Der Citoyen, die Schulden und die Vermögensverteilung
Wie findet man eine Gesellschaftsform, die mit der ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes Gesellschaftsmitgliedes verteidigt und schützt, und durch die jeder einzelne, obgleich er sich mit allen vereint, ... nur sich selbst gehorcht und so frei bleibt wie vorher? Dies ist die Hauptfrage, deren Lösung der Gesellschaftsvertrag gibt.
Dieser lässt sich in folgende Worte zusammenfassen: Jeder von uns stellt gemeinschaftlich seine Person und seine Kraft unter die oberste Leitung des allgemeinen Willens, und wir nehmen jedes Mitglied als untrennbaren Teil des Ganzen auf.
Wenn sich jeder allen hingibt, gibt er sich damit niemandem hin, und da man über jedes Gesellschaftsglied dasselbe Recht erwirbt, das man ihm über sich gewährt, so gewinnt man für alles, was man verliert, Ersatz und mehr Kraft, das zu bewahren, was man hat. . ... Die Gesellschaftsgenossen führen als Gesamtheit den Namen Volk und nennen sich einzeln als Teilhaber der Souveränität Staatsbürger (citoyen) ... Solange mehrere vereinigte Menschen sich als einen einzigen Körper betrachten, haben sie nur einen einzigen Willen. Ich behaupte, dass die Souveränität, die nichts anderes als die Ausübung des Allgemeinwillens ist, nie veräußert werden kann und sich der Souverän, der ein kollektives Wesen ist, nur durch sich selbst darstellen lässt. Die Macht kann wohl übertragen werden, nicht aber der Wille Derselbe Grund, aus dem die Souveränität unveräußerlich ist, spricht auch für ihre Unteilbarkeit, denn der Wille ist allgemein, oder er ist es nicht, er ist derjenige der Gesamtheit des Volkes oder nur eines seiner Teile ...
Dann hat der Staat keine ... einander widersprechenden Interessen, das Gemeinwohl tritt überall sichtlich hervor, und es bedarf nur gesunder Vernunft, um es wahrzunehmen. .. Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass der allgemeine Wille beständig der richtige ist und immer auf das allgemeine Beste abzielt...
Oft aber ist ein großer Unterschied zwischen dem Willen aller (volonté de tous) und dem allgemeinen Willen (volonté générale); letzterer geht nur auf das allgemeine Beste aus, ersterer auf das Privatinteresse und ist nur eine Summe einzelner Willensmeinungen... Man muss verstehen, dass weniger die Anzahl der Stimmen den allgemeinen Willen ergibt, als vielmehr das allgemeine Interesse...
Worin besteht nun das höchste Wohl aller, das der Zweck ... der Gesetzgebung sein soll?
Es besteht in Freiheit und Gleichheit ...
Unter Gleichheit ist nicht zu verstehen, dass alle eine durchaus gleichgroße Kraft und einen genau ebenso großen Reichtum besitzen, sondern dass Gewalt nur Kraft Gesetz im Staat ausgeübt werden darf, dass ferner kein Staatsbürger so reich sein darf, um sich einen anderen kaufen zu können, noch so arm, um sich verkaufen zu müssen... Will man dem Staat Bestand verleihen, so darf man weder zu Reiche noch Bettler dulden. Sobald (nämlich) die öffentliche Betätigung im Dienste des Staates aufhört, die Hauptangelegenheit der Staatsbürger zu sein, und sie ihm lieber mit ihrem Geld als mit ihrer Person dienen, ist der Staat schon seinem Untergang nahe.
Zum Kampf schicken sie Söldner und bleiben zuhause, zur Beratung ernennen sie Abgeordnete und bleiben wieder zuhause. Durch ihre Tätigkeit und ihr Geld haben sie schließlich Soldaten, die das Vaterland unterjochen, und Volksvertreter, die es dann verkaufen... Es lässt sich voraussehen, dass der Algemeinwille dort nicht zur Herrschaft gelangen wird, und die häuslichen Sorgen lassen auch keine anderen Interessen zu. Aus den guten Gesetzen gehen noch bessere hervor, aus den schlechten noch schlechtere. Sobald man bei Staatsangelegenheiten die Worte hören kann "Was geht mich das an?" kann man darauf rechnen, dass der Staat verloren ist... Die Abgeordneten des Volkes sind also nicht seine Vertreter und können es gar nicht sein; sie sind nur seine Beauftragten und dürfen nicht endgültig beschließen. Jedes Gesetz, das das Volk nicht als Person bestätigt hat, ist null und nichtig ...
Was ist denn nun die Regierung? Die ist nur ein Auftrag, ein Amt, in dem einfache Beamte des Staatsoberhauptes (d.i. die durch den Gesellschaftsvertrag vereinigten Staatsbürger)in seinem Namen die Macht ausüben, die er ihnen übertragen hat, und die er, sobald es ihm gefällt, beschränken, abändern und ganz zurücknehmen kann.
DU CONTRAT SOCIAL, PAR J.J. ROUSSEAU, CITOYEN DE GENEVE, 1762
In diesem Sinne zeigt die Chefarztfrau sehr schön und in erfreulich kategorialer Klarheit, worum es bei dem Schulden-WozubrauchtmaneigentlicheinenStaat-Sparen-Gerede eigentlich geht:
Zur Ästhetik der Vermögensverteilung auch: Georg Schramm!
Vor Jahren (2003) gab es in der NZZ eine Debatte, was Bürgerlichkeit heute heißen kann. Auf Georg Kohlers Beitrag "Bourgeois und Citoyen - Was heißt bürgerlich?" sei deshalb verwiesen, weil angesichts des Niveaus dieser Debatte schmerzhalt deutlich wird, wie unsäglich das Niveau der Auseinandersetzungen um die Citoyenneté hier und heute ist:
Was heisst «bürgerlich»? - Angesichts der langen und zweifellos kontradiktorischen Merkmalliste ist rasch klar, dass politische Bürgerlichkeit eine anspruchsvolle, schwierige Idee ist, die auf verschiedene Weisen realisiert werden kann. Bürgerliche können eher wirtschafts- oder eher kulturliberal optieren, sie können den Gedanken der Selbständigkeit und Souveränität eher konservativ-nationalstaatlich oder revisionsbereit-transnational interpretieren, sie mögen zum libertär-antigouvernementalen Programm neigen, das die Privatsphäre und die Bürgerrechte gegen die Regierenden für das Zentralgut ziviler Politik hält, oder sie mögen, im Gegenteil, die Eindämmung auch der ökonomischen Oligopole, die Verhinderung der privatgesellschaftlichen (neben derjenigen der staatlich-administrativen) Übergewichte das Vordringliche finden. Drei essenzielle Eigenschaften aber müssen in allen Spielarten demokratischer Bürgerlichkeit bestimmend bleiben, soll man sie dem gemeinsamen Begriff liberal-besitzbürgerlicher Citoyenneté zurechnen können.
Nämlich erstens Realitätssinn, der zu akzeptieren vermag, dass die Welt sich unaufhörlich verändert, dass Bewahren allein nicht genügt, um den Werten selbständiger Lebensgestaltung treu zu bleiben. Zweitens das Bewusstsein, dass vielfache Vermittlungen und schwierige Gleichgewichte nötig sind, sollen die sachlichen Gegensätze zwischen Gemeinschaft und Privatautonomie, Marktfreiheit und Chancengleichheit nicht zu bösen Konflikten führen; drittens ein Stil nüchtern-demokratischer Parteilichkeit für die eigenen Interessen, der den Opponenten nie diffamiert, weil man weiss, dass er und sein Widerspruch gut für das Gedeihen des Ganzen sind. Bürgerlich-Sein heisst, dogmatischen Konservatismus zu vermeiden, den mittleren Weg nicht zu verachten, die Vielfalt, das Fremde und den Gegner als Ausdruck menschenmöglicher Freiheit zu respektieren. Im Rahmen so verstandener Bürgerlichkeit kann es die Partei der Bürger nicht geben. Denn «Bürgerlichkeit» lässt sich unterschiedlich interpretieren wie jedes Konzept, das der Praxis des Politischen nicht autoritär begegnen will. Es gibt nicht die Partei der Bürger, und erst recht wäre es verkehrt, bürgerliche Politik schlicht mit Steuersenkung und ausschliesslicher Interessenvertretung zugunsten der Bessergestellten zu identifizieren. Liberalität ist der Name für eine Haltung, die mehr enthält als Staatskritik und die Begründung und Ausdehnung privatkapitalistischer Wirtschaftsformen.
Dieser lässt sich in folgende Worte zusammenfassen: Jeder von uns stellt gemeinschaftlich seine Person und seine Kraft unter die oberste Leitung des allgemeinen Willens, und wir nehmen jedes Mitglied als untrennbaren Teil des Ganzen auf.
Wenn sich jeder allen hingibt, gibt er sich damit niemandem hin, und da man über jedes Gesellschaftsglied dasselbe Recht erwirbt, das man ihm über sich gewährt, so gewinnt man für alles, was man verliert, Ersatz und mehr Kraft, das zu bewahren, was man hat. . ... Die Gesellschaftsgenossen führen als Gesamtheit den Namen Volk und nennen sich einzeln als Teilhaber der Souveränität Staatsbürger (citoyen) ... Solange mehrere vereinigte Menschen sich als einen einzigen Körper betrachten, haben sie nur einen einzigen Willen. Ich behaupte, dass die Souveränität, die nichts anderes als die Ausübung des Allgemeinwillens ist, nie veräußert werden kann und sich der Souverän, der ein kollektives Wesen ist, nur durch sich selbst darstellen lässt. Die Macht kann wohl übertragen werden, nicht aber der Wille Derselbe Grund, aus dem die Souveränität unveräußerlich ist, spricht auch für ihre Unteilbarkeit, denn der Wille ist allgemein, oder er ist es nicht, er ist derjenige der Gesamtheit des Volkes oder nur eines seiner Teile ...
Dann hat der Staat keine ... einander widersprechenden Interessen, das Gemeinwohl tritt überall sichtlich hervor, und es bedarf nur gesunder Vernunft, um es wahrzunehmen. .. Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass der allgemeine Wille beständig der richtige ist und immer auf das allgemeine Beste abzielt...
Oft aber ist ein großer Unterschied zwischen dem Willen aller (volonté de tous) und dem allgemeinen Willen (volonté générale); letzterer geht nur auf das allgemeine Beste aus, ersterer auf das Privatinteresse und ist nur eine Summe einzelner Willensmeinungen... Man muss verstehen, dass weniger die Anzahl der Stimmen den allgemeinen Willen ergibt, als vielmehr das allgemeine Interesse...
Worin besteht nun das höchste Wohl aller, das der Zweck ... der Gesetzgebung sein soll?
Es besteht in Freiheit und Gleichheit ...
Unter Gleichheit ist nicht zu verstehen, dass alle eine durchaus gleichgroße Kraft und einen genau ebenso großen Reichtum besitzen, sondern dass Gewalt nur Kraft Gesetz im Staat ausgeübt werden darf, dass ferner kein Staatsbürger so reich sein darf, um sich einen anderen kaufen zu können, noch so arm, um sich verkaufen zu müssen... Will man dem Staat Bestand verleihen, so darf man weder zu Reiche noch Bettler dulden. Sobald (nämlich) die öffentliche Betätigung im Dienste des Staates aufhört, die Hauptangelegenheit der Staatsbürger zu sein, und sie ihm lieber mit ihrem Geld als mit ihrer Person dienen, ist der Staat schon seinem Untergang nahe.
Zum Kampf schicken sie Söldner und bleiben zuhause, zur Beratung ernennen sie Abgeordnete und bleiben wieder zuhause. Durch ihre Tätigkeit und ihr Geld haben sie schließlich Soldaten, die das Vaterland unterjochen, und Volksvertreter, die es dann verkaufen... Es lässt sich voraussehen, dass der Algemeinwille dort nicht zur Herrschaft gelangen wird, und die häuslichen Sorgen lassen auch keine anderen Interessen zu. Aus den guten Gesetzen gehen noch bessere hervor, aus den schlechten noch schlechtere. Sobald man bei Staatsangelegenheiten die Worte hören kann "Was geht mich das an?" kann man darauf rechnen, dass der Staat verloren ist... Die Abgeordneten des Volkes sind also nicht seine Vertreter und können es gar nicht sein; sie sind nur seine Beauftragten und dürfen nicht endgültig beschließen. Jedes Gesetz, das das Volk nicht als Person bestätigt hat, ist null und nichtig ...
Was ist denn nun die Regierung? Die ist nur ein Auftrag, ein Amt, in dem einfache Beamte des Staatsoberhauptes (d.i. die durch den Gesellschaftsvertrag vereinigten Staatsbürger)in seinem Namen die Macht ausüben, die er ihnen übertragen hat, und die er, sobald es ihm gefällt, beschränken, abändern und ganz zurücknehmen kann.
DU CONTRAT SOCIAL, PAR J.J. ROUSSEAU, CITOYEN DE GENEVE, 1762
In diesem Sinne zeigt die Chefarztfrau sehr schön und in erfreulich kategorialer Klarheit, worum es bei dem Schulden-WozubrauchtmaneigentlicheinenStaat-Sparen-Gerede eigentlich geht:
Zur Ästhetik der Vermögensverteilung auch: Georg Schramm!
Vor Jahren (2003) gab es in der NZZ eine Debatte, was Bürgerlichkeit heute heißen kann. Auf Georg Kohlers Beitrag "Bourgeois und Citoyen - Was heißt bürgerlich?" sei deshalb verwiesen, weil angesichts des Niveaus dieser Debatte schmerzhalt deutlich wird, wie unsäglich das Niveau der Auseinandersetzungen um die Citoyenneté hier und heute ist:
Was heisst «bürgerlich»? - Angesichts der langen und zweifellos kontradiktorischen Merkmalliste ist rasch klar, dass politische Bürgerlichkeit eine anspruchsvolle, schwierige Idee ist, die auf verschiedene Weisen realisiert werden kann. Bürgerliche können eher wirtschafts- oder eher kulturliberal optieren, sie können den Gedanken der Selbständigkeit und Souveränität eher konservativ-nationalstaatlich oder revisionsbereit-transnational interpretieren, sie mögen zum libertär-antigouvernementalen Programm neigen, das die Privatsphäre und die Bürgerrechte gegen die Regierenden für das Zentralgut ziviler Politik hält, oder sie mögen, im Gegenteil, die Eindämmung auch der ökonomischen Oligopole, die Verhinderung der privatgesellschaftlichen (neben derjenigen der staatlich-administrativen) Übergewichte das Vordringliche finden. Drei essenzielle Eigenschaften aber müssen in allen Spielarten demokratischer Bürgerlichkeit bestimmend bleiben, soll man sie dem gemeinsamen Begriff liberal-besitzbürgerlicher Citoyenneté zurechnen können.
Nämlich erstens Realitätssinn, der zu akzeptieren vermag, dass die Welt sich unaufhörlich verändert, dass Bewahren allein nicht genügt, um den Werten selbständiger Lebensgestaltung treu zu bleiben. Zweitens das Bewusstsein, dass vielfache Vermittlungen und schwierige Gleichgewichte nötig sind, sollen die sachlichen Gegensätze zwischen Gemeinschaft und Privatautonomie, Marktfreiheit und Chancengleichheit nicht zu bösen Konflikten führen; drittens ein Stil nüchtern-demokratischer Parteilichkeit für die eigenen Interessen, der den Opponenten nie diffamiert, weil man weiss, dass er und sein Widerspruch gut für das Gedeihen des Ganzen sind. Bürgerlich-Sein heisst, dogmatischen Konservatismus zu vermeiden, den mittleren Weg nicht zu verachten, die Vielfalt, das Fremde und den Gegner als Ausdruck menschenmöglicher Freiheit zu respektieren. Im Rahmen so verstandener Bürgerlichkeit kann es die Partei der Bürger nicht geben. Denn «Bürgerlichkeit» lässt sich unterschiedlich interpretieren wie jedes Konzept, das der Praxis des Politischen nicht autoritär begegnen will. Es gibt nicht die Partei der Bürger, und erst recht wäre es verkehrt, bürgerliche Politik schlicht mit Steuersenkung und ausschliesslicher Interessenvertretung zugunsten der Bessergestellten zu identifizieren. Liberalität ist der Name für eine Haltung, die mehr enthält als Staatskritik und die Begründung und Ausdehnung privatkapitalistischer Wirtschaftsformen.
gebattmer - 2010/08/17 18:48
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