Was heißt, der Islam "gehört" oder "gehört nicht" zu Deutschland? - Positive und negative Glaubensfreiheit - Seelische Erhebung
Das ist eine der guten Fragen, die Georg M. Oswald in seinem Buch "Unsere Grundrechte" stellt, als habe er nicht nur Christian Wulffs berühmten Satz präsent, sondern schon Horst Seehofers jüngsten Einspruch vorausgeahnt. - so Andreas Zielcke in seiner Rezension in der Süddeutschen von heute.
Das Problem ist vielmehr - im Hinblick auf Religionsfreiheit, positive und negative Glaubensfreiheit -, wie die notwendige religiöse Neutralität des Staates zu definieren ist (wenn wir denn an den Grund- und Freiheitsrechten des GG noch interessiert sind).
Ich kam darauf, als ich heute im Blog Ruhrbarone las:
Karfreitag: Der Film „Das Leben des Brian“ wird erstmals „legal“ am Karfreitag in Bochum gezeigt
Hintergrund: Die Feiertagsgesetze der Länder, die auf diesen Prinzipien gründen:
Soll heißen: Es muss Ausnahmen geben dürfen!
Ich fasse mal so zusammen: Die BRD hat ein verfassungsrechtliches Defizit, was den Ausgleich zwischen Feiertagsschutz und anderen, dadurch eingeschränkten Grundrechten angeht. Das führte bisher dazu, dass Bestimmungen der Länderfeiertagsgesetze (zB Niedersächsisches Gesetz über die Feiertage - NFeiertagsG) von der FSK konkretisiert wurden: Freigabe von Kinofilmen für die gesetzlich geschützten stillen Feiertage, was dazu führte, dass eben „Das Leben des Brian“ auf der Liste der FSK-Freigaben Kino-Spielfilme, nicht feiertagsfrei 1980 – 2015, stand.
Noch 2014 wurde dieser Film als nicht feiertagsfrei eingestuft:
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Wo sind wir hier eigentlich?
Und wenn nochmal eine*r behauptet, dass seine erkämpften Freiheiten vom Islam bedroht sind, dann ...
... frage ich nochmal nach, wie mensch das meint.
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Nachtrag:
Gastkommentar: Politik und Religion - ein ewiger Streit
Der Bundesinnenminister ist zugleich Religions- und Verfassungsminister. Offenbar hat er beide Aufgaben nicht verstanden, sonst würde er nicht so gezielt die Grenzen seines Amtes verletzen, meint Michel Friedman. (dw, 21.03.2018 )
Jüdisch, ehrenhalber?
Es sind vor allem Politiker der christlichen Parteien, die eine „jüdisch-christliche Tradition“ beschwören. Kann es sein, dass sie damit nicht nur die Muslime ausschließen, sondern auch die Juden beleidigen?
Von Claudius Seidl, FAZ, 02.04.2018
- Jeder dritte Deutsche ist konfessionslos - "gehört" daher die Konfessionslosigkeit zu Deutschland? Zum "christlich-jüdischen" Deutschland oder zu welchem Deutschland? Soll mit der Zugehörigkeit eines Bekenntnisses nur gemeint sein, dass auf deutschem Territorium eine hinreichende Menge seiner Anhänger lebt, dann ist die Aussage trivial. Oder verbirgt sich dahinter der Zweifel, ob eine bestimmte Religion mit "unserer Kultur vereinbar" ist? Dann allerdings gerät man auf das gefährliche Terrain, das eine Verfassung wie das Grundgesetz unbedingt meiden will. Aus gutem Grund geht es ihm nicht um landestypisch-kulturelle Besitzstände, sondern um Freiheiten. In diesem Fall um die Religionsfreiheit.
Genügt also schon der Hinweis auf die positive und negative Glaubensfreiheit, um dem Problem den Boden zu entziehen? So naiv ist Oswald nicht. Die religiöse Neutralität des Staates bezweckt ja gerade, den Religionen innerhalb der Gesellschaft ihren freien Raum zu lassen, ungehindert von hoheitlicher Lenkung. Und keineswegs unterstellt dies, dass sich die diversen Bekenntnisse in der Gesellschaft ihrerseits gegenseitig neutralisieren, dass also kein Glauben die anderen kulturell dominiert. Die Hegemonie einer Religion oder eines weltanschaulichen Mainstreams unter den Bürgern sind mit dem säkularen Staat absolut verträglich. Nur eines darf er nicht, er darf eine solche geistige Hegemonie weder von oben dekretieren noch bekämpfen. Deshalb vergreifen sich sowohl Wulff als auch Seehofer, wenn sie mit der Kraft ihres Amtes dem Islam einen Rang im Land zu- oder absprechen...
Das Problem ist vielmehr - im Hinblick auf Religionsfreiheit, positive und negative Glaubensfreiheit -, wie die notwendige religiöse Neutralität des Staates zu definieren ist (wenn wir denn an den Grund- und Freiheitsrechten des GG noch interessiert sind).
Ich kam darauf, als ich heute im Blog Ruhrbarone las:
Karfreitag: Der Film „Das Leben des Brian“ wird erstmals „legal“ am Karfreitag in Bochum gezeigt
Hintergrund: Die Feiertagsgesetze der Länder, die auf diesen Prinzipien gründen:
- Nach Art. 139 WRV (i.V.m. Art. 140 GG) bleiben der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Die Bestimmung enthält einen objektivrechtlichen Schutzauftrag, der dem Staat die Gewährleistung von Feiertagen aufgibt. An diesen Tagen soll im zeitlichen Gleichklang grundsätzlich die Geschäftigkeit in Form der Erwerbsarbeit, insbesondere der Verrichtung abhängiger Arbeit, ruhen, damit der Einzelne diese Tage allein oder in Gemeinschaft mit anderen ungehindert von werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen kann. Geschützt ist damit der allgemein wahrnehmbare Charakter des Tages als Tag der Arbeitsruhe. Die soziale Bedeutung des Sonn- und Feiertagsschutzes im weltlichen Bereich resultiert dabei wesentlich aus der synchronen Taktung des sozialen Lebens (vgl. BVerfGE 125, 39 <82>). Dabei verfolgt die Regelung in der säkularisierten Gesellschaft und Staatsordnung zunächst die profanen Ziele der persönlichen Ruhe, Erholung und Zerstreuung. Zugleich zielt Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 139 WRV damit auf die Möglichkeit zur seelischen Erhebung, die gleichermaßen allen Menschen unbeschadet einer religiösen Bindung eröffnet werden soll (vgl. BVerfGE 111, 10 <51>; 125, 39 <86>). Sie ist auch Garant für die Wahrnehmung von Grundrechten, die der Persönlichkeitsentfaltung dienen (vgl. BVerfGE 125, 39 <80>).
...
Der Begriff der „seelischen Erhebung“ (Art. 139 WRV) hat nach der entstehungsgeschichtlichen Bedeutung und systematischen Stellung in der Verfassung neben einer religiösen auch weltanschauliche und ethische Bedeutung. In Konkretisierung der Bedingungen für die Möglichkeit „seelischer Erhebung“ kann der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen das Neutralitätsprinzip verschiedene Formen von Sonn- und Feiertagen schaffen. Das Prinzip der staatlichen Neutralität begrenzt jedoch die inhaltliche Konkretisierung religiöser, weltanschaulicher und anderweitiger Bezüge dieser Tage. Denn dem Staat ist die inhaltliche Einflussnahme auf die „seelische Erhebung“ der Bevölkerung versagt. Er darf gesellschaftliche Befunde und Bedürfnisse zwar in seiner Rechtsetzung aufgreifen, das säkularisierte Gemeinwesen jedoch nicht in spezifischer Weise religiös oder weltanschaulich zu prägen versuchen. Demgemäß stellt die Verfassung mit dem Sonn- und Feiertagsschutz und dem Auftrag zu seiner gesetzlichen Umsetzung lediglich einen geschützten Rahmen zur Verfügung, der eine in religiöser oder anderer Weise qualifizierte Begehung solcher Tage nur ermöglicht. Die inhaltliche Ausfüllung dieses Freiraums obliegt den Einzelnen allein oder in Gemeinschaft.
...
Die konkrete Ausgestaltung des Schutzes des Karfreitags als anerkannter Feiertag und zugleich als stiller Tag mit dem Verbot öffentlicher Unterhaltungsveranstaltungen, die seinen ernsten Charakter nicht wahren, sowie mit der Untersagung musikalischer Darbietungen in Räumen mit Schankbetrieb ist im Hinblick auf die damit regelmäßig verbundenen Eingriffe in Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und daher im Grundsatz mit der Verfassung vereinbar. Sie erweist sich jedoch in Anbetracht der hiermit in Einzelfällen verbundenen Eingriffe in andere Grundrechte wie insbesondere in Art. 4 Abs. 1 und 2 oder in Art. 8 Abs. 1 GG wegen Fehlens einer Ausnahmeregelung als unverhältnismäßig. Insoweit ist der bayerische Feiertagsgesetzgeber dem ihm aufgegebenen Ausgleich zwischen Feiertagsschutz und anderen, dadurch eingeschränkten Grundrechten nicht in jeder Hinsicht gerecht geworden.
(BVerfG, Leitsätze zum Beschluss des Ersten Senats vom 27. Oktober 2016- 1 BvR 458/10 -)
Soll heißen: Es muss Ausnahmen geben dürfen!
Ich fasse mal so zusammen: Die BRD hat ein verfassungsrechtliches Defizit, was den Ausgleich zwischen Feiertagsschutz und anderen, dadurch eingeschränkten Grundrechten angeht. Das führte bisher dazu, dass Bestimmungen der Länderfeiertagsgesetze (zB Niedersächsisches Gesetz über die Feiertage - NFeiertagsG) von der FSK konkretisiert wurden: Freigabe von Kinofilmen für die gesetzlich geschützten stillen Feiertage, was dazu führte, dass eben „Das Leben des Brian“ auf der Liste der FSK-Freigaben Kino-Spielfilme, nicht feiertagsfrei 1980 – 2015, stand.
Noch 2014 wurde dieser Film als nicht feiertagsfrei eingestuft:
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Wo sind wir hier eigentlich?
Und wenn nochmal eine*r behauptet, dass seine erkämpften Freiheiten vom Islam bedroht sind, dann ...
... frage ich nochmal nach, wie mensch das meint.
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Nachtrag:
Gastkommentar: Politik und Religion - ein ewiger Streit
Der Bundesinnenminister ist zugleich Religions- und Verfassungsminister. Offenbar hat er beide Aufgaben nicht verstanden, sonst würde er nicht so gezielt die Grenzen seines Amtes verletzen, meint Michel Friedman. (dw, 21.03.2018 )
Jüdisch, ehrenhalber?
Es sind vor allem Politiker der christlichen Parteien, die eine „jüdisch-christliche Tradition“ beschwören. Kann es sein, dass sie damit nicht nur die Muslime ausschließen, sondern auch die Juden beleidigen?
Von Claudius Seidl, FAZ, 02.04.2018
gebattmer - 2018/03/21 19:28
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