An der Schwelle zum autoritären Jahrhundert : Was ist Politik? bzw. Was hätte Politik sein können/ sein müssen? - Ralf Dahrendorf und Gil Scott-Heron erklären das mal
- Am Ende möchte ich noch einmal auf den Anfang zurückkommen. Mein Eindruck ist, dass vor allem die Tendenz zur Vermathematisierung und Ausrichtung der Politikwissenschaft auf empirisch-quantitative Methoden der Kontingenz des Politischen nicht gerecht werden kann. Die Fixierung auf Quantitäten entspringt nicht zufällig Anleihen aus der Wirtschaftswissenschaft, die mit ihren Modellen und Prognosen der Politik exakte Vorgaben für ihr Handeln an die Hand zu geben verspricht – wenngleich die Prognosen sich selten als richtig erweisen.
Statistische Berechnungen und Zahlen spiegeln eine Scheinobjektivität vor, die sie niemals einlösen können. Sie konstruieren gesellschaftliche Realität nicht weniger oder mehr als politische Mythen, die gegebenenfalls sogar eine größere diskursive Wirkungsmacht entfalten können als Zahlen. Ja, letzten Endes ist der Anschein von Objektivität und wissenschaftlicher Exaktheit in solchen Berechnungen selber nur ein Mythos.
Das Politische ist dagegen niemals widerspruchsfrei und die allem Sozialen innewohnenden Konflikte können nicht mit Zahlen und vermeintlich exakter Wissenschaft gebändigt bzw. aus der Welt geschafft werden.
(aus: »Blätter« 10/2016, Seite 105-114)
Ein schönes Beispiel - fast zwanzig Jahre alt - für eine Politikwissenschaft jenseits von Mathematik und Moralphilosophie, die die Widersprüche und die allem Sozialen innewohnenden Konflikte analysiert und sich - aus heutiger Sicht - als tragfähig erweist, - vorgelegt von einem Liberalen auf einem Niveau, das die heutige Linke vielfach nicht einmal mehr erreicht:
Die Globalisierung und ihre sozialen Folgen werden zur nächsten Herausforderung einer Politik der Freiheit
An der Schwelle zum autoritären Jahrhundert
Von Ralf Dahrendorf
14. November 1997 Quelle: (c) DIE ZEIT 1997
- ... Das ist ein düsteres Gemälde, bei dessen Anblick daran zu erinnern ist, daß Prozesse der Globalisierung Grenzen haben. Sie haben regionale, aber auch ökonomische und soziale Grenzen. Dennoch drängt der Schluß sich auf, daß die Entwicklungen zur Globalisierung und ihre sozialen Folgen eher autoritären als demokratischen Verfassungen Vorschub leisten. Autoritäre Verfassungen aber können dauern; sie sind weder so katastrophenträchtig noch so prekär wie totalitäre Diktaturen. Ein Jahrhundert des Autoritarismus ist keineswegs die unwahrscheinlichste Prognose für das 21. Jahrhundert.
Für eine solche Prognose sprechen unter anderem diese Gründe:
Die Internationalisierung des Wirtschaftens hat Folgen, denen sich einzelne nicht ohne weiteres entziehen können. Menschen sind Objekte, nicht Subjekte von Prozessen, deren Subjekte möglicherweise überhaupt nicht als Personen identifiziert werden können.
Die einzige Alternative, die aggressive Regionalisierung oder der Fundamentalismus (Integrismus), ist fast strukturnotwendig von Führungsstrukturen geprägt, die man nur als autoritär beschreiben kann...
Wie der große GIL SCOTT-HERON seinerzeit (als Reagan gewählt wurde) sagte:
Well, the first thing I want to say is: Mandate my ass!
gebattmer - 2016/11/21 18:15
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