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Updated: ARD-Populisten-Porno: "Terror - Ihr Urteil" vs. BVerfG: "Abschussermächtigung im Luftsicherheitsgesetz nichtig" [Il y a des juges (VII)]

Ein Flugzeug wurde entführt, 164 Menschen sind an Bord. Darf man sie opfern, um einen Anschlag auf ein Fußballstadion mit 70.000 Besuchern zu verhindern? Darum geht es um 20.15 Uhr im ARD-Film "Terror". Die Zuschauer sollen ein Urteil fällen.

Thomas Fischer: Die lieben Zuschauer werden nach Strich und Faden verarscht, und zwar sowohl vom rechtsgelehrten Autor als auch vom quotengeilen Sender. Ihnen werden Belehrungen über die Rechtslage zuteil, die hinten und vorne falsch sind und die entscheidende Fragestellung gar nicht enthalten. Auf dieser Bananen-Ebene dürfen sie dann "abstimmen" und "über das Schicksal eines Menschen entscheiden". Eine Kunst, die aus Lüge, Denkfaulheit und Inkompetenz besteht, ist nicht mehr als die Imitation ihrer selbst. Siehe unten!


Boff! Was für ein Terror-Trailer!

In der Sache gibt es bereits ein Urteil:


Bundesverfassungsgericht - Pressemitteilung Nr. 11/2006 vom 15. Februar 2006

Urteil vom 15. Februar 2006
1 BvR 357/05


§ 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG), der die Streitkräfte ermächtigt, Luftfahrzeuge, die als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollen, abzuschießen, ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 15. Februar 2006. Für die Regelung fehle es bereits an einer Gesetzgebungsbefugnis des Bundes. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG, der den Einsatz der Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen regelt, erlaube dem Bund nicht einen Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen. Darüber hinaus sei § 14 Abs. 3 LuftSiG mit dem Grundrecht auf Leben und mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar, soweit von dem Einsatz der Waffengewalt tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden. Diese würden dadurch, dass der Staat ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt, als bloße Objekte behandelt; ihnen werde dadurch der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.

Damit war die Verfassungsbeschwerde von vier Rechtsanwälten*, einem Patentanwalt und einem Flugkapitän, die sich unmittelbar gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG gewandt hatten, erfolgreich (zum Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 101/2005 vom 17. Oktober 2005).


Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde: ... Nachlesen!

* Zu den Rechtsanwälten gehörten Gerhart Baum, Bundesinnenminister unter Helmut Schmidt, und Burkhard Hirsch, von 1994 bis 1998 Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Im Gespräch mit der FAZ (01.08.2016) legen die beiden dar, warum sie Ferdinand von Schirachs Theaterstück "Terror" (heute Abend in der ARD), das Stück für gefährlich halten. Auszug:
    Wir haben uns gefragt, worüber das Publikum letztlich abstimmt: über den konkreten Fall des Piloten, über Ihre Verfassungsbeschwerde, über die Menschenwürde?

    G.B.: Das ist in der Tat das Dilemma, in das der Autor die Besucher bei der Abstimmung bringt. Natürlich kann man dem Piloten schuldmindernde Gründe zurechnen, ohne die Menschenwürde in Frage zu stellen. Aber bei Schirach muss man sich für den Piloten oder für die Verfassung entscheiden.

    B.H.: Herr Baum, dann müssen Sie den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Jung und auch Wolfgang Schäuble erwähnen.

    G.B.: Nach dem Urteil, das wir in Karlsruhe erstritten haben, verkündeten die beiden öffentlich: Wenn es zu einem solchen Entführungsfall käme, sie würden trotzdem abschießen.

    Wie haben Sie darauf reagiert?


    G.B.: Wir haben überlegt, deswegen vor Gericht zu gehen.

    B.H.: Das Parlament hätte die Minister dafür zurechtweisen müssen. Sie hatten angekündigt, gegen einen elementaren Verfassungsgrundsatz zu verstoßen.

    Und?


    B.H.: Hat es aber nicht. Schäuble und Jung vermittelten so den Eindruck, der Staat würde hilflos, wenn er die Verfassung anwendet. Das ist das Problem. Die Bundesrepublik hat sogar völkerrechtlich anerkannt, dass der Abschuss eines Passagierflugzeugs ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, und sich verpflichtet, Terroristen nicht als Soldaten in einem Krieg zu behandeln, sondern als Verbrecher. Ich wehre mich leidenschaftlich gegen die ständigen Versuche, zu insinuieren, es handele sich in Wirklichkeit um einen kriegsähnlichen Zustand, in dem wir uns befinden.
    ...
Dass sehe ich auch so: Der Film regt dazu an, das Verfassungsgericht zu enteiern und akutell virulente Affekte zu befeuern.
Ich schließe mich
Fefe an:
    Die ARD führt Mobdemokratie a la Hunger Games ein. Es geht um den Umsturz von Humanismus und universellen Menschenrechten und einen Angriff auf das Bundesverfassungsgericht und sein Urteil zu Schäubles Flugzeugabschussparolen vor ein paar Jahren. Ein Film mit einem fiktiven Szenario wird gezeigt, mit dem hundertfach von nationalkonservativen Sicherheitshetzern benutzten Szenario, dass man durch das Folter von einem Mann hunderte an Menschenleben retten könnte, also lass uns doch mal eine Ausnahme machen. Ein bisschen abgewandelt hier, nämlich ein entführtes Flugzeug rast auf die Allianz-Arena zu, und wenn wir doch nur die paar Menschenleben an Bord des Flugzeugs opfern, denn die werden ja eh sterben!1!!, dann können wir zehntausende in der Allianz-Arena retten!!!

    In dem Film schießt ein patriotischer Bundeswehrsoldatenheld das Flugzeug ab, rettet damit MILLIONEN, und dann kommt der fiese, feige, liberale Verräterstaat und dolcht ihm in den Rücken, stellt ihn vor Gericht. Der Richter in der Verhandlung ist das Fernsehpublikum, das kann dann im Internet abstimmen, ob er nicht doch freigesprochen werden soll. Wie in Hunger Games!
    Auf dem Weg sind denen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wohl ein bisschen die Details durcheinandergeraten, wofür wir das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eigentlich haben.
Laut Statistik haben zusammengerechnet 59,4 Prozent der Zuschauer bislang (also in den Theateraufführungen seit der Premiere im letzten Herbst) für Freispruch plädiert. Der Pilot wurde in 93,9 Prozent aller verkündeten Urteile freigesprochen (und es ist zu vermuten, dass das heute ähnlich ausgeht). Woran das liegt?
Vermutlich an der Verwechslung von Karte und Gebiet, Inszenierung und Realität.

Update 21 Uhr sonstwas: Und so haben Sie entschieden:
Die Zuschauer haben abgestimmt und das Ergebnis lautet:
13,1 % schuldig
86,9 % nicht schuldig

Propagandamäßig ein in schöner Erfolg für das ÖRFernsehen, dass das Ergebnis noch 30 Prozentpunkte höher liegt als bei den Theaterbesuchern! Tolle Inszenierung!
Immerhin: Das andere Urteil ist ja auch gedreht worden.

Update 18.10.:
"Terror" – Ferdinand von Schirach auf allen Kanälen!
Eine Kolumne von Thomas Fischer

Darf das Fernsehen elementare Rechtsfragen solange verdrehen, bis ein Film daraus wird? Ein Lehrstück über den Missbrauch des lieben Zuschauers. (ZEIT-Online, 18. Oktober 2016)
    Terror ist ein Theaterstück, das, soviel muss man wohl vorausschicken, mit Terror denkbar wenig zu tun hat. Der Titel ist vielmehr ein heiserer, populistischer Schrei nach Aufmerksamkeit. Das in dem Stück behandelte Rechtsproblem kann man am Beispiel eines "Terror"-Anschlags genauso gut oder schlecht verdeutlichen wie an zahlreichen anderen fiktiven – oder sogar historisch bewiesenen – Sachverhalten. Der Einstieg über den Begriff des "Terrors", verbunden mit einer naturalistisch imitierten Gerichtsverhandlung mit Anklage, Beweiserhebung, Urteil und vor allem der Aufforderung an den Zuschauer, an letzterem aktiv – als eine Art Geschworener, durch "Entscheidung über das Schicksal eines Menschen" – mitzuwirken (!), ist eine unverschämte, schwer erträgliche Manipulation der Öffentlichkeit im Namen eines quasistaatlichen Anliegens, ohne dem auch nur die mindesten staatlichen Garantien an Wahrhaftigkeit und Unvoreingenommenheit zugrunde zu legen. Das ist ein starkes Stück...
    Die Lösung des Falles aber, und die "Gerechtigkeit" gegenüber dem fiktiven Angeklagten, liegt auf einer ganz anderen Ebene, nämlich derjenigen der persönlichen Zumutbarkeit. Über diese Frage muss von Strafgerichten entschieden werden; sie stellte sich dem Bundesverfassungsgericht gar nicht.

    Theaterstück und Film unterschlagen diesen – entscheidenden! – Unterschied nicht nur, sondern leugnen ihn obendrein ausdrücklich: "Der Richter" (Vorsitzender) belehrt den Angeklagten nachdrücklich, auf seine "innere Sicht", seine subjektiven Meinungen und Motive komme es im Strafverfahren überhaupt nicht an; hier gehe es "allein um die Feststellung der Tatsachen". Dieses ist eklatant falsch und geradezu die Umkehrung des rechtsstaatlichen Ansatzes. Es ist komplett falsch, wenn Schirach durch Weglassen suggeriert, für die Entscheidungen zwischen Rechtmäßigkeit und "Gewissen" halte das Recht keinerlei Maßstäbe bereit. Die Zuschauer werden durch diesen Unsinn gezielt und von vornherein desinformiert und auf eine Fährte gelockt, die es dem Autor zuletzt gestattet, seine alberne "Abstimmungs"-Dramaturgie durchzuführen. Das ist schäbig.

    Die Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit/Rechtmäßigkeit einerseits und Schuld/Unschuld andererseits ist eine der grundlegenden Errungenschaften unserer Rechtskultur. Für das deutsche Strafrecht bildet sie eine unabdingbare Grundlage für die Entscheidung jedes Einzelfalls. Ein Strafprozess, in dem der Vorsitzende sich die Information über die persönlichen Motive und Sichtweisen des Beschuldigten verbittet, wäre eine Farce.

    Weil das Stück von Schirach die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld fast vollständig unterschlägt, unterschlägt es auch die Tatsache, dass die Lösung des Dilemmas keineswegs nur "jenseits des Rechts", also irgendwo im Reich der höchstpersönlichen, beliebig "abstimmbaren" Moral gefunden werden kann, sondern dass es gerade das Recht ist (und sein muss), das sich die am weitesten gehenden und überzeugendsten Gedanken zu solchen Problemen gemacht hat....
    Lesen!

Update 19.10.:
Das versteht Herr Kallmeyer von meiner Lieblings-HAZ nicht. Für ihn ist einer, der auf Differenzierungen beharrt, eine "Spaßbremse" (Leitartikel 19.10. - Wenn das TV-Volk plötzlich regiert) :
    Ja, es hat Spaß gemacht zu entscheiden. Und man war nicht allein. Gut 600 000 Deutsche haben nach dem TV-Experiment „Terror“ darüber abgestimmt, ob ein Bundeswehrpilot freigesprochen wird, der ein entführtes Flugzeug abgeschossen hat, um ein Inferno in einem Fußballstadion zu verhindern. Der Mann darf weiterfliegen, weil die große Mehrheit das so will. Was ist das nun: Ein besonders weises Urteil, weil so viele Richter entschieden haben? Eine Entscheidung mit Gewicht, weil sie demokratisch ist und dem gesunden Menschenverstand entspricht?
    Es ist ein Fernsehspiel im besten Sinne. Und wie bei jedem Spiel muss man wissen, wann es zu Ende ist und wann wieder der Ernst beginnt.
    Oberste Spaßbremse war gestern der prominente Bundesrichter Thomas Fischer. Er will nichts wissen von einer „gefühlten Gerechtigkeit“, die auf einem „Spontan-Rülpser des Volkskörpers“ fußt ...
Sein Kollege Imre Grimm, einer der 3-4 ernstzunehmenden Journalisten der HAZ, stellt auf der Medienseite immerhin die Kontroverse einigermaßen korrekt dar und kommt zu dem Schluss:
    Allein die Tatsache, dass sich sieben Millionen Menschen mit den Graubereichen des Rechts beschäftigen, ist ein öffentlich-rechtlicher Erfolg. Die Frage, ob sieben Millionen Richter besser sind als einer, ist freilich beantwortet. Nein, sie sind es nicht.
Da wagt sich einer in der HAZ weit vor , wenn er dem Leitartikler widerspricht, aber er wagt es offenbar nicht, sich auch zu beziehen auf
Heribert Prantls präzise Analyse: Terror als Populisten-Porno (Süddeutsche Zeitung, 18. Oktober 2016, 14:42 Uhr)
Die Zuschauer wurden im Film "Terror" dazu verleitet, die Menschenwürde zu verraten. Wie die ARD sie in die Amtsanmaßung und in ein Fehlurteil getrieben hat. - Lesebefehl!!!
    ... Schirach und die ARD haben der bloßen Spannung wegen die Zuschauer genarrt, sie haben sie zu einer Entscheidung genötigt, die es in Wahrheit so nicht gibt. Sie haben so getan, als müsse man das Recht verraten, um ihm Genüge zu tun: Sie haben dem Zuschauer verschwiegen, dass das Recht einen Täter schuldig sprechen und ihn trotzdem milde oder gar nicht bestrafen kann.

    Auf diese Weise könnte die Straftat zwar als Straftat bezeichnet, aber die tragische Situation des Täters berücksichtigt werden. Vom übergesetzlichen Notstand war im Film zwar dauernd die Rede, aber die Möglichkeiten, die das Recht in so einem Fall gibt, wurden nicht berücksichtigt.

    Schirach und die ARD haben ihre Zuschauer auf diese Weise verleitet, das wichtigste Rechtsprinzip, die Menschenwürde, zu verraten. Schirach und die ARD haben dem Vorurteil Vorschub geleistet, dass man den Terror nur am Recht und seinen Kernprinzipien vorbei bekämpfen, aber dann die extralegalen Mittel per Urteil zum Recht erklären könne.

    Das ist nicht Rechtserziehung, das ist Erziehung zum Rechtsmissbrauch. Das ist Anleitung zu einem Denken, wonach man das Recht gegen den Terror nur mit Unrecht bekämpfen könne. Mit der Methode Schirach & ARD kann man auch Waterboarding zu einer notwendigen, schuld- und straflosen Terrorbekämpfungs-Handlung machen....


Vgl. auch: NachDenkSeiten: „Terror“ – wie die ARD ihre Zuschauer für dumm verkauft und „nebenbei“ auch noch die Kärrnerarbeit für die Feinde des Rechtsstaats erledigt (19. Oktober 2016 | Jens Berger)
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"Es gibt so viele Arschloch-Typen wie es menschliche Funktionen, Tätigkeiten und Interessengebiete gibt. Und auf jedem Gebiet kann das Verhältnis von AQ zu IQ ein anderes sein. Kein noch so kopfdenkerisches Verhalten bei einem Thema bietet Gewähr dafür, dass nicht schon beim nächsten der Arschdenk mit voller Wucht einsetzt." Charles Lewinsky, Der A-Quotient

Wise Man Says II

"The illusion of freedom will continue as long as it's profitable to continue the illusion. At the point where the illusion becomes too expensive to maintain, they will just take down the scenery, they will pull back the curtains, they will move the tables and chairs out of the way and you will see the brick wall at the back of the theater." Frank Zappa

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