Archäologie CVXVVXXVII: Gordian Troeller
Schade, - wie Sie sehen wurden erst kürzlich hier und anderswo) fast alle bisher verfügbaren Trailer der Filme Troellers gelöscht! Dennoch der Versuch einer kurzen Würdigung seiner Arbeit.
Peter Zimmermann
Denn sie wissen, was sie tun
Zur Dekonstruktion eurozentrischer TV-Stereotypen über die »Dritte Welt«
Troeller steht ...in einer kolonial- und imperialismuskritischen Tradition, wie sie im Dokumentarfilm früh von Joris Ivens und im Fernsehen zuerst von Gert von Paczensky und der frühen Panorama-Redaktion geprägt worden ist. Seine Besonderheit besteht darin, daß er an dieser analytischen Betrachtungsweise selbst dann noch festhielt, als das Fernsehen und die Filmemacher der 'Neuen Linken' sich von ihr abwandten. Lag er in den siebziger Jahren im Trend, so wurde er in den Achtzigern und Neunzigern eher zum Außenseiter.
Diese hartnäckige Konsequenz, die ihm gelegentlich als Starrsinn vorgehalten worden ist, erweist sich unter den gewandelten Verhältnissen allerdings als neue Qualität. Mehr denn je liegen Troellers Filme mit ihrem aufklärerischen Anspruch und ihrer Parteinahme für die in Abhängigkeit und Armut gehaltenen Völker der Dritten Welt quer zur Depolitisierung nicht nur der Fernsehberichterstattung. Stärker noch als zuvor sind sie zum Stein des Anstoßes geworden, an dem sich der herrschende Konsens bricht. Während die am Vorbild der Live-Berichterstattung von CNN orientierten aktualitätsversessenen Reportagen immer reflektionsloser werden, konterkariert Troeller die Selbstverständlichkeiten, Mythen und Tabus der Fernsehberichterstattung durch provokante Gegendarstellungen, die oft heftige öffentliche Diskussionen auslösen. Gerade in dieser Funktion im Kontext öffentlicher Meinungsbildung erweist sich die Produktivität seiner Vorgehensweise. Zwei Beispiele liefern reichliches Anschauungsmaterial.
Mit der Reportage ...denn ihrer ist das Himmelreich eröffnete Troeller 1984 bei Radio Bremen seine neue Reihe Kinder der Welt. Am Beispiel der Missionstätigkeit der katholischen Kirche bei Indianern im tropischen Tiefland Boliviens beschreibt er Kindheit als Metapher für einen Erziehungs-, Unter-drückungs- und Anpassungsprozeß, der in der Entmündigung und 'Zivilisierung' von Naturvölkern durch die Agenten christlicher Religiosität und westlicher Kultur seine Entsprechung findet. Die katholische Kirche erscheint dabei nicht nur in historischer Sicht, sondern auch in ihrem gegenwärtigen Wirken als eine der stärksten Kräfte der Zersetzung einst autonomer indianischer Kulturen. Sie beantwortete diese journalistische Herausforderung nicht nur mit einem Aufschrei der Empörung, sondern vor allem auch mit einer gezielten Intervention in den Gremien und Rundfunkräten der ARD und Radio Bremens. Von »beispielloser Diffamierung der kirchlichen Missionsarbeit« war die Rede; man erwog strafrechtliche Schritte wegen Verächtlichmachung der christlichen Religion, und Forderungen nach Einstellung der Reihe und Kündigung der Zusammenarbeit mit Troeller wurden laut. Der Sender blieb den massiven Interventionen der katholischen Kirche gegenüber allerdings standhaft und stellte sich trotz heftiger Kritik auch aus den Reihen der ARD und des Rundfunkrats im Namen journalistischer Meinungsfreiheit hinter den Autor und seinen Film. ..
Antifaschist. Anarchist. Journalist.
Gordian Troeller berichtet
Erinnere ich mich an die Serien Im Namen des Fortschritts, Frauen der Welt und Kinder der Welt, so muss einerseits festgehalten werden, dass es in der Mediengeschichte der BRD sehr respektable Verantwortliche gab, hier zu erwähnen insbesondere Gert von Paczensky, seinerzeit Chefredakteur bei Radio Bremen, der Troeller stützte und schützte, und andererseits, dass, da es Dokumentationen dieser Qualität nicht mehr gibt, die Implosion des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens nicht zu übersehen ist.
Aktuell: Ohne eine kolonial- und imperialismuskritische Dokumentation der Vorgeschichte wird man zu keinem angemessenen Verständnis der Umbrüche in Nordafrika, im Nahen Osten kommen. Ich empfehle, erstmal auf Troeller zurückzugreifen. Z.B.
Der Fluch der Abhängigkeit
Algerien, 1974
Die Entwicklung zur Abhängigkeit in der Dritten Welt begann mit der Kolonialisierung. Durch die Umstrukturierung der Landwirtschaft wurden die regionalen Ernährungsgrundlagen zerstört und vorhandene Wirtschaftsgefüge aus dem Gleichgewicht gebracht. Dies führte zu der Verelendung, unter der die ehemaligen Kolonien noch heute leiden. Algerien hat den Versuch unternommen, die Unterentwicklung durch forcierte Industrialisierung zu überwinden - unter mehr oder weniger sozialistischen Vorzeichen. Zur Finanzierung dieser Umstrukturierung sollten die reichen Bodenschätze dienen. Sie auszubeuten setzte jedoch einen hohen Grad an Technisierung voraus, der nur mit Hilfe hochindustrialisierter Länder erreicht werden konnte. So vergrößerte sich die Abhängigkeit nach außen; auf der anderen Seite diente auch der Aufbau automatisierter Fabriken nicht der Schaffung von Arbeitsplätzen, so daß die Arbeitslosigkeit hoch blieb und die Produkte keine Käufer auf dem Inlandsmarkt fanden. Wegen seiner ehrgeizigen Industrieprojekte scheint Algerien für die Dritte Welt weniger ein Modell zu sein als ein Beispiel dafür, daß es keine Unabhängigkeit geben kann, solange sie auf dem "Fortschrittsgedanken" der Länder beruht, die Abhängigkeit und Unterentwicklung erst herbeigeführt haben.
Gordian Troeller und Marie-Claude Deffarge
Mitarbeit : François Partant
Kamera: Gordian Troeller
Ton : Didier Baussy
Schnitt : Ingeburg Forth
Länge : 43 Minuten
Erstausstrahlung : RB 18.11.1974 (!!!)
Troellers Filme kam man hier zum download kaufen. Das ist eine gute Lösung. Dass sich jemand um den Erhalt dieser einzigartigen Dokumentationen kümmert, muss honoriert werden.
gebattmer - 2011/03/05 14:41
Trackback URL:
https://gebattmer.twoday.net/stories/14668341/modTrackback