RE: Ästhetisierung der Politik
- Walter Benjamin:
»Der Faschismus versucht, die neu entstandenen proletarisierten Massen zu organisieren, ohne die Eigentumsverhältnisse, auf deren Beseitigung sie hindrängen, anzutasten. Er sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen. […] Der Faschismus läuft folgerecht auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus. […] So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. «
[Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (vier Fassungen 1935–1939). Erstausgabe [franz. Übers.] In: Zeitschrift für Sozialforschung. 1936]
Anhaltend aktuell; die Lektüre hilft dabei, wenigstens im Denken nicht unter unseren Möglichkeiten zu bleiben:
... die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen - welch vortreffliche Deutung des Trumpismus, - aber wohl auch des Merkelianismus!
Ein Versuch: Nun muss man zugestehen, dass wir da weiter gekommen sind: Rechtspopulismus, Trumpismus und Merkelianismus versuchen - auf unterschiedliche Weise - die proletarisierten Massen (durch lähmende Ausgrenzung bzw. durch Scheinintegration) zu sedieren und die von Abstieg bedrohten sog. Mittelschichten zu organisieren, ohne die Eigentumsverhältnisse anzutasten, von denen letzetere ja gerade meinen, dass sie ihnen nützten. Sie sehen ihr Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen. […] Diese neuen Herrschaftformen laufen - wie der Faschismus - folgerecht auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus.
Vgl. auch: Der Schein trügt. Rechtspopulismus als Ästhetisierung der Politik. Ein Essay von Beate Meierfrankenfeld.
Sonntag, 15. Januar 2017, 18:05 Uhr auf Bayern 2.
Und vgl. auch: »Im Handgemenge mit der Wirklichkeit bleiben«
Zur Aktualität der kritischen Sozialpsychologie Peter Brückners.
Von Roger Behrens
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Ergänzung: Portbou – Walter Benjamins letzte Station (Helmut Wiesenthal)
- Als Walter Benjamin am 25. September 1940 an der französisch-spanischen Grenze eintraf, hatten er und seine Gefährten einen etwa 15 km langen Fußmarsch von Banyuls-sur-mer über die Berge hinter sich. Benjamin wollte nach Lissabon, um von dort per Schiff in die USA zu gelangen. Der heute weltberühmte Philosoph und Essayist, der damals nur einem kleinen Kreis von Intellektuellen bekannt war, lebte seit 1933 in Frankreich. Als staatenloser jüdischer Deutscher auf der Flucht vor den deutschen Besatzern hatte er es geschafft, die Unterstützung einer amerikanischen Dienststelle in Marseille zu bekommen. So konnte er der spanischen Polizei einen provisorischen amerikanischen Pass samt spanischem Transitvisum zeigen.
Doch die dem Franco-Regime unterstehende Polizei verweigerte Benjamin die Einreise, weil sein Pass kein französisches Ausreisevisum enthielt... Am anderen Morgen, dem 26. September 1940, wurde Benjamin in seinem Hotelzimmer tot aufgefunden...
1994 wurde das Monument „Passagen“ des israelischen Bildhauers Dani Karavan unterhalb des Friedhofs eingeweiht. Auf der Glaswand, die die Treppe hinunter zur Brandung abrupt unterbricht, stehen in mehreren Sprachen Benjamins Worte
„Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht.“ (aus Benjamins ‚Über den Begriff der Geschichte‘).
gebattmer - 2017/03/28 19:44
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