Not-wendige Ent-Täuschung(en): John Banville "Im Lichte der Vergangenheit /Ancient Light"
Irgend wann einmal kam mir der Gedanke, dass Altern, weil es ja laufend bzw. zumindest anlässlich von Bruchstellen im Leben (oder trivial: runden Geburtstagen) eine Infragestellung dessen bedeutet, was man bis dato für seine Biografie gehalten hat, Not-wendige Ent-Täuschungen mit sich bringt (bzw. verlangt?).
Notwendig ist offenbar etwas, ein Impuls (ein Ereignis, ein Gedanke, ein Augen-Blick) und die Reflexion, die dadurch ausgelöst wird, um Not zu wenden und weitere Not abzuwenden. Die Voraussetzung für ein Wenden der Not wäre - produktive - Ent-Täuschung.
Wir kehren damit zur ursprünglichen Bedeutung der Enttäuschung zurück:
Das zugrundeliegende Verb enttäuschen wurde im 19. Jahrhundert als erfolgreiches Ersatzwort für die aus der französischen Sprache entlehnten Fremdwörter „detrompieren“ (détromper) und „desabusieren“ (désabuser) gebildet. Es hatte zunächst die positive Bedeutung „aus einer Täuschung herausreißen“ ...
Das fiel mir wieder ein, als ich John Banvilles "Im Lichte der Vergangenheit" (Ancient Light) zu lesen begann (siehe links unten GBlog&read). Nun habe ich die Lektüre beendet und diese Lektüre - genauer gesagt ihre Beendigung - hat mich zutiefst verstört. Nicht dass ich enttäuscht wäre (im landläufigen Sinne des Wortes), aber ent-täuscht bin ich auch nicht.
Worum es in dem Roman geht und wie er im hiesigen Feuilleton aufgenommen wurde, können Sie beim Perlentaucher nachlesen; eine sehr kluge und aufschlussreiche Rezension finden Sie im New Yorker: Doubling Down - John Banville’s complicated lives. By Joan Acocella und eine ebenfalls lesenswerte im Guardian: Tim Adams applauds John Banville's gift for sensory detail as his actor hero retreats into recalled teenage lust.
Eine Leseprobe gibt es hier bei Kiepenheuer & Witsch!
Unbedingt zu empfehlen! Banville findet Worte, die Sie so noch nicht gelesen/gehört haben - ein Sensualist, gerade wenn es um Körperlichkeit geht - so in der Schilderung der Begegnungen des 15jähigen mit der wunderbaren Mrs. Gray:
... the most striking thing about the book is the language, schreibt Joan Acocella im New Yorker (s. o.) Line after line is stuffed with poetic effects—alliteration, assonance, repetition, cadence. Here is Banville on spring: “Remember what April was like when we were young, that sense of liquid rushing and the wind taking blue scoops out of the air and the birds beside themselves in the budding trees?” On sex: “She granted me full freedom of her body, that opulent pleasure garden where I sipped and sucked, dazed as a bumble-bee in full-blown summer.... This rosy cincture encircling her middle stirred me deeply, suggestive as it was of tender punishment, exquisite suffering . . . and I would lie with my cheek resting on her midriff and trace the crimpled line of it with a slow fingertip, my breath stirring the shiny dark hairs at the base of her belly and in my ear the pings and plonks of her innards at their ceaseless work of transubstantiation. The skin was always hotter along that uneven, narrow track left by the elastic, where the blood crowded protectively to the surface.” -
Ich zitiere das hier lieber mal im Original, kann Ihnen aber versichern, dass die Übersetzung von Christa Schuenke kongenial ist.
Was also lässt mich so verstört zurück? Die Rezensionen gehen darauf nicht ein (wohl auch weil sie nicht verraten dürfen, wie die Geschichte ausgeht - und sie geht ja nicht aus ...) : Es gibt Momente bei der Lektüre, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen (- und da sehe ich nicht den Illusionsraum gestört wie Ursula März in der ZEIT):
Da ist einmal die Stelle, wo sich herausstellt, das die Erinnerungskonstruktion des Ich-Erzählers in einem Punkt völlig falsch ist und damit zusammenbricht; dann die:
"Unter meinem Handgelenk spürte ich ihre Rippen und fühlte ihr Herz schlagen" [so der Ich-Erzähler bei Dawn Devonport]. "Stell dir vor, ich bin deine Tochter", sagte sie. "Tu einfach so, als ob ich sie bin."
- so verstörend wie die letzte Szene, in der der Ich-Erzähler von den Nächten berichtet, in denen er nicht schlafen konnte ... etwas, das sich offenbar bei seiner Tochter wiederholt hat ...
Diese Spuren, die Blanville legt, nicht zusammenfügen zu können lässt mich verstört zurück ...
Muss ich meine Theorie der Not-wendigen Ent-Täuschungen nochmal überdenken?
Vielleicht hilft dies sehr schöne Video zu Wilco's sehr schönem Song "Wishful Thinking"!?
Notwendig ist offenbar etwas, ein Impuls (ein Ereignis, ein Gedanke, ein Augen-Blick) und die Reflexion, die dadurch ausgelöst wird, um Not zu wenden und weitere Not abzuwenden. Die Voraussetzung für ein Wenden der Not wäre - produktive - Ent-Täuschung.
Wir kehren damit zur ursprünglichen Bedeutung der Enttäuschung zurück:
Das zugrundeliegende Verb enttäuschen wurde im 19. Jahrhundert als erfolgreiches Ersatzwort für die aus der französischen Sprache entlehnten Fremdwörter „detrompieren“ (détromper) und „desabusieren“ (désabuser) gebildet. Es hatte zunächst die positive Bedeutung „aus einer Täuschung herausreißen“ ...
Das fiel mir wieder ein, als ich John Banvilles "Im Lichte der Vergangenheit" (Ancient Light) zu lesen begann (siehe links unten GBlog&read). Nun habe ich die Lektüre beendet und diese Lektüre - genauer gesagt ihre Beendigung - hat mich zutiefst verstört. Nicht dass ich enttäuscht wäre (im landläufigen Sinne des Wortes), aber ent-täuscht bin ich auch nicht.
Worum es in dem Roman geht und wie er im hiesigen Feuilleton aufgenommen wurde, können Sie beim Perlentaucher nachlesen; eine sehr kluge und aufschlussreiche Rezension finden Sie im New Yorker: Doubling Down - John Banville’s complicated lives. By Joan Acocella und eine ebenfalls lesenswerte im Guardian: Tim Adams applauds John Banville's gift for sensory detail as his actor hero retreats into recalled teenage lust.
Eine Leseprobe gibt es hier bei Kiepenheuer & Witsch!
Unbedingt zu empfehlen! Banville findet Worte, die Sie so noch nicht gelesen/gehört haben - ein Sensualist, gerade wenn es um Körperlichkeit geht - so in der Schilderung der Begegnungen des 15jähigen mit der wunderbaren Mrs. Gray:
... the most striking thing about the book is the language, schreibt Joan Acocella im New Yorker (s. o.) Line after line is stuffed with poetic effects—alliteration, assonance, repetition, cadence. Here is Banville on spring: “Remember what April was like when we were young, that sense of liquid rushing and the wind taking blue scoops out of the air and the birds beside themselves in the budding trees?” On sex: “She granted me full freedom of her body, that opulent pleasure garden where I sipped and sucked, dazed as a bumble-bee in full-blown summer.... This rosy cincture encircling her middle stirred me deeply, suggestive as it was of tender punishment, exquisite suffering . . . and I would lie with my cheek resting on her midriff and trace the crimpled line of it with a slow fingertip, my breath stirring the shiny dark hairs at the base of her belly and in my ear the pings and plonks of her innards at their ceaseless work of transubstantiation. The skin was always hotter along that uneven, narrow track left by the elastic, where the blood crowded protectively to the surface.” -
Ich zitiere das hier lieber mal im Original, kann Ihnen aber versichern, dass die Übersetzung von Christa Schuenke kongenial ist.
Was also lässt mich so verstört zurück? Die Rezensionen gehen darauf nicht ein (wohl auch weil sie nicht verraten dürfen, wie die Geschichte ausgeht - und sie geht ja nicht aus ...) : Es gibt Momente bei der Lektüre, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen (- und da sehe ich nicht den Illusionsraum gestört wie Ursula März in der ZEIT):
Da ist einmal die Stelle, wo sich herausstellt, das die Erinnerungskonstruktion des Ich-Erzählers in einem Punkt völlig falsch ist und damit zusammenbricht; dann die:
"Unter meinem Handgelenk spürte ich ihre Rippen und fühlte ihr Herz schlagen" [so der Ich-Erzähler bei Dawn Devonport]. "Stell dir vor, ich bin deine Tochter", sagte sie. "Tu einfach so, als ob ich sie bin."
- so verstörend wie die letzte Szene, in der der Ich-Erzähler von den Nächten berichtet, in denen er nicht schlafen konnte ... etwas, das sich offenbar bei seiner Tochter wiederholt hat ...
Diese Spuren, die Blanville legt, nicht zusammenfügen zu können lässt mich verstört zurück ...
Muss ich meine Theorie der Not-wendigen Ent-Täuschungen nochmal überdenken?
Vielleicht hilft dies sehr schöne Video zu Wilco's sehr schönem Song "Wishful Thinking"!?
gebattmer - 2014/05/18 18:16
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