Predictive Writer: "GEMEINSAME ERKLÄRUNG" - [insonderheit ermahnte er mich, mein urtheil über alles zurück zu halten, mich durch nichts befremden zu lassen. Wieland 2, 21; man wird sich nicht befremden dürfen. Kant 8, 359]
In der Netzkolumne der Süddeutschen Zeitung von heute finden sich ein schöner Satz und die notwendige Erklärung zum Verständnis:
Phrasenauswurf und Wortkotze, syntaktisch hemmungslos und mit schwach verankerten Sinngeländern:
Bedeutungsübersicht: fremd, eigenartig und zugleich unangenehm berühren, anmuten; bei jemandem Erstaunen und Missbilligung auslösen
- gewöhnlich unpersönlich: es befremdet mich sehr, nimmt mich fremd; hat mich im geringsten nicht befremdet; lasz dich nicht befremden; mich befrembd, dasz du sampt deim gesellen in solcher armut so frölich lebest. Bocc. 2, 115ᵃ; denn warlich, doctor Held sich etwas scharpf uf den tag zu Schmalkald hörn lassen, das sich die fürsten befrembdt (verwundert). Lanz Carl 5 s. 262; darinn sich niemandts soll befrembden, dasz nicht recht zugange. Paracelsus 2, 199ᵃ; lasz dich nicht wunder nehmen, was du gesehen hast, noch dich es befrembden. pers. baumg. 1, 1; lasz dich nicht befrembden dessen, was der alte mann vorgebracht hat. 1, 6; wem (für wen) sollte hier nicht der sonderbare gegensatz befremden. Lessing 7, 347; insonderheit ermahnte er mich, mein urtheil über alles zurück zu halten, mich durch nichts befremden zu lassen. Wieland 2, 21; man wird sich nicht befremden dürfen. Kant 8, 359.
„befremden“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache,
- die illegale Masseneinwanderung : Was suggeriert der bestimmte Artikel? -> http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Flyer/flyer-schluesselzahlen-asyl-2017.html?nn=1694460
- Wir solidarisieren uns ...
Fuck me running!
Nachtrag:
Eher Elite als "kleiner Mann"
Die zunächst exklusiv von Akademikern unterzeichnete "Gemeinsame Erklärung 2018" gegen eine "illegale Masseneinwanderung" hat sich in eine Petition an den Deutschen Bundestag verwandelt.
Von Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung, 5. April 2018
- "Die personalisierte App ist offensichtlich problematisch: Ein eigenes Programm in schwierigen Suchmaschinen hat einen Belohnungsimpuls zu anspruchsvolleren Maschinen vermittelt."
- Dieser Satz ist selbstverständlich Nonsens. Was klingt, als habe sein Autor gerade einen Schlaganfall erlitten, wurde in Wahrheit von einem Computerprogramm geschrieben, das zuvor mit allen Kolumnen gefüttert wurde, die 2018 an dieser Stelle erschienenen sind. Der sogenannte Predictive Writer analysiert die Häufigkeit der verwendeten Wörter und macht Vorschläge, wie ein neuer Text basierend auf diesem Quellenmaterial aussehen könnte. Auf botnik.org/apps steht das Programm zum Ausprobieren bereit, und wer keine eigenen Dateien zur Durchsicht hochladen will, dem steht ein vorgebautes Programm zur Verfügung: von Leonard-Cohen-Songzeilen über sämtliche "Harry Potter"-Bände hin zu historischen Liebesschmökern kann man sich seinen ganz persönlichen und doch von anderen inspirierten Text zusammenklicken. Mit etwas Glück kommen manchmal sogar sinnvolle Sätze dabei heraus...
- "Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird."
GEMEINSAME ERKLÄRUNG - Donnerstag, 15.03.2018
- Henryk M. Broder
Uwe Tellkamp
Dr. Thilo Sarrazin
Jörg Friedrich (der mit dem Brand)
Matthias Mattussek
Vera Lengsfeld (Inititatorin, die mit den Titten)
Michael Klonovsky (Persönlicher Referent des AfD-Bundestagsfraktionschefs Alexander Gauland und also Kollege des früheren Kaders der rechtsextremistischen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) Felix W.)
Uwe Steimle (??)
Dieter Stein (Chefredakteur "Junge Freiheit")
...
Weitere Unterzeichner:
Jede Menge Autoren, Publizisten, Künstler, Wissenschaftler und andere Akademiker, die vorsichthalber deshalb mehrheitlich gleich mehrere tolle Berufe angeben, weil sie sonst nicht mitmachen dürften und nicht, weil sie als Prekäre von einem nicht leben könnten:
... Archäologe und Zoologe
... Rechtswissenschaftler und Schachgroßmeister
... Autor, Karikaturist und Lektor
... Steinbildhauer, Kameramann und Fotograf
... Hydrobiologe und Sachbuchautor (Waldsterben und Umweltpolitik in der Bundesrepublik. Institut für Marxistische Studien und Forschungen, Frankfurt am Main 1984)
... Zahnmediziner und Sachbuchautor (gefällt mir eigentlich am besten!)
... Betreiberin eines Videokanals, Autorin und Erfinderin (auch schön)
...
Phrasenauswurf und Wortkotze, syntaktisch hemmungslos und mit schwach verankerten Sinngeländern:
- "Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird."
Bedeutungsübersicht: fremd, eigenartig und zugleich unangenehm berühren, anmuten; bei jemandem Erstaunen und Missbilligung auslösen
- gewöhnlich unpersönlich: es befremdet mich sehr, nimmt mich fremd; hat mich im geringsten nicht befremdet; lasz dich nicht befremden; mich befrembd, dasz du sampt deim gesellen in solcher armut so frölich lebest. Bocc. 2, 115ᵃ; denn warlich, doctor Held sich etwas scharpf uf den tag zu Schmalkald hörn lassen, das sich die fürsten befrembdt (verwundert). Lanz Carl 5 s. 262; darinn sich niemandts soll befrembden, dasz nicht recht zugange. Paracelsus 2, 199ᵃ; lasz dich nicht wunder nehmen, was du gesehen hast, noch dich es befrembden. pers. baumg. 1, 1; lasz dich nicht befrembden dessen, was der alte mann vorgebracht hat. 1, 6; wem (für wen) sollte hier nicht der sonderbare gegensatz befremden. Lessing 7, 347; insonderheit ermahnte er mich, mein urtheil über alles zurück zu halten, mich durch nichts befremden zu lassen. Wieland 2, 21; man wird sich nicht befremden dürfen. Kant 8, 359.
„befremden“, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, Erstbearbeitung (1854–1960), digitalisierte Version im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache,
- die illegale Masseneinwanderung : Was suggeriert der bestimmte Artikel? -> http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Flyer/flyer-schluesselzahlen-asyl-2017.html?nn=1694460
- Wir solidarisieren uns ...
- Nun sagt aber ausgerechnet die Wortgeschichte von „Solidarität“, dass sie aus dem römischen Recht und der Vorstellung einer „obligatio in solidum“ hervorgeht, also gerade an einer Stabilisierung der Beziehungen orientiert ist. Sie bringt einander fremde Personen und widerstreitende Interessen zusammen und steht notwendig und gleichberechtigt neben dem Geflecht von Freundschaften, Familien, Nachbarschaften und ökonomischen oder kulturellen Gemeinschaften. Das Gegenteil davon ist ein provinzielles, dann auch „völkisches“ und nationalistisches Beharren auf eigenen Vorrechten und Beziehungen, die alles Fremde ausschließt. Das heißt im übrigen nicht nur den Fremden als Person, sondern das („volks-„) fremde Denken an sich, für das global argumentierende „Eliten“ und eine liberale „Lügenpresse“ mit verantwortlich sind. Tatsächlich droht nun also eine empathische Einrichtung wie die Tafel – ein Spiegel der Gesellschaft, wie gesagt – am Widerspruch zwischen kosmopolitischer Solidarität und kommunitaristischer Eingrenzung zu zerbrechen. Und das, obwohl man schon vor 2000 Jahren wusste, dass beides, das universale und das regionale, nicht als Widerspruch, sondern nur als dialektische Einheit funktioniert. Von christlicher und post-christlich aufgeklärter Nächstenliebe wollen wir gar nicht sprechen, die nie „meinesgleichen“ meinte, sondern immer den anderen, der in meinen Lebensbereich tritt und Hilfe braucht...
(Eine humanistische, demokratische Linke, die den Kosmopolitismus aufgibt, hat (sich) schon verloren -Georg Seeßlen | der Freitag )
- Bulgarien, das aktuell die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, hatte Deutschland und vier weitere Länder im Februar aufgefordert, die Grenzkontrollen innerhalb der EU zügig aufzuheben. Österreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und das Nicht-EU-Mitglied Norwegen sollten ab Mai auf Kontrollen an den Binnengrenzen im Schengen-Raum verzichten.
Deutschland hatte wegen der hohen Flüchtlingszahlen im September 2015 als erstes Land des Schengenraums wieder Kontrollen an den Binnengrenzen eingeführt, und zwar an der österreichischen Grenze. Es folgten Österreich, Dänemark, Schweden und Norwegen. Die EU-Kommission dringt schon lange darauf, die wegen der Flüchtlingskrise eingeführten Kontrollen auslaufen zu lassen...
Fuck me running!
Nachtrag:
Eher Elite als "kleiner Mann"
Die zunächst exklusiv von Akademikern unterzeichnete "Gemeinsame Erklärung 2018" gegen eine "illegale Masseneinwanderung" hat sich in eine Petition an den Deutschen Bundestag verwandelt.
Von Lothar Müller, Süddeutsche Zeitung, 5. April 2018
- Vor allem aber ist der politische Diskurs eine Sphäre, in der über die Hintergrundvoraussetzungen konkreter politischer Entscheidungen und Initiativen gestritten werden kann. Darum wäre eine Debatte über die "Gemeinsame Erklärung 2018" für die von ihr attackierte Bundeskanzlerin eine Chance, die Leerstelle zu füllen, die sie seit dem Herbst 2015 hat entstehen lassen. Diese Leerstelle ist, knapp gesagt, dadurch entstanden, dass die Kanzlerin ihre Flüchtlingspolitik primär als humanitäres Projekt legitimiert hat, ohne sie zugleich als rationales politisches Handeln erscheinen zu lassen.
Das aber wäre dringend nötig gewesen. Einer deutschen Öffentlichkeit, aus der die Erinnerung an die Balkankriege der Neunzigerjahre noch nicht ganz entschwunden ist, hätte sich das außenpolitische Motiv, eine neuerliche Destabilisierung des Balkan durch einen Flüchtlingsrückstau zu vermeiden, plausibel machen lassen. Die Massenpetition fordert die Kanzlerin heraus, die Leerstelle einer zusammenhängenden Erzählung und Erklärung ihrer Flüchtlingspolitik zu füllen. Nur so kann sie das beliebte Klischee, sie sei der "Gesinnungsethik" auf Kosten der "Verantwortungsethik" gefolgt, entkräften.
In einem lesenswerten Interview mit der NZZ hat der Philosoph Peter Sloterdijk, angesprochen auf die Ressentiments und das Unbehagen in Gesellschaften wie der Bundesrepublik, gesagt: "Freud hat das Unbehagen in der Kultur durch den Triebverzicht erklärt. Mir scheint, heute sei das Unbehagen eher damit verbunden, dass man das Zuschauerprivileg verliert." Lange lebten die Deutschen in der Illusion, angesichts der globalen Migrationsbewegungen in der Zuschauerposition verharren zu können. Die Gründe, aus denen sie mehr und mehr zu ihrem Schauplatz geworden sind, können sie nicht abwählen.
Nicht zuletzt führt übrigens die Schleuse des Petitionsausschusses in einen Raum, in dem es sich nicht jeder gefallen lässt, von Leuten über den "Kontrollverlust im Inneren des Landes" belehrt zu werden, die keine Sorge um den Rechtsstaat erkennen ließen, als der NSU unter ungeklärter Beteiligung von Verfassungsschutzorganen die Republik mit einer Terrorwelle überzog.
gebattmer - 2018/03/19 18:58
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