Begriffe: »Die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann« - Was ist heute eingreifendes Denken?
Ich zitierte kürzlich Kerstin Decker:
Es gibt kein Denken ohne Begriffe. Sie sind das Werkzeug des Geistes. Der Einfachheit halber benutzen wir immer dieselben: Dissident zum Beispiel. Oder Regimegegner. Oder Unrechtsstaat. Was sich denken lässt, ist damit schon vorentschieden. Und was sich nicht denken lässt, auch. ...
Die Bedeutung der Begriffe (und ihr Verlust) kam heute zur Sprache in der Rezension des Deutschlandfunks zu Ulrich Raulff: "Wiedersehen mit den Siebzigern. Die wilden Jahre des Lesens":
Schade eigentlich, dass das Bemühen um Klärung von Begriffen verloren gegangen ist, immerhin sind Begriffe »die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann« (Brecht, Werke 18, S. 263 - Flüchtlingsgespräche)!
Auch die Bewegung der Dinge wird ja heute verkürzt betriebswirtschaftlich furchtbar anders gedacht (change management), nicht mehr im Sinne eingreifenden Denkens (siehe auch unten: Marcuse):
Voraussetzung dafür ist - einen Schritt zurück - die Wahrnehmung von Welt:
Dasjenige Bild, das uns sowohl subjektiv als auch objektiv am überzeugendsten erscheint, nennen wir: die Wirklichkeit. Subjektiv überzeugend ist das Wirklichkeitsbild durch eine in der Zeit erzeugte Evidenz...
SEMANTISCHE VORBEMERKUNGEN ZU EINER SPRACHE DER WIRKLICHKEIT - Georg Seeßlen, Nov 17 2014
Es gibt kein Denken ohne Begriffe. Sie sind das Werkzeug des Geistes. Der Einfachheit halber benutzen wir immer dieselben: Dissident zum Beispiel. Oder Regimegegner. Oder Unrechtsstaat. Was sich denken lässt, ist damit schon vorentschieden. Und was sich nicht denken lässt, auch. ...
Die Bedeutung der Begriffe (und ihr Verlust) kam heute zur Sprache in der Rezension des Deutschlandfunks zu Ulrich Raulff: "Wiedersehen mit den Siebzigern. Die wilden Jahre des Lesens":
- Die Siebzigerjahre sind ein seltsames Jahrzehnt, das zu deuten nicht ganz einfach ist. Es war die Zeit nach dem großen Aufbruch, die Zeit der Suche nach Alternativen, wie man leben und arbeiten könne, mit allen Absurditäten, die das auch mit sich brachte und sicher waren sie eine Zeit des Lesens, denn dies alles musste theoretisch abgesichert werden. Von der Utopie der Allgemeinbegriffe hat Michael Rutschky bereits 1980 gesprochen. Wie ernst die Begriffe genommen wurden, schildert Ulrich Raulff anhand der Diskussionen in der Germanistengruppe Poetik und Hermeneutik".
"'Ohne diesen Begriff nicht geklärt zu haben, kann man nicht weiterleben.' In diesem Satz hat Manfred Frank neulich das eigentümliche Klima der Diskussionen von "Poetik und Hermeneutik" zusammengefasst. Diese Leute glaubten tatsächlich noch an den Wert von Begriffen und ihre Bedeutung für das Leben. In ihren Diskussionen ging es noch um mindestens alles. Man musste aber nicht zu der Gruppe um Hans Robert Jauß gehören, um ähnliche Erfahrungen zu machen. Es gab diesen heiligen Ernst, dieses Verlangen nach Klarheit auch unter den Jüngeren. Zehn Jahre später, als schon die postmoderne Unverbindlichkeit angesagt war, hätten alle verständnislos gelacht: Was für Pedanten. Wie tödlich ernst die alles genommen haben. Genau das hatten wir getan, die Begriffe ernstgenommen. Dem Leben hat es nicht geschadet." ...
Schade eigentlich, dass das Bemühen um Klärung von Begriffen verloren gegangen ist, immerhin sind Begriffe »die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann« (Brecht, Werke 18, S. 263 - Flüchtlingsgespräche)!
Auch die Bewegung der Dinge wird ja heute verkürzt betriebswirtschaftlich furchtbar anders gedacht (change management), nicht mehr im Sinne eingreifenden Denkens (siehe auch unten: Marcuse):
- Brecht schreibt von der „Unmöglichkeit, eingreifend zu denken“. Man wird seiner Intention aber nicht gerecht, wenn man seine Worte einseitig in diese Richtung interpretieren würde. Der Autor möchte damit nur aufzeigen, dass zu viele auf dieser Stufe kapitulieren. So beschreibt Brecht „die tiefe, vom Denken nicht berührte Unzufriedenheit mit dem durch Denken nicht veränderbaren Wirtschaftlichen.“ Mit diesen Ausführungen wird die Frage berührt, ob man überhaupt eingreifend denken kann. Zumindest hebt Brecht hervor, „daß die Abhängigkeit vom Wirtschaftlichen […] keineswegs imstand ist, jene gedanklichen Systeme, deren Größe wir nicht leugnen, zu verhindern.“ Entsprechend hat die Eingebundenheit in gesellschaftliche oder wirtschaftliche Gefüge bzw. die Abhängigkeit von diesen nicht dazu geführt, dem Denken grundsätzlich die Freiheit zu entziehen oder es ad absurdum zu führen. Allerdings könne laut Brecht Denken als gesellschaftliches Verhalten nur aussichtsreich sein, wenn es fähig ist, die Umwelt zu beeinflussen. Der Einzelne könne höchstens sich selbst ändern. Dennoch liest man zwischen den Zeilen immer wieder den „Appell“, vom Denken mehr zu fordern, einen Anspruch an es zu stellen. Denn Denken könne nicht eingreifend wirken, wenn man dem Denken das Eingreifen überhaupt nicht zumute. Als grundlegendes Instrument für eine eingreifende Tätigkeit klassifiziert Brecht die Dialektik. Sie sei eine „Betrachtungsweise der Welt, die durch Aufzeichnung ihrer umwälzenden Widersprüche das Eingreifen ermöglicht.“ Das Aufzeigen von Widersprüchen soll den Menschen verdeutlichen, dass das Schicksal nicht als etwas Unabwendbares zu begreifen ist, das dem menschlichen Eingriff entzogen ist, sondern, dass die Menschen sich ihr Schicksal gegenseitig selbst bereiten... (Projekt Eingreifendes Denken - Versuch einer Definition)
Voraussetzung dafür ist - einen Schritt zurück - die Wahrnehmung von Welt:
Dasjenige Bild, das uns sowohl subjektiv als auch objektiv am überzeugendsten erscheint, nennen wir: die Wirklichkeit. Subjektiv überzeugend ist das Wirklichkeitsbild durch eine in der Zeit erzeugte Evidenz...
SEMANTISCHE VORBEMERKUNGEN ZU EINER SPRACHE DER WIRKLICHKEIT - Georg Seeßlen, Nov 17 2014
gebattmer - 2014/12/04 20:54
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