Zur Kritik der kulturalistischen Linken (II): Abgrenzung statt Solidarität
Wie die weltoffene Mittelklasse die herrschende Wirtschaftsordnung stabilisiert
Von Christian Baron, ND, 16.12.2017
Von allen im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Kultursendungen hat »Aspekte« (ZDF) das beste Image. Katty Salié und Jo Schück führen wöchentlich durch das Programm, sie präsentieren Themen für die jüngere Generation in einem originellen Ambiente, mit ansprechenden Filmeinspielern und guten Gesprächen. Es ist ein besonderes Programm. Im November stellte ein Beitrag das neue Buch von Andreas Reckwitz vor....
Vgl. auch: Zwischen Hyperkultur und Kulturessenzialismus. Die Spätmoderne im Widerstreit zweier Kulturalisierungsregime. Prof. Dr. Andreas Reckwitz bei bpb
Vgl. auch den anderen Ansatz von Per Molander, „Die Anatomie der Ungleichheit – Woher sie kommt und wie wir sie beherrschen können“, Westend Verlag Frankfurt, 224 Seiten, 24 Euro (rezensiert von Hausstein)
Zur Kritik der kulturalistischen Linken
Von Christian Baron, ND, 16.12.2017
Von allen im deutschen Fernsehen ausgestrahlten Kultursendungen hat »Aspekte« (ZDF) das beste Image. Katty Salié und Jo Schück führen wöchentlich durch das Programm, sie präsentieren Themen für die jüngere Generation in einem originellen Ambiente, mit ansprechenden Filmeinspielern und guten Gesprächen. Es ist ein besonderes Programm. Im November stellte ein Beitrag das neue Buch von Andreas Reckwitz vor....
- Die Spätmoderne, zeigt Reckwitz, kreist nicht mehr um Verteilungsfragen, sondern nur noch um die Kultur. Die neue Mittelklasse hat einen Zwang zur Einzigartigkeit etabliert und Besonderheiten der Arbeiterklasse kolonisiert. So wie man sich Yoga aus Indien oder Tai-Chi aus China aneignet, so definiert man auch die Kultur der hierzulande Marginalisierten um. Die neue Mitte darf ihr Craft Beer mit Freunden aus aller Welt in der Eckkneipe trinken, derweil die niemals jenseits der eigenen Landesgrenzen gelangten Unterklassemänner mit »Sternburg« in der Hand am Tresen der Kaschemme als »asozial« gelten. Cafébesitzer mit veganem Rührei im Angebot lassen sich für ihre Tattoos bewundern, während der Kioskbesitzer mit Schlangenbildern auf dem Bizeps ein »Proll« sein soll. So hat die neue Mitte der neoliberalen Verarmungspolitik eine kulturelle Komponente der Verachtung geschenkt.
Das reicht laut Reckwitz bis zur Gesundheit, wo die neue Mittelklasse ihre Werte durchgesetzt hat. Rauchen, Zucker und fettes Essen, Kernelemente des Lebensstils der Arbeiterklasse, sind verpönt. Wer sich der gesunden Ernährung verweigert, schadet dieser Logik zufolge nicht nur sich selbst, sondern auch der Gesellschaft. Auf Dauer legitimiert das eine politische Konsequenz, nach der das staatliche Gesundheitssystem die Bekämpfung »selbst verschuldeter« Krankheiten nicht mehr finanzieren muss.
Spätestens seit dem Anbruch des digitalen Zeitalters hat der Wirtschaftsliberalismus den Menschen in einen grenzenlosen Wettbewerb gedrängt. Darin gibt es keine Gesellschaft mehr, sondern nur noch Einzelkämpfer. Der Linksliberalismus setzt in anderer Weise auf radikale Diversität: verschiedene Geschlechter, verschiedene sexuelle Orientierungen, verschiedene migrantische Gemeinschaften. Das liberale Paradigma, schreibt Reckwitz, habe einseitig auf Differenzen gesetzt und das Gemeinsame, das Verbindende und das Solidarische verloren.
Vgl. auch: Zwischen Hyperkultur und Kulturessenzialismus. Die Spätmoderne im Widerstreit zweier Kulturalisierungsregime. Prof. Dr. Andreas Reckwitz bei bpb
Vgl. auch den anderen Ansatz von Per Molander, „Die Anatomie der Ungleichheit – Woher sie kommt und wie wir sie beherrschen können“, Westend Verlag Frankfurt, 224 Seiten, 24 Euro (rezensiert von Hausstein)
Zur Kritik der kulturalistischen Linken
- Mir fehlte da immer etwas in meiner Begründung der Ablehnung der hilflosen Hoffnung, wenn der Mensch sich ändere (vegan wird, seinen Feind liebt uswusf), würden sich auch die Verhältnisse ändern. Gefunden in einer lesenswerten Würdigung bei AISTHESIS: Marxens „Kapital“:
- „Der Kritiker bildet sich … ein, daß seine moralische Forderung an die Menschen, ihr Bewusstsein zu verändern, dies veränderte Bewußtsein zustande bringen werde, und er sieht in den durch veränderte empirische Verhältnisse veränderte Menschen, die nun auch natürlich ein anderes Bewußtsein haben, nichts Anderes, als ein verändertes Bewußtsein. … Diese ganze Trennung des Bewußtseins von den ihm zugrunde liegenden Individuen und ihren wirklichen Verhältnissen … ist nur eine alte Philosophenmarotte.“ (Marx, Deutsche Ideologie)
gebattmer - 2017/12/19 20:04
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