Deutsche Leitkultur (IX) / Dispositiv (IX): Wieso Jürgen von Manger schon 1967 erklären konnte, warum auch die Arbeiterklasse zuweilen rechts wählt
These: Wenn man sich einen Text anhört, den der Komiker Jürgen von Manger 1967 im Auftrag des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, also des Sozialdemokraten Hans-Jürgen Wischnewski bzw. seiner PR-Abteilung, verfasst hat (und den der große Kulturarchäologe Riffmaster kürzlich entdeckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat), kann man eine Idee entwickeln, warum heute AfD, Front National, UKIP oder Donald Trump gewählt werden; - auch von Leuten, von denen man es eigentlich nicht erwartet hätte.
Hören Sie dazu zunächst Jürgen von Manger:
Das ist schon brillant, wie Manger das rassistische Denken der Zielgruppe in Figur und Rede des Adolf Tegtmeier aufnimmt, wie er seinen IG-Metall-Kollegen Wischnewski bei dessen sozialdemokratischer Facharbeiter-Ehre packt mit dem gleichen Argument, das Gabriel 2015 verwendet: „Und wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.“, - um dann die Zielgruppe damit für Entwicklungshilfe einzunehmen, dass die ja deutsche Arbeitsplätze sichert:
Wir können festhalten:
1. Dass Jürgen von Manger richtig lag mit der Annahme, dass auch die sozialdemokratische Wählerschaft des Jahres 1967 so (rassistisch) denkt und also die (nationalistische) Aufschwung-Werbung verfängt, dürfte nicht von der Hand zu weisen sein.
2. Es gibt offenbar einen relativ konstanten Anteil der deutschen Bevölkerung, der über ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ verfügt bzw. empfänglich ist für „rechtsextreme Denkinhalte“ (vgl. auch SINUS)
3. Es gibt ein Legitimationsproblem, wenn auf Dauer das Wachstums-Versprechen, von dem man profitieren werde, sich als Fake erweist und Deklassierung droht bzw. erfahren wird.
Die Frage ist dann: Warum wählen die jahre/jahrzehntelang die SPD (oder auch die Linke oder gar nicht) und jetzt AfD?
Erhellend dazu: Wie aus Linken Rechte werden, Teil II - Der rassistische Reflex und das Ende der Solidarität
Von Didier Eribon (»Blätter« 9/2016, Seite 85-92)
Dazu sollte man auch lesen:
Hauke Brunkhorst: Für eine demokratische Neugründung Europas. Die »Flüchtlingskrise« als Rückkehr des Verdrängten (in »Blätter« 9/2016, Seite 63-74)
Nicht erstaunlich, so Brunkhorst, wenn derart ausgeschlossene Bürger Diskussionforen nutzen, in denen sie ihre eigenen Differenzen, Kontroversen und Konflikte ausdrücken und austragen können. Dass das, nicht mehr moderiert durch verantwortungsbewusste Redakteure, vielmehr befeuert durch prokante Deutungsangebote, die Aufmerksamkeit garantieren (vgl. Petry und der Begriff "völkisch"), in die rechte Tonne geht, sollte nicht verwundern!
Schwierig darauf zu reagieren:
- "Ihr könnt nicht glauben, ihr wärt das Volk"
Für Nation und Heimat, gegen Oligarchie und Finanzelite: Linke Bewegungen wie Podemos und Nuit Debout klingen oft wie Rechtsradikale, sagt der Soziologe Didier Eribon. (ZEIT-Online, 4. Juli 2016)
- „Ein Ernstnehmen der „einfachen“ Bevölkerung als „Intellektuelle“ ihres eigenen Alltags und die Nutzung des Alltagsverstandes, des „senso comune“ als Sockel eines linken, emanzipatorischen Projekts. Ohne dieses Ernstnehmen wird es keinen radikalen Bruch mit dem herrschenden kapitalistischen Krisendiskurs, der rapide verwildert, geben können ...
Oder so: "Das Identitätsgequatsche nervt!"
Der Liedermacher Funny van Dannen im Interview mit dem Deutschlandfunk. (Deutschlandradio Kultur)
Die GBlogSuche nach »Dispositiv« hat 19 Resultate geliefert.
Die GBlogSuche nach »Deutsche Leitkultur« hat 17 Resultate geliefert.
* Vgl. auch Bersarins lesenswerte Rezension von Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ (AISTHESIS)
Hören Sie dazu zunächst Jürgen von Manger:
Das ist schon brillant, wie Manger das rassistische Denken der Zielgruppe in Figur und Rede des Adolf Tegtmeier aufnimmt, wie er seinen IG-Metall-Kollegen Wischnewski bei dessen sozialdemokratischer Facharbeiter-Ehre packt mit dem gleichen Argument, das Gabriel 2015 verwendet: „Und wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.“, - um dann die Zielgruppe damit für Entwicklungshilfe einzunehmen, dass die ja deutsche Arbeitsplätze sichert:
- Aber bitte schön, dat wissen die meisten nich: Daß dieses Geld, wat die sich ausleihen, wennse so mit ihre schwatte Aktentaschen in Bonn angewackelt kommen — dat dürfen die überhaupt nich mit zu Hause nehmen, sondern müssense hier in Deutschland gleich irgendwelche Traktoren oder auch schon mal Kunstdünger für kaufen, damit dieser Dünger dann gleich die deutsche Industrie wieder zugute kommt, und wir alle eine schöne Auftragslage, ne, also daß wir diese ganze Konjunktur nich mehr länger anne Talsohle „rumknabbern müssen, sondern die Wirtschaft schön am Laufen halten!
Wir können festhalten:
1. Dass Jürgen von Manger richtig lag mit der Annahme, dass auch die sozialdemokratische Wählerschaft des Jahres 1967 so (rassistisch) denkt und also die (nationalistische) Aufschwung-Werbung verfängt, dürfte nicht von der Hand zu weisen sein.
2. Es gibt offenbar einen relativ konstanten Anteil der deutschen Bevölkerung, der über ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ verfügt bzw. empfänglich ist für „rechtsextreme Denkinhalte“ (vgl. auch SINUS)
3. Es gibt ein Legitimationsproblem, wenn auf Dauer das Wachstums-Versprechen, von dem man profitieren werde, sich als Fake erweist und Deklassierung droht bzw. erfahren wird.
Die Frage ist dann: Warum wählen die jahre/jahrzehntelang die SPD (oder auch die Linke oder gar nicht) und jetzt AfD?
Erhellend dazu: Wie aus Linken Rechte werden, Teil II - Der rassistische Reflex und das Ende der Solidarität
Von Didier Eribon (»Blätter« 9/2016, Seite 85-92)
- Mir ist durchaus bewusst, dass das Programm und der Erfolg des Front National in vielerlei Hinsicht von den Gefühlslagen der Arbeiterklasse in den 1960er und 70er Jahren geprägt bzw. hervorgerufen wurden. Hätte man aus dem, was tagtäglich in meiner Familie gesprochen wurde, ein politisches Programm stricken wollen, es wäre, obwohl man hier links wählte, dem der Rechtsextremen wohl ziemlich nahegekommen: Forderungen, Einwanderer wieder abzuschieben; „nationales Vorrecht“ auf Arbeitsplätze und Sozialleistungen; Verschärfung des Strafrechts und der Strafverfolgung; Beibehaltung und Ausweitung der Todesstrafe; die Möglichkeit, die Schule bereits mit vierzehn Jahren zu verlassen, usw. ...
Seine zentrale These:
Wenn die Linke die Mobilisierbarkeit aus dem Selbstwahrnehmungshorizont der Gruppe löscht, dann rekonstruiert diese sich anhand eines anderen, diesmal nationalen Prinzips, anhand der Selbstwahrnehmung als 'legitime' Population eines Territorums, das einem anscheinend weggenommen wird und von dem man sich vertrieben fühlt ...
Dazu sollte man auch lesen:
Hauke Brunkhorst: Für eine demokratische Neugründung Europas. Die »Flüchtlingskrise« als Rückkehr des Verdrängten (in »Blätter« 9/2016, Seite 63-74)
- Es gibt keine Flüchtlingskrise, wohl aber eine Krise der Menschenrechte in Europa, schreibt Brunkhorst:
Und es ist eine Krise der öffentlich konstruierten Selbstwahrnehmung Europas - also gerade keine Krise der in Europa noch immer mehrheitlich überwiegenden Mentalitäten, sondern eine Krise des Systems der veröffentlichten Meinung. Dieses System ist völlig in die Rolle des Luhmann'schen Beobachters zweiter Ordnung geschlüpft: Es beschränkt sich darauf, dem Publikum die Politik nur noch so zu erklären, wie Eltern ihren unmündigen und unwissenden Kindern die komplizierte Welt, die sie nur berühren, an der sie aber nicht teilnehmen können ...
Nicht erstaunlich, so Brunkhorst, wenn derart ausgeschlossene Bürger Diskussionforen nutzen, in denen sie ihre eigenen Differenzen, Kontroversen und Konflikte ausdrücken und austragen können. Dass das, nicht mehr moderiert durch verantwortungsbewusste Redakteure, vielmehr befeuert durch prokante Deutungsangebote, die Aufmerksamkeit garantieren (vgl. Petry und der Begriff "völkisch"), in die rechte Tonne geht, sollte nicht verwundern!
Schwierig darauf zu reagieren:
- "Ihr könnt nicht glauben, ihr wärt das Volk"
Für Nation und Heimat, gegen Oligarchie und Finanzelite: Linke Bewegungen wie Podemos und Nuit Debout klingen oft wie Rechtsradikale, sagt der Soziologe Didier Eribon. (ZEIT-Online, 4. Juli 2016)
- „Ein Ernstnehmen der „einfachen“ Bevölkerung als „Intellektuelle“ ihres eigenen Alltags und die Nutzung des Alltagsverstandes, des „senso comune“ als Sockel eines linken, emanzipatorischen Projekts. Ohne dieses Ernstnehmen wird es keinen radikalen Bruch mit dem herrschenden kapitalistischen Krisendiskurs, der rapide verwildert, geben können ...
Oder so: "Das Identitätsgequatsche nervt!"
Der Liedermacher Funny van Dannen im Interview mit dem Deutschlandfunk. (Deutschlandradio Kultur)
Die GBlogSuche nach »Dispositiv« hat 19 Resultate geliefert.
Die GBlogSuche nach »Deutsche Leitkultur« hat 17 Resultate geliefert.
* Vgl. auch Bersarins lesenswerte Rezension von Didier Eribons „Rückkehr nach Reims“ (AISTHESIS)
gebattmer - 2016/09/13 19:27
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