NOx (I): Machtstrukturen als Entwicklungsblockade - Vom EA 48 zum EA 189
- Nordhoff könnte zufrieden sein - das Ende der Käfer-Ära ist in Sicht. Nur: Das Auto, das der VW-Boss insgeheim so schnell wie möglich loswerden will, hatte sich inzwischen zum Verkaufsschlager gemausert. Und zum Symbol des deutschen Wirtschaftswunders: Täglich rollen 1200 Käfer aus der Wolfsburger Fabrik. Mehr als 40 Prozent aller in Deutschland neu zugelassenen Personenwagen tragen das VW-Emblem und auch im Ausland boomt das Geschäft der Wolfsburger.
Dieser Erfolg bringt Nordhoff offenbar in einen Gewissenskonflikt. Einerseits will er unbedingt einen neuen Typ herausbringen, doch andererseits läuft der Käfer weiterhin so gut, dass überhaupt kein Grund für einen Modellwechsel besteht. "Solange man ein Modell so gut absetzen kann wie unseres, ist es klüger und wirtschaftlicher, dieses Modell weiterzuentwickeln", wird der VW-Chef im August 1955 im Nachrichtenmagazin Der Spiegel zitiert...
Jetzt schreibt man bereits das Jahr 1965. Mehr als 15 Jahre lang hatte man diskutiert und experimentiert, um einen Nachfolger für den Käfer zu finden und neue Modelle auf den Markt zu bringen. Alles vergebens. Als Heinrich Nordhoff im April 1968 stirbt, zählt man mehr als 70 verschiedene Prototypen, die unter seiner Regie entstanden waren - Autos ohne Zukunft, deren Entwicklung einen Milliardenbetrag gekostet hat...
Mit dem Clean Diesel lief's offenbar ähnlich wie mit dem Luftboxer. Ferdinand Pieck (Tippfehler bleibt stehen, s. u. Mittag!): "Ich bin nicht gern Zweiter!" = der TDI als hochgejazzter Käfer: Höllenmaschine EA 189; Süddeutsche Zeitung 5. Oktober 2015.
Das System ist offensichtlich unfähig zum notwendigen Paradigmenwechsel. Machtstrukturen und betriebswirtschaftliches Quartalskennzifferndenken halten die im System Gefangenen gefangen im Worship Oil (auch dies ein alter Eintrag - von 2012):
700 Intellektuelle beten einen Öltank an
Von Bertolt Brecht - Simplicissimus vom 11.02.1929
Ohne Einladung
Sind wir gekommen
Siebenhundert (und viele sind noch unterwegs)
Überall her,
Wo kein Wind mehr weht,
Von den Mühlen, die langsam mahlen, und
Von den Öfen, hinter denen es heißt,
Daß kein Hund mehr vorkommt.
Und haben Dich gesehen
Plötzlich über Nacht,
Öltank.
Gestern warst Du noch nicht da,
Aber heute
Bist nur Du mehr.
Eilet herbei, alle,
Die ihr absägt den Ast, auf dem ihr sitzet,
Werktätige!
Gott ist wiedergekommen
In Gestalt eines Öltanks.
Du Häßlicher,
Du bist der Schönste!
Tue uns Gewalt an,
Du Sachlicher!
Lösche aus unser Ich!
Mache uns kollektiv!
Denn nicht wie wir wollen,
Sondern wie Du willst.
Du bist nicht gemacht aus Elfenbein und Ebenholz,
sondern aus Eisen.
Herrlich, herrlich, herrlich!
Du Unscheinbarer!
Du bist kein Unsichtbarer,
Nicht unendlich bist Du!
Sondern sieben Meter hoch.
In Dir ist kein Geheimnis,
Sondern Öl,
Und Du verfährst mit uns
Nicht nach Gutdünken, noch unerforschlich,
Sondern nach Berechnung.
Was ist für Dich ein Gras?
Du sitzest darauf.
Wo ehedem ein Gras war,
Da sitzest jetzt Du, Öltank!
Und vor Dir ist ein Gefühl
Nichts.
Darum erhöre uns
Und erlöse uns von dem Übel des Geistes
Im Namen der Elektrifizierung,
Der Ratio und der Statistik!
Und noch eine interessante Parallele:
Wolfram Liedtke wusste schon früh, wie das alles enden würde. 1987 war das, da stellte Liedtke, der junge Ingenieur, einem Mann namens Günter Mittag einen neuen Wartburg vor. Mittag war damals Mitglied des SED-Politbüros und für Wirtschaftsfragen zuständig. Und dieser Mittag sagte: "Neuer Wartburg? Wir haben kein Geld für so was. Was soll das?"
Liedtke war Werksleiter des volkseigenen Automobilwerks Eisenach, das 1990 zur Filiale von GM wurde: Wende-Manöver; Süddeutsche Zeitung 18. September 2015.
gebattmer - 2015/10/06 18:22
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