Symbolpolitik (III): Medialer Merkelianismus
In der ZEIT vom 16.02.2006 fragt Robert Menasse unter dem Titel
Die Frau, die den Staat abschafft:
Warum bloß wird Angela Merkel von allen bewundert? Sie ersetzt doch nur politisches Handeln durch Stil und vollendet damit die Kapitulation der Demokratie vor den Interessen der Wirtschaft Von
Noch sind keine hundert Tage seit der Vereidigung Angela Merkels vergangen, die traditionelle »Schonfrist« ist noch nicht vorbei, und schon wird die Kanzlerin nicht mehr geschont. Sondern – bewundert.
Was hat sich geändert? Nichts. Nur die Stimmung....
Abgesehen davon, dass Merkel vermutlich nicht von allen bewundert wird (dies zu vermelden vielmehr Teil der medialen Inszenierung selbst und nicht deren Effekt ist), schafft sie vermutlich auch nicht den Staat ab. Menasse meint das aber auch anders:
Was macht sie? Sie erfüllt nicht die Erwartungen an ihre Person, sondern die neuen Erwartungen an das Amt. Sie macht als Kanzlerin in der allgemeinen Beurteilung nichts falsch, sie macht es nur anders, als man es von ihr erwartet hatte. Das wird als »neuer Stil«, als »Pragmatismus« empfunden. Nun ist objektiv nur eines neu: dass eine Frau in dieses Amt einzog. Aber gerade der so genannte Pragmatismus ist nicht neu. Als Pragmatiker galten schon alle ihre Vorgänger. Gerade Gerhard Schröder lebte politisch die längste Zeit davon, dass er mehr als Pragmatiker denn als Sozialdemokrat gesehen wurde. Wenn nun also Merkels Pragmatismus als neue Qualität empfunden wird, dann heißt das, dass sie politisch Schröder zum Quadrat ist, was zusammen mit dem Nimbus des wirklich Neuen, nämlich die erste Frau in diesem Amt in Deutschland zu sein, die Quadratur des Kreises ergibt: die Zerstörung des Sozialstaats, die die Mehrheit nicht wollen kann, zu vollziehen und dies durch »Stil« zugleich zu verdecken, zumindest für die Mehrheit als annehmbar erscheinen zu lassen. Exemplarisch für ihren Stil sei, dass sie besser zuhören könne als ihr Vorgänger, heißt es. Das allein ist eine Qualität? Geht es nicht wesentlich darum, wem man zuhört?
Letztlich ist es genau die job description, die zuvor in den deutschen Medien von den Leitartiklern formuliert wurde. Unisono wurde ihr, mit dem Gestus »Angela, höre gut zu!«, dies auf den Weg mitgegeben: Die Kanzlerin werde daran gemessen werden, wie sehr es ihr gelinge, eine Politik, die für die meisten schmerzhaft sein müsse, auf den Weg zu bringen und dennoch die Zustimmung der Mehrheit dafür organisieren. Das also war Merkel abverlangt: Kompromisslos auf einem schon einmal gescheiterten Weg weiterzugehen, dies aber als kompromissbereites Schreiten auf einem neuen Weg erscheinen zu lassen. Durchzusetzen, was dem »Staat« nütze, in Verballhornung jeder Staatsidee aber den Staatsbürgern wehtun zu müssen – aber so, dass die Bürger dazu »Au ja!!« sagen.
...
Dies, und die Beispiele dafür kann man beliebig vermehren, war die historisch neue Anforderung an das Amt, das Angela Merkel antrat: nicht das Gemeinwohl zu fördern, sondern das Gemeinunwohl zu befrieden. Zumindest zu verblüffen und dadurch definitiv durchzusetzen, dass die Staatsbürger die Entstaatlichung des Staates und das Aufgeben seiner Aufgaben so freudig konsumieren wie eine neue Zahnpasta auf dem Markt (»NEU! MIT VERBESSERTER FORMEL!«), statt sich zu fragen, wieso sie sich in einem der reichsten Länder der Welt nicht mehr den Zahnarzt leisten können.
Einen genaueren Blick darauf, wie das denn durchzusetzen versucht wird, wirft Georg Seeßlen im Freitag dieser Woche. Hier wird deutlich, dass es ja nicht die Person Merkel ist und dass es beileibe nicht um die Abschaffung des Staates, vielmehr um den Umbau des gesamten Überbaus geht. Seeßlen entwickelt das aus der Auseinandersetzung mit dem neuesten deutschen Katastrohenfilm:
Das plötzlich so geballte Auftreten der Katastrophenphantasie in der deutschen Pop-Kultur mag als Symptom erscheinen, als Versuch mit dem Leben, wie es ist, fertig zu werden. Man kann sie aber auch, schlechter gelaunt, als Signal verstehen, also als irgend berechnete und gelenkte Aufforderung. Filme wie Die Luftbrücke, Die Sturmflut, Dresden, nebst den Vorläufern wie Das Wunder von Bern oder Margarete Steiff werden dereinst in den Seminaren kommender Kulturhistoriker als propagandistische Begleitmusik zu einem tiefgreifenden Wandel in den Verhältnissen von Subjekt, Gesellschaft und Staat analysiert werden können.
Denn in Die Sturmflut kann man allen Aspekten der Katastrophenphantasie bei der Arbeit zusehen, jeder Satz und jede Kamera-Einstellung scheint von nichts als von der Absicht zu berichten, dem deutschen Volk aus der Katastrophe ein Wohlgefallen zu bereiten: von der dunklen Schönheit einer apokalyptischen Wasserwelt, über die Bewährung der einzelnen Menschen inmitten der Gefahr wie des entschlossenen Mannes an der Spitze bis zur Gnade von Erkenntnis und Liebe in schwerer Stunde. Die historische Katastrophe wird zum Sinn-Bild für die Gegenwart. Die große Koalition kann sich keine bessere Propaganda wünschen als diese Geschichten, die davon handeln, dass sich die kleinen Leute und die große Politik im Opfer vereinen müssen, um die Flut zu überstehen. Die Sturmflut nach dem Deichbruch. Oder die Flut von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau.
Merkelianismus besteht aus einfachen Grundzutaten: Erzeugung eines Nebels von Harmonie, egal wie erkauft, gelogen, geträumt. Darunter: Stärkung der staatlichen Gewalt, Polizei, Überwachung, Militär, Geheimdienst. Darunter: Abbau des Staates als fürsorgendes und beschützendes Instrument der Gemeinschaft, Übereignung des Geschehens an die großen Spieler des Marktes. Darunter (und da schließt sich der Kreis): Erzeugung eines neuen Wir-Gefühls, in dem die Politik des Neoliberalismus als Schicksal angesehen wird, dem gegenüber nur familiäre Wärme und gleichzeitig Härte helfen kann. (Katastrophenfilme sollen uns unter anderem auch das "Jammern" austreiben.)
Das ist wohl doch die präzisere Analyse. Lesen!
Die Frau, die den Staat abschafft:
Warum bloß wird Angela Merkel von allen bewundert? Sie ersetzt doch nur politisches Handeln durch Stil und vollendet damit die Kapitulation der Demokratie vor den Interessen der Wirtschaft Von
Noch sind keine hundert Tage seit der Vereidigung Angela Merkels vergangen, die traditionelle »Schonfrist« ist noch nicht vorbei, und schon wird die Kanzlerin nicht mehr geschont. Sondern – bewundert.
Was hat sich geändert? Nichts. Nur die Stimmung....
Abgesehen davon, dass Merkel vermutlich nicht von allen bewundert wird (dies zu vermelden vielmehr Teil der medialen Inszenierung selbst und nicht deren Effekt ist), schafft sie vermutlich auch nicht den Staat ab. Menasse meint das aber auch anders:
Was macht sie? Sie erfüllt nicht die Erwartungen an ihre Person, sondern die neuen Erwartungen an das Amt. Sie macht als Kanzlerin in der allgemeinen Beurteilung nichts falsch, sie macht es nur anders, als man es von ihr erwartet hatte. Das wird als »neuer Stil«, als »Pragmatismus« empfunden. Nun ist objektiv nur eines neu: dass eine Frau in dieses Amt einzog. Aber gerade der so genannte Pragmatismus ist nicht neu. Als Pragmatiker galten schon alle ihre Vorgänger. Gerade Gerhard Schröder lebte politisch die längste Zeit davon, dass er mehr als Pragmatiker denn als Sozialdemokrat gesehen wurde. Wenn nun also Merkels Pragmatismus als neue Qualität empfunden wird, dann heißt das, dass sie politisch Schröder zum Quadrat ist, was zusammen mit dem Nimbus des wirklich Neuen, nämlich die erste Frau in diesem Amt in Deutschland zu sein, die Quadratur des Kreises ergibt: die Zerstörung des Sozialstaats, die die Mehrheit nicht wollen kann, zu vollziehen und dies durch »Stil« zugleich zu verdecken, zumindest für die Mehrheit als annehmbar erscheinen zu lassen. Exemplarisch für ihren Stil sei, dass sie besser zuhören könne als ihr Vorgänger, heißt es. Das allein ist eine Qualität? Geht es nicht wesentlich darum, wem man zuhört?
Letztlich ist es genau die job description, die zuvor in den deutschen Medien von den Leitartiklern formuliert wurde. Unisono wurde ihr, mit dem Gestus »Angela, höre gut zu!«, dies auf den Weg mitgegeben: Die Kanzlerin werde daran gemessen werden, wie sehr es ihr gelinge, eine Politik, die für die meisten schmerzhaft sein müsse, auf den Weg zu bringen und dennoch die Zustimmung der Mehrheit dafür organisieren. Das also war Merkel abverlangt: Kompromisslos auf einem schon einmal gescheiterten Weg weiterzugehen, dies aber als kompromissbereites Schreiten auf einem neuen Weg erscheinen zu lassen. Durchzusetzen, was dem »Staat« nütze, in Verballhornung jeder Staatsidee aber den Staatsbürgern wehtun zu müssen – aber so, dass die Bürger dazu »Au ja!!« sagen.
...
Dies, und die Beispiele dafür kann man beliebig vermehren, war die historisch neue Anforderung an das Amt, das Angela Merkel antrat: nicht das Gemeinwohl zu fördern, sondern das Gemeinunwohl zu befrieden. Zumindest zu verblüffen und dadurch definitiv durchzusetzen, dass die Staatsbürger die Entstaatlichung des Staates und das Aufgeben seiner Aufgaben so freudig konsumieren wie eine neue Zahnpasta auf dem Markt (»NEU! MIT VERBESSERTER FORMEL!«), statt sich zu fragen, wieso sie sich in einem der reichsten Länder der Welt nicht mehr den Zahnarzt leisten können.
Einen genaueren Blick darauf, wie das denn durchzusetzen versucht wird, wirft Georg Seeßlen im Freitag dieser Woche. Hier wird deutlich, dass es ja nicht die Person Merkel ist und dass es beileibe nicht um die Abschaffung des Staates, vielmehr um den Umbau des gesamten Überbaus geht. Seeßlen entwickelt das aus der Auseinandersetzung mit dem neuesten deutschen Katastrohenfilm:
Das plötzlich so geballte Auftreten der Katastrophenphantasie in der deutschen Pop-Kultur mag als Symptom erscheinen, als Versuch mit dem Leben, wie es ist, fertig zu werden. Man kann sie aber auch, schlechter gelaunt, als Signal verstehen, also als irgend berechnete und gelenkte Aufforderung. Filme wie Die Luftbrücke, Die Sturmflut, Dresden, nebst den Vorläufern wie Das Wunder von Bern oder Margarete Steiff werden dereinst in den Seminaren kommender Kulturhistoriker als propagandistische Begleitmusik zu einem tiefgreifenden Wandel in den Verhältnissen von Subjekt, Gesellschaft und Staat analysiert werden können.
Denn in Die Sturmflut kann man allen Aspekten der Katastrophenphantasie bei der Arbeit zusehen, jeder Satz und jede Kamera-Einstellung scheint von nichts als von der Absicht zu berichten, dem deutschen Volk aus der Katastrophe ein Wohlgefallen zu bereiten: von der dunklen Schönheit einer apokalyptischen Wasserwelt, über die Bewährung der einzelnen Menschen inmitten der Gefahr wie des entschlossenen Mannes an der Spitze bis zur Gnade von Erkenntnis und Liebe in schwerer Stunde. Die historische Katastrophe wird zum Sinn-Bild für die Gegenwart. Die große Koalition kann sich keine bessere Propaganda wünschen als diese Geschichten, die davon handeln, dass sich die kleinen Leute und die große Politik im Opfer vereinen müssen, um die Flut zu überstehen. Die Sturmflut nach dem Deichbruch. Oder die Flut von Arbeitslosigkeit und Sozialabbau.
Merkelianismus besteht aus einfachen Grundzutaten: Erzeugung eines Nebels von Harmonie, egal wie erkauft, gelogen, geträumt. Darunter: Stärkung der staatlichen Gewalt, Polizei, Überwachung, Militär, Geheimdienst. Darunter: Abbau des Staates als fürsorgendes und beschützendes Instrument der Gemeinschaft, Übereignung des Geschehens an die großen Spieler des Marktes. Darunter (und da schließt sich der Kreis): Erzeugung eines neuen Wir-Gefühls, in dem die Politik des Neoliberalismus als Schicksal angesehen wird, dem gegenüber nur familiäre Wärme und gleichzeitig Härte helfen kann. (Katastrophenfilme sollen uns unter anderem auch das "Jammern" austreiben.)
Das ist wohl doch die präzisere Analyse. Lesen!
gebattmer - 2006/02/26 23:55
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