Archäologie (CDLXXXVIII): Heimerziehung in der BRD. Medikamententests. Birkenhof Hannover. Für besondere aufsichtsbehördliche Maßnahmen bestand keine Veranlassung. Bambule!
Fefe schreibt: Medikamente testen ist teuer. Besonders wenn man vorher um Erlaubnis fragt und die Tester bezahlt. Also macht man das halt nicht. - Das sind so genau die Stories, die man früher aus dem Osten hörte. Der fiese Warschauer Pakt, im Westen un-denk-bar, sowas!!
Aktuell: Frankreich: Medikamententests gehen trotz des Todesfalls weiter (SPON 18.01.2016)
Wenn ich mich richtig erinnere, ließen in den 80er Jahren westliche Pharmafirmen Medikamente in DDR-Krankenhäusern testen (Tagesspiegel, 29.12.2012). Es ist ein Zwischenbericht des Forschungsprojekts „Klinische Arzneimittelforschung in der DDR, 1961 –1989“ zu finden; danach verliert sich die Spur (im Netz jedenfalls; vgl Tagespiegel vom 03.07.2014). Haben Sie nochmal davon gehört?
Gestern nun berichtete frontal21 über Medikamententests in Heimen und Kinder als Versuchskaninchen:
Pharmafirmen wie Merck oder die Tropon-Werke Köln haben in den 50er und 60er Jahren an Heimkindern Medikamente testen lassen. Nach Recherchen von Frontal21 wurden beispielsweise in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf bei Hannover, den Rotenburger Anstalten bei Bremen sowie im Landeskrankenhaus Düsseldorf an den weitgehend recht- und wehrlosen Insassen unter anderem Neuroleptika erprobt.
Sie können den Beitrag (in der ZDF-Mediathek) ansehen, das Manuskript finden Sie hier.
SPIEGEL-Online fasst zusammen:
Ich kann mich erinnern, dass in den 60er Jahren die Drohung "Wenn Du nicht gehorchst, kommst Du ins Heim" gängiges Erziehungsmittel war und dass hier in Hannover dann auch die Rede war von den Birkenhof-Mädchen (als abschreckendes Beispiel). Ein ZDF-Film von 2013 hat das verarbeitet:
Dabei bleibe ich. Im Übrigen gespannt, ob meine Lieblings-HAZ anlässlich der akutellen Veröffentlichungen sich der Geschichte des Birkenhofs annimmt.
Spuren gibt es:
- Die Homepage ehemaliger Heimmädchen des Birkenhof- Hannover, dort auch Birkenhof- Lebenserfahrung von Continua. Ein berüherender Bericht einer zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 61jähigen Frau, der endet mit den Worten: Und: wird es uns jemals gelingen, die Scham, das Schuldgefühl, den Schrecken aus unserem Leben zu verbannen?
- Am 7. Juli 1978 berichtete die ZEIT unter dem Titel Keine Bambule im Birkenhof über eine Dokumentation des Bremer Sozialarbeiters Peter Brosch:
- Bambule (Wikipedia) ist ein deutsches Fernsehspiel des Südwestfunks aus dem Jahr 1970; Regie führte Eberhard Itzenplitz, das Drehbuch stammt von Ulrike Meinhof. Die Ausstrahlung des Films war für den 24. Mai 1970 in der ARD geplant, wurde wegen der Beteiligung der Drehbuchautorin Ulrike Meinhof an der Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai aber abgesetzt.
Erst ab 1994 wurde der Film in den dritten Programmen der ARD gezeigt. Film und Drehbuch sind die authentische Wiedergabe der Zustände, die sie in ihren Reportagen über Heimerziehung beschrieben hat und heute wichtige Dokumente für die Beurteilung der Erziehungspraxis in Einrichtungen der Jugendhilfe der 1940er bis 1970er Jahre.
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Aktuell: Frankreich: Medikamententests gehen trotz des Todesfalls weiter (SPON 18.01.2016)
Wenn ich mich richtig erinnere, ließen in den 80er Jahren westliche Pharmafirmen Medikamente in DDR-Krankenhäusern testen (Tagesspiegel, 29.12.2012). Es ist ein Zwischenbericht des Forschungsprojekts „Klinische Arzneimittelforschung in der DDR, 1961 –1989“ zu finden; danach verliert sich die Spur (im Netz jedenfalls; vgl Tagespiegel vom 03.07.2014). Haben Sie nochmal davon gehört?
Gestern nun berichtete frontal21 über Medikamententests in Heimen und Kinder als Versuchskaninchen:
Pharmafirmen wie Merck oder die Tropon-Werke Köln haben in den 50er und 60er Jahren an Heimkindern Medikamente testen lassen. Nach Recherchen von Frontal21 wurden beispielsweise in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf bei Hannover, den Rotenburger Anstalten bei Bremen sowie im Landeskrankenhaus Düsseldorf an den weitgehend recht- und wehrlosen Insassen unter anderem Neuroleptika erprobt.
Sie können den Beitrag (in der ZDF-Mediathek) ansehen, das Manuskript finden Sie hier.
SPIEGEL-Online fasst zusammen:
- Als Scheidungskind war M. G. 1972 in den Birkenhof abgeschoben worden, ein geschlossenes Mädchenheim in Hannover. Monatelang musste die 14-Jährige täglich Tabletten einnehmen, obwohl sie, wie sie heute sagt, kerngesund war: "Warum ich die kriegte, weiß ich nicht. Ich war nie krank in meinem Leben."
Nach einem Vierteljahr kam sie in die Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf bei Hannover, wo eine Ärztin mit einem EEG die Gehirnströme des Mädchens aufzeichnete. Die Prozedur wurde mehrmals wiederholt. Dann nahm die Ärztin eine schmerzhafte Lumbalpunktion vor. Dabei saugte sie mit einer Spritze Gehirnflüssigkeit aus dem Wirbelkanal ab.
Wie Marion Greenaway erging es nach Recherchen des ZDF-Magazins "Frontal 21" auch anderen Mädchen aus dem Birkenhof. Keine der Betroffenen erfuhr den Hintergrund der Untersuchung. In Wunstorf existieren keine Unterlagen mehr, in Marion Greenaways Heimakte fehlt jeder Hinweis auf eine Behandlung. ...
Die Untersuchungen in Wunstorf führte eine Ärztin durch, die auch schon zehn Jahre zuvor dort an einer Studie mitgewirkt hatte. Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunstorf war bis Anfang der Sechzigerjahre Hans Heinze, ein skrupelloser Arzt mit Nazivergangenheit. Während der NS-Zeit war er Gutachter des Euthanasie-Mordprogramms T4, bezeichnete unzählige Kinder als "lebensunwert" und schickte sie in den Tod. Nach 1945 konnte er seine Karriere in Wunstorf fortsetzen.
Unter seiner Leitung mussten Anfang der Sechzigerjahre Heimkinder über längere Zeit die Arznei Encephabol mit dem Wirkstoff Pyritinol schlucken. Der Versuch fand in Kooperation mit der herstellenden Pharmafirma Merck statt. Der Darmstädter Konzern brachte das Medikament 1963 auf den deutschen Markt, es wird heute als Antidemenzmittel verkauft. Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte Heinze in einer medizinischen Fachzeitschrift - einer der wenigen bisher bekannten Belege für Medikamententests mit Heimkindern.
Zu den Medizinern, die nach 1945 ungehindert weiterforschen konnten, zählte auch Friedrich Panse. Auch er war als Gutachter in das Euthanasie-Mordprogramm der Nazis verstrickt. Der Psychiater und Neurologe war seit den Fünfzigerjahren Leiter der Rheinischen Landesklinik in Düsseldorf. Er veranlasste 1966 eine Studie mit dem Medikament Truxal (Wirkstoff Chlorprothixen), das damals von den Troponwerken Köln, heute Meda, hergestellt wurde. Das Psychopharmakon wird in der Fachinformation nur für Erwachsene empfohlen, damals wurde es aber an Kindern des Heims Neu-Düsselthal erprobt.
Innerhalb eines Dreivierteljahrs mussten die Kinder des Kinderheims insgesamt über 37.000 Pillen schlucken, darunter allein 13.000 Tabletten Truxal....
Ich kann mich erinnern, dass in den 60er Jahren die Drohung "Wenn Du nicht gehorchst, kommst Du ins Heim" gängiges Erziehungsmittel war und dass hier in Hannover dann auch die Rede war von den Birkenhof-Mädchen (als abschreckendes Beispiel). Ein ZDF-Film von 2013 hat das verarbeitet:
- Und alle haben geschwiegen - Über das Leid der Heimkinder
Nicht für alle waren die 50er und 60er Jahre in der Bundesrepublik eine Zeit des Aufbruchs. In kirchlichen und in staatlichen Heimen wurden etwa 800.000 Kinder jahrelang unter heute unvorstellbaren Bedingungen gedemütigt, geschlagen, ausgebeutet und eingesperrt.
Es waren meist nichtige Gründe, die zur Einweisung in die Erziehungsanstalten führten – Gründe, die ein gesellschaftliches Kartell bestimmte, zu dem Jugendbehörden, Gerichte, Lehrer, Nachbarn, Eltern und vor allem die damals noch einflussreichen Kirchen gehörten.
Umfangreiches Hintergrundmaterial sowie Film und Dokumentation in der Mediathek des ZDF!!
- Interessant ist eine Szene in der ZDF-Dokumentation zum Film (ab 24:20): Ein Sonderpädagoge, der Gespräche mit Insassen von Erziehungsheimen führen konnte, übergibt sein Material einer Journalistin: Ulrike Meinhof! -
Es gibt ja nicht wenige Hinweise darauf, dass die Radikalisierung der Meinhof, Baader, Enslin nur zu begreifen ist im Zusammenhang mit ihrem Engagement für Heimzöglinge - und dass die zweite Generation der RAF sich rekrutierte u.a. aus ehemaligen Heimzöglingen.
Im schleswig-holsteinischen Glückstadt gab es in der Nacht vom 7. zum 8. Mai 1969 einen Aufstand von Heimzöglingen, der möglicherweise sogar mit Hilfe von Marinesoldaten niedergeschlagen wurde. Unter den rebellierenden Jugendlichen, die als Strafe teilweise KZ-Kleidung tragen mussten, war auch der spätere RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock...
Die in Haus 1 und 2 untergebrachten 80 Heimzöglinge zündeten Matratzen und Kleidungsstücke an, rissen sanitäre Anlagen aus den Wänden, zertrümmerten Fenster wie Möbel und attackierten das Heimpersonal. Einer der Rebellierenden war der damals 17-jährige Peter-Jürgen Boock, der nach der Heimrevolte in das hessische Jugendhaus von Rengshausen verlegt wurde. Dort kam er unter anderem mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin in Kontakt, die sich wie Meinhof für die Interessen von Heiminsassen einsetzten, und fand kurze Zeit später Unterschlupf in deren WG, ehe er selbst zum Terroristen der zweiten Generation wurde...
Dieter Hanisch: Aufstand der Heimkinder; Freitag 08.05.2009
Man darf es wohl bemerkenswert nennen, dass man das, was heute aufgearbeitet wird, schon 1970 wissen konnte - wenn man denn wissen wollte. Aber man tue bitte nicht so, als hätte man nicht wissen können!!
Dabei bleibe ich. Im Übrigen gespannt, ob meine Lieblings-HAZ anlässlich der akutellen Veröffentlichungen sich der Geschichte des Birkenhofs annimmt.
Spuren gibt es:
- Die Homepage ehemaliger Heimmädchen des Birkenhof- Hannover, dort auch Birkenhof- Lebenserfahrung von Continua. Ein berüherender Bericht einer zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 61jähigen Frau, der endet mit den Worten: Und: wird es uns jemals gelingen, die Scham, das Schuldgefühl, den Schrecken aus unserem Leben zu verbannen?
- Am 7. Juli 1978 berichtete die ZEIT unter dem Titel Keine Bambule im Birkenhof über eine Dokumentation des Bremer Sozialarbeiters Peter Brosch:
- Die ... Kritik richtet sich gegen die „unhaltbaren und menschenunwürdigen“ Zustände in dem geschlossenen Heim....
Hannovers Regierungspräsident ließ die Vorwürfe untersuchen. Das Ergebnis: Das Wohl der im „Birkenhof“ befindlichen Mädchen sei nicht gefährdet. „Für besondere aufsichtsbehördliche Maßnahmen besteht daher keine Veranlassung.“ ...
Begründet wird die absolute Autorität in einer solchen Anstalt häufig durch die Eltern. Zwei Drittel der Birkenhof-Mädchen wurden von der Familie hierhergeschickt, auf Grund eines Antrags auf „Erziehungshilfe“. Vier Monate müssen sie mindestens bleiben, bei vielen wird ein Jahr daraus. Während dieser Zeit können die Zöglinge in einer heimeigenen Schule die achte und neunte Klasse besuchen. Dazu erwerben sie ein paar hauswirtschaftliche Kenntnisse. In den Werkstätten und der Wäscherei des Kirchröder Heims sammeln sie ein bißchen Berufserfahrung – eine mangelhafte Ausbildung. Der Weg in ein zufriedenstellendes Leben, darauf weist die Heiminitiative hin, kann in diesem „Birkenhof“ nicht beginnen. Eine hannoversche Anzeigenpostille ließ sich denn auch als Titel einfallen, was die Öffentlichkeit den Mädchen vom „Birkenhof“ unkritisch unterstellt: am Ende bleibt nur der Strich“. ...
- Bambule (Wikipedia) ist ein deutsches Fernsehspiel des Südwestfunks aus dem Jahr 1970; Regie führte Eberhard Itzenplitz, das Drehbuch stammt von Ulrike Meinhof. Die Ausstrahlung des Films war für den 24. Mai 1970 in der ARD geplant, wurde wegen der Beteiligung der Drehbuchautorin Ulrike Meinhof an der Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai aber abgesetzt.
Erst ab 1994 wurde der Film in den dritten Programmen der ARD gezeigt. Film und Drehbuch sind die authentische Wiedergabe der Zustände, die sie in ihren Reportagen über Heimerziehung beschrieben hat und heute wichtige Dokumente für die Beurteilung der Erziehungspraxis in Einrichtungen der Jugendhilfe der 1940er bis 1970er Jahre.
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gebattmer - 2016/02/03 19:47
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