CRISIS , WHAT CRISIS ? (LVIV): Der falsche Weg, das falsche Modell
1. Der falsche Weg: Der ESM darf in Kraft treten. Deutschland hat sich mit seinem Spardiktat in Europa endgültig durchgesetzt. Die Folgen werden fatal sein
von Werner Vontobel
... Die Vertreter der europäischen Finanz- und Medienelite haben die krisenhafte Lage ausschließlich aus Sicht des Kapitalmarktes wahrgenommen... Verhaltensökonomen nennen dieses Muster Einordnung oder Framing: Die Art und Weise, wie ein Problem dargestellt wird, diktiert den Lösungsansatz. Europas „Elite“ sieht nur noch ein Staatsschuldenproblem, das durch juristische Erwägungen verkompliziert wird... Darf Draghi überhaupt unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen? Darf Deutschlands Regierung dem zustimmen, ohne die Verfassung zu verletzen? Wie genau muss ein verfassungskonformes Anleiheprogramm aussehen?
Diese Fragen haben alle anderen in den Hintergrund gedrängt. Und sie haben die Antworten präjudiziert. Irgendwann stand für alle fest, dass Draghi nur Anleihen von verschuldeten Staaten kaufen darf, wenn dies mit strikter „Konditionalität“ verbunden ist... Ein harter Sparkurs oder es gibt kein Geld. Konditionalität eben.
Doch unsere Hochleistungswirtschaft ist auf Hochleistungskonsum gebaut. 30 Prozent allen Konsums sind verzichtbar. Wer in dieser Situation mit Sozial- und Lohnabbau am Vertrauen der Verbraucher rüttelt, kann das ganze Gebäude zum Einsturz bringen – siehe Griechenland ... (Freitag 13.09.2012)
Vontobel macht mE gut deutlich, was Altvater (weiter unten) zu der Schlussfolgerung bringt: „Degrowth“, die von Wachstumskritikern befürwortete Rücknahme des Wachstums, reicht allein nicht aus; - präziser: finanzmarktgetriebenes Degrowth fährt den Laden unkontrolliert gegen die Wand!
2. Das falsche Modell: Als reine Währungsunion ohne solidarische Regulierung kann Europa nicht überleben
von Elmar Altvater
Eine Angleichung der Lebensbedingungen der Menschen (bei gleichzeitiger Akzeptanz der Sprach- und Kulturunterschiede) ist die Voraussetzung dafür, dass diese – als Wirtschaftsbürger gleichgestellt – auch die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten im gemeinsamen Europa ausüben können. Das aber stellt sich nicht als Nebeneffekt der Markt- und Geldintegration her, sondern muss aktiv politisch angestrebt werden. Dasselbe gilt für die sozialen Rechte in der Arbeitswelt oder für den Umweltschutz.
Der Integrationsprozess nimmt einen paradoxen Verlauf. Bislang wurden Fortschritte als „negative Integration“, durch Liberalisierung der Märkte und Deregulierung der Politik erzielt. Doch das ist ein Auslaufmodell, die Krise bringt es an den Tag. Fortschritt gibt es nur in Solidarität. Dann aber darf die Umverteilung von Einkommen und Vermögen oder ein Finanzausgleich zwischen Regionen und Nationen nicht zum Tabu erklärt werden. Das wäre eine politische Alternative zu der finanzmarktgesteuerten, antipolitischen, autoritären Integration, von der sich die „Monetaristen“ die realökonomische, soziale und politische Angleichung in Europa versprachen. Es wäre auch eine aktuelle Alternative zum Fiskalpakt mit seinen Sparzwängen und zum dauerhaften Eurorettungsschirm ESM und anderen bürokratischen Ausgeburten neoliberaler Rationalität...
Die Krise greift auch auf Lebensbereiche jenseits der Ökonomie über. Denn selbst nachhaltiges Wachstum kommt nicht ohne Naturverbrauch aus. Nachdem „Peak Oil“ erreicht ist, mag das Angebot an Treibstoffen durch Rückgriff auf erneuerbare Treibstoffe aus Biomasse immer noch wachsen. Doch das verschärft nur die Konkurrenz um die Landnutzung. Auf Peak Oil folgt früher oder später „Peak Soil“. Diese Art der Überwindung der ökonomischen und finanziellen Krise führt unweigerlich zu einer Nahrungskrise, in vielen armen Weltregionen sogar zu einer Hungerkrise.
Wäre es da aus ökologischen und sozialen Gründen nicht viel eher geboten, statt der materiellen Produktion die öffentlichen Dienste auszuweiten? Gibt es nicht im Gesundheits- und Bildungswesen, bei der Betreuung von Kindern und älteren Menschen, in der Solidaritäts- und Bürgerarbeit, bei der Mediation von Konflikten oder der Gestaltung und Entwicklung des Gemeinwesens viele Investitionsgelegenheiten, die zudem Arbeitsplätze schaffen?
So ist es, nur müssten diese hohe Kompetenz verlangenden Aufgaben als öffentliche Nonprofitaktivitäten organisiert und entsprechend ausgedehnt werden. Sie sind kapitalistisch und profitabel nicht zu betreiben, es sei denn mit Subventionen, die aus dem Wachstum mithilfe der Steuereinnahmen abgezweigt werden müssten. „Degrowth“, die von Wachstumskritikern befürwortete Rücknahme des Wachstums, reicht allein nicht aus. Die Alternative zu Austerität und Wachstum verlangt also den Übergang in „postkapitalistisches“ Gelände. Die „Systemfrage“ lässt sich nicht vermeiden, sie liegt auf der Zunge.
Quelle: Le Monde diplomatique via nds
3. Nicht die Systemfrage, aber immerhin Bewegung: Für eine plurale VWL!
Der vorherrschende Modellplatonismus, mangelnde Selbstreflexion und fehlende Methoden- und Theorienvielfalt haben nicht nur unser Fach in eine Sackgasse geführt: die Einseitigkeit ökonomischen Denkens trägt auch zur anhaltenden Wirtschaftskrise und der damit einhergehenden Perspektivlosigkeit bei. Mit dem offenen Brief wollen wir, Studierende und Lehrende der Volkswirtschaftslehre, auf den alarmierenden Zustand unseres Faches aufmerksam machen und konstruktiv an der Neugestaltung der Volkswirtschaftslehre mitwirken.
Ich empfehle alle 3 Artikel vorständig zu lesen.
von Werner Vontobel
... Die Vertreter der europäischen Finanz- und Medienelite haben die krisenhafte Lage ausschließlich aus Sicht des Kapitalmarktes wahrgenommen... Verhaltensökonomen nennen dieses Muster Einordnung oder Framing: Die Art und Weise, wie ein Problem dargestellt wird, diktiert den Lösungsansatz. Europas „Elite“ sieht nur noch ein Staatsschuldenproblem, das durch juristische Erwägungen verkompliziert wird... Darf Draghi überhaupt unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen? Darf Deutschlands Regierung dem zustimmen, ohne die Verfassung zu verletzen? Wie genau muss ein verfassungskonformes Anleiheprogramm aussehen?
Diese Fragen haben alle anderen in den Hintergrund gedrängt. Und sie haben die Antworten präjudiziert. Irgendwann stand für alle fest, dass Draghi nur Anleihen von verschuldeten Staaten kaufen darf, wenn dies mit strikter „Konditionalität“ verbunden ist... Ein harter Sparkurs oder es gibt kein Geld. Konditionalität eben.
Doch unsere Hochleistungswirtschaft ist auf Hochleistungskonsum gebaut. 30 Prozent allen Konsums sind verzichtbar. Wer in dieser Situation mit Sozial- und Lohnabbau am Vertrauen der Verbraucher rüttelt, kann das ganze Gebäude zum Einsturz bringen – siehe Griechenland ... (Freitag 13.09.2012)
Vontobel macht mE gut deutlich, was Altvater (weiter unten) zu der Schlussfolgerung bringt: „Degrowth“, die von Wachstumskritikern befürwortete Rücknahme des Wachstums, reicht allein nicht aus; - präziser: finanzmarktgetriebenes Degrowth fährt den Laden unkontrolliert gegen die Wand!
2. Das falsche Modell: Als reine Währungsunion ohne solidarische Regulierung kann Europa nicht überleben
von Elmar Altvater
Eine Angleichung der Lebensbedingungen der Menschen (bei gleichzeitiger Akzeptanz der Sprach- und Kulturunterschiede) ist die Voraussetzung dafür, dass diese – als Wirtschaftsbürger gleichgestellt – auch die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten im gemeinsamen Europa ausüben können. Das aber stellt sich nicht als Nebeneffekt der Markt- und Geldintegration her, sondern muss aktiv politisch angestrebt werden. Dasselbe gilt für die sozialen Rechte in der Arbeitswelt oder für den Umweltschutz.
Der Integrationsprozess nimmt einen paradoxen Verlauf. Bislang wurden Fortschritte als „negative Integration“, durch Liberalisierung der Märkte und Deregulierung der Politik erzielt. Doch das ist ein Auslaufmodell, die Krise bringt es an den Tag. Fortschritt gibt es nur in Solidarität. Dann aber darf die Umverteilung von Einkommen und Vermögen oder ein Finanzausgleich zwischen Regionen und Nationen nicht zum Tabu erklärt werden. Das wäre eine politische Alternative zu der finanzmarktgesteuerten, antipolitischen, autoritären Integration, von der sich die „Monetaristen“ die realökonomische, soziale und politische Angleichung in Europa versprachen. Es wäre auch eine aktuelle Alternative zum Fiskalpakt mit seinen Sparzwängen und zum dauerhaften Eurorettungsschirm ESM und anderen bürokratischen Ausgeburten neoliberaler Rationalität...
Die Krise greift auch auf Lebensbereiche jenseits der Ökonomie über. Denn selbst nachhaltiges Wachstum kommt nicht ohne Naturverbrauch aus. Nachdem „Peak Oil“ erreicht ist, mag das Angebot an Treibstoffen durch Rückgriff auf erneuerbare Treibstoffe aus Biomasse immer noch wachsen. Doch das verschärft nur die Konkurrenz um die Landnutzung. Auf Peak Oil folgt früher oder später „Peak Soil“. Diese Art der Überwindung der ökonomischen und finanziellen Krise führt unweigerlich zu einer Nahrungskrise, in vielen armen Weltregionen sogar zu einer Hungerkrise.
Wäre es da aus ökologischen und sozialen Gründen nicht viel eher geboten, statt der materiellen Produktion die öffentlichen Dienste auszuweiten? Gibt es nicht im Gesundheits- und Bildungswesen, bei der Betreuung von Kindern und älteren Menschen, in der Solidaritäts- und Bürgerarbeit, bei der Mediation von Konflikten oder der Gestaltung und Entwicklung des Gemeinwesens viele Investitionsgelegenheiten, die zudem Arbeitsplätze schaffen?
So ist es, nur müssten diese hohe Kompetenz verlangenden Aufgaben als öffentliche Nonprofitaktivitäten organisiert und entsprechend ausgedehnt werden. Sie sind kapitalistisch und profitabel nicht zu betreiben, es sei denn mit Subventionen, die aus dem Wachstum mithilfe der Steuereinnahmen abgezweigt werden müssten. „Degrowth“, die von Wachstumskritikern befürwortete Rücknahme des Wachstums, reicht allein nicht aus. Die Alternative zu Austerität und Wachstum verlangt also den Übergang in „postkapitalistisches“ Gelände. Die „Systemfrage“ lässt sich nicht vermeiden, sie liegt auf der Zunge.
Quelle: Le Monde diplomatique via nds
3. Nicht die Systemfrage, aber immerhin Bewegung: Für eine plurale VWL!
Der vorherrschende Modellplatonismus, mangelnde Selbstreflexion und fehlende Methoden- und Theorienvielfalt haben nicht nur unser Fach in eine Sackgasse geführt: die Einseitigkeit ökonomischen Denkens trägt auch zur anhaltenden Wirtschaftskrise und der damit einhergehenden Perspektivlosigkeit bei. Mit dem offenen Brief wollen wir, Studierende und Lehrende der Volkswirtschaftslehre, auf den alarmierenden Zustand unseres Faches aufmerksam machen und konstruktiv an der Neugestaltung der Volkswirtschaftslehre mitwirken.
Ich empfehle alle 3 Artikel vorständig zu lesen.
gebattmer - 2012/09/14 20:49
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