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Archäologie (CCCLIV): November 1989 - Archäologie hat mit Graben zu tun: Man kann sich die Geschichte länglich denken. Sie ist aber ein Haufen.

Wenn Sie zu wohltuender Ernüchterung der Maueröffnungs-Besoffenheit mal einen wirklich guten Film sehen möchten, empfehle ich
MATERIAL (2009)
Grand Prix FID Marseille
Dokumentarfilm, D 2009, 166 Min., HDCAM/Digital Betacam
sw/Farbe, 16:9 pillar box
Zur DVD finden Sie hier: Edition filmmuseum 56
Das Booklet der DVD als PDF finden Sie hier.

Man kann sich die Geschichte länglich denken. Sie ist aber ein Haufen.

Der Film MATERIAL enthält Beobachtungen, Szenen, Fragmente, Geschichten und Vorgänge. Bilder von den späten achtziger Jahren in der DDR bis in die unmittelbare Gegenwart des Jahres 2008 in Deutschland. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft spiegeln darin einander. Es ist mein Bild. (Thomas Heise)



Den englischen Text zum Ausschnitt finde ich noch treffender:
One might conceive of history as being of oblong shape, in reality, however, it is a dense cluster.
It starts with the laughter of children. Images from the late 80ies in the GDR to the immediate present of the year 2008 in Germany.
Those residual images have besieged my head, constantly reassembling themselves into new shapes that are further and further removed from their original meaning and function. They remain in motion. They become history.
The material remains incomplete. It consists of what I held on to, what remained important to me. It is my picture.


Es ist eben nicht nur his picture - wie jedes Knopp-like Zeitzeugen seins -, sondern im reassembling entsteht Geschichtsschreibung. Etwas anderes als verfilmte Geschichtspolitik, mit der wir zugedröhnt werden.
    Thomas Heise
    Archäologie hat mit Graben zu tun

    Archäologie hat mit Graben zu tun, der Tätigkeit des Maulwurfs, der im Vergrabenen lebt. Der
    Maul wurf ist nahezu blind, doch er hat eine Nase und ein Gespür, das ihn finden lässt, und er hat
    die Geduld, das Gefundene zu sammeln. Er sammelt Vorräte, den Winter zu überstehen.
    In Diktaturen geht es darum, verborgene Vorräte an Bildern und Worten anzulegen, die zeigen, was
    in Diktaturen zwar am eigenen Leibe zu erfahren, nicht aber ohne weiteres zu sehen und zu hören
    ist, um dann, wenn die Diktatur einmal nicht mehr ist, Zeugnis von ihr abzulegen. Auch diese
    Arbeit braucht eine Nase und etwas Übung, denn selten zeigt ein Bild sogleich was es darstellt,
    oder lässt ein Ton uns hören, was er unerhörtes enthält. In anderen Gegenden oder Zeiten, in
    denen alles gleichzeitig öffentlich sicht- und hörbar scheint, ist nur schwierig zu erkennen, was
    sich dahinter oder darunter tatsächlich verbirgt. Ganz abgesehen davon dass solche Überfülle suggeriert,
    diese spiegelnde Fläche, dieser beliebige Klang sei ein Alles, das es für jeden zu sehen oder
    zu hören gäbe. Dem ist selbstverständlich nicht so. Man hat andere Probleme, die sich bald als
    ähnliche herausstellen. Und mit solchen Problemen hat sich auch Dokumentarfilm herumzu -
    schlagen.
Matthias Dell erzählt im FREITAG von heute (S. 22) Wie Thomas Heise mit einer Westfernsehkamera Bilder machte, die die Bilder des Westfernsehens dementieren:
Dell beginnt mit diesem Screenshot aus diesem Filmausschnitt: Demo Alex 04.11.1989 - Gregor Gysi

    Aber es geht hier nicht um Gregor Gysi,
    sondern um den Mann daneben bezie-
    hungsweise dahinter. Kein Mensch kennt
    am 4. November 1989 Thomas Heise, dabei
    steht und filmt er im Zentrum der Weltauf-
    merksamkeit, direkt neben den Markus
    und Christa Wolfs, Stefan Heyms, Steffie
    Spiras, die an diesem Samstagvormittag
    auf die Bühne steigen, errichtet auf einem
    Lkw vor dem Haus des Reisens. Den Platz,
    den Heise eingenommen hat, gab es offizi-
    ell nicht, er musste eingenommen werden
    (legitimiert durch einen Wisch, den er sich
    hatte unterschreiben lassen als Teil der
    Gruppe, die in den Theatern die Demons-
    tration organisierte).
    Drehen konnte Heise, weil er eine eigene
    Kamera besaß. Die hatte er einige Zeit zuvor
    über Heiner Müller von einer Westberliner
    Produktionsfirma bekommen, um Müllers
    Theaterarbeit zu dokumentieren. Der ur-
    sprüngliche Plan sah vor, dass ein öffentli-
    cher-rechtlicher Sender aus Heises Material
    ein Feature zusammengeschnitten hätte
    über die Subversion in der DDR oder dissi-
    dente Bühnenkunst. Dass Heise sich dem
    verweigert hat, ist eine schöne Ironie der
    deutschen Geschichtsfilmproduktion: Die
    Westfernsehkamera, die mit eindeutigen
    Absichten in die DDR gebracht wird, errnög-
    licht Aufnahmen, die 20 Jahre später das
    Bild dementieren, das das vereinigte West-
    fernsehen von dieser DDR pausenlos macht.
    Heises Material (2009) ist der klügste und
    größte Film über 1989....

Archäologie hat mit Graben zu tun!

Tolle Geschichte, oder?!

Zur Sache noch (Was aber ist die Sache?):
-
War es nur der Situation geschuldet, dass am 9. November die DDR-Grenze unter derart chaotischen Umständen geöffnet wurde? Oder auch Kalkül? (Lutz Herden im Freitag)
- Egon Krenz: Schabowskis "Versprecher" am 9. November 1989
- Fritz Streletz, NVA Generaloberst, zur Befehlslage der NVA am 9 November 1989
- CRISIS , WHAT CRISIS ? (IX): Aus der Geschichte lernen - DDR/BRD 1989

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Wise Man Says

"Es gibt so viele Arschloch-Typen wie es menschliche Funktionen, Tätigkeiten und Interessengebiete gibt. Und auf jedem Gebiet kann das Verhältnis von AQ zu IQ ein anderes sein. Kein noch so kopfdenkerisches Verhalten bei einem Thema bietet Gewähr dafür, dass nicht schon beim nächsten der Arschdenk mit voller Wucht einsetzt." Charles Lewinsky, Der A-Quotient

Wise Man Says II

"The illusion of freedom will continue as long as it's profitable to continue the illusion. At the point where the illusion becomes too expensive to maintain, they will just take down the scenery, they will pull back the curtains, they will move the tables and chairs out of the way and you will see the brick wall at the back of the theater." Frank Zappa

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