Das Kratzen, aber nicht das Jucken (II): Zur Ausbreitung des Unflätigen - Exkurse in den literarischen Untergrund: Goethe sprach zu Schiller / Hohl aus dem Arsch nen Triller / Schiller sprach zu Goethe / Mein Arsch ist keine Flöte ... und Sieger56
Mein Liebchen schickt mir heute einen Link,
Der FAZ ein Gastbeitrag des sehr geschätzten Henschel,
Das Unflätige breite sich aus, las ich mit Interesse.
Da ward mir seltsam zumute; es war mir als ob
Ein kleines Harfenmännchen sang.
Er sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von seinem Spiele.
Er sang von Feuilletonisten am Teetisch,
Die sprachen von Satire und Stil.
Die Herren waren ästhetisch,
Die Damen von zartem Gefühl.
Satrire muß sein platonisch,
Der dürre Hofrat sprach.
Die Hofrätin lächelt ironisch,
Und dennoch seufzet sie: Ach!
Der Domherr öffnet den Mund weit:
Sarire sei nicht zu roh,
Sie schadet sonst der Gesundheit.
Das Fräulein lispelt: Wie so?
Die Friede spricht wehmütig:
Satire ist eine Passion!
Und präsentieret gütig
Die Tasse dem ...
Mathias Döpfner, wo sie irgendwie auch nicht in den richtigen Händen ist.
Gerhard Henschels FAZ-Gastbeitrag Das Unflätige breitet sich aus - Jan Böhmermanns Zoten sind kein Kunstwerk. Aber er steht in einer jahrzehntelangen Reihe der Degeneration der Sprache ist ja in großen Teilen zuzustimmen, insbesondere was die Verrohung der Sprache in den privaten Fernsehsendern und bei Rappern wie Kollegah und Julien Sewering angeht. Nur ist das da eigentlich nicht ein Problem der Sprache, sondern der menschlichen Verrohung (oder eines Marketings, das darauf setzt, dass sich menschliche und sprachliche Verrohtheit - vielleicht auch nur in dieser oder jener Nische - besser verkauft als Menschenfreundlichkeit und Sprachkunstwerke).
Wenn Henschel aber Böhmermann in diese jahrzehntelangen Reihe der Degeneration der Sprache rückt, macht er den gleichen Fehler, den schon Karl Kraus machte, als er Heine in den Zusammenhang der Journaille seiner Zeit brachte: Ihren besten Vorteil dankt sie jenem Heinrich Heine, der der deutschen Sprache so sehr das Mieder gelockert hat, daß heute alle Kommis an ihren Brüsten fingern können. ( Karl Kraus: Heine und die Folgen) - Ohne dass ich Böhmermann mit Heine gleichsetzten will. Anderseits: Warum probeweise eigentlich nicht: #Göttingen
Hilfreich kann hier ein schönes Buch von 1967 sein: Peter Rühmkorf: Über das Volksvermögen - Exkurse in den literarischen Untergrund. Rowohlt 1967
Klick to enlarge!
Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, das "Schmähkritik" betitelte Gedicht zur Kenntnis zu nehmen - ausnahmsweise mal ohne den rechtsrelevanten Kontext (bei SPON aus dem Protokoll der kompletten Passage aus der "Neo Magazin Royale"-Sendung vom 31.3. herauszupräparieren), dann könnte auffallen, dass sich der Text auch aktueller Arschkrampen-Unflat-Sprache bedient, aber sich vor allem bezieht auf Elemente der Volks- und Kinderpoesie, wie Rühmkorf sie dokumentiert hat. Wer immer das geschrieben hat, sie/er muss sich ganz gut auskennen in der Volkspoesie.
Frau Wirtin hat auch einen Pastor
Der trug um den Schwanz nen Trauerflor
Er konnt es nicht vergessen
Daß ihm die böse Syphilis
Die Eichel abgefressen
Frau Wirtin hat auch nen Kaplan
Dem hat's der Türspalt angetan
Einst trieb er's durch die Ritze
Da schlug der Wind die Türe zu
Weg war die Pfeifenspitze
Der Pfarrer von Kempten
Der stärkt seine Hemden
Mit eigenem Samen
In Gottes Namen
Amen
Der Pfarrer von Konnersreut
Der maust's Reserl bals ihn freut
Und wenn sich's Reserl nimmer rührt
Dann ist's stigmatisiert
Der Pfarrer von Speyer
Hat blecherne Eier
Beim Beichten der Lackel
Macht er so ein Spektakel
Der Pfarrer von Loretto
Dem seiner wiegt netto
Zwei Kilo ein Pfund
Sonst ist er gesund
oder auch:
Schade, Soraya kriegt kein Kind
Schade, der Schah hat Luft im Pint
Das wär doch auch etwas gewesen für 103, aber der Volksmund war halt schwer zu belangen ...
Nochmal meine These: Die Ziegenficker-Nummer ist nur begrenzt aufklärerisch und eben letztlich unpolitisch, weil sie am politischen Kern der Auseinandersetzung um die Pressefreiheit in der Türkei vorbeigeht, aber sie ist - literarisch - nicht so schlecht, wie allgemein behauptet wird. Was nicht heißt, dass sie nicht auch grauslich, niveaulos und unverschämt ist.
Den Text hat - kommen wir doch darauf zurück - für den Kontext, der vermutlich zuerst da war, keine/r geschrieben, der/die das Handwerk nicht versteht.
Wenn weder Text noch Text/Kontext verstanden werden, muss schon wieder verwiesen werden auf John Cleese on Stupidity - oder (neu!) auf
Das Böhmermann-Paradoxon - Isolde Charim in der Wiener Zeitung vom 15.04.
(Letzte) Nachträge (und dann soll auch Schluss sein damit):
1. John Oliver - Insulting Erdogan
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2. John Cleese - You can’t make jokes about muslims because they will kill you
View on YouTube
3. Aus den obszönen Kommentarhöllen der Meta-Tagesschau:
Böhmermann war nur das Endglied, aus dem man ersehen kann, wie sich Volksvertreten verbiegen lassen
Am 18. April 2016 um 17:47 von Sieger56
Das ist ein Zauberkessel, worin
Die magischen Kräfte brauen,
Und steckst du in die Ründung den Kopf,
So wirst du die Zukunft schauen –
Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier,
Gleich wogenden Phantasmen,
Doch schaudre nicht, wenn aus dem Wust
Aufsteigen die Miasmen!«
Sie sprach's und lachte sonderbar,
Ich aber ließ mich nicht schrecken,
Neugierig eilte ich, den Kopf
In die furchtbare Ründung zu stecken.
Was ich gesehn, verrate ich nicht,
Ich habe zu schweigen versprochen,
Erlaubt ist mir zu sagen kaum,
O Gott! was ich gerochen! – – –
Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen - Kapitel 27
Der FAZ ein Gastbeitrag des sehr geschätzten Henschel,
Das Unflätige breite sich aus, las ich mit Interesse.
Da ward mir seltsam zumute; es war mir als ob
Ein kleines Harfenmännchen sang.
Er sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von seinem Spiele.
Er sang von Feuilletonisten am Teetisch,
Die sprachen von Satire und Stil.
Die Herren waren ästhetisch,
Die Damen von zartem Gefühl.
Satrire muß sein platonisch,
Der dürre Hofrat sprach.
Die Hofrätin lächelt ironisch,
Und dennoch seufzet sie: Ach!
Der Domherr öffnet den Mund weit:
Sarire sei nicht zu roh,
Sie schadet sonst der Gesundheit.
Das Fräulein lispelt: Wie so?
Die Friede spricht wehmütig:
Satire ist eine Passion!
Und präsentieret gütig
Die Tasse dem ...
Mathias Döpfner, wo sie irgendwie auch nicht in den richtigen Händen ist.
Gerhard Henschels FAZ-Gastbeitrag Das Unflätige breitet sich aus - Jan Böhmermanns Zoten sind kein Kunstwerk. Aber er steht in einer jahrzehntelangen Reihe der Degeneration der Sprache ist ja in großen Teilen zuzustimmen, insbesondere was die Verrohung der Sprache in den privaten Fernsehsendern und bei Rappern wie Kollegah und Julien Sewering angeht. Nur ist das da eigentlich nicht ein Problem der Sprache, sondern der menschlichen Verrohung (oder eines Marketings, das darauf setzt, dass sich menschliche und sprachliche Verrohtheit - vielleicht auch nur in dieser oder jener Nische - besser verkauft als Menschenfreundlichkeit und Sprachkunstwerke).
Wenn Henschel aber Böhmermann in diese jahrzehntelangen Reihe der Degeneration der Sprache rückt, macht er den gleichen Fehler, den schon Karl Kraus machte, als er Heine in den Zusammenhang der Journaille seiner Zeit brachte: Ihren besten Vorteil dankt sie jenem Heinrich Heine, der der deutschen Sprache so sehr das Mieder gelockert hat, daß heute alle Kommis an ihren Brüsten fingern können. ( Karl Kraus: Heine und die Folgen) - Ohne dass ich Böhmermann mit Heine gleichsetzten will. Anderseits: Warum probeweise eigentlich nicht: #Göttingen
- Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh; welche vier Stände doch nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläufig; auch sind mir in diesem Augenblick nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse, und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl der Göttinger Philister muß sehr groß sein, wie Sand, oder besser gesagt, wie Kot am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Morgens, mit ihren schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur so viel Lumpenpack erschaffen konnte.
Hilfreich kann hier ein schönes Buch von 1967 sein: Peter Rühmkorf: Über das Volksvermögen - Exkurse in den literarischen Untergrund. Rowohlt 1967
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Wenn Sie sich einmal die Mühe machen, das "Schmähkritik" betitelte Gedicht zur Kenntnis zu nehmen - ausnahmsweise mal ohne den rechtsrelevanten Kontext (bei SPON aus dem Protokoll der kompletten Passage aus der "Neo Magazin Royale"-Sendung vom 31.3. herauszupräparieren), dann könnte auffallen, dass sich der Text auch aktueller Arschkrampen-Unflat-Sprache bedient, aber sich vor allem bezieht auf Elemente der Volks- und Kinderpoesie, wie Rühmkorf sie dokumentiert hat. Wer immer das geschrieben hat, sie/er muss sich ganz gut auskennen in der Volkspoesie.
Frau Wirtin hat auch einen Pastor
Der trug um den Schwanz nen Trauerflor
Er konnt es nicht vergessen
Daß ihm die böse Syphilis
Die Eichel abgefressen
Frau Wirtin hat auch nen Kaplan
Dem hat's der Türspalt angetan
Einst trieb er's durch die Ritze
Da schlug der Wind die Türe zu
Weg war die Pfeifenspitze
Der Pfarrer von Kempten
Der stärkt seine Hemden
Mit eigenem Samen
In Gottes Namen
Amen
Der Pfarrer von Konnersreut
Der maust's Reserl bals ihn freut
Und wenn sich's Reserl nimmer rührt
Dann ist's stigmatisiert
Der Pfarrer von Speyer
Hat blecherne Eier
Beim Beichten der Lackel
Macht er so ein Spektakel
Der Pfarrer von Loretto
Dem seiner wiegt netto
Zwei Kilo ein Pfund
Sonst ist er gesund
oder auch:
Schade, Soraya kriegt kein Kind
Schade, der Schah hat Luft im Pint
Das wär doch auch etwas gewesen für 103, aber der Volksmund war halt schwer zu belangen ...
Nochmal meine These: Die Ziegenficker-Nummer ist nur begrenzt aufklärerisch und eben letztlich unpolitisch, weil sie am politischen Kern der Auseinandersetzung um die Pressefreiheit in der Türkei vorbeigeht, aber sie ist - literarisch - nicht so schlecht, wie allgemein behauptet wird. Was nicht heißt, dass sie nicht auch grauslich, niveaulos und unverschämt ist.
Den Text hat - kommen wir doch darauf zurück - für den Kontext, der vermutlich zuerst da war, keine/r geschrieben, der/die das Handwerk nicht versteht.
Wenn weder Text noch Text/Kontext verstanden werden, muss schon wieder verwiesen werden auf John Cleese on Stupidity - oder (neu!) auf
Das Böhmermann-Paradoxon - Isolde Charim in der Wiener Zeitung vom 15.04.
- Je grauslicher, niveauloser und unverschämter Böhmermanns Gedicht ist - vom Ziegenficker bis zum Genitalgeruch -, desto mehr kippt es in Richtung Satire. Denn je grauslicher, desto unglaubwürdiger. Niemand, auch nicht Böhmermann, unterstellt Erdogan im Ernst solche Praktiken. Die Niveaulosigkeit macht aus dem Schmähen einen Schmäh. Je weniger grauslich, je niveauvoller man sich über Erdogan lustig macht - je mehr man der Forderung nach Sachlichkeit und "ernster" Satire Genüge tut -, desto mehr kippt es in Richtung echter Denunziation. Es ist dies die Unterscheidung zwischen Inhalt der Aussage und Art des Aussagens. Wann sagt einer, der sagt: "Es ist verboten, solch eine Schmähkritik zu machen" die Wahrheit? Dieser Gestus, das, was Juristen den "Kontext" oder die "Einbettung" in die Umstände nennen, verschiebt Böhmermanns Aussage. Was im Inhalt denunziert wird, wird durch die Art des Aussagens zur Satire - zu einer mit dialogischer Ökonomie. Denn erst Erdogans Reaktion produziert Böhmermanns zweiten Grund: die wahre Denunziation...
(Letzte) Nachträge (und dann soll auch Schluss sein damit):
1. John Oliver - Insulting Erdogan
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2. John Cleese - You can’t make jokes about muslims because they will kill you
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3. Aus den obszönen Kommentarhöllen der Meta-Tagesschau:
Böhmermann war nur das Endglied, aus dem man ersehen kann, wie sich Volksvertreten verbiegen lassen
Am 18. April 2016 um 17:47 von Sieger56
- Es geht hier nicht spezifisch um Böhmermann, sondern generell um die Art und Weise wie eine Vertreterin des Volkes kein Rückgrad beweißt. Böhmermann war nur das Endglied, aus dem man ersehen kann, wie sich Volksvertreten verbiegen lassen. Hätten wir in Deutschland einen klaren Standpunkt , könnten sich andere an uns orientieren.
Orientierungslosigkeit, keinen klaren Standpunkt zum Wohle des deutschen Volkes, (wie im Amtseid erklärt) bedeutet Kuschen auf breiter Front. (Rechtschreibung und Zeichensetzung im Original)
Denkbrühe, Phrasenauswurf und Wortkotze, syntaktisch hemmungslos und mit schwach verankerten Sinngeländern
Das ist ein Zauberkessel, worin
Die magischen Kräfte brauen,
Und steckst du in die Ründung den Kopf,
So wirst du die Zukunft schauen –
Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier,
Gleich wogenden Phantasmen,
Doch schaudre nicht, wenn aus dem Wust
Aufsteigen die Miasmen!«
Sie sprach's und lachte sonderbar,
Ich aber ließ mich nicht schrecken,
Neugierig eilte ich, den Kopf
In die furchtbare Ründung zu stecken.
Was ich gesehn, verrate ich nicht,
Ich habe zu schweigen versprochen,
Erlaubt ist mir zu sagen kaum,
O Gott! was ich gerochen! – – –
Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen - Kapitel 27
gebattmer - 2016/04/18 18:57
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