die ersten paar Bier getrunken, dann hat Kerschkamp sich "einmal Curry-Pommes“ bestellt. Appaz hat keinen Appetit gehabt, obwohl das Voss für seine Currywurst berühmt ist. Sogar der Ex-Kanzler ist für diese Currywurst früher ins Voss gekommen, noch zu seinen Juso-Zeiten, böse Zungen behaupten, dass von damals auch seine Abneigung gegen Lehrer rührt. Der Ex-Kanzler kommt jetzt nicht mehr, die Lehrer sind geblieben. Genauso wie die Dozenten, Ärzte und Anwälte, die den Stadtteil schon für sich entdeckt haben, als die Fünf- und Sechszimmerwoh-nungen in den ehemals hochherrschaftlichen Häusern aus der Jahrhundertwende auch für Wohngemeinschaften noch bezahlbar waren. Geblieben ist auch die Einrichtung, die, wenn überhaupt, das letzte Mal renoviert worden ist, lange bevor der Ex-Kanzler hier seine erste Currywurst bekommen hat. Und genauso geblieben ist der barsche Umgangston, mit dem die Bedienung jedem, der nicht zu den Stammgästen gehört, seinen Platz an einem der langen Holztische zuweist, ohne irgendeinen Widerspruch zu dulden. Geduzt werden ohnehin alle, und wer es aus Mangel an Erfahrung nicht besser weiß und sein Bier am Tisch bezahlen will, wird unwirsch mit den Strichen auf dem Deckel zur Theke geschickt; ein zweites Mal jeden-falls begeht keiner diesen Fauxpas. Seit kurzem hängt hinter der Theke eine Urkunde, die die Kneipe laut dem Londoner Guardian als „one of the best bars in Europe“ ausweist: „A typical German pub with local beer and delicious pub classics such as currywurst.“
Appaz’ Verhältnis zu dem Szenetreff ist eher gespalten, und als der Wirt Kerschkamp zu dessen fünfzigstem Geburtstag ausgerechnet hat, dass er im Laufe der Jahre bei ihm gut und gerne ein Reihenhaus in Bier umgesetzt hat, hat Appaz das bei weitem nicht so witzig gefun-den wie der überwiegende Teil der anderen Gäste. Allerdings ist auch Kerschkamp bei dieser Eröffnung merklich still geworden, was aber dennoch nicht zu einer Reduzierung seines Bier-konsums geführt hat. Und, ehrlich gesagt, kann man im Voss auch kaum etwas anderes tun, als Bier auf Bier zu trinken, die Akustik ist lausig und gleicht der einer Bahnhofshalle, spätes-tens ab zwanzig Uhr versteht man in den hohen Räumen kaum noch sein eigenes Wort.
An den Freitagabenden kommt erschwerend hinzu, dass sich im Keller eine Rockband ih-ren Übungsraum eingerichtet hat, Lehrer des benachbarten Gymnasiums, die die Jahre bis zu ihrer Pensionierung zählen und sich solange jeden Freitag aufs Neue mit respektabler Beharr-lichkeit ausgerechnet an Songs wie „Dead End Street“ versuchen. Meist aber scheitern sie schon an den ersten Taktwechseln, gleich nach der Zeile „What are we living for?“.
Appaz erinnert sich, wie die Glasscheibe des Flippers im Rhythmus der Bässe gezittert hat. Und wie Kerschkamp sich den letzten Bissen Currywurst in den Mund geschoben und gegen den Lärm angebrüllt hat: „Ich muss dir überhaupt noch eine Geschichte erzählen, du, was mir neulich passiert ist ...!“
Das war dann die Sache mit der Gummipuppe. Und Kerschkamp hat per Handzeichen noch mal zwei Bier geordert. Als kurz darauf die Bedienung kam und sich vorbeugte, um neue Kugelschreiberstriche auf ihre Deckel zu malen, brachte Kerschkamp seine Geschichte ein zweites Mal an. Diesmal allerdings war aus dem vorher nicht näher beschriebenen Mann ein Typ im Anzug geworden, der die Puppe aus dem Kofferraum seines Jaguars holte, „irgend so ein Banker oder Anwalt oder so was“, schrie Kerschkamp der Bedienung ins Ohr, und die Bedienung lachte und strich Kerschkamp im Weggehen wie zufällig über den Arm. Appaz ist sich nicht mehr so ganz sicher gewesen, was an Kerschkamps Geschichte nun eigentlich dran war. Außerdem hat er sich gefragt, ob Kerschkamp und die Bedienung sich womöglich besser kannten, als er bisher dachte.
Wenig später haben die Lehrer im Keller nach einer verunglückten Version von „Death of a Clown“ endgültig aufgegeben. Nacheinander kamen sie durch die Hintertür ins Voss und quetschten sich dann mit ihren Bieren in die Ecke zu Appaz und Kerschkamp. Sie kennen sich schon länger, einer der Lehrer hat Appaz’ Tochter früher in Deutsch unterrichtet. Und einige Male hat es Appaz auch durchaus genossen, sich in irgendwelche Diskussionen über den de-solaten Zustand des Bildungssystems verwickeln zu lassen. Heute allerdings hat er keine Lust auf die Mischung aus Wut und Verzweiflung und den zunehmenden Zynismus gehabt, mit dem die Lehrer versuchen, die letzten Jahre ihres Berufslebens zu überstehen.
Kerschkamp schien es ähnlich zu gehen, er hat Appaz einen kurzen Blick zugeworfen und sein Tabakpäckchen aus der Tasche geholt. Appaz hat sich vor ihm her zur Tür gedrängt.
Sie sind dann nicht die einzigen gewesen, die rauchend vor dem Voss auf dem Fußweg standen. Eine Frau nickte Appaz zu, er konnte sie beim besten Willen nicht einordnen, grüßte aber freundlich zurück. Kurz darauf hat er zum ersten Mal den Hund bellen gehört. Er erinnert sich jetzt auch, dass Kerschkamp noch irgendeinen Kommentar zu dem Bellen abgegeben hat. Vielleicht auch zu Hunden im Allgemeinen, zu herrenlosen Hunden, die einem nachts auf dem Rückweg aus der Kneipe plötzlich den Weg verstellen. Oder so ähnlich. Jedenfalls lehnte Kerschkamp an der Hauswand und laberte ohne Pause, als wollte er die durch die Lautstärke im Voss verlorengegangene Redezeit wieder wettmachen. Und er hat schon deutlich Mühe gehabt, die Konsonanten klar voneinander zu trennen.
Aber Appaz hat sowieso nur halb hingehört. Weil er sich ärgerte, nicht vor der Raucher-pause noch mal pinkeln gegangen zu sein, und jetzt überlegen musste, ob er sich wieder den langen Weg zurück durch die Menschenmassen bis zum Klo quetschen sollte.
Und dann hat Kerschkamp plötzlich gesagt: „Wir gehen da hin, du und ich. Wir beide. Und dann mischen wir den Laden mal so richtig auf.“
„Was? Wohin?“
„Habe ich doch eben erzählt! Ein Abitreffen, von unserem alten Jahrgang. Wo sie uns im-mer nicht einladen, du weißt schon. Aber diesmal hab ich den Termin im Netz entdeckt. Und wir gehen dahin, ist doch wohl klar!“
Appaz hat einen Moment gebraucht, bis er begriff. Ein Klassentreffen, dreiunddreißig Jah-re nach dem Abitur, bei dem sie damals mit Pauken und Trompeten durchgefallen sind. Wes-halb sie auch bisher nie eingeladen wurden, wenn ihre ehemaligen Mitschüler irgendein run-des Jubiläum feierten. Aber jetzt hatte Kerschkamp den Termin also in irgendeiner Leute-Such-Maschine entdeckt und war offensichtlich wild entschlossen, es ihnen allen heimzuzah-len.
„Ohne mich“, hat Appaz nach kurzem Zögern erklärt, „ich will da nicht hin.“
„Du musst! Alleine mache ich das nicht.“
Und dann hat Appaz so was wie einen Filmriss. Sie müssen wohl noch eine Weile mit den Lehrern zusammengesessen haben, Appaz meint sich undeutlich an eine hitzige Diskussion über die neue CD von Jack Bruce erinnern zu können, dass Robin Trower zwar ohne Frage ein exzellenter Gitarrist ist, aber kaum Raum für Jack Bruce selber lässt. Und dass solche Ex-perimente ohnehin keinen Sinn machen, nachdem Bruce, Clapton und Baker ja mit ihrem Reunion-Konzert in der Royal Albert Hall bewiesen haben, dass nichts über die alten Songs von Cream geht, in der alten Besetzung! Später dann hat Kerschkamp sein Fahrrad neben Ap-paz hergeschoben, um ihn noch bis zur nächsten Ecke zu bringen. Es hat angefangen zu nie-seln, Appaz hat sich den Reißverschluss seiner Lederjacke zugezogen, als Kerschkamp pin-keln musste, hat Appaz solange das Fahrrad gehalten. Und kurz vor ihrem Abschied hat Kerschkamp noch zu einem erleuchteten Fenster hinaufgezeigt und gesagt: „Weißt du noch? Da oben waren wir mal zusammen auf einer Fete! Das muss elfte Klasse oder so gewesen sein, mit den ganzen alten Leuten noch. Wäre doch vielleicht sogar ganz schön, die alle mal wieder zu sehen, oder? Also überleg es dir, Alter, ich rufe dich an!“
Damit hat er sich auf sein Rad geschwungen und ist in Schlangenlinien in die Fußgänger-zone eingebogen.
Und Appaz hat den Mann mit dem Beil im Kopf gesehen.
Bei der Urlesung des Romans war übrigens auch einer zugegen, der in dem oben zitierten Auszug vorkommen könnte, wären nicht Realität und Fiktion zwei völlig verschiedene Dimensionen des Seins:
Update: Der Kanal von Kurt Appaz
gebattmer - 2009/08/02 21:27