Nochmal zur Rede von Carolin Emcke und ihren Kritikern - "Dies ist der Schmutz, mit dem ihr alle jetzt spielen sollt. Das ist der Kick, der mich noch scharf macht" ... Und zur wenig beachteten Scheiß-Rede von Houellebecq zur Verleihung des Frank-Schirrmacher(!!)-Preises.
... weil die FAZ vorgestern nochmal nachgelegt hat mit Nachbemerkungen zur Friedenspreisrede: Wir sind „wir“? Was Carolin Emcke in der Paulskirche vortrug, war ein Diskurs, der sich an sich selbst berauscht; 02.11.2016, von Alexander García Düttmann.
Emcke sagte u.a.:
Ich fasse nochmal zusammen, was ich verstanden habe: Man muss offenbar heute, wenn man Arschdenk kritisiert, weil es rassistisch, antisemitisch, inhuman, grenzdebil blöd ist, immer auch dazu sagen, dass man natürlich auch rassistisch, antisemitisch, inhuman, grenzdebil blöd sein kann und dass das nichts Schlimmes ist, weil Hegel sagt: „Die gewöhnliche Zärtlichkeit für die Dinge, die nur dafür sorgt, dass diese sich nicht widersprechen, vergisst hier wie sonst, dass damit der Widerspruch nicht aufgelöst, sondern nur anderswohin geschoben wird“
Anderswo ist hier, wo die FAZ nicht kritisch kommentiert, wenn einer eine Dankesrede hält, wie der Houellebecq in Berlin zur Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises. Diese Bratze wäre kritischer Anmerkungen wert gewesen, aber das überlässt die FAZ dem Robin Detje von der ZEIT (27. September 2016)
Tod als Rettung vor dem Tod
Was für ein Jammer: Bei der Dankesrede für den Schirrmacher-Preis breitete Michel Houellebecq ein aberwitzig reaktionäres Weltbild aus, das seiner Kunst unwürdig ist. :
Es spricht einiges dafür, dass das so ist.
Die Rede von Carolin Emcke und ihre Kritik hatte ich bereits hier kommentiert:
Emcke sagte u.a.:
- ... »Die Verschiedenheit verkommt zur Ungleichheit«, hat Tzvetan Todorow einmal geschrieben, »die Gleichheit zur Identität.« Das ist die soziale Pathologie unserer Zeit: dass sie uns einteilt und aufteilt, in Identität und Differenz sortiert, nach Begriffen und Hautfarben, nach Herkunft und Glauben, nach Sexualität und Körperlichkeiten spaltet, um damit Ausgrenzung und Gewalt zu rechtfertigen.
Deswegen haben die, die vor mir hier standen und wie ich von dieser merkwürdigen Erfahrung der Zugehörigkeit zur Nichtzugehörigkeit gesprochen haben, doch beides betont: die individuelle Vielfalt und die normative Gleichheit.
Die Freiheit, etwas anders zu glauben, etwas anders auszusehen, etwas anders zu lieben, die Trauer, aus einer bedrohten oder versehrten Gegend zu stammen, den Schmerz der bitteren Gewalterfahrung eines bestimmten Wirs – und die Sehnsucht, schreibend eben all diese Zugehörigkeiten zu überschreiten, die Codes und Kreise in Frage zu stellen und zu öffnen, die Perspektiven zu vervielfältigen und immer wieder ein universales Wir zu verteidigen...
- ... Das „Wir“ muss säkular sein, wenn es nicht von Glaubenszugehörigkeiten zerrissen werden will, darf allerdings den Glauben nicht säkularisieren, wenn es den Unterschied nicht wiederum ausschließen will, nicht allein den religiösen Unterschied, sondern den Unterschied, der mit jeder Zugehörigkeit einhergeht. Denn jede Zugehörigkeit birgt einen Glauben, ein letztlich unbegründbares Hängen an einer Perspektive, die sich nicht austauschen lässt. Perspektiven gibt es einzig in der Mehrzahl. In jeder Perspektive gibt es jedoch etwas, das sich ihr entzieht, den blinden Fleck, ohne den der Unterschied zwischen zwei Perspektiven keiner wäre. Deshalb kann es zu gewaltsamen Kollisionen kommen.
Umgekehrt ist das „Wir“, dem die Rede vom Menschen eine heimelige Wiedererkennbarkeit verleihen soll, am Ende immer eines, von dem man nicht mehr weiß, auf wen es sich eigentlich bezieht. Seine Allgemeinheit oder Universalität muss, soll sie eine sein, jede Festlegung des Menschlichen auf eine bestimmte Bedeutung aus den Angeln heben. Im „universalen Wir“ kann sich kein Mensch wiedererkennen.
Die gefährliche Zweideutigkeit des heute vorwaltenden demokratischen Diskurses besteht also darin, dass er stets bloß so tut, als gäbe es Unterschiede und ein „universales Wir“. Ernst meint er es damit nicht. Er berauscht sich an sich selbst, sosehr er auch auf Andersheit oder Pluralität und Offenheit zu zielen vorgibt, die Schwierigkeit und den Konflikt keineswegs verneint. Man kann nichts gegen ihn einwenden, weil er jeden Einwand schon vorweggenommen und sich ein gutes Gewissen verschafft hat, aber nie im Ernst...
Ich fasse nochmal zusammen, was ich verstanden habe: Man muss offenbar heute, wenn man Arschdenk kritisiert, weil es rassistisch, antisemitisch, inhuman, grenzdebil blöd ist, immer auch dazu sagen, dass man natürlich auch rassistisch, antisemitisch, inhuman, grenzdebil blöd sein kann und dass das nichts Schlimmes ist, weil Hegel sagt: „Die gewöhnliche Zärtlichkeit für die Dinge, die nur dafür sorgt, dass diese sich nicht widersprechen, vergisst hier wie sonst, dass damit der Widerspruch nicht aufgelöst, sondern nur anderswohin geschoben wird“
Anderswo ist hier, wo die FAZ nicht kritisch kommentiert, wenn einer eine Dankesrede hält, wie der Houellebecq in Berlin zur Verleihung des Frank-Schirrmacher-Preises. Diese Bratze wäre kritischer Anmerkungen wert gewesen, aber das überlässt die FAZ dem Robin Detje von der ZEIT (27. September 2016)
Tod als Rettung vor dem Tod
Was für ein Jammer: Bei der Dankesrede für den Schirrmacher-Preis breitete Michel Houellebecq ein aberwitzig reaktionäres Weltbild aus, das seiner Kunst unwürdig ist. :
- ... Schade ist es bei diesem absehbar finsteren Absturz bei der Verleihung des Schirrmacher-Preises auch um Schirrmacher selbst. Der Namenspatron des Preises war gerade nicht für Vermufftheit bekannt, sondern eher für offenes und flirrendes Denken.
Doch wenn die Frank-Schirrmacher-Stiftung sich heute einen Preisträger und -redner wie Houellebecq ins Haus holt und ihm einen Preis verleiht, der nach einem Großrecken der politischen Meinungsführerschaft benannt ist, sagt sie damit leider ganz deutlich: Dies ist der Schmutz, in dem ich jetzt auf der politischen Bühne spielen will. Diesem Schmutz gebe ich jetzt einen Lautsprecher. Dies ist der Schmutz, mit dem ihr alle jetzt spielen sollt. Das ist der Kick, der mich noch scharf macht...
Der Schriftsteller kennt keine Moral. Die Behauptung der Unmoral ist seine Moral. An der Läuterung, die sein Werk bewirken kann, wirkt er nicht aktiv mit, das macht sein Werk ganz ohne ihn, und wenn er Pech hat, frisst das Asoziale ihn bei lebendigem Leibe auf.
Aber wenn er die Welt seines Werks mit der wirklichen Welt verwechselt und sich selbst mit einem Moralisten, wird es eher schwierig. Natürlich ist die Versuchung groß. Öffentlichkeit ist eine harte Droge. Großschriftsteller sind immer auch Großkurtisanen der Aufmerksamkeitsökonomie – gibt es mit noch scheidigerem Wimpernschlag, mit noch schärferem Skandal-Twerking nicht vielleicht noch etwas mehr davon? Mehr Interviews, mehr Schlagzeilen?
Muff als Gesetz
Den wachsenden Einfluss des Islam in Frankreich belegte Houellebecq in seiner Dankesrede enttäuscht mit den Worten: "Tatsache ist, (…) dass die jungen Mädchen heute, verglichen mit meiner Jugend, sehr viel weniger aufregend gekleidet sind." Der größte Horror unserer Zeit sei neben dem Islam (im Ernst jetzt!) "die Rückkehr des Matriarchats", und zwar "in Staatsform", und "der erste Feind, den unsere westliche Gesellschaft versucht auszurotten, ist das männliche Zeitalter, ist die Männlichkeit selbst".
Egal aus welcher Zeit und welcher Welt solche Sätze herausgefallen sind, das Wichtigste bleibt: Es ist alles vorbei. Alles geht unter. Die Linksreaktionären und ihre politische Korrektheit sind schuld. Es geht Houllebecq jetzt darum, sich in eine bestimmte Ahnenreihe politisch unkorrekter Denker einzuschreiben. ("Sie waren freie Männer.") Es geht ihm vor allem darum, sich einem nur noch schwer erträglichen, wirren, nekrophilen Muff vom Endzeit-Clash "spiritueller Mächte" zu ergeben und uns allen diesen Muff als Gesetz anzuempfehlen, als letzte Rettung: den Tod als Rettung vor dem Tod.
Reaktionärer Swingerclub
Der Kern von Houellebecqs großer altmännergeiler Weltdeutung aber lautet: Europa steht vor dem Selbstmord, und zwar wegen höherer Geburtenrate der Muselmanen. Muselmanen vögeln einfach mehr und geben ihren Frauen keine Pille, und Vögeln ohne Verhüten ist die Männermacht, die Kulturkriege entscheidet. Unser Preisträger wirft hier sozusagen mit großer Geste das blutige Handtuch der Kameliendame.
Untergang! Unterwerfung! Auf in die große reaktionäre Geisterbahn – das ist der Rhythmus, bei dem man mit muss. Das ist das Vermuffteste, was an freiwilliger intellektueller Korruption derzeit zu haben ist, im Chor mit Sarrazin, Safranski, Monika Maron, dem ganzen reaktionären Swingerclub, zu dem man nur Zutritt hat, wenn man sich bis aufs Ressentiment nackt auszieht... Lesebefehl!!
Es spricht einiges dafür, dass das so ist.
Die Rede von Carolin Emcke und ihre Kritik hatte ich bereits hier kommentiert:
Deutsche Leitkultur (X) / Dispositiv (X): Zwei Dankesreden für Preise im Vergleich: Carolin Emcke und Ellen Kositza. Oder: Die Spätmoderne im Widerstreit zweier Kulturalisierungsregimes
gebattmer - 2016/11/04 18:14
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