Archäologie (DXIII): Die Geschichte vom Molkezug und die Enthaftung der Atomkonzerne
Kosten des Ausstiegs: Der letzte Sieg der Atomindustrie
Ein Kommentar von Stefan Schultz, SPON 27.04.2016 – 18:23 Uhr
Die Stromkonzerne müssen für ihren Atommüll nur 23,3 Milliarden Euro zahlen. Aus Sicht der Steuerzahler ist das ein Skandal. Sie tragen ein gigantisches Risiko.
Tagesschau-Sprecherin: "Guten Abend, meine Damen und Herren! In dem sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ist es offenbar zu dem gefürchteten GAU gekommen, dem größten anzunehmenden Unfall …"
Es sind die ersten Meldungen im deutschen Fernsehen: am 28. April. Dass schon 60 Stunden zuvor das Atomkraftwerk in der Ukraine explodiert war, wird erst Tage später klar ...
Die Geschichte berichten Matthias Lauerer und Jochen Leffers (bei SPIEGEL ONLINE einestages); - was die Kosten angeht, kann man aus den diversen Artikeln zumindest dies als einigermaßen gesichert rausholen - wohlgemerkt: wir reden jetzt hier nur von dem bisschen Milch von bayerichen Kühen, die was abbekommen haben, und was das kostet, diese Milch zu entsorgen:
Wohin mit der radioaktiv belasteten Milch, wenn niemand sie mehr kaufen will?
Das bayerische Landwirtschaftsministerium riet Molkereien dringend: Macht Käse draus! Und tatsächlich wurden große Milchmengen zu Käse verarbeitet. Als Abfallprodukt entstand aus dem Käswasser Molke, eingetrocknet Molkepulver. In großen Mengen. Und das war besonders stark verstrahlt: mit einer Cäsiumbelastung von rund 5800 Becquerel pro Kilogramm, also gut dreimal so hoch wie der zulässige Grenzwert in der Europäischen Gemeinschaft.
Der größte Batzen lagerte bei der Meggle Milchindustrie GmbH. Der Gigant unter Bayerns Milchproduzenten nahm Käsereien die Strahlenmolke ab und ließ sie zu 5046 Tonnen trocknen.
Sie können das ja mal zusammenrechnen; - aber wie gesagt: es ging hier nur um 5046 Tonnen Molke ... aus dem Käse aus der Milch von bayerischen Kühen ... aus dem April 1986 ...
Ein Kommentar von Stefan Schultz, SPON 27.04.2016 – 18:23 Uhr
Die Stromkonzerne müssen für ihren Atommüll nur 23,3 Milliarden Euro zahlen. Aus Sicht der Steuerzahler ist das ein Skandal. Sie tragen ein gigantisches Risiko.
- Die Kosten für den Abriss der AKW und die Lagerung des Atommülls belaufen sich nach Angaben der AKW-Betreiber auf 47 Milliarden Euro – zu Preisen von 2014. Bis 2099 wächst diese Summe laut „Stresstest“ des Bundeswirtschaftsministeriums durch Inflation und nuklearspezifische Kostensteigerungen auf 182 Milliarden Euro an. Davon entfällt voraussichtlich ein Drittel auf Abriss und Verpackung sowie zwei Drittel auf Atommüll-Lagerung und -Transporte. Die Rückstellungen der Konzerne betrugen – ebenfalls Stand 2014 – 38 Milliarden Euro, davon 21 Milliarden Euro für Abriss und Verpackung und 17 Milliarden Euro für die Lagerung des Atommülls. Für die Zwischen- und Endlagerung sollen E.on, RWE, EnBW und Vattenfall nach dem Willen der Atom-Finanzkommission einen Aufschlag in Höhe von 6,142 Milliarden Euro zahlen. Als Gegenleistung werden sie aus der Haftung für alle künftigen Kostensteigerungen bei der Atommüll-Lagerung entlassen. (energie-experten.org)
Tagesschau-Sprecherin: "Guten Abend, meine Damen und Herren! In dem sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ist es offenbar zu dem gefürchteten GAU gekommen, dem größten anzunehmenden Unfall …"
Es sind die ersten Meldungen im deutschen Fernsehen: am 28. April. Dass schon 60 Stunden zuvor das Atomkraftwerk in der Ukraine explodiert war, wird erst Tage später klar ...
Die Geschichte vom Molkezug
In dieser Geschichte geht es um 250 Tonnen radioaktiv verstrahltes Molkepulver aus der Molkerei Meggle in Bayern. Erzählenswert ist sie in obigem Zusammenhang, weil man am Beispiel dieser vergleichsweise Bagatelle Kostenrisiken abzuschätzen lernen könnte, aber auch, weil sie echt schräg ist und weil das einiges aussagt über die Funktionsweise von Systemen: Tschernobyl - Krisenmanagement und Konsequenzen in Deutschland. Der Zug mit 242 Güterwaggons geisterte durch Deutschland. Molkezug ergibt bei der Wahrheitsmaschine immerhin 165 ErgebnisseDie Geschichte berichten Matthias Lauerer und Jochen Leffers (bei SPIEGEL ONLINE einestages); - was die Kosten angeht, kann man aus den diversen Artikeln zumindest dies als einigermaßen gesichert rausholen - wohlgemerkt: wir reden jetzt hier nur von dem bisschen Milch von bayerichen Kühen, die was abbekommen haben, und was das kostet, diese Milch zu entsorgen:
Wohin mit der radioaktiv belasteten Milch, wenn niemand sie mehr kaufen will?
Das bayerische Landwirtschaftsministerium riet Molkereien dringend: Macht Käse draus! Und tatsächlich wurden große Milchmengen zu Käse verarbeitet. Als Abfallprodukt entstand aus dem Käswasser Molke, eingetrocknet Molkepulver. In großen Mengen. Und das war besonders stark verstrahlt: mit einer Cäsiumbelastung von rund 5800 Becquerel pro Kilogramm, also gut dreimal so hoch wie der zulässige Grenzwert in der Europäischen Gemeinschaft.
Der größte Batzen lagerte bei der Meggle Milchindustrie GmbH. Der Gigant unter Bayerns Milchproduzenten nahm Käsereien die Strahlenmolke ab und ließ sie zu 5046 Tonnen trocknen.
- Toni Meggle mietete dann von der Deutschen Bundesbahn 242 leere Bahnwaggons - als rollendes Zwischenlager. Das war nicht umsonst, aber günstig. Pro Waggon und Tag kassierte die Bahn lediglich drei Mark.
- Das in Säcke verpackte Molkepulver wurde in Eisenbahnwaggons verladen. Bundesumweltminister Walter Wallmann riss die Verantwortung an sich. Er habe sich, prahlte der Minister damals, für die verseuchte Molke "zuständig gemacht" und werde "sie unschädlich machen". 242 Güterwaggons machten sich auf den Weg. In Bonn rang man mit dem damaligen bayerischen Staatskanzleichef Edmund Stoiber um eine Lösung: Für 3,8 Millionen Mark ging das Pulver in Bundesbesitz über. Das lästige Pulver wurde schließlich in die Obhut der Bundeswehr übergeben. Auf militärischem Gelände, teils im bayrischen Feldkirchen, teils bei Meppen im Emsland wurden die verplombten Waggons mit der radioaktiven Fracht nun von Soldaten bewacht.
- Auch der Verkauf der Molke nach Afrika stand zeitweilig zur Diskussion; wurde aber wieder verworfen. Weitere Jahre zogen ins Land - bis in der niedersächsischen Stadt Lingen eine Anlage zur Reinigung des Pulvers errichtet worden war. Die Arbeiten dauerten zwei Jahre und kosteten rund 70 Millionen Mark. Wieder machte sich der Molke-Zug mit dem verstrahlten Pulver auf den Weg. Ende 1990 endlich kamen die letzten Waggons im stillgelegten Kernkraftwerk an, wo man die Strahlenmolke dekontaminierte.
- Die letzten Säcke wurden am 7. Dezember 1990 entsorgt. Bundesumweltminister Klaus Töpfer ließ die Molkewaschanlage vollständig abbauen und in Teilen verkaufen. Den zunächst geplanten Komplettverkauf in die Ukraine lehnten die Grünen und andere Kernkraftgegner damals unisono ab. Die vom Cäsium-137 verseuchten Ionentauscher kamen nach Angaben von Franz Roiner in den Salzstock von Gorleben.
Sie können das ja mal zusammenrechnen; - aber wie gesagt: es ging hier nur um 5046 Tonnen Molke ... aus dem Käse aus der Milch von bayerischen Kühen ... aus dem April 1986 ...
gebattmer - 2016/04/27 18:45
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