Archäologie (CCCLVIII): "Das Zeugenhaus", die historische Leistung der Anti-Hitler-Koalition und die geehrten Kollaborateure
Matti Geschonnecks und Magnus Vattrodts Film "Das Zeugenhaus" (24.11.2014, 20:15 Uhr im ZDF) empfehle ich nachzusehen, wenn Sie ihn nicht gesehen haben.
Sehr interessant ist Achim Zons Bericht über die Entstehung des Films ("Das Spiel der Raubtiere" in der Süddeutschen vom 22./23. November), lesenswert auch die Rezension von Sven Sakowitz (in der taz vom 24. 11. 2014), der auch auf biografische Bezüge hinweist:
In diesem Zusammenhang sei noch einmal verwiesen auf die (leider) einzigartige zivilisatoische Leistung der Anti-Hitler-Koalition, mit den Nürnberger Prozessen unhintergehbare Standards des Völkerrechts gesetzt zu haben:
Dass nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Konzerne angeklagt waren - und deren Rolle bei der Planung und Ausführung des Weltkriegs und der Massenvernichtung untersucht und zur Anklage gebracht wurde - ist etwas in Vergessenheit geraten: Hier hilft das Online-Archiv des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals gegen den Chemie- und Pharmakonzern IG Farben!
Nachtrag:
Die Bundesrepublik verweigert einer UN-Resolution gegen die Verherrlichung von Nationalsozialismus und NS-Kollaboration [1] ihre Zustimmung. In der vergangenen Woche hat das Dritte Komitee der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution verabschiedet, in der etwa die Errichtung von Denkmälern für NS-Funktionäre und die Stilisierung von NS-Kollaborateuren zu "Freiheitskämpfern" massiv kritisiert werden. Deutschland und die übrigen EU-Staaten enthielten sich; die USA, Kanada und die Ukraine stimmten sogar gegen das Dokument, dessen Inhalt von 115 Ländern unterstützt wurde. In Berlin und Brüssel heißt es, man habe nur deshalb nicht zustimmen wollen, weil Russland die Resolution initiiert habe. Tatsächlich müsste eine Unterzeichnung des Dokuments zu heftigen Auseinandersetzungen sowohl innerhalb der EU als auch im Verhältnis zu wichtigen internationalen Verbündeten führen: In EU-Staaten wie Ungarn oder den baltischen Ländern, aber auch in der Ukraine werden berüchtigte NS-Kollaborateure in zunehmendem Maße öffentlich verehrt - teils von Kräften, die an der jeweiligen nationalen Regierung beteiligt sind...
[1] United Nations General Assembly: Sixty-ninth session of the Third Committee. Agenda item 66 (a): Elimination of racism, racial discrimination, xenophobia and related intolerance. A/C.3/69/L.56/Rev.1. 19.11.2014
Quelle: German Foreign Policy
Vgl. 143 : 4 : 26 gegen Waffen und Munition mit abgereichertem Uran. Deutschland verweigert Zustimmung.
+ Archäologie (CCCV): Politik und Medien in der frühen BRD: Besser erst die SS fragen (2) - Operation "Aerodynamic"
Sehr interessant ist Achim Zons Bericht über die Entstehung des Films ("Das Spiel der Raubtiere" in der Süddeutschen vom 22./23. November), lesenswert auch die Rezension von Sven Sakowitz (in der taz vom 24. 11. 2014), der auch auf biografische Bezüge hinweist:
- „Der Film erzählt nicht vordergründig von den großen Kriegsverbrechern, sondern von denjenigen Menschen, die eng verwoben mit den Mächtigen gelebt haben, deren Macht stützten, deren Verbrechen mit ermöglichten“, sagt Geschonneck. „Ohne jeden Selbstvorwurf haben sie ihr Leben mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit weitergelebt, waren von ihrer Redlichkeit überzeugt. Sie haben mit ihrer opportunistischen Gabe gut überlebt. Auf der Nürnberger Anklagebank saß nur ein Bruchteil derer, die tatsächlich da hingehörten.“
In Geschonnecks „Zeugenhaus“ ereifern sich die Mitglieder dieser Opportunisten-Fraktion nun in teils brillanten Dialogen über den vermeintlichen Schauprozess der Alliierten und das schlechte Essen, sie schönen ihre Lebensläufe und preisen die Gemälde des Führers.
Ihr ganzes Verhalten ist gleichzeitig abstoßend und unterhaltsam, in höchstem Maße irritierend und von Schauspielern wie Udo Samel, Gisela Schneeberger und Tobias Moretti glänzend gespielt. Diese Mitläufer sind keine durch und durch bösen Menschen, einige von ihnen scheinen wie aus dem heutigen Alltag gegriffen. Das macht sie so unheimlich. Ihre Darstellung wirft aktuelle Fragen auf: Wäre das heute nicht alles noch genauso möglich? Wie hätte man selbst sich verhalten?
Schockierend und empörend wird ihr selbstgerechtes Gehabe vor allem durch die Kontrastierung mit den im Haus lebenden, ehemaligen KZ-Insassen: „Die Lebensgeschichte meines Vaters hat gewiss Einfluss auf die Inszenierung dieser Szenen genommen“, sagt Geschonneck. Erwin Geschonneck trat 1929 der KPD bei und war während des Nationalsozialismus sieben Jahre lang in Konzentrationslagern eingesperrt: in Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme.
In der DDR gehörte er zu den beliebtesten Schauspielern, 2008 starb er im Alter von 101 Jahren. Matti Geschonneck wuchs nicht bei ihm auf, hatte aber in dessen letzten 20 Lebensjahren ein enges Verhältnis zu seinem Vater: „Über seine Zeit im KZ hat er nie viel geredet, denn es erschien ihm beinahe unmöglich, diese Erlebnisse nachvollziehbar darzustellen. Seine Haltung wird im Film in einigen verhaltenen Dialogen spürbar.“ ...
Natürlich gab es unter den Gefangenen Freundschaft und Solidarität, aber eben auch Verrat und Brutalität untereinander. Diejenigen, die sich da durchgesetzt haben, überlebten mit schwerem Seelenballast. Das Paradox: Schuldbewusstsein gab es nach dem Ende des Nationalsozialismus eher auf Seiten der Opfer.“
Unbedingt hörenswert:
„Widerstand und Anpassung – Überlebensstrategie“
Erinnerungen eines Mannes an das Lager Dachau
Originaltonfeature von Thomas Heise
Rundfunk der DDR, 1987 verboten
Ursendung: 1989
In diesem Zusammenhang sei noch einmal verwiesen auf die (leider) einzigartige zivilisatoische Leistung der Anti-Hitler-Koalition, mit den Nürnberger Prozessen unhintergehbare Standards des Völkerrechts gesetzt zu haben:
- Anklageschrift
Der Internationale Militärgerichtshof
Die Vereinigten Staaten von Amerika, die Französische Republik, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland und die Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken haben die Unterzeichneten, Robert H Jackson, François de Menthon, Hartley Shawcross und R. A. Rudenko, rechtmäßig zu Vertretern ihrer Regierungen zum Zwecke der Untersuchung der Beschuldigungen gegen die Hauptkriegsverbrecher und zu deren Verfolgung bestellt in Ausführung des Londoner Abkommens vom 8 August 1945 und des diesem Abkommen beigefügten Statuts des Gerichtshofes, beschuldigen die obengenannten Regierungen, der Verbrechen gegen den Frieden, der Verbrechen gegen das Kriegsrecht und der Verbrechen gegen die Humanität in dem im folgenden erörterten Sinn, und eines gemeinsamen Planes und einer Verschwörung zur Begehung dieser Verbrechen, wie diese in dem Statut des Gerichtshofes definiert sind, und klagen dementsprechend wegen der weiter unten aufgeführten Punkte an: Hermann Wilhelm Göring, Rudolf Heß, Joachim von Ribbentrop, Robert Ley, Wilhelm Keitel, Ernst Kaltenbrunner, Alfred Rosenberg, Hans Frank, Wilhelm Frick, Julius Streicher, Walter Funk, Hjalmar Schacht, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Karl Dönitz, Erich Raeder, Baldur von Schirach, Fritz Sauckel, Alfred Jodl, Martin Bormann, Franz von Papen, Arthur Seyß-Inquart, Albert Speer, Constantin von Neurath und Hans Fritzsche, und zwar als Einzelpersonen sowie als Mitglieder der unten genannten Gruppen und Organisationen...
Dass nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Konzerne angeklagt waren - und deren Rolle bei der Planung und Ausführung des Weltkriegs und der Massenvernichtung untersucht und zur Anklage gebracht wurde - ist etwas in Vergessenheit geraten: Hier hilft das Online-Archiv des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals gegen den Chemie- und Pharmakonzern IG Farben!
Nachtrag:
Die Bundesrepublik verweigert einer UN-Resolution gegen die Verherrlichung von Nationalsozialismus und NS-Kollaboration [1] ihre Zustimmung. In der vergangenen Woche hat das Dritte Komitee der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution verabschiedet, in der etwa die Errichtung von Denkmälern für NS-Funktionäre und die Stilisierung von NS-Kollaborateuren zu "Freiheitskämpfern" massiv kritisiert werden. Deutschland und die übrigen EU-Staaten enthielten sich; die USA, Kanada und die Ukraine stimmten sogar gegen das Dokument, dessen Inhalt von 115 Ländern unterstützt wurde. In Berlin und Brüssel heißt es, man habe nur deshalb nicht zustimmen wollen, weil Russland die Resolution initiiert habe. Tatsächlich müsste eine Unterzeichnung des Dokuments zu heftigen Auseinandersetzungen sowohl innerhalb der EU als auch im Verhältnis zu wichtigen internationalen Verbündeten führen: In EU-Staaten wie Ungarn oder den baltischen Ländern, aber auch in der Ukraine werden berüchtigte NS-Kollaborateure in zunehmendem Maße öffentlich verehrt - teils von Kräften, die an der jeweiligen nationalen Regierung beteiligt sind...
[1] United Nations General Assembly: Sixty-ninth session of the Third Committee. Agenda item 66 (a): Elimination of racism, racial discrimination, xenophobia and related intolerance. A/C.3/69/L.56/Rev.1. 19.11.2014
Quelle: German Foreign Policy
Vgl. 143 : 4 : 26 gegen Waffen und Munition mit abgereichertem Uran. Deutschland verweigert Zustimmung.
+ Archäologie (CCCV): Politik und Medien in der frühen BRD: Besser erst die SS fragen (2) - Operation "Aerodynamic"
gebattmer - 2014/11/24 18:41
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