Autoritärer Kapitalismus - Desintegration - Merkelianismus und die autoritär-nationalradikale Revolte
Wichtig: Weil Heitmeyer seit langem darauf hinweist, dass Integration kein Flüchtlingsproblem ist!!
Was der Kapitalismus mit dem Wahlerfolg der AfD zu tun hat - und warum ihre Anhänger einen "autoritären Nationalradikalismus" vertreten. Ein Gespräch mit dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer.
(Interview von Markus C. Schulte von Drach in der Süddeutschen vom 4. Oktober 2017)
Wilhelm Heitmeyer, 72, war bis 2013 Direktor des Institus für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Seit den 80er Jahren untersuchte er Rechtsextremismus, von 2002 bis 2012 lief seine Langzeitstudie zur "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit". --> Heitmeyer bei GBlog!
Zur Ost-West-Differenzierung noch diese Information:
(BIAJ) Nahezu 68 Prozent der AfD-Wähler und -Wählerinnen lebt in Westdeutschland - nach vorläufigen amtlichen Endergebnissen erhielt die AfD bei den Bundestagswahlen am 24. September 2017 in Westdeutschland 3,970 Millionen ihrer insgesamt 5,877 Millionen gültigen Zweitstimmen (67,6 Prozent). Dies wird unter Überschriften wie "Der typische AfD-Wähler - Arbeiter, männlich, ostdeutsch" vergessen bzw. verdrängt. Trotz der i.d.R. weit überdurchschnittichen AfD-Stimmanteile in den ostdeutschen Wahlkreisen (siehe PDF_BIAJ20170930) hätten die ostdeutschen AfD-Stimmen allein nicht zum Einzug in den Deutschen Bundestag gereicht. 4,1 Prozentpunkte des AfD-Wahlergebnisses (12,6 Prozent der gültigen Zweitstimmen) kamen aus Ostdeutschland, 8,5 Prozentpunkte aus Westdeutschland.
[Nachgetragen, nicht uninteressant: Der Osten, die SED und die AfD - blog.wawzyniak.de]
Im Anschluss an Heitmeyer korrigiere ich meine These von neulich (Es ist der Merkelianismus selbst, der die faschistoide Revolte hervorbringt) dahingehend, dass ich faschistoide Revolte ersetze durch Heitmeyers Begriff der autoritären nationalradikalen Revolte.
Die These lautet also nun:
Nicht verschwiegen werden darf, dass es auch ein Problem der (Schwäche der) Linken ist, wenn der Zusammenhang von autoritärem Kapitalismus, Desintegration und gescheitertem Merkelianismus nicht von größeren Teilen der Betroffenen durchschaut wird. Oder müsssen wir davon ausgehen, dass es eine genetische Konstante gibt, dass (zu allen Zeiten mindestens) 20 Prozent der deutschen Bevölkerung rechtspopulistisch-autoritär-faschistoid eingestellt sind? Ich bin da manchmal nicht so sicher. Gibt es so etwas wie einen Nationlacharakter?
Was der Kapitalismus mit dem Wahlerfolg der AfD zu tun hat - und warum ihre Anhänger einen "autoritären Nationalradikalismus" vertreten. Ein Gespräch mit dem Soziologen Wilhelm Heitmeyer.
(Interview von Markus C. Schulte von Drach in der Süddeutschen vom 4. Oktober 2017)
Wilhelm Heitmeyer, 72, war bis 2013 Direktor des Institus für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Seit den 80er Jahren untersuchte er Rechtsextremismus, von 2002 bis 2012 lief seine Langzeitstudie zur "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit". --> Heitmeyer bei GBlog!
- ... Ich habe bereits 2001 vor einer Entwicklung gewarnt, deren Gewinner ein rabiater Rechtspopulismus sein würde. Unsere These war damals: Mit Hilfe der Globalisierung breitet sich ein autoritärer Kapitalismus aus, der einen erheblichen Kontrollgewinn über die Gesellschaft erzielt. Zugleich führt er zu einem Verlust der Kontrolle nationalstaatlicher Politik.
In Teilen der Bevölkerung wird es außerdem so wahrgenommen, dass sie auch selbst Kontrolle verlieren - über die eigene Biografie, und auch über die Politik. Das führt bei ihnen zu einer Demokratie-Entleerung und zu Desintegration. Dadurch wächst die Gefahr, dass diese Menschen ihr Heil bei den Rechten suchen, die ihnen versprechen, ihnen die Kontrolle zurückzugeben.
Integriert sein bedeutet, dass Menschen Zugang zu den Institutionen der Gesellschaft wie dem Arbeitsmarkt, dem kulturellen und politischen Leben haben, und auch - das ist sehr wichtig - dass sie sich als anerkannt wahrnehmen. Das Wahrgenommenwerden und die Anerkennung sind für viele aber nicht gewährleistet. Das gilt nicht nur für Zugewanderte und Flüchtlinge, sondern auch für Einheimische, vor allem für viele Menschen im Osten. Nach der Wiedervereinigung wurde bei vielen die Leistung eines ganzen Lebens entwertet. Ganze Landstriche sind dort desintegriert.
Menschen haben das Gefühl, dass sie oder die Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen, in der Politik keine Stimme haben, dass sie überhaupt nicht wahrgenommen werden. Und bekanntlich ist der, der nicht wahrgenommen wird, ein Nichts. Das wiederum schwächt den Glauben an die Demokratie. Sie verliert an Bedeutung. Es kommt zu einer Demokratie-Entleerung. Das heißt, der Apparat läuft zwar wie geschmiert, aber die notwendige Substanz des Vertrauens verflüchtigt sich.
Das geschieht schleichend schon seit langem. Bereits 2002 konnten wir feststellen, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung rechtpopulistisch eingestellt sind. Ein Teil war wahlpolitisch gesehen bei anderen Parteien unterwegs oder ausgeklinkt. Oder sie sind in ihrer Hoffnungslosigkeit und ihrem Unterlegenheitsgefühl in eine wutgetränkte Apathie verfallen. Bei Pegida und der AfD haben dann viele offenbar das Gefühl gehabt, hier gebe es einen Ort, wo sie sich endlich Gehör verschaffen können.
...
Für mich steht die(se) Partei ... für einen neuen Typus eines autoritären Nationalradikalismus. Eben weil es in erster Linie um die autoritäre Wiederherstellung von Kontrolle geht - über das eigene Leben, über die sozialen Verhältnisse, über die Grenzen. Und auch über die herrschende Politik, die sie nach rechts treiben will...
Zur Ost-West-Differenzierung noch diese Information:
(BIAJ) Nahezu 68 Prozent der AfD-Wähler und -Wählerinnen lebt in Westdeutschland - nach vorläufigen amtlichen Endergebnissen erhielt die AfD bei den Bundestagswahlen am 24. September 2017 in Westdeutschland 3,970 Millionen ihrer insgesamt 5,877 Millionen gültigen Zweitstimmen (67,6 Prozent). Dies wird unter Überschriften wie "Der typische AfD-Wähler - Arbeiter, männlich, ostdeutsch" vergessen bzw. verdrängt. Trotz der i.d.R. weit überdurchschnittichen AfD-Stimmanteile in den ostdeutschen Wahlkreisen (siehe PDF_BIAJ20170930) hätten die ostdeutschen AfD-Stimmen allein nicht zum Einzug in den Deutschen Bundestag gereicht. 4,1 Prozentpunkte des AfD-Wahlergebnisses (12,6 Prozent der gültigen Zweitstimmen) kamen aus Ostdeutschland, 8,5 Prozentpunkte aus Westdeutschland.
[Nachgetragen, nicht uninteressant: Der Osten, die SED und die AfD - blog.wawzyniak.de]
Im Anschluss an Heitmeyer korrigiere ich meine These von neulich (Es ist der Merkelianismus selbst, der die faschistoide Revolte hervorbringt) dahingehend, dass ich faschistoide Revolte ersetze durch Heitmeyers Begriff der autoritären nationalradikalen Revolte.
Die These lautet also nun:
Merkelianismus besteht aus einfachen Grundzutaten: Erzeugung eines Nebels von Harmonie, egal wie erkauft, gelogen, geträumt. Darunter: Stärkung der staatlichen Gewalt, Polizei, Überwachung, Militär, Geheimdienst. Darunter: Abbau des Staates als fürsorgendes und beschützendes Instrument der Gemeinschaft, Übereignung des Geschehens an die großen Spieler des Marktes. Darunter (und da schließt sich der Kreis): Erzeugung eines neuen Wir-Gefühls, in dem die Politik des Neoliberalismus als Schicksal angesehen wird, dem gegenüber nur familiäre Wärme und gleichzeitig Härte helfen kann.
Seeßlens vorzügliche Definition zuletzt zitiert hier: Fake News 4.0 : Merkel an Trump: "Nichts wird uns aufhalten"Es ist der Merkelianismus selbst, der die autoritär-nationalradikale Revolte hervorbringt.
Nicht verschwiegen werden darf, dass es auch ein Problem der (Schwäche der) Linken ist, wenn der Zusammenhang von autoritärem Kapitalismus, Desintegration und gescheitertem Merkelianismus nicht von größeren Teilen der Betroffenen durchschaut wird. Oder müsssen wir davon ausgehen, dass es eine genetische Konstante gibt, dass (zu allen Zeiten mindestens) 20 Prozent der deutschen Bevölkerung rechtspopulistisch-autoritär-faschistoid eingestellt sind? Ich bin da manchmal nicht so sicher. Gibt es so etwas wie einen Nationlacharakter?
gebattmer - 2017/10/08 18:04
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