Der Islam, die Aufklärung und die "christlich-jüdische Tradition" (aka Der Westen)
Der Islam kannte keine Aufklärung, so lautet ein gängiger Vorwurf. Aber er hatte sie auch gar nicht nötig - bis der Westen kam.
- so Frank Griffel, Professor für Islamwissenschaften an der Yale-Universität und derzeit Gastprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung (27. Mai 2016). Seine zentrale These:
Dazu passt: Wie die Philosophie "weißgewaschen" wurde
Vor 200 Jahren wurde am Wiener Kongress der Sklavenhandel abgeschafft. Das lag weniger an der Philosophie der Aufklärung und mehr an politisch-ökonomischem Kalkül. Denn die "großen, weißen Aufklärer" kümmerten sich wenig um die Versklavung Schwarzer Menschen. Das hat Folgen bis heute: Der Kanon der Philosophie wurde "weißgewaschen".
So der Philosoph Nathaniel Adam Tobias Coleman vom University College London im Gespräch mit science.ORF.at Via Burk's Blog
Möglicherweise hat also unser Verständnis von Aufklärung (mehr als) ein Problem:
1. weißgewaschen; Vgl. Coleman und Das deutsche Dispositiv (III): Die Grundrechte und die Aufklärung: Immanuel Kants Physische Geographie, der Neger und der Vertriebene.
2. mangelnde Ambiguitätstoleranz: "Die islamische Zivilisation war verschiedenen orientalischen, persischen und indischen Einflüssen ausgesetzt und enthielt schon von vornherein eine größere Anzahl von Elementen unterschiedlicher Herkunft als die europäische. In ihrer weiteren Entwicklung hat sie im Fall eines Konfliktes zwischen zwei philosophischen Systemen in der Regel nicht eines davon eliminiert, sondern sie ließ beide - entweder Seite an Seite oder auf verschiedenen Ebenen - bestehen."
Damit gilt für die Philosophie in der islamischen Welt gerade nicht, was Hegel als Regel der Philosophiegeschichte überhaupt postuliert hatte: dass sich nämlich im Konflikt zweier Denksysteme ein drittes, neues durchsetzt, das dann die vorherigen "aufhebt". Diese Hegel'sche "Dialektik" hat Generationen von Wissenschaftshistorikern im Westen beeinflusst.
Sie ist zudem ein Bestandteil der These des Wissenschaftsphilosophen Thomas Kuhn, nach der sich Phasen der Normalwissenschaft mit kurzen, wirkungsreichen wissenschaftlichen Revolutionen abwechseln. All dies gehört heute zum Selbstverständnis des wissenschaftlichen Fortschritts im Westen, den dieser als Fortschritt der Menschheit überhaupt versteht... (s.o. Griffel)
3. "Christlich-jüdische Tradition", Aufklärung und Auschwitz
4. Dialektik der Aufklärung: Was ist heute eingreifendes Denken?
5. ohne Rhythmusgefühl zu sein: Ein Kommentar von Carlos Santana - Toussaint L'Ouverture
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- so Frank Griffel, Professor für Islamwissenschaften an der Yale-Universität und derzeit Gastprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung (27. Mai 2016). Seine zentrale These:
- Die oft gehörte Forderung, der Islam müsse sich reformieren und die Werte der Aufklärung übernehmen, ist aus der Kenntnis vormoderner islamischer Gesellschaften heraus sinnlos. Unser Verständnis vom Niedergang muslimischer Gesellschaften nach ihrer angenommenen klassischen Blütezeit - also um 1200 nach Christus - ist verfehlt. Sicher, nachklassische islamische Gesellschaften hatten auch ihre Probleme - autoritäre Strukturen und Mangel an politischer Partizipation etwa -, aber sie waren frei von den Missständen, die in Europa die Reformation und die Aufklärung zur Folge hatten, und damit auch frei von der Gewalt, die diese Umwälzungen erzeugten.
"Weder gab es einen organisierten Klerus", schreibt Bauer, "noch eine Unterdrückung von Philosophie und Naturwissenschaften und auch keine Ketzerprozesse gegen Rationalisten." Hier hat die westliche Islamwissenschaft der letzten zwei Jahrhunderte einen falschen Eindruck erweckt: Der nachklassische Islam kennt keine Hexenverbrennungen, keinen Index verbotener Bücher und keine Religionskriege - alles Phänomene, die Europa plagten.
Vielleicht ist dieser neue Blick auf die vom Kolonialismus zerstörten islamischen Gesellschaften nichts als eine andere Art der Verbrämung, im Islam wieder einmal einen Gegenentwurf zu westlichen Gesellschaften zu sehen, diesmal aber einen positiven, in dem die Übel der Moderne vermieden wurden.
Doch selbst, wenn es eine Romantisierung sein mag, geht sie mit einem kritischen Blick auf das Eigene einher. Es scheint, als habe Europa sein Gegenüber auf der anderen Seite des Mittelmeeres lange missverstanden. Da mag selbst ein idealisierender Blick auf dieses andere - sofern er letztlich der Forderung nach einer Aufklärung des Islam ein Ende setzt - eine willkommene Abwechslung sein.
Dazu passt: Wie die Philosophie "weißgewaschen" wurde
Vor 200 Jahren wurde am Wiener Kongress der Sklavenhandel abgeschafft. Das lag weniger an der Philosophie der Aufklärung und mehr an politisch-ökonomischem Kalkül. Denn die "großen, weißen Aufklärer" kümmerten sich wenig um die Versklavung Schwarzer Menschen. Das hat Folgen bis heute: Der Kanon der Philosophie wurde "weißgewaschen".
So der Philosoph Nathaniel Adam Tobias Coleman vom University College London im Gespräch mit science.ORF.at Via Burk's Blog
Möglicherweise hat also unser Verständnis von Aufklärung (mehr als) ein Problem:
1. weißgewaschen; Vgl. Coleman und Das deutsche Dispositiv (III): Die Grundrechte und die Aufklärung: Immanuel Kants Physische Geographie, der Neger und der Vertriebene.
2. mangelnde Ambiguitätstoleranz: "Die islamische Zivilisation war verschiedenen orientalischen, persischen und indischen Einflüssen ausgesetzt und enthielt schon von vornherein eine größere Anzahl von Elementen unterschiedlicher Herkunft als die europäische. In ihrer weiteren Entwicklung hat sie im Fall eines Konfliktes zwischen zwei philosophischen Systemen in der Regel nicht eines davon eliminiert, sondern sie ließ beide - entweder Seite an Seite oder auf verschiedenen Ebenen - bestehen."
Damit gilt für die Philosophie in der islamischen Welt gerade nicht, was Hegel als Regel der Philosophiegeschichte überhaupt postuliert hatte: dass sich nämlich im Konflikt zweier Denksysteme ein drittes, neues durchsetzt, das dann die vorherigen "aufhebt". Diese Hegel'sche "Dialektik" hat Generationen von Wissenschaftshistorikern im Westen beeinflusst.
Sie ist zudem ein Bestandteil der These des Wissenschaftsphilosophen Thomas Kuhn, nach der sich Phasen der Normalwissenschaft mit kurzen, wirkungsreichen wissenschaftlichen Revolutionen abwechseln. All dies gehört heute zum Selbstverständnis des wissenschaftlichen Fortschritts im Westen, den dieser als Fortschritt der Menschheit überhaupt versteht... (s.o. Griffel)
3. "Christlich-jüdische Tradition", Aufklärung und Auschwitz
4. Dialektik der Aufklärung: Was ist heute eingreifendes Denken?
5. ohne Rhythmusgefühl zu sein: Ein Kommentar von Carlos Santana - Toussaint L'Ouverture
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gebattmer - 2016/05/30 20:24
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