Campo di Fiori - Czesław Miłosz
Als Mitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft erhalte ich regelmäßig Dialog - Das Deutsch-Polnische Magazin. Nicht immer interessiert mich alles, aber immer die hervorragende polnische Grafik und diesmal eigentlich das gesamte Heft zum Thema Polen denkt Europa. Es sei hiermit empfohlen.
Dem Heft liegt eine Audio-CD bei mit Gedichten von Czesław Miłosz, gelesen von Barbara Nüsse, Teil eines Projekts anlässlich der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft Polens (von der man eigentlich recht wenig hört, weil andere laut tönend die EU übernommen haben): The Polish Presidency's tribute to the legacy of Miłosz is just as vibrant, featuring recitations, stagings and concerts of works inspired by the Nobel Prize winning writer. The flagship programme is focused on the publication of ten new audiobooks of select poems by Czesław Miłosz, recorded by recognised actors and writers in ten capitals across Europe and Asia.
Besonders berührt hat mich
Czsesław Miłosz
"Campo di Fiori"
In Rom auf dem Campo di Fiori.
Körbe, Oliven, Zitronen
Wein fließt über das Pflaster
Zwischen den Blumenresten.
Rosige Früchte des Meeres
Schütten die Händler auf Tische,
Bündel von dunklen Trauben
Fallen auf Pfirsichdaunen.
Auf diesem selben Markte
Verbrannte Giordano Bruno,
Das Feuer, geschürt vom Henker,
wärmte die Neugier der Gaffer.
Und kaum war die Flamme erloschen,
Füllten sich gleich die Tavernen,
Körbe Oliven, Zitronen
Trugen die Händler auf Köpfen.
Ich dachte an Campo di Fiori
In Warschau an einem Abend
Im Frühling vor Karussellen
Bei Klängen munterer Weisen.
Der Schlager dämpfte die Salven
Hinter den Mauern des Ghettos
Und Paare flogen nach oben
Hinauf in den heiteren Himmel.
Der Wind trieb zuweilen schwarze
Drachen von brennenden Häusern,
Die Schaukelnden fingen die Flocken
Im Fluge aus ihren Gondeln.
Der Wind von den brennenden Häusern
Blies in die Kleider der Mädchen,
Die fröhliche Menge lachte
Am schönen Warschauer Sonntag.
Vielleicht wird hier jemand folgern,
Das Volk von Rom oder Warschau
Handle, lache und liebe
Vorbei an den Scheiterhaufen;
Ein anderer noch die Kunde
Von der Vergänglichkeit dessen
Empfangen, was schon vergessen,
Bevor die Flamme erloschen.
Ich aber dachte damals
An das Alleinsein der Opfer.
Daran, daß Giordano
Den Scheiterhaufen bestiegen,
Er keine einzige Silbe,
Menschliche Silbe gefunden,
Von jener Menschheit, die weiter
Lebte, Abschied zu nehmen.
Schon liefen sie, Wein zu trinken,
Seesterne zu verkaufen,
Körbe Oliven, Zitronen
Zu tragen mit lustigem Lärmen,
Und schon war er ihnen ferne,
Als wären Jahrzehnte vergangen,
Als hätten sie niemals gewartet
Auf seinen Abflug im Feuer.
Auch diese Opfer sind einsam,
Bereits von der Welt vergessen,
Und fremd ist uns ihre Sprache,
Als käm sie vom andern Planeten.
Bis alles dann zur Legende
Erkaltet und später nach Jahren
Auf neuem Campo di Fiori
Ein Dichterwort aufruft zum Aufruhr.
Warschau 1943 1945 Errettung
aus: Sto wierszy polskich/Hundert polnische Gedichte. W wyborze i tłumaczeniach Karla Dedeciusa/ausgewählt und übertragen von Karl Dedecius, Wydawictwo Literackie, Kraków 1982, 1989, ISBN 83-08-00721-X S. 169
Auf der englischen Seite des I.culture-Projekts findet sich:
Stephen Fry Recites Czesław Miłosz: Campo Dei Fiori
Campo Dei Fiori by culturepl
gebattmer - 2011/11/08 19:37
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