Schloemann! Setzen! Ungenügend!
Nur kurz zu einem Artikel im "Wochenende" der Süddeutschen, der viel Zustimmung bei Lehrern und anderen Bestwissern gefunden haben wird: Johan Schloemanns mit einigen richtigen Beobachtungen, aber völlig untauglicher Diagnose zum status praesens des deutschen Gymnasiums mit dem slaughterhousemäßig provokanten Titel "Klassenbewusstsein" (sz vom 6./7. Februar) versehene Klage über den drohenden Untergang desselben.
Schloemann will gegen die, die meinen, man müsse wegen der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im globalen Bla (so sagt er das natürlich nicht) noch mehr Jugendliche das Abitur machen und sie studieren lassen, die Leistung des Gymnasiums bei der Rekrutierung von (guten!) Funktionseliten in Stellung bringen und aktiviert dazu allerlei recht hübsche bildungsbürgerliche Affekte. Geschickt vereinnahmt er auch oppositionellen Geist, indem er als Beispiele für nicht so gut gymnasial gebildete Funktionseliten "Vorstandvorsitzende, ... die kaum einen klaren deutschen Satz formulieren können", und den Herrn zu Guttenberg einführt, dem "jeder gute Deutschlehrer ... vieles als schwülstig, redundant und nichtssagend anstreichen müsste". Oyoyoy!
Der vermeintlich kritische Gestus erweist sich aber als dümmliche Überheblichkeit, denn "nichtsagend und redundant" kann Schloemann selbst ziemlich gut daherreden, "schwülstig" eigentlich auch ... :
Er deliriert ein Gymnasium, das es nie gegeben hat; die angeblich demokratische Tradition des deutschen Gymnasiums ist eine Schimäre, es sei denn, man begreift Demokratie slaughterhousemäßig als Gönnertum ("... aber das Gymnasium des 19. Jahrhunderts ließ durchaus schon das Kleinbürgertum und Handwerkersöhne herein ..."): Wann hat denn das deutsche Gymnasium die guten, d.h. gebildeten Funktionseliten hervorgebracht, die dort "genaue Analyse, differenzierte Interpretation und kritisches Denken eingeübt (hätten), mit der Absicht eine souveräne Persönlichkeit zur Entfaltung zu bringen, die sich auch dem Schwierigen und dem Unbekannten erfolgreich stellen kann." ??
Im 19. Jahrhundert? In der Weimarer Republik, deren Funktionseliten - soweit nicht ausgebürgert oder ermordet - so geschmeidig Ausbürgerung und Massenmord exekutierten? Dann muss es wohl in den frühen 50er Jahren gewesen sein, als das Gymnasium so funktionierte, wie Schloemann meint, denn schon "im Laufe der Nachkriegszeit ließ man es geschehen - teils ideologisch gewollt, teils vom wachsenden Wohlstand verführt [das versteht jetzt gar keiner mehr ...], dass das Gymnasium zusehends zum Opfer seines eigenen Erfolges wurde. Man ließ Schritt für Schritt immer mehr Schüler aufs Gymnasium und reduzierte, damit einhergehend, den Anspruch ..." Also in den 60ern ff.
Das sind die beiden Figuren, mit denen Schloemann - redundant wie nochwas - operiert:
1. Der "Anspruch" wird (weiter) gesenkt bis hin zum "Nicht-Anspruch" ...
Anspruch, hoher - auf der einen Seite und Bereitschaft, sich dem Anspruch zu unterwerfen, mit der Perspektive "einen jener höheren Berufe zu ergreifen" - auf der anderen Seite; - eine doch wohl etwas unterkomplexe Modellierung schulischen Lernens!

2. "Man" = das Subjekt: entweder - wie oben - das Gymnasium selbst - oder hier: ideologisch Verblendete ... weiter unten wird er scheinbar genauer, wenn er "diese Entkernung hinter der schönen backsteinernen Gymnasialfassade" [Schwulst!] zum "gemeinsame(n) Projekt von linken Egalitaristen und rechten Technokraten" hochjazzt, um schließlich nicht "nur Politik und Lehrer und hereindrängende Einwandererfamilien", sondern auch "die angeblich bildungsbeflissenen Mittelschichten" als Schuldige auszumachen.
All dem liegt eine dritte Denkfigur zugrunde, die verquast formuliert, aber nicht ausgeführt, geschweige denn empirisch unterfüttert wird:
"So viele Abiturienten, das liegt unmittelbar auf der Hand, können weder selbst alle geeignet sein, höhere Berufe auszuüben, noch können ihnen dafür ausreichend Stellen zur Verfügung stehen."

Klassenbewusstsein heute ist, wenn man behaupten kann, was nicht zu belegen ist, dass also etwa der Anteil der Studierfähigen in einer Gesellschaft nicht erhöht werden kann, also wohl als biologische Konstante angenommen werden muss, und das mit einer Argumentation vorträgt, die keiner Prüfung standhält, die sich aber, da sie mit den Versatzstücken des neueren Elitediskurses spielt, sicher wähnt, dass die eigene Unbildung nicht bemerkt wird.
Nun kann man ja angesichts seiner Vita nicht sagen, dass Herr Schloemann, der sich auskennt mit den Gedichten der Sappho, ungebildet sei, aber vielleicht ging es seinem Gymnasium ja am Ende wie dem Tithonus , der sich, vermittelt von seiner neuen Frau, der göttlichen Morgenröte, von den Göttern Unsterblichkeit gewünscht, aber vergessen hatte, ewige Jugend dazuzubestellen, so dass er immer älter und gebrechlicher wurde, ohne je zu sterben.
Oder das Erstellen von Pressemappen für die Initiative neue Soziale Marktwirtschaft hat ihm, also Schloemann und nicht Tithonus, zu diesem fatalen Klassenbewusstsein verholfen...
Die von Schloemann ja richtig wahrgenommenen Probleme des Gymnasiums (siehe auch Abitur in Deutschland - Falsch Gm8) werden z.B. im Pädagogischen Journal denn doch differenzierer diskutiert; empfohlen seien
- Ulrich Herrmann -- Das dreigliedrige Schulsystem darf keine Zukunft haben!
- Hermann Lange, Staatsrat a.D. -- Welches Steuerungswissen liefern Schulleistungsstudien für Bildung
denen die obigen Abbildungen entnommen wurden; sowie
- Heike Solga / Rosine Dombrowski -- Soziale Ungleichheiten in schulischer und außerschulischer Bildung - Arbeitspapier 171 (März 2009), hrsg. von der Hans-Böckler-Stiftung
oder auch:
Jürgen Oelkers; Gymnasialpädagogik: Erwartungen und Chancen einer Adressaten bezogenen Disziplin
Und - wahrscheinlich doch nicht abschließend, aber weil es not-wendig ist - noch einmal
Vier unabweisbare Fragen
Andreas Gruschka, Bürgerliche Kälte und Pädagogik – Moral in Gesellschaft und Erziehung
Wetzlar: Büchse der Pandora, 1994, S. 144
Schloemann will gegen die, die meinen, man müsse wegen der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im globalen Bla (so sagt er das natürlich nicht) noch mehr Jugendliche das Abitur machen und sie studieren lassen, die Leistung des Gymnasiums bei der Rekrutierung von (guten!) Funktionseliten in Stellung bringen und aktiviert dazu allerlei recht hübsche bildungsbürgerliche Affekte. Geschickt vereinnahmt er auch oppositionellen Geist, indem er als Beispiele für nicht so gut gymnasial gebildete Funktionseliten "Vorstandvorsitzende, ... die kaum einen klaren deutschen Satz formulieren können", und den Herrn zu Guttenberg einführt, dem "jeder gute Deutschlehrer ... vieles als schwülstig, redundant und nichtssagend anstreichen müsste". Oyoyoy!
Der vermeintlich kritische Gestus erweist sich aber als dümmliche Überheblichkeit, denn "nichtsagend und redundant" kann Schloemann selbst ziemlich gut daherreden, "schwülstig" eigentlich auch ... :
Er deliriert ein Gymnasium, das es nie gegeben hat; die angeblich demokratische Tradition des deutschen Gymnasiums ist eine Schimäre, es sei denn, man begreift Demokratie slaughterhousemäßig als Gönnertum ("... aber das Gymnasium des 19. Jahrhunderts ließ durchaus schon das Kleinbürgertum und Handwerkersöhne herein ..."): Wann hat denn das deutsche Gymnasium die guten, d.h. gebildeten Funktionseliten hervorgebracht, die dort "genaue Analyse, differenzierte Interpretation und kritisches Denken eingeübt (hätten), mit der Absicht eine souveräne Persönlichkeit zur Entfaltung zu bringen, die sich auch dem Schwierigen und dem Unbekannten erfolgreich stellen kann." ??
Im 19. Jahrhundert? In der Weimarer Republik, deren Funktionseliten - soweit nicht ausgebürgert oder ermordet - so geschmeidig Ausbürgerung und Massenmord exekutierten? Dann muss es wohl in den frühen 50er Jahren gewesen sein, als das Gymnasium so funktionierte, wie Schloemann meint, denn schon "im Laufe der Nachkriegszeit ließ man es geschehen - teils ideologisch gewollt, teils vom wachsenden Wohlstand verführt [das versteht jetzt gar keiner mehr ...], dass das Gymnasium zusehends zum Opfer seines eigenen Erfolges wurde. Man ließ Schritt für Schritt immer mehr Schüler aufs Gymnasium und reduzierte, damit einhergehend, den Anspruch ..." Also in den 60ern ff.
Das sind die beiden Figuren, mit denen Schloemann - redundant wie nochwas - operiert:
1. Der "Anspruch" wird (weiter) gesenkt bis hin zum "Nicht-Anspruch" ...
Anspruch, hoher - auf der einen Seite und Bereitschaft, sich dem Anspruch zu unterwerfen, mit der Perspektive "einen jener höheren Berufe zu ergreifen" - auf der anderen Seite; - eine doch wohl etwas unterkomplexe Modellierung schulischen Lernens!

2. "Man" = das Subjekt: entweder - wie oben - das Gymnasium selbst - oder hier: ideologisch Verblendete ... weiter unten wird er scheinbar genauer, wenn er "diese Entkernung hinter der schönen backsteinernen Gymnasialfassade" [Schwulst!] zum "gemeinsame(n) Projekt von linken Egalitaristen und rechten Technokraten" hochjazzt, um schließlich nicht "nur Politik und Lehrer und hereindrängende Einwandererfamilien", sondern auch "die angeblich bildungsbeflissenen Mittelschichten" als Schuldige auszumachen.
All dem liegt eine dritte Denkfigur zugrunde, die verquast formuliert, aber nicht ausgeführt, geschweige denn empirisch unterfüttert wird:
"So viele Abiturienten, das liegt unmittelbar auf der Hand, können weder selbst alle geeignet sein, höhere Berufe auszuüben, noch können ihnen dafür ausreichend Stellen zur Verfügung stehen."

Klassenbewusstsein heute ist, wenn man behaupten kann, was nicht zu belegen ist, dass also etwa der Anteil der Studierfähigen in einer Gesellschaft nicht erhöht werden kann, also wohl als biologische Konstante angenommen werden muss, und das mit einer Argumentation vorträgt, die keiner Prüfung standhält, die sich aber, da sie mit den Versatzstücken des neueren Elitediskurses spielt, sicher wähnt, dass die eigene Unbildung nicht bemerkt wird.
Nun kann man ja angesichts seiner Vita nicht sagen, dass Herr Schloemann, der sich auskennt mit den Gedichten der Sappho, ungebildet sei, aber vielleicht ging es seinem Gymnasium ja am Ende wie dem Tithonus , der sich, vermittelt von seiner neuen Frau, der göttlichen Morgenröte, von den Göttern Unsterblichkeit gewünscht, aber vergessen hatte, ewige Jugend dazuzubestellen, so dass er immer älter und gebrechlicher wurde, ohne je zu sterben.
Oder das Erstellen von Pressemappen für die Initiative neue Soziale Marktwirtschaft hat ihm, also Schloemann und nicht Tithonus, zu diesem fatalen Klassenbewusstsein verholfen...
Die von Schloemann ja richtig wahrgenommenen Probleme des Gymnasiums (siehe auch Abitur in Deutschland - Falsch Gm8) werden z.B. im Pädagogischen Journal denn doch differenzierer diskutiert; empfohlen seien
- Ulrich Herrmann -- Das dreigliedrige Schulsystem darf keine Zukunft haben!
- Hermann Lange, Staatsrat a.D. -- Welches Steuerungswissen liefern Schulleistungsstudien für Bildung
denen die obigen Abbildungen entnommen wurden; sowie
- Heike Solga / Rosine Dombrowski -- Soziale Ungleichheiten in schulischer und außerschulischer Bildung - Arbeitspapier 171 (März 2009), hrsg. von der Hans-Böckler-Stiftung
oder auch:
Jürgen Oelkers; Gymnasialpädagogik: Erwartungen und Chancen einer Adressaten bezogenen Disziplin
Und - wahrscheinlich doch nicht abschließend, aber weil es not-wendig ist - noch einmal
Vier unabweisbare Fragen
(1.) Wie kann durch Bildung die nachwachsende Generation zu Urteil und Kritik, zu Selbständigkeit, Selbstverantwortung und Individualität, aber auch zu gesellschaftlicher Funktionalität und Solidarität befähigt werden?
(2.) Wie kann durch Erziehung erreicht werden, dass die Kinder nicht ihrer Freude, ihrer Neugier, ihrer Phantasie und ihrer Selbstachtung beraubt, sondern in ihren Kräften gestärkt werden und sich erfolgreich in der Gesellschaft bewegen lernen?
(3.) Wie kann durch Didaktik den Lernenden geholfen werden, in möglichst produktiv genutzter Zeit möglichst viel zu lernen, wie kann mit ihr möglichst viel an Einsichten und Kompetenzen vermittelt werden, und zwar insbesondere denen, die auf Hilfe und deswegen auf Didaktik angewiesen sind, weil sie noch nicht selbständig lernen können?
(4.) Wie kann das öffentliche Schulwesen und der Unterricht gerechte Chancen zur Bildung und Erziehung eröffnen, so dass jeder lernen kann, was er lernen könnte und will, und zugleich die Bedürfnisse der arbeitsteiligen Gesellschaft erfüllt werden?
Die so formulierten Problemstellungen dürften weitgehend Konsens finden, dennoch ist strittig, welche Pädagogik praktisch aus ihnen folgen sollte, oder genauer: wie sie durch geeignete curriculare Bildungsangebote, Verkehrsformen zwischen Lehrern und Schülern, didaktische Verfahrensweisen und Schulorganisationsformen ausbuchstabiert und konsequent gehandhabt werden sollten.
Andreas Gruschka, Bürgerliche Kälte und Pädagogik – Moral in Gesellschaft und Erziehung
Wetzlar: Büchse der Pandora, 1994, S. 144
gebattmer - 2010/02/08 23:19
Gruß aus Bangkok.