Reisegenuss: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Stilformen der Menschenverachtung
Sascha Lobo geht heute in seiner SPON-Kolumne der Frage nach:
Die AfD denkt laut über Schüsse auf Flüchtlinge nach und eilt weiter von Umfrageerfolg zu Umfrageerfolg. Wie kann das sein?
Er verfolgt dabei seine Hypothese einer Eskalation des Social-Nationalismus weiter; ausgehend von der Wahrnehmung eines unfassbaren Mangels an Empathie:
Es ist mE unverzichtbar, die Argumentations- und Stilfiguren des Rechtspopulismus und der Menschenverachtung zu kennen, um damit - politisch, im persönlichen Umfeld oder insbesondere als Menschen mit besonderer Verantwortung, zB als Politiklehrer/in - umgehen und darauf angemessen reagieren zu können. Wobei für mich noch unklar ist, was "angemessen" ist (- was sicherlich auch von der jeweiligen Kommunikationssituation abhängt und also nicht nur normativ zu bestimmen ist). Wie auch immer, - es bedarf eines Erklärungsansatzes für diesen unfassbaren Mangel an Empathie.
Hilfreich könnten sein die Ergebnisse von Heitmeyers Langzeituntersuchung zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF, group-focused enmity).
Der Begriff „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ basiert auf dem Bielefelder Desintegrationsansatz und zielt darauf ab, feindselige Einstellungen zu Menschen unterschiedlicher sozialer, religiöser und ethnischer Herkunft sowie mit verschiedenen Lebensstilen in einer Gesellschaft mittels eines Begriffes von großer Spannweite zu erfassen und zu systematisieren.
Ich habe bereits mehrfach darauf verwiesen, erstmals hier (2006/10/22 - also vor 10 Jahren!) .
Dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Stilformen der Menschenverachtung sich seitdem epidemisch ausgebreitet haben, kann man mit dem verstärkten Ansteckungsrisiko im Netz, aber auch in der Kohlenstoffwelt zu erklären versuchen. Hilfreich ist hier mE Seeßlens Analyse des neuen deutschen Dispositivs:
Zu Stilformen der Menschenverachtung fallen mir noch Sloterdijk und Safranski ein.
Nachtrag - Fragen:
1. Welche Verantwortung trägt der Verfasser solcher - wenn wir das denn so nennen wollen - Stilformen der Menschenverachtung für das Handeln derer, die eineinhalb Stunden lang im Trupp den Autobus, der Flüchtlinge in eine Unterkunft im sächsischen Dorf Rechenberg-Bienemünde bringen soll, belagern und dabei unentwegt „Wir sind das Volk“ brüllen?
2. Im Zusammenhang mit dem bei Spiegel-Online dokumentierten Video aus Clausnitz, Sachsen stellt sich mir dann auch die Frage, ob man nicht den Begriff Stil schändet, wenn man von Stilformen der Menschenverachtung spricht: Das sind ja nicht mal Formen, das ist formlos - entmenschlicht (vgl. Der Lindwurm).
Die Frage bleibt - bleiben wir bei der Ansteckungsmetapher -: Wieso versagen passive und aktive Immunisierung?
Nachtrag:
Deutsches Menetekel Günter Hayn in Das Blättchen (29.02.2016)
Die AfD denkt laut über Schüsse auf Flüchtlinge nach und eilt weiter von Umfrageerfolg zu Umfrageerfolg. Wie kann das sein?
Er verfolgt dabei seine Hypothese einer Eskalation des Social-Nationalismus weiter; ausgehend von der Wahrnehmung eines unfassbaren Mangels an Empathie:
- Es sammeln sich Leute, die in der Entscheidung zwischen dem Leben eines fremden Kindes und dem Verlust eines gebrauchten Papptellers erkennbar zum Pappteller neigen. Ein Teil dieser Antimenschlichkeit mag nur Pose sein, aber es ist nicht alles gespielt. Darauf weist der unfassbare Anstieg der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte hin, also verschiedene Formen der Gewalt, die auf der Geringschätzung des Lebens anderer beruhen, diese sogar voraussetzen. Die entsprechenden Zahlen vom BKA lauten:
2011: 18
2012: 23
2013: 69
2014: 199
2015: 1.005
Eine Verfünfzigfachung innerhalb von fünf Jahren. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, stellt zur Erklärung dieser Statistiken selbst einen direkten Zusammenhang her: "…rechtsextremistische Hetze in sozialen Netzwerken […] ist der Nährboden für Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit." Meine Beobachtungen genau dieses Nährbodens in den letzten Wochen haben mir neben der kaum vorhandenen Empathie einige andere, wiederkehrende Kommunikationsmuster gezeigt. Herausgekommen ist eine Reihe von Argumenten und Stilfiguren des Rechtspopulismus und der Menschenverachtung....
Es ist mE unverzichtbar, die Argumentations- und Stilfiguren des Rechtspopulismus und der Menschenverachtung zu kennen, um damit - politisch, im persönlichen Umfeld oder insbesondere als Menschen mit besonderer Verantwortung, zB als Politiklehrer/in - umgehen und darauf angemessen reagieren zu können. Wobei für mich noch unklar ist, was "angemessen" ist (- was sicherlich auch von der jeweiligen Kommunikationssituation abhängt und also nicht nur normativ zu bestimmen ist). Wie auch immer, - es bedarf eines Erklärungsansatzes für diesen unfassbaren Mangel an Empathie.
Hilfreich könnten sein die Ergebnisse von Heitmeyers Langzeituntersuchung zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF, group-focused enmity).
Der Begriff „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ basiert auf dem Bielefelder Desintegrationsansatz und zielt darauf ab, feindselige Einstellungen zu Menschen unterschiedlicher sozialer, religiöser und ethnischer Herkunft sowie mit verschiedenen Lebensstilen in einer Gesellschaft mittels eines Begriffes von großer Spannweite zu erfassen und zu systematisieren.
Ich habe bereits mehrfach darauf verwiesen, erstmals hier (2006/10/22 - also vor 10 Jahren!) .
Dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Stilformen der Menschenverachtung sich seitdem epidemisch ausgebreitet haben, kann man mit dem verstärkten Ansteckungsrisiko im Netz, aber auch in der Kohlenstoffwelt zu erklären versuchen. Hilfreich ist hier mE Seeßlens Analyse des neuen deutschen Dispositivs:
- ... Wenn man sagt, eine postdemokratische Regierung „nutze“ die Dispositive, so beschreibt man zugleich ihre Macht (regieren, ohne dass die Regierten merken oder sich erklären können, dass sie regiert werden) und ihre Ohnmacht (das Dispositiv erfasst die Regierung so sehr wie „das Volk“; keine von beiden kann zurück oder „zur Vernunft kommen“)...
Zu Stilformen der Menschenverachtung fallen mir noch Sloterdijk und Safranski ein.
Überrollung, Lügenäther, keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung, territorialer Imperativ ...
Nachtrag - Fragen:
1. Welche Verantwortung trägt der Verfasser solcher - wenn wir das denn so nennen wollen - Stilformen der Menschenverachtung für das Handeln derer, die eineinhalb Stunden lang im Trupp den Autobus, der Flüchtlinge in eine Unterkunft im sächsischen Dorf Rechenberg-Bienemünde bringen soll, belagern und dabei unentwegt „Wir sind das Volk“ brüllen?
2. Im Zusammenhang mit dem bei Spiegel-Online dokumentierten Video aus Clausnitz, Sachsen stellt sich mir dann auch die Frage, ob man nicht den Begriff Stil schändet, wenn man von Stilformen der Menschenverachtung spricht: Das sind ja nicht mal Formen, das ist formlos - entmenschlicht (vgl. Der Lindwurm).
Die Frage bleibt - bleiben wir bei der Ansteckungsmetapher -: Wieso versagen passive und aktive Immunisierung?
Nachtrag:
Deutsches Menetekel Günter Hayn in Das Blättchen (29.02.2016)
- ... Sieht man sich die zitierten Umfragewerte und das diffuse Weltbild, das dahintersteckt, etwas genauer an, so wird man unwillkürlich an ein Geschehnis erinnert, das sich im Buch Daniel des Alten Testamentes findet. Dort wird im fünften Kapitel das Gastmahl des Königs Belsazar von Babylon beschrieben. Dieser schmäht volltrunken während eines rauschenden Festes den Jahwe. Da erscheint plötzlich eine rätselhafte Schrift an der Wand: „Mene mene tekel u-parsin“. Nur der Prophet Daniel kann dem Belsazar das aramäische Wortspiel übersetzen und deuten. „Gezählt – Gewogen – Zerteilt“ – das war die Ankündigung des Unterganges des babylonischen Reiches. Belsazar wurde noch in derselben Nacht umgebracht....
gebattmer - 2016/02/17 18:19
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