Kompetenzkatastrophe (IV updated): Lehrerbildung raus aus Bologna!
Stellungnahmen zum Lehrerausbildungsgesetz NRW
– von Prof. Dr. Ursula Frost, Prof. Dr. Ulrich Heinen und Prof. Dr. Hans Peter Klein
Bei einer Expertenanhörung im Landtag NRW zur Novellierung des Lehrerausbildungsgesetzes wurden markante und denkwürdige Stellungnahmen vorgebracht. Diese mahnten eine grundsätzliche Revision der durch Bolognareform und Kompetenzorientierung zunehmend wissenschafts- und bildungsfeindlichen Lehramtsstudiengänge an. Nicht Bologna sei alternativlos: „Alternativlos ist nur Humanität“, so Ursula Frost von der Universität zu Köln. Tatsächlich habe die Bolognareform die selbst gesetzten Ziele nicht erreicht, sei rechtlich und theoretisch fragwürdig und praktisch schädlich. „Kompetenz“ widerspreche dem Anspruch universitärer Bildung, mit ihr würde eine Verhaltenssteuerung künftiger Lehrerinnen und Lehrer angestrebt, die sich so kritiklos den ministeriell gewünschten Vorgaben anpassen sollten...
Veröffentlicht von der Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V., dort auch Links auf die einzelnen Gutachten:
Man mache sich nichts vor: an der Verhaltenssteuerung zur kritiklosen Anpassung an ministeriell gewünschte Vorgaben wird schon länger dilletantisch, aber dennoch recht erfolgreich gearbeitet.
Der Bildungs-Rat der Gesellschaft für Bildung und Wissen :
Vgl. auch: Lehrer raus
Braucht man in der neuen „neuen Lernkultur“ noch die Lehrer? Eine Betrachtung von Christoph Türcke (ungekürzte Fassung des Beitrags in der Süddeutschen Zeitung vom 10. Februar 2016).
Update:
Vgl. unbedingt auch: Der Bildungsputsch, nds-Interview mit Matthias Burchardt
Vgl. GBlog zur Kritik der Kompetenzkatastrophe
+ Die GBlogSuche nach »Falsch Gm8« hat 17 Resultate geliefert.
– von Prof. Dr. Ursula Frost, Prof. Dr. Ulrich Heinen und Prof. Dr. Hans Peter Klein
Bei einer Expertenanhörung im Landtag NRW zur Novellierung des Lehrerausbildungsgesetzes wurden markante und denkwürdige Stellungnahmen vorgebracht. Diese mahnten eine grundsätzliche Revision der durch Bolognareform und Kompetenzorientierung zunehmend wissenschafts- und bildungsfeindlichen Lehramtsstudiengänge an. Nicht Bologna sei alternativlos: „Alternativlos ist nur Humanität“, so Ursula Frost von der Universität zu Köln. Tatsächlich habe die Bolognareform die selbst gesetzten Ziele nicht erreicht, sei rechtlich und theoretisch fragwürdig und praktisch schädlich. „Kompetenz“ widerspreche dem Anspruch universitärer Bildung, mit ihr würde eine Verhaltenssteuerung künftiger Lehrerinnen und Lehrer angestrebt, die sich so kritiklos den ministeriell gewünschten Vorgaben anpassen sollten...
Veröffentlicht von der Gesellschaft für Bildung und Wissen e.V., dort auch Links auf die einzelnen Gutachten:
- Kompetenz ist als pädagogische Leitkategorie ungeeignet.
Das Konzept der Kompetenz tendiert zur Betonung technologischer Funktionalität unabhängig von
inhaltlichen Ansprüchen und zu einer Anwendung je vorgegebener Methoden für je vorgegebene
Ziele. Kompetenz ist eine Erfüllungskategorie, die flexible Anpassung an das je Gewünschte
fordert, das über den ‚Test’ normierend vermittelt wird (vgl. Gelhard 2011). In diesem Sinne
widerspricht sie jeder auf sachliche Urteilskraft und Mündigkeit ausgerichteten Bildung –
und zugleich jeder für Demokratie unerlässlichen kritischen Auseinandersetzung mit den
Anforderungen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und Mächte.
Kompetenzorientierung ist nicht angemessen für Lehrerbildung
Die pädagogische Hoffnung auf größere Handlungsorientierung durch das Kompetenzmodell hat
sich nicht erfüllt. Das Kompetenzmodell zielt auf Anpassung statt Verantwortung. Die kontrollierte
Output-Steuerung unter Ausklammerung persönlicher und interpersonaler Prozesse und Haltungen
trifft nicht den Kern der pädagogischen Aufgaben und verringert die Chancen, mit aktuellen
Herausforderungen angemessen umgehen zu können. Wo es um Bildung geht, sollte auch die
Bildung der Lehrerinnen und Lehrer im Vordergrund stehen, damit sie in der beruflichen Tätigkeit
des Lehrens als Vorbild und Handlungsgrundlage fruchtbar werden kann.
(Prof. Dr. Ursula Frost: Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Landesregierung für ein „Gesetz zur Änderung des Lehrerausbildungsgesetzes“)
Man mache sich nichts vor: an der Verhaltenssteuerung zur kritiklosen Anpassung an ministeriell gewünschte Vorgaben wird schon länger dilletantisch, aber dennoch recht erfolgreich gearbeitet.
Der Bildungs-Rat der Gesellschaft für Bildung und Wissen :
- Die kritische Unterrichtsforschung hat bereits erdrückende und bedrückende
Belege dafür geliefert, welches Ausmaß an Entsorgung des materialen Gehalts
die schulische Lehre schon erlitten hat, wie sehr Methodenkompetenz einher
geht mit wachsender Indifferenz gegenüber den Inhalten und wie sehr die
bloße Verbreitung von Meinungsvielfalt die Urteilsfähigkeit und tragfähige
Erkenntnisse zurückdrängt. Eine eloquente Schülerschaft vermag alles zu prä-
sentieren, über alles zu reden, weil und wo sie nicht vor die Herausforderung
gestellt wird, einen schulischen Inhalt wirklich sachverständig zu erarbeiten.
Mit informationeller Kompetenz weiß ein Schüler, wie er sich über „alles
Mögliche“ kundig zu machen vermag. Er „weiß Bescheid“, wo er nachzu-
schauen hat. Das Gedächtnis seines Gerätes arbeitet als Ersatz für ein eigenes.
So beherrscht er Lösungen für Aufgaben, aber beider Fraglichkeit bleibt in der
Regel ungeklärt. Den Schülern wird so abgewöhnt, überhaupt noch Fragen
zu stellen, die eine tiefere Berührung mit der Sache auslösen können. Dafür
lernen sie Antworten auf Fragen zu geben, die mit diesen bzw. dem hinzuge-
zogenen Material bereits geliefert worden sind. Diese Leistung gilt dann als
Ausdruck von Lesekompetenz.
Die Reaktionen der Schüler auf Fragen, mit denen sie sich subjektiv zu
einer Sache verhalten, werden durchweg als Ergebnisse von Unterricht positiv
sanktioniert, das gilt auch dann, wenn sie fachlich haltlos sind. Im Meinen
stecke – so soll man folgern – Gelerntes. In der gesprächsweisen methodisch
organisierten Erörterung verschwindet das Unverstandene. Sobald das mit diesen
Methoden erworbene Wissen auf seine Grundlagen geprüft wird, stürzt es
in sich zusammen. Die Krise des Verstehens, die einen der Ausgangspunkte für
Bildung als Befähigung zu Urteil und Kritik darstellt, wird nicht mehr erlebt
bzw. nicht mehr als Lehren bewusst herbeigeführt. Dafür bleibt bei nicht weni
-gen Schülern der schale Geschmack zurück, trotz aller gekonnter Operativität,
keine eigene produktive Haltung zu den fachlichen Inhalten aufgebaut zu haben.
Bei anderen paart sich Indifferenz mit cleverer Dienstbarkeit....
Vgl. auch: Lehrer raus
Braucht man in der neuen „neuen Lernkultur“ noch die Lehrer? Eine Betrachtung von Christoph Türcke (ungekürzte Fassung des Beitrags in der Süddeutschen Zeitung vom 10. Februar 2016).
Update:
Vgl. unbedingt auch: Der Bildungsputsch, nds-Interview mit Matthias Burchardt
- Die Probleme mit G8 sind ja seit Langem bekannt und die Landesregierungen haben die Reform bereits mannigfach nachjustiert: Lehrpläne entschlackt, den gestiegenen Druck wieder reduziert etc. Wogegen richtet sich da noch Ihre Kritik?
Das war im Grunde alles nur Kosmetik. Der Kern blieb unberührt: Die Errichtung eines zeitpolitischen Regimes über die Kindheit, das in hohem Maße zerstörerisch wirkt. Man könnte fast von symbolischem Kannibalismus sprechen: Das Auffressen kindlichen Mensch-Seins durch maximal intensive und extensive Bewirtschaftung von Lebenszeit: G8 komprimiert die Schulzeit und verdichtet dadurch Leistungsdruck, frisst sich aber zugleich auch immer mehr in die Nachmittage.
Dadurch entsteht eine besinnungslose Hetze in der Schule, die einem taylorisierten Arbeitsprozess – Stichwort Fließband – angepasst wird. Auf der anderen Seite fallen außerschulische Bildungsgelegenheiten weg: Freunde, Vereine, Brauchtum, politisches und soziales Engagement. Als Surrogat bietet sich den Kindern die Orwellsche Welt der sozialen Netzwerke, die sie aber wiederum nur stresst und vereinzelt.
Fatal ist ja, dass G8 die Kinder wie beschrieben einerseits quantitativ überfordert, andererseits qualitativ unterfordert, weil im Zuge der Kompetenzorientierungen fachliche Bewährungsmöglichkeiten abgebaut wurden.
Verständnisfrage: Sie meinen also, es geht womöglich im Kern darum, Kinder bewusst zu überfordern, damit Sie nicht mehr zu Reflexionen und kritischem Hinterfragen in der Lage sind? Sie ihrer sozialen Bindungen etc. zu berauben, damit Sie zu, ja, sagen wir, später besser verwertbarem Humankapital zu machen sind?
Der Eindruck entsteht tatsächlich, zumindest ist es ein Effekt in der Summe der Reformmaßnahmen: Vieles, was einmal zur Bildung gehörte und zur Humanisierung der Gesellschaft beitragen sollte, verkümmert heute: fundierte Sachkenntnisse, ein Können im Sinne des Sich-auf-etwas-Verstehens, Urteilskraft, Selbsterkenntnis, Gemeinschaftssinn…
Vgl. GBlog zur Kritik der Kompetenzkatastrophe
+ Die GBlogSuche nach »Falsch Gm8« hat 17 Resultate geliefert.
gebattmer - 2016/03/14 18:47
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