CRISIS , WHAT CRISIS ? (XLIII): Pathologisches Lernen
... Krisen sind nicht zuletzt auch Zeiten für Alternativen und Wandel. Nur woran liegt es, dass es so selten und meist sehr spät gelingt, diese Chance einer Krise wahrzunehmen? Mit dem Versuch einer Antwort kann nur auf die Unmöglichkeit verwiesen werden, chaotische Verhältnisse mit linearem Modelldenken zu durchdringen. Die vielen Einzelentscheidungen ergeben sich logisch aus der rationalen Verfolgung von Einzelinteressen. Gerade in zugespitzten Krisen können diese jedoch unversöhnlich sein und Weichenstellungen veranlassen, die sich als unvernünftig im Hinblick auf die angestrebte Krisenlösung herausstellen. Das Lernen ist dann pathologisch, weil Fehler, die als solche sogar erkannt sind, trotzdem wiederholt werden, weil es „Sachzwänge“ gibt. Und Zwänge, die sich aus Sachzusammenhängen ergeben, sind vernünftigen Erwägungen nicht zugänglich – die Gegensätzlichkeit lässt sich nicht politisch moderieren. Eben deshalb können sich kapitalistische Gesellschaften abgrundtief dumme und unfähige Politiker leisten.
In der Finanzkrise lernen die Geldvermögensbesitzer etwas ganz anderes als die Gegenparts, die Schuldner. Die Schulden sollen zwar reduziert werden, das wollen fast alle. Aber wie? Indem die Schuldner der Dritten Welt wie in den achtziger Jahren nach dem „Konsens von Washington“ durch brutale Austerity-Politik zum Schuldendienst verpflichtet werden, bis sie „quietschen“, wie Berlins Bürgermeister Wowereit in etwas anderem Zusammenhang drohte? Das Wachstum wird abgewürgt, wenn private Schulden abgebaut werden, ohne dass die Nachfragelücke, die dadurch entsteht, durch neue Verschuldung kompensiert wird – es sei denn der Staat verschuldet sich an Stelle der privaten Unternehmen und Haushalte. Doch der ist wegen des Irrsinns mit Methode – Schuldenbremse genannt – nicht dazu befugt. Davon betroffen sind alle Staaten der Eurozone. Die Schuldenbremse verschärft also die Krise und wird entgegen der Absicht ihrer Befürworter – ganz vorn Kanzlerin Merkel – zur Ursache von Vermögensverlusten der Privaten, weil Schuldner ausfallen. Dann muss der Staat doch zu Hilfe eilen, wenn es sich bei den gefährdeten Vermögen um „systemrelevante“ Finanzinstitute handelt. Die Verbissenheit, mit der verlangt wird, auf die Schuldenbremse zu treten und gleichzeitig mit dem „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ Gas zu geben, ist verrückter Ausdruck des pathologischen Lernens, zumal sich die Vermögensbesitzer und Finanzinstitute – unterstützt von Wissenschaft und Medien – vehement gegen die Einsicht sperren, dass mit den Schulden auch Geldvermögen beschnitten werden müssten.
Die private wird – durch großzügige Bürgschaften, durch den Ersatz des verzockten Eigenkapitals und durch Übernahme von faulen Wertpapieren – zur öffentlichen Verschuldung. Sie ist ungleichmäßig und besitzt deshalb eine besondere Sprengkraft, das ist gerade in Europa spürbar. Die Schulden konzentrieren sich (vereinfacht formuliert) in den südlichen Ländern bei der öffentlichen Hand, die Vermögen bei den Privaten in Mittel- und Nordeuropa. Dadurch entstehen ökonomische Gegensätze, die von kurzsichtiger Politik und durch bornierte Medien neonationalistisch und rassistisch mit primitiven Stereotypen politisch zugespitzt werden. Dabei wird in Kauf genommen, dass ein als Antwort auf die Weltkatastrophe der dreißiger und vierziger Jahre entstandenes europäisches Einigungsprojekt gefährdet wird. Die Geschichte wiederholt sich dann nicht als Farce, sondern erneut als Tragödie. Man kann nur schlussfolgern: Chance gehabt, Chance verpasst.
Eine Lehre aus der Krise von 1929 wäre es doch, die Dynamik zu unterbinden, die zur Weltkatastrophe führt. Aufrüstung und Krieg sind todsichere Methoden, Vermögenswerte durch deren physische Vernichtung zu vermindern. Besser, billiger und – vom Aufschrei der Vermögensbesitzer abgesehen – friedlich und sozial gerecht wäre die rechtzeitige Streichung von Schulden, gekoppelt an eine Vermögensabgabe oder Vermögenssteuer. So einfach können Lehren aus der Krise sein. Doch man muss gegen mächtige Interessen kämpfen, um ein pathologisches Lernen, das zur Katastrophe hinführt, zu überwinden.
Die wesentlichen Zusammenhänge knapp, präzise und verständlich:
Elmar Altvater
Chance gehabt, Chance verpasst
Wer die Konsequenzen der schweren Depression nach 1929 analysiert, kann den Zweiten Weltkrieg nicht ausklammern. Warum fällt es so schwer, die richtigen Lehren zu ziehen? Lesebefehl!!
In der Finanzkrise lernen die Geldvermögensbesitzer etwas ganz anderes als die Gegenparts, die Schuldner. Die Schulden sollen zwar reduziert werden, das wollen fast alle. Aber wie? Indem die Schuldner der Dritten Welt wie in den achtziger Jahren nach dem „Konsens von Washington“ durch brutale Austerity-Politik zum Schuldendienst verpflichtet werden, bis sie „quietschen“, wie Berlins Bürgermeister Wowereit in etwas anderem Zusammenhang drohte? Das Wachstum wird abgewürgt, wenn private Schulden abgebaut werden, ohne dass die Nachfragelücke, die dadurch entsteht, durch neue Verschuldung kompensiert wird – es sei denn der Staat verschuldet sich an Stelle der privaten Unternehmen und Haushalte. Doch der ist wegen des Irrsinns mit Methode – Schuldenbremse genannt – nicht dazu befugt. Davon betroffen sind alle Staaten der Eurozone. Die Schuldenbremse verschärft also die Krise und wird entgegen der Absicht ihrer Befürworter – ganz vorn Kanzlerin Merkel – zur Ursache von Vermögensverlusten der Privaten, weil Schuldner ausfallen. Dann muss der Staat doch zu Hilfe eilen, wenn es sich bei den gefährdeten Vermögen um „systemrelevante“ Finanzinstitute handelt. Die Verbissenheit, mit der verlangt wird, auf die Schuldenbremse zu treten und gleichzeitig mit dem „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ Gas zu geben, ist verrückter Ausdruck des pathologischen Lernens, zumal sich die Vermögensbesitzer und Finanzinstitute – unterstützt von Wissenschaft und Medien – vehement gegen die Einsicht sperren, dass mit den Schulden auch Geldvermögen beschnitten werden müssten.
Die private wird – durch großzügige Bürgschaften, durch den Ersatz des verzockten Eigenkapitals und durch Übernahme von faulen Wertpapieren – zur öffentlichen Verschuldung. Sie ist ungleichmäßig und besitzt deshalb eine besondere Sprengkraft, das ist gerade in Europa spürbar. Die Schulden konzentrieren sich (vereinfacht formuliert) in den südlichen Ländern bei der öffentlichen Hand, die Vermögen bei den Privaten in Mittel- und Nordeuropa. Dadurch entstehen ökonomische Gegensätze, die von kurzsichtiger Politik und durch bornierte Medien neonationalistisch und rassistisch mit primitiven Stereotypen politisch zugespitzt werden. Dabei wird in Kauf genommen, dass ein als Antwort auf die Weltkatastrophe der dreißiger und vierziger Jahre entstandenes europäisches Einigungsprojekt gefährdet wird. Die Geschichte wiederholt sich dann nicht als Farce, sondern erneut als Tragödie. Man kann nur schlussfolgern: Chance gehabt, Chance verpasst.
Eine Lehre aus der Krise von 1929 wäre es doch, die Dynamik zu unterbinden, die zur Weltkatastrophe führt. Aufrüstung und Krieg sind todsichere Methoden, Vermögenswerte durch deren physische Vernichtung zu vermindern. Besser, billiger und – vom Aufschrei der Vermögensbesitzer abgesehen – friedlich und sozial gerecht wäre die rechtzeitige Streichung von Schulden, gekoppelt an eine Vermögensabgabe oder Vermögenssteuer. So einfach können Lehren aus der Krise sein. Doch man muss gegen mächtige Interessen kämpfen, um ein pathologisches Lernen, das zur Katastrophe hinführt, zu überwinden.
Die wesentlichen Zusammenhänge knapp, präzise und verständlich:
Elmar Altvater
Chance gehabt, Chance verpasst
Wer die Konsequenzen der schweren Depression nach 1929 analysiert, kann den Zweiten Weltkrieg nicht ausklammern. Warum fällt es so schwer, die richtigen Lehren zu ziehen? Lesebefehl!!
gebattmer - 2012/02/16 22:23
Trackback URL:
https://gebattmer.twoday.net/stories/64977313/modTrackback