Failing Revolutions / Failing States
Léon Cogniet, Les Drapeaux, 1830 via POUR 15 MINUTES D'AMOUR
Neu gelesen - in diesen Tagen - Heine und Marx über gesellschaftliche Umwälzungen anlässlich der (gescheiterten) Revolutionen 1830 und 1848 in Frankreich*:
Es ist schon eine ältliche Geschichte. Nicht für sich, seit undenklicher Zeit, nicht für sich hat des Volk geblutet und gelitten, sondern für andre. Im Juli 1830 erfocht es den Sieg für jene Bourgeoisie, die ebensowenig taugt wie jene Noblesse, an deren Stelle sie trat, mit demselben Egoismus ... Das Volk hat nichts gewonnen durch seinen Sieg als Reue und größere Not. Aber seid überzeugt, wenn wieder die Sturmglocke geläutet wird und das Volk zur Flinte greift, diesmal kämpft es für sich selber und verlangt den wohlverdienten Lohn. Diesmal wird der wahre, ächte Medor** geehrt und gefüttert werden ... Gott weiß, wo er jetzt herumläuft, verachtet, verhöhnt, und hungernd ... Doch still, mein Herz, du verrätst dich zu sehr ... [Heinrich Heine, Ludwig Börne: Eine Denkschrift]
Längerfristig stärkte die Julirevolution die liberalen und demokratischen Bestrebungen in ganz Europa. Als der „Bürgerkönig“ Louis-Philippe sich immer mehr von seinen liberalen Wurzeln des Juste Milieu entfernte und sich schließlich der vom metternichschen System geprägten Heiligen Allianz anschloss, kam es 1848 zum Ausbruch einer weiteren bürgerlich-liberalen Revolution in Frankreich, der Februarrevolution 1848, bei der es zur Ausrufung der Zweiten Französischen Republik kam. Die Februarrevolution von 1848 löste auch die Revolutionen in vielen anderen Staaten Europas aus, die zur Überwindung der metternichschen Restauration führten. [wikipedia]
Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.
– Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte:
- Die Februarrevolution war eine Überrumpelung, eine Überraschung der alten Gesellschaft, und das Volk proklamierte diesen unverhofften Handstreich als eine weltgeschichtliche Tat, womit die neue Epoche eröffnet sei. Am 2. Dezember wird die Februarrevolution eskamotiert durch die Volte eines falschen Spielers, und was umgeworfen scheint, ist nicht mehr die Monarchie, es sind die liberalen Konzessionen, die ihr durch jahrhundertelange Kämpfe abgetrotzt waren. Statt daß die Gesellschaft selbst sich einen neuen Inhalt erobert hätte, scheint nur der Staat zu seiner ältesten Form zurückgekehrt, zur unverschämt einfachen Herrschaft von Säbel und Kutte. So antwortet auf den coup de main vom Februar 1848 der coup de tête vom Dezember 1851. Wie gewonnen, so zerronnen. Unterdessen ist die Zwischenzeit nicht unbenutzt vorübergegangen. Die französische Gesellschaft hat während der Jahre 1848-1851 die Studien und Erfahrungen nachgeholt, und zwar in einer abkürzenden, weil revolutionären Methode, die bei regelmäßiger, sozusagen schulgerechter Entwicklung der Februarrevolution hätten vorhergehn müssen, sollte sie mehr als eine Erschütterung der Oberfläche sein. Die Gesellschaft scheint jetzt hinter ihren Ausgangspunkt zurückgetreten; in Wahrheit hat sie sich erst den revolutionären Ausgangspunkt zu schaffen, die Situation, die Verhältnisse, die Bedingungen, unter denen allein die moderne Revolution ernsthaft wird.
Bürgerliche Revolutionen, wie die des achtzehnten Jahrhunderts, stürmen rascher von Erfolg zu Erfolg, ihre dramatischen Effekte überbieten sich, Menschen und Dinge scheinen in Feuerbrillanten gefaßt, die Ekstase ist der Geist jedes Tages; aber sie sind kurzlebig, bald haben sie ihren Höhepunkt erreicht, und ein langer Katzenjammer erfaßt die Gesellschaft, ehe sie die Resultate ihrer Drang- und Sturmperiode nüchtern sich aneignen lernt. Proletarische Revolutionen dagegen, wie die des neunzehnten Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eignen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber wieder aufrichte, schrecken stets von neuem zurück vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen ist, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältnisse selbst rufen
Hic Rhodus, hic salta!
Hier ist die Rose, hier tanze!
* Frankreich ist das Land, wo die geschichtlichen Klassenkämpfe mehr als anderswo jedesmal bis zur Entscheidung durchgefochten wurden, wo also auch die wechselnden politischen Formen, innerhalb deren sie sich bewegen und in denen ihre Resultate sich zusammenfassen, in den schärfsten Umrissen ausgeprägt sind. - bemerkt Engels in der Vorrede zur dritten Auflage des achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte.
Wir suchen aktuell noch nach dem Land, an dessen akuteller Geschichte sich die geschichtlichen Klassenkämpfe am besten studieren lassen. Es spricht einiges dafür, dass Griechenland ein gutes Beispiel ist.
** Geraume Zeit lag so Medor, aus breiter
Speerwunde blutend, unter einem Baum,
Und sicher wär' sein Leben bald verglommen,
Wenn nicht noch zeitig Hilfe wär' gekommen.
Ein Mädchen kam zufällig in den Wald,
Gekleidet wie die Hirten bei den Herden,
Doch schön von Antlitz, fürstlich von Gestalt,
Von edlem Anstand, züchtig von Geberden.
Mein letzter Vers von ihr ist schon so alt,
Daß euer wen'ge sie erkennen werden.
Es war Angelica, wenn ihr's nicht wißt,
Die aus Katai des Großchans Tochter ist....
[Ludovico Ariosto: Rasender Roland, Band 2 - Kapitel 6]
For more information please reread.
gebattmer - 2015/07/20 18:29
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