Das Kratzen, aber nicht das Jucken: Es war die Ratte, und nicht die Ziege, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang ... Oder: Rote Linie, Rattenlinie. Giftgas, Bürgerkrieg und Krieg – Obama, Erdoğan und Syriens Rebellen
Der Blaue Bote (Medien unterstützen einerseits Böhmermann, vertuschen andererseits Erdogans Giftgasanschläge in Syrien) weist im Zusammenhang mit der causa Böhmermann dankenswerterweise darauf hin, dass
der laut Süddeutscher Zeitung (die mit den Panama Papers) beste Investigativjournalist der Welt – Seymour Hersh – bereits vor über zwei Jahren in einem echtem Investivgativreport dargelegt (hat), dass Erdogans türkischer Geheimdienst und von ihm unterstützte Islamisten in einer False-Flag-Aktion für die Giftgasmassaker in Syrien verantwortlich waren, die der syrischen Assad-Regierung untergeschoben wurden. Das Sarin-Giftgas wurde über die Türkei nach Syrien geschmuggelt. Dass Assad nicht für die Angriffe verantwortlich war, hatten zuvor bereits führende US-Wissenschaftler ermittelt, was jedoch von der US-Regierung unter Obama einfach ignoriert wurde und bis heute ignoriert wird....
- Whose sarin? Seymour M. Hersh, London Review Of Books, Vol. 35 No. 24 · 19 December 2013
- The Red Line and the Rat Line - Seymour M. Hersh, ebd. Vol. 36 No. 8 · 17 April 2014 (in Teilen auf Deutsch: ROTE LINIE, RATTENLINIE; Lettre International, Sommer 2014)
Dass davon, wie auch von dem Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der aktuellen Auseinandersetzung nicht - oder nur sehr am Rande - die Rede ist, hat auch damit zu tun, dass Böhmermanns Zugriff letztlich unpolitisch ist. All seine - wie dieser - gut gemachten Scoops/Medienhypes bleiben selbstreferentiell. Im Medium gefangen. Also schon aufklärerisch, aber sie beschreiben halt nur das „Kratzen aber nicht das Jucken“ (Understanding Media: The Extensions of Man, Marshall McLuhan).
So kommt man denn in der Redaktion, wenn man den - guten - Einfall hat, auf den eher harmlosen Extra3-Beitrag eins drauf zu setzen, auf die Schmähkritik-Idee. Die geht aber am - politischen - Kern des Problems vorbei, weil es bei der Einbestellung des deutschen Botschafters nicht nur um den Extra3-Beitrag ging, sondern wohl wesentlicher um die Anwesenheit ausländischer Diplomaten beim Prozessauftakt gegen die beiden regierungskritischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül. (SPON 29.03.2016) Dann ginge es also darum, was die aufgedeckt haben und nicht um die Personalie Erdogan:
Die regierungskritischen Journalisten sollen mit Berichten über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts MIT an islamistische Rebellen in Syrien Staatsgeheimnisse verraten haben. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft für das Duo- in der Türkei bedeutet das 30 oder mehr Jahre Gefängnis. (SPON, 25.03.2016)
Klar, man kann dann die Ziegenficker-Nummer machen und - wie gesagt - ist die ja auch begrenzt aufklärerisch, aber eben letztlich unpolitisch, weil sie am politischen Kern der Auseinandersetzung um die Pressefreiheit in der Türkei vorbeigeht (vgl. dazu etwa Gezwitscher am Bosporus, The European, 03.05.2013)
Wenn dann aber einer wie Hilmar Klute das in einem sogenannten Essay in der Süddeutschen Zeitung (zahlungspflichtig) abfeiert als Triumph der Satire: Von der Wirkung, wie sie Böhmermanns Schmähgedicht verursacht hat, können andere Fernsehkabarettisten nur träumen und das zur Schmähkritik an zB der Anstalt nutzt, wird mir ein bisschen bang um das Niveau der Debatte. Max Uthoff und Claus von Wagner könnten mit ihrem Ansatz aufklärender Satire von der Redaktion geprüfte, im Mainstream unterdrückte Fakten (wie die oben zitierten Recherchen von Seymour Hersh) raushauen und damit genormte Wahrnehmung - mit Inhalten und nicht nur im Spiel mit der Form - stören ... Das als Gewerkschaftsseminar der 70er Jahre zu schmähen zeugt nur von eigener Borniertheit: gefangen im Medienzirkus ...
Es haben ja aber offenbar viele - auch vermeintlich kluge Köpfe - nicht mal den Böhmermann-Scoop verstanden.
Hier kann der Verfassungsblog helfen: Erlaubte Schmähkritik? Die verfassungsrechtliche Dimension der causa Jan Böhmermann
Vgl. auch: 2016 World Press Freedom Index: a “deep and disturbing” decline in media freedom
Nachtrag zur Kenntnis:
„Wo immer man hinterfotzige Arschlöcher, Magazinfritzen, Diebe, Hanswurste und Hinternkriecher sieht, sind es alles die Allah-Männer.“
So in etwa lautete einer der Tweets von Fazil Say, einem türkischen Komponisten und Schriftsteller, dessen orchestrale Stücke die New Yorker Philharmoniker und das Berliner Sinfonie-Orchester vorführten. Aufgrund seiner Tweets wurde Say nach Paragraf 216/3 des türkischen Strafgesetzbuches zu zehn Monaten Haft verurteilt, mit der Begründung, „religiöse Werte und Menschen mit religiösen Empfindlichkeiten öffentlich beleidigt und herabgewürdigt zu haben“.
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der laut Süddeutscher Zeitung (die mit den Panama Papers) beste Investigativjournalist der Welt – Seymour Hersh – bereits vor über zwei Jahren in einem echtem Investivgativreport dargelegt (hat), dass Erdogans türkischer Geheimdienst und von ihm unterstützte Islamisten in einer False-Flag-Aktion für die Giftgasmassaker in Syrien verantwortlich waren, die der syrischen Assad-Regierung untergeschoben wurden. Das Sarin-Giftgas wurde über die Türkei nach Syrien geschmuggelt. Dass Assad nicht für die Angriffe verantwortlich war, hatten zuvor bereits führende US-Wissenschaftler ermittelt, was jedoch von der US-Regierung unter Obama einfach ignoriert wurde und bis heute ignoriert wird....
- Whose sarin? Seymour M. Hersh, London Review Of Books, Vol. 35 No. 24 · 19 December 2013
- The Red Line and the Rat Line - Seymour M. Hersh, ebd. Vol. 36 No. 8 · 17 April 2014 (in Teilen auf Deutsch: ROTE LINIE, RATTENLINIE; Lettre International, Sommer 2014)
Dass davon, wie auch von dem Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der aktuellen Auseinandersetzung nicht - oder nur sehr am Rande - die Rede ist, hat auch damit zu tun, dass Böhmermanns Zugriff letztlich unpolitisch ist. All seine - wie dieser - gut gemachten Scoops/Medienhypes bleiben selbstreferentiell. Im Medium gefangen. Also schon aufklärerisch, aber sie beschreiben halt nur das „Kratzen aber nicht das Jucken“ (Understanding Media: The Extensions of Man, Marshall McLuhan).
So kommt man denn in der Redaktion, wenn man den - guten - Einfall hat, auf den eher harmlosen Extra3-Beitrag eins drauf zu setzen, auf die Schmähkritik-Idee. Die geht aber am - politischen - Kern des Problems vorbei, weil es bei der Einbestellung des deutschen Botschafters nicht nur um den Extra3-Beitrag ging, sondern wohl wesentlicher um die Anwesenheit ausländischer Diplomaten beim Prozessauftakt gegen die beiden regierungskritischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül. (SPON 29.03.2016) Dann ginge es also darum, was die aufgedeckt haben und nicht um die Personalie Erdogan:
Die regierungskritischen Journalisten sollen mit Berichten über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdiensts MIT an islamistische Rebellen in Syrien Staatsgeheimnisse verraten haben. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft für das Duo- in der Türkei bedeutet das 30 oder mehr Jahre Gefängnis. (SPON, 25.03.2016)
Klar, man kann dann die Ziegenficker-Nummer machen und - wie gesagt - ist die ja auch begrenzt aufklärerisch, aber eben letztlich unpolitisch, weil sie am politischen Kern der Auseinandersetzung um die Pressefreiheit in der Türkei vorbeigeht (vgl. dazu etwa Gezwitscher am Bosporus, The European, 03.05.2013)
Wenn dann aber einer wie Hilmar Klute das in einem sogenannten Essay in der Süddeutschen Zeitung (zahlungspflichtig) abfeiert als Triumph der Satire: Von der Wirkung, wie sie Böhmermanns Schmähgedicht verursacht hat, können andere Fernsehkabarettisten nur träumen und das zur Schmähkritik an zB der Anstalt nutzt, wird mir ein bisschen bang um das Niveau der Debatte. Max Uthoff und Claus von Wagner könnten mit ihrem Ansatz aufklärender Satire von der Redaktion geprüfte, im Mainstream unterdrückte Fakten (wie die oben zitierten Recherchen von Seymour Hersh) raushauen und damit genormte Wahrnehmung - mit Inhalten und nicht nur im Spiel mit der Form - stören ... Das als Gewerkschaftsseminar der 70er Jahre zu schmähen zeugt nur von eigener Borniertheit: gefangen im Medienzirkus ...
Es haben ja aber offenbar viele - auch vermeintlich kluge Köpfe - nicht mal den Böhmermann-Scoop verstanden.
Hier kann der Verfassungsblog helfen: Erlaubte Schmähkritik? Die verfassungsrechtliche Dimension der causa Jan Böhmermann
Vgl. auch: 2016 World Press Freedom Index: a “deep and disturbing” decline in media freedom
Nachtrag zur Kenntnis:
„Wo immer man hinterfotzige Arschlöcher, Magazinfritzen, Diebe, Hanswurste und Hinternkriecher sieht, sind es alles die Allah-Männer.“
So in etwa lautete einer der Tweets von Fazil Say, einem türkischen Komponisten und Schriftsteller, dessen orchestrale Stücke die New Yorker Philharmoniker und das Berliner Sinfonie-Orchester vorführten. Aufgrund seiner Tweets wurde Say nach Paragraf 216/3 des türkischen Strafgesetzbuches zu zehn Monaten Haft verurteilt, mit der Begründung, „religiöse Werte und Menschen mit religiösen Empfindlichkeiten öffentlich beleidigt und herabgewürdigt zu haben“.
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gebattmer - 2016/04/12 20:20
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