Heinrich Heine: Die Götter Griechenlands. Nebst einem Beziehungskistengedicht von George Gordon Byron
Heinrich Heine: Buch der Lieder [1827]
Die Nordsee, Zweiter Zyklus VI
Vollblühender Mond! In deinem Licht,
Wie fließendes Gold, erglänzt das Meer;
Wie Tagesklarheit, doch dämmrig verzaubert,
Liegts über der weiten Strandesfläche;
Und am hellblaun, sternlosen Himmel
Schweben die weißen Wolken,
Wie kolossale Götterbilder
Von leuchtendem Marmor.
Nein, nimmermehr, das sind keine Wolken!
Das sind sie selber, die Götter von Hellas,
Die einst so freudig die Welt beherrschten,
Doch jetzt, verdrängt und verstorben,
Als ungeheure Gespenster dahinziehn
Am mitternächtlichen Himmel.
Staunend, und seltsam geblendet, betracht ich
Das luftige Pantheon,
Die feierlich stummen, graunhaft bewegten
Riesengestalten.
Der dort ist Kronion, der Himmelskönig,
Schneeweiß sind die Locken des Haupts,
Die berühmten, olymposerschütternden Locken.
Er hält in der Hand den erloschenen Blitz,
In seinem Antlitz liegt Unglück und Gram,
Und doch noch immer der alte Stolz.
Das waren bessere Zeiten, o Zeus,
Als du dich himmlisch ergötztest
An Knaben und Nymphen und Hekatomben;
Doch auch die Götter regieren nicht ewig,
Die jungen verdrängen die alten,
Wie du einst selber den greisen Vater
Und deine Titanen-Öhme verdrängt hast,
Jupiter Parricida!
Auch dich erkenn ich, stolze Juno!
Trotz all deiner eifersüchtigen Angst,
Hat doch eine andre das Zepter gewonnen,
Und du bist nicht mehr die Himmelskönigin,
Und dein großes Aug ist erstarrt,
Und deine Liljenarme sind kraftlos,
Und nimmermehr trifft deine Rache
Die gottbefruchtete Jungfrau
Und den wundertätigen Gottessohn.
Auch dich erkenn ich, Pallas Athene!
Mit Schild und Weisheit konntest du nicht
Abwehren das Götterverderben?
Auch dich erkenn ich, Aphrodite,
Einst die goldene! jetzt die silberne!
Zwar schmückt dich noch immer des Gürtels Liebreiz,
Doch graut mir heimlich vor deiner Schönheit,
Und wollt mich beglücken dein gütiger Leib,
Wie andere Helden, ich stürbe vor Angst –
Als Leichengöttin erscheinst du mir,
Venus Libitina!
Nicht mehr mit Liebe blickt nach dir,
Dort, der schreckliche Ares.
Es schaut so traurig Phöbos Apollo,
Der Jüngling. Es schweigt seine Leir,
Die so freudig erklungen beim Göttermahl.
Noch trauriger schaut Hephaistos,
Und wahrlich, der Hinkende! nimmermehr
Fällt er Heben ins Amt,
Und schenkt geschäftig, in der Versammlung,
Den lieblichen Nektar – Und längst ist erloschen
Das unauslöschliche Göttergelächter.
Ich hab euch niemals geliebt, ihr Götter!
Denn widerwärtig sind mir die Griechen,
Und gar die Römer sind mir verhaßt.
Doch heilges Erbarmen und schauriges Mitleid
Durchströmt mein Herz,
Wenn ich euch jetzt da droben schaue,
Verlassene Götter,
Tote, nachtwandelnde Schatten,
Nebelschwache, die der Wind verscheucht –
Und wenn ich bedenke, wie feig und windig
Die Götter sind, die euch besiegten,
Die neuen, herrschenden, tristen Götter,
Die schadenfrohen im Schafspelz der Demut –
O, da faßt mich ein düsterer Groll,
Und brechen möcht ich die neuen Tempel,
Und kämpfen für euch, ihr alten Götter,
Für euch und eur gutes, ambrosisches Recht,
Und vor euren hohen Altären,
Den wiedergebauten, den opferdampfenden,
Möcht ich selber knieen und beten,
Und flehend die Arme erheben –
Denn immerhin, ihr alten Götter,
Habt ihrs auch ehmals, in Kämpfen der Menschen,
Stets mit der Partei der Sieger gehalten,
So ist doch der Mensch großmütger als ihr,
Und in Götterkämpfen halt ich es jetzt
Mit der Partei der besiegten Götter.
Also sprach ich, und sichtbar erröteten
Droben die blassen Wolkengestalten,
Und schauten mich an wie Sterbende,
Schmerzenverklärt, und schwanden plötzlich.
Der Mond verbarg sich eben
Unter Gewölk, das dunkler heranzog;
Hochaufrauschte das Meer,
Und siegreich traten hervor am Himmel
Die ewigen Sterne.
Großartig ist die Geste, die historisch schon erledigten Götter dadurch endgültig zu verabschieden, dass der Mensch sich großmütiger zeigen kann als die Götter in ihren Kämpfen. Dass Götterkämpfe nicht Heines Sache sind, erweist sich in der Absage an die "neuen, herrschenden, tristen Götter" ( - der Märkte - die Troika drängt sich hier mit Macht gegenwartsbezugsmäßig in den Text!) und im Verschwindenlassen aller Gottheiten in der Natur - in der letzten Strophe -.
Was zu tun bleibt: "Und brechen möcht ich die neuen Tempel ..."
(Das zu lesen unserem neuen Tempelherrn zu empfehlen ist wohl vergeblich ...)
Angeregt mal wieder im Buch der Lieder zu lesen wurde ich durch Hartmut Finkeldeys kürzlich veröffentlichte, wie ich finde sehr gelungene - und sehr anregend kommentierte - Übersetzung von Byrons "When We Two Parted" (Byrons “when we two parted” – ein Beziehungskistengedicht - Kritik und Kunst)
WHEN we two parted
In silence and tears,
Half broken-hearted
To sever for years,
Pale grew thy cheek and cold,
Colder thy kiss;
Truly that hour foretold
Sorrow to this.
The dew of the morning
Sunk chill on my brow—
It felt like the warning
Of what I feel now.
Thy vows are all broken,
And light is thy fame:
I hear thy name spoken, 15
And share in its shame.
They name thee before me,
A knell to mine ear;
A shudder comes o’er me—
Why wert thou so dear?
They know not I knew thee,
Who knew thee too well:
Long, long shall I rue thee,
Too deeply to tell.
In secret we met—
In silence I grieve,
That thy heart could forget,
Thy spirit deceive.
If I should meet thee
After long years,
How should I greet thee?
With silence and tears.
... So weit, so traurig, so schön, so klar?
Nichts ist klar.
Das Gedicht, was immer sonst es noch sein mag, ist vor allem schlicht unverschämt, sogar infam. Sie hat sich ja ganz offenkundig von ihm getrennt, nicht umgekehrt – ... Ist das Gedicht romantisch? Ach Gottchen, ja, ist es wohl, aber es ist vor allem realistisch...
Die These, erst in der Frühmoderne, erst mit der Entwicklung des Kapitalismus habe sich so etwas wie ein romantisches Liebeskonzept etablieren können, sozusagen auch als Gegenpol zum „feindlichen Leben draußen“, davor hätten sich die Menschen immer bloß interessegesteuert gefunden, erscheint mir wie eine dialektisch verkehrte, also vorwärts gewandte Idylle. Ich bin da skeptisch... schreibt Finkeldey. Ich empfehle den Text ganz zu lesen - und vor allem Finkeldeys wunderbare Übersetzung des Byron-Gedichts, - wenn Sie vollkommene, poetisch unglaublich ausgewuchtete Gedichte mögen!!
Was das eine mit dem anderen zu tun hat? - Markt oder Liebe!
Auf ein Fundstück - Ergebnis eher flüchtiger Recherche im Internet Archive - sei noch hingewiesen:
Heinrich Heines Verhältnis zu Lord Byron
Inaugural- Dissertation zur Erlangung der philosophischen Doktorwürde der hohen philosophischen Fakultät der Universität Leipzig
vorgelegt von Felix Melchior 1902
Die Nordsee, Zweiter Zyklus VI
Vollblühender Mond! In deinem Licht,
Wie fließendes Gold, erglänzt das Meer;
Wie Tagesklarheit, doch dämmrig verzaubert,
Liegts über der weiten Strandesfläche;
Und am hellblaun, sternlosen Himmel
Schweben die weißen Wolken,
Wie kolossale Götterbilder
Von leuchtendem Marmor.
Nein, nimmermehr, das sind keine Wolken!
Das sind sie selber, die Götter von Hellas,
Die einst so freudig die Welt beherrschten,
Doch jetzt, verdrängt und verstorben,
Als ungeheure Gespenster dahinziehn
Am mitternächtlichen Himmel.
Staunend, und seltsam geblendet, betracht ich
Das luftige Pantheon,
Die feierlich stummen, graunhaft bewegten
Riesengestalten.
Der dort ist Kronion, der Himmelskönig,
Schneeweiß sind die Locken des Haupts,
Die berühmten, olymposerschütternden Locken.
Er hält in der Hand den erloschenen Blitz,
In seinem Antlitz liegt Unglück und Gram,
Und doch noch immer der alte Stolz.
Das waren bessere Zeiten, o Zeus,
Als du dich himmlisch ergötztest
An Knaben und Nymphen und Hekatomben;
Doch auch die Götter regieren nicht ewig,
Die jungen verdrängen die alten,
Wie du einst selber den greisen Vater
Und deine Titanen-Öhme verdrängt hast,
Jupiter Parricida!
Auch dich erkenn ich, stolze Juno!
Trotz all deiner eifersüchtigen Angst,
Hat doch eine andre das Zepter gewonnen,
Und du bist nicht mehr die Himmelskönigin,
Und dein großes Aug ist erstarrt,
Und deine Liljenarme sind kraftlos,
Und nimmermehr trifft deine Rache
Die gottbefruchtete Jungfrau
Und den wundertätigen Gottessohn.
Auch dich erkenn ich, Pallas Athene!
Mit Schild und Weisheit konntest du nicht
Abwehren das Götterverderben?
Auch dich erkenn ich, Aphrodite,
Einst die goldene! jetzt die silberne!
Zwar schmückt dich noch immer des Gürtels Liebreiz,
Doch graut mir heimlich vor deiner Schönheit,
Und wollt mich beglücken dein gütiger Leib,
Wie andere Helden, ich stürbe vor Angst –
Als Leichengöttin erscheinst du mir,
Venus Libitina!
Nicht mehr mit Liebe blickt nach dir,
Dort, der schreckliche Ares.
Es schaut so traurig Phöbos Apollo,
Der Jüngling. Es schweigt seine Leir,
Die so freudig erklungen beim Göttermahl.
Noch trauriger schaut Hephaistos,
Und wahrlich, der Hinkende! nimmermehr
Fällt er Heben ins Amt,
Und schenkt geschäftig, in der Versammlung,
Den lieblichen Nektar – Und längst ist erloschen
Das unauslöschliche Göttergelächter.
Ich hab euch niemals geliebt, ihr Götter!
Denn widerwärtig sind mir die Griechen,
Und gar die Römer sind mir verhaßt.
Doch heilges Erbarmen und schauriges Mitleid
Durchströmt mein Herz,
Wenn ich euch jetzt da droben schaue,
Verlassene Götter,
Tote, nachtwandelnde Schatten,
Nebelschwache, die der Wind verscheucht –
Und wenn ich bedenke, wie feig und windig
Die Götter sind, die euch besiegten,
Die neuen, herrschenden, tristen Götter,
Die schadenfrohen im Schafspelz der Demut –
O, da faßt mich ein düsterer Groll,
Und brechen möcht ich die neuen Tempel,
Und kämpfen für euch, ihr alten Götter,
Für euch und eur gutes, ambrosisches Recht,
Und vor euren hohen Altären,
Den wiedergebauten, den opferdampfenden,
Möcht ich selber knieen und beten,
Und flehend die Arme erheben –
Denn immerhin, ihr alten Götter,
Habt ihrs auch ehmals, in Kämpfen der Menschen,
Stets mit der Partei der Sieger gehalten,
So ist doch der Mensch großmütger als ihr,
Und in Götterkämpfen halt ich es jetzt
Mit der Partei der besiegten Götter.
Also sprach ich, und sichtbar erröteten
Droben die blassen Wolkengestalten,
Und schauten mich an wie Sterbende,
Schmerzenverklärt, und schwanden plötzlich.
Der Mond verbarg sich eben
Unter Gewölk, das dunkler heranzog;
Hochaufrauschte das Meer,
Und siegreich traten hervor am Himmel
Die ewigen Sterne.
Großartig ist die Geste, die historisch schon erledigten Götter dadurch endgültig zu verabschieden, dass der Mensch sich großmütiger zeigen kann als die Götter in ihren Kämpfen. Dass Götterkämpfe nicht Heines Sache sind, erweist sich in der Absage an die "neuen, herrschenden, tristen Götter" ( - der Märkte - die Troika drängt sich hier mit Macht gegenwartsbezugsmäßig in den Text!) und im Verschwindenlassen aller Gottheiten in der Natur - in der letzten Strophe -.
Was zu tun bleibt: "Und brechen möcht ich die neuen Tempel ..."
(Das zu lesen unserem neuen Tempelherrn zu empfehlen ist wohl vergeblich ...)
Angeregt mal wieder im Buch der Lieder zu lesen wurde ich durch Hartmut Finkeldeys kürzlich veröffentlichte, wie ich finde sehr gelungene - und sehr anregend kommentierte - Übersetzung von Byrons "When We Two Parted" (Byrons “when we two parted” – ein Beziehungskistengedicht - Kritik und Kunst)
WHEN we two parted
In silence and tears,
Half broken-hearted
To sever for years,
Pale grew thy cheek and cold,
Colder thy kiss;
Truly that hour foretold
Sorrow to this.
The dew of the morning
Sunk chill on my brow—
It felt like the warning
Of what I feel now.
Thy vows are all broken,
And light is thy fame:
I hear thy name spoken, 15
And share in its shame.
They name thee before me,
A knell to mine ear;
A shudder comes o’er me—
Why wert thou so dear?
They know not I knew thee,
Who knew thee too well:
Long, long shall I rue thee,
Too deeply to tell.
In secret we met—
In silence I grieve,
That thy heart could forget,
Thy spirit deceive.
If I should meet thee
After long years,
How should I greet thee?
With silence and tears.
... So weit, so traurig, so schön, so klar?
Nichts ist klar.
Das Gedicht, was immer sonst es noch sein mag, ist vor allem schlicht unverschämt, sogar infam. Sie hat sich ja ganz offenkundig von ihm getrennt, nicht umgekehrt – ... Ist das Gedicht romantisch? Ach Gottchen, ja, ist es wohl, aber es ist vor allem realistisch...
Die These, erst in der Frühmoderne, erst mit der Entwicklung des Kapitalismus habe sich so etwas wie ein romantisches Liebeskonzept etablieren können, sozusagen auch als Gegenpol zum „feindlichen Leben draußen“, davor hätten sich die Menschen immer bloß interessegesteuert gefunden, erscheint mir wie eine dialektisch verkehrte, also vorwärts gewandte Idylle. Ich bin da skeptisch... schreibt Finkeldey. Ich empfehle den Text ganz zu lesen - und vor allem Finkeldeys wunderbare Übersetzung des Byron-Gedichts, - wenn Sie vollkommene, poetisch unglaublich ausgewuchtete Gedichte mögen!!
Was das eine mit dem anderen zu tun hat? - Markt oder Liebe!
Auf ein Fundstück - Ergebnis eher flüchtiger Recherche im Internet Archive - sei noch hingewiesen:
Heinrich Heines Verhältnis zu Lord Byron
Inaugural- Dissertation zur Erlangung der philosophischen Doktorwürde der hohen philosophischen Fakultät der Universität Leipzig
vorgelegt von Felix Melchior 1902
gebattmer - 2012/06/20 19:10
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