Wenn ein Millionenheer von Flüchtlingen zu Gast ist bei der reichen Frau (IV), "kann es kippen". - Die Kipper: Ein klitzekleiner, aber ekliger Trick, - die feine Drehung der Sprache von der Information zur Propaganda
- Das "Undenkbare" wird ja stets nur so genannt, weil es denkbar ist und gedacht werden soll. Sehr besorgt ist Herr Professor Winkler darüber, dass "es kippen" könnte. Er meint damit: Die Bevölkerung Deutschlands könnte sich gegen die Flüchtlinge wenden, wenn diese nicht aufhören, in dermaßen übertriebener Zahl hier anzukommen...
Das "Kippen" ist ein besonderes Argument: Wo immer auf der Welt und in der Zeit die Freiheit und die Menschenfreundlichkeit frech ihr Haupt erheben – schon ist ein Professor da, der vor dem "Kippen" warnt: als schreckliche Furcht der Freien vor den "Auswüchsen" der Freiheit und (selbstverständlich) den schrecklichen Gegenreaktionen auf sie. Das ist die Methode Möllemann: Der Jude Friedmann mag achtgeben, dass er durch sein schmieriges Auftreten nicht etwa antisemitische Reaktionen auslöst!
Denken wir einmal das Denkbare: Was könnte man mit Grausamkeit gewinnen? Weltkriegsteilnehmer, Sarrazinisten und Welthistoriker bevorzugen diese Variante. Oder jedenfalls das tabulose Nachdenken darüber. Grausamkeit bedeutet: 20 Meter hohe Mauern, 100 Meter breite Todesstreifen, rund um Europa. Napalm auf Flüchtlingstrecks; Bomben auf Boote; Scharfschützen an allen Küsten...
Schaffen wir das? - Prominente Intellektuelle fordern: Asylrecht solle künftig nur "nach Maßgabe der Möglichkeiten" gewährt werden. Eine wahrhaft innovative Rechtsidee!
Fischer analysiert mit heiligem Zorn die vorletzte Anne-Will-Show Merkels Flüchtlingspolitik - Große Geste, kleiner Plan?, also die vom 30.09., die einzureihen ist in die Kipp-Vorbereitungs-Kampagne des Medien-Verbunds, der das Management der "Flüchtlingskrise" übernommen hat*; - also die vor dem vorläufigen Höhepunkt am 07.10.: Können wir es wirklich schaffen, Frau Merkel? Über die Flüchtlingskrise diskutiert Angela Merkel mit Anne Will. .
Fischer über Heinrich August Winkler, Chefinterpret der deutschen Geschichte, der forderte, das Nachdenken dürfe nicht länger "tabuisiert" werden. Diesem Vorschlag stimmten zu Herr Christoph Schwennicke, der Chefredakteur des Presseorgans Cicero, sowie Herr Thomas Kreuzer, Präsidiumsmitglied und Fraktionsvorsitzender der CSU im Bayerischen Landtag....:
- Herrn Winkler plagte an diesem Abend ein bekannter Phantomschmerz: das sogenannte Tabu. Seine mehrfach wiederholte Schlussfolgerung: Es muss Schluss sein mit der Tabuisierung der Flüchtlingsfrage. Herr Schwennicke pflichtete bei: Es müsse endlich Ehrlichkeit her....
Wie wir wissen, ist Deutschland eine einzige Tabuzone. Kaum jemand traut sich beispielsweise zu sagen, dass Sinti und Roma auch Menschen sind. Vollkommen tabuisiert wird auch die Erkenntnis, dass, wenn alle Autos dieser Welt gleichzeitig nach Deutschland führen, um im Land der Erfinder des Dieselmotors zu tanken, es zu kilometerlangen Staus an den Elbbrücken und auf der A 8 zwischen Stuttgart und Pforzheim käme. Im Übrigen sage ich nur: Thilo Sarrazin. Der Mann ringt sich einen Gedanken nach dem anderen ab, die allesamt tabuisiert sind: Dass nicht alle Türken Deutschlands gleichzeitig im Aufzug fahren können, oder dass man sich nicht sein Leben lang ausschließlich von Knoblauch ernähren kann. Oder dass die Rezeption des Faust (eines Bestsellers, den der Deutsche in Taschenausgabe stets bei sich trägt) schwieriger würde, wenn niemand ihn verstünde.
Aus diesen und aus vielen anderen Gründen musste jetzt endlich einmal gesagt werden dürfen: Wenn alle armen Menschen dieser Welt (so die Staatskanzlei Bayern) oder alle Kriegsflüchtlinge dieser Welt (so Prof. Winkler) gleichzeitig zu uns (gemeint: Deutschland in den Grenzen von 1990) kämen, könnte es eng werden.
Mein lieber Herr Professor! Das ist ja eine Zeitenwende der Erkenntnis! Darüber haben wir ja – außer 1975, 1983, 1992, 1998 und 2003 – praktisch noch nie nachgedacht!
... Es muss, so sprach nun Heinrich August Winkler, darüber nachgedacht werden dürfen, ob das Menschenrecht auf Asyl schrankenlos gelten könne. Er schlug deshalb vor, Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes wie folgt neu zu fassen: "Politisch Verfolgten gewährt die Bundesrepublik Asyl nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten". Nein, antwortete er auf Nachfrage der Moderatorin, er könne jetzt nicht sagen, dass er das fordere, aber es müsse doch erlaubt werden, darüber zu diskutieren (was er zu diesem Zeitpunkt bereits seit einer Stunde tat).
... "Nach Maßgabe der Möglichkeiten" – ein großes Wort eines maßgebenden deutschen Intellektuellen. Schon am 28. September hatte Herr Winkler uns in der FAZ aufgefordert: "Das Undenkbare denken!" Ein schöner Imperativ im Kopfstand: Möchte der Professor etwas denken, was er nicht denken kann? Ist er wahnsinnig geworden? Denn es gibt außerhalb des Hirns eines deutschen Professors nichts, was nicht gedacht werden kann, außer dem puren Nichts selbst (für das aber nicht Herr Winkler zuständig ist, sondern der Dalai Lama). Alles, was gedacht werden kann, denkt der deutsche Hochschullehrer.
Das "Undenkbare" ist denn doch wohl eher das tausendfach Dahergequatschte, mit der Weihe des akademischen Selbst-Diskurses verzuckert. "Undenkbar" sind die Gedanken, weil sie "verboten" sind (oder so erscheinen). Winklers wahres Thema ist sein Schmerz am Tabu. Und dieser undenkbare, kaum aussprechbare, sehr überraschende, tabubrechende Gedanke hat viele Erscheinungsformen. Eine der beliebtesten ist: "Wir müssen ehrlich sagen, dass es Kapazitätsgrenzen geben könnte." ...
Herr Winterkorn und seine Spießgesellen – auch dies muss jetzt einmal gesagt werden dürfen – haben in den letzten zwei Wochen knapp 50 Milliarden Euro vernichtet. Davon kann der deutsche Pegidianer bei 2.000 Euro voraussetzungslosem Grundeinkommen 500.000 Jahre lang leben. Hiervon gibt er, kinder- und tierlieb wie er ist, gern etwas ab, und schon ist die Grenze der Möglichkeiten eine ganz andere.
Es wird schon irgendwas rauskommen. Hoffentlich nicht Herrn Söders Grenzbollwerk. Ganz gewiss nicht Artikel 16a Grundgesetz in der Fassung von Herrn Winkler: Asyl "nach Maßgabe der Möglichkeiten". Selten habe ich von einem so intelligenten Menschen einen so unintelligenten und absurden Vorschlag gehört. Es schwebt mir seither vor, auch das Bundesbesoldungsgesetz an die Weltläufe anzupassen: Jeder ordentliche Professor an einer deutschen Hochschule hat nach seiner Emeritierung Anspruch auf Altersversorgung nach Maßgabe der Möglichkeiten. Willkommen in Deutschland!
Die Kipper
Dem Chefinterpreten der deutschen Geschichte mit dem Tabu-Phantomschmerz folgten als Kipper im Verbund mit den sog. Christsozialen die sog. Sozialdemokraten. Ruft man heute Fischers Artikel bei ZEIT ONLINE auf, wird einem empfohlen:
MEISTGELESEN:
Flüchtlinge Gabriel und Steinmeier warnen vor unbegrenzter Zuwanderung
Das ist noch ein wenig dezenter als Seehofer im verbalen Ausnahmezustand, wozu Heribert Prantl in der SZ heute das Nötige angemerkt hat.
Verfassungsrechtlicher Exkurs:
Artikel 21 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland
(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.
(Nicht ganz) in diesem Sinne kann das t-online-Portal heute um 12:08 Uhr Erfolg melden:
Umfragen zur Flüchtlingskrise - Die Angst nimmt zu, die Stimmung kippt:
- ... nach Meinung des Berliner Medienwissenschaftlers Professor Joachim Trebbe muss auf die Welle der Willkommenskultur zwangsläufig Katerstimmung folgen. "Diese Euphorie** kann man nicht auf Dauer halten", sagt er. In den Medien würden nun eher die praktischen Probleme der Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge in den Vordergrund treten.
"Nach der Euphorie** beginnt das Alltagsgeschäft - und das Alltagsgeschäft ist hochproblematisch." Die Flüchtlingskrise werde die gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland auseinandertreiben. "Dass das kein friedlicher Prozess wird wie das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg, ist klar. Es wird sehr starke gesellschaftliche Verzerrungen und Risse geben."
- Hinter dem großen Gedanken unseres fulminanten Historikers steckt ein klitzekleiner, aber ekliger Trick. Es ist die feine Drehung der Sprache von der Information hin zur Propaganda. Der Mensch lebt seit 200.000 Jahren "nach Maßgabe der Möglichkeiten". Wenn das Wort "Möglichkeit" einen Sinn haben soll, kann es außerhalb der Logik nur als Verweis auf ungenannte Kriterien zur Beurteilung ungenannter Voraussetzungen verstanden werden. Die Formel "nach Maßgabe der Möglichkeiten" ist also, als verfassungsrechtliche Formel, die Verweisung entweder auf ein intellektuelles Nichts oder auf nichts als die politische Willkür. Und sonst wirklich nichts!
Zum Verständnis dessen, was hier abgeht - wie gut trotz aller - inszenierten? - Reibereien der Merkelianismus funktioniert -, ist es notwendig immer wieder zu erinnern an das, was verschwiegen wird: Wenn ein Millionenheer von Flüchtlingen zu Gast ist bei der reichen Frau (III) : "Hier haben wir alle miteinander, und ich schließe mich da ein, nicht gesehen ..."
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* An den Themen der Anne-Will-Show kann man sehr schön ablesen, wie das mediale Management der sog. Flüchtlingskrise abgelaufen ist :
22.07.15 | 22:45 Uhr
Merkel und das Flüchtlingsmädchen - Ist Deutschland zu unbarmherzig?
29.07.15 | 22:45 Uhr
Zeltstädte, Stimmungsmache, Brandanschläge - Sieht so deutsche Willkommenskultur aus?
16.09.15 | 22:45 Uhr
Solidarität Fehlanzeige - Scheitert Europa an der Flüchtlingsfrage?
30.09.15 | 23:05 Uhr
Merkels Flüchtlingspolitik - Große Geste, kleiner Plan?
07.10.15 | 21:45 Uhr
Die Kanzlerin in der Flüchtlingskrise - Können wir es wirklich schaffen, Frau Merkel?
+ 04.10.2015 19:26 Uhr
Bericht aus Berlin
Vgl. Christian Füller: Astreines Pegida-TV; Freitag | 06.10.2015
Vgl. auch: Die serielle Erregung der Menschen durch ein einziges zentrales Superthema und die darauf folgende serielle Löschung, um einem anderen Super-Thema Platz zu machen ...
Dazu passt:
** Euphorie (gr. ευφορία, lat. euphoria, euforia)
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Euphorie häufig im Sinne von Leidenschaft oder Begeisterung benutzt. Der Begriff Euphorie beschreibt ein vorübergehendes Gefühl des gesteigerten Wohlbefindens, das jedoch im Unterschied zur hypomanischen Stimmung häufig auch als Zustand des Wohlbehagens und der oberflächlichen Heiterkeit bezeichnet wird.
Mediziner beschreiben auch subjektives Wohlbefinden Schwerkranker als Euphorie. Vorwiegend wird diese Form der gehobenen Stimmung bei Manien oder bei organisch bedingten Zuständen, z. B. bei der senilen Demenz, bei Stirnhirntumoren, bei progressiver Paralyse und als Folge von Intoxikationen als Euphorie bezeichnet.
I think we’re fucked.
gebattmer - 2015/10/09 18:31
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