Frieden machen mit dem Krieg
Die "Frankfurter Rundschau" über die moralische Unerbittlichkeit mancher Befürworter der Nato-Intervention in Libyen.
Irritierend ist nicht vor allem die Tatsache, dass die Autoren den Militaereinsatz befuerworten. Der Reflex, dem Despoten 'in den Arm zu fallen', ist aller Ehren wert, zu wuerdigen auch aus einer Perspektive, die diese Zustimmung nicht teilt. Irritierend ist, dass die Pro-Autoren ihrerseits - darunter auffallend viele mit linker Vergangenheit - die andere Meinung nicht ertragen...
All diese Texte atmen eine große, moralisch-ethische Eindeutigkeit, und das ist kein Kompliment. Die Welt in zwei klar geschiedene Möglichkeiten aufzuteilen, mag in der wahlkämpfenden Politik zum Handwerk gehören. Auch hier allerdings helfen moralisch aufgeladene Gut-Böse-Aufstellungen in der Praxis eher nicht. Wer es aber schon von Berufs wegen etwas anspruchsvoller bevorzugt – und tun das unsere Intellektuellen nicht? –, wäre verpflichtet, sich der Schwarz-Weiß-Logik zu enthalten und die Unübersichtlichkeit des Themas zu ertragen. Nichts gegen klare Haltungen und klare Entscheidungen. Aber tragfähig sind sie nur, wenn ihnen Abwägung vorausgeht....
Nun, da an Europas Grenzen, in seinen ehemaligen Kolonien ungeahnte Bewegungen keimen, ergibt sich für diese gewendeten Linken die Chance, Position zu beziehen, sich noch einmal im Eigentum der einzigen wahren Moral zu wähnen wie einst im 68er Mai. Diesmal allerdings nicht gegen Nato, USA und Neo-Kolonialismus, sondern im Bündnis mit den Feinden von damals.
Man könnte diesen Vorgang feiern als die endgültige gesellschaftliche Versöhnung zwischen dem Imperium USA und seinen einst schärfsten Kritikern. Doch diese Versöhnung funktioniert nur um einen schrecklich hohen Preis: Die wichtigsten Köpfe der ehemaligen Linken opfern ihre Fähigkeit und ihre Pflicht zum kritischen Denken auf dem Altar eines falschen Friedens, besiegelt ausgerechnet durch einen Krieg. Die Kritik, besser kann man das traurige Ende nicht illustrieren, bleibt am Ende Leuten mit begrenzter Argumentationskraft überlassen, etwa Guido Westerwelle und Dirk Niebel...
Nur in einem zeigen unsere 68er und ihre jüngere Gefolgschaft eine beachtliche Kontinuität: An der Feindseligkeit gegenüber Andersdenkenden, am Verweisen der abweichenden Meinung ins Reich der politischen Unmoral hat sich nichts geändert. Nicht inhaltlich, wohl aber in der Form weisen diese Beiträge zur Kriegsdebatte erschreckende Ähnlichkeiten mit den Mechanismen auf, die aus der Zeit der geschlossenen Weltbilder stammen. So beleben sie die einzige Eigenschaft der alten Linken neu, die heute kein Mensch braucht. (fr-online vom 27.03.2011)
Es lohnt sich, den Debatten-Beitrag von Stephan Hebel ganz zu lesen, u. a. wegen der Kritik an Peter Schneiders Zu-kurz-Denk . Könnte es allerdings sein, dass Hebel den Peter "Zwar kann ich mich rühmen, den Fall der Mauer vorausgesagt zu haben, und zwar im Sommer 1989 in der „New York Times“ Schneider überbewertet?
"Schon seit einiger Zeit konnte er das weise Marxgesicht über seinem Bett nicht mehr ausstehen. Er hatte es schon einmal verkehrt herum aufgehängt. Um den Verstand abtropfen zu lassen, hatte er einem Freund erklärt. Er sah Marx in die Augen: 'Was waren deine Träume, alter Besserwisser, nachts meine ich? Warst du eigentlich glücklich?' ...
Er verließ das Haus. Es war noch früh, die Vögel brüllten ..."
Peter Schneider, Lenz, Rotbuch Verlag 1973
Wer Vögel brüllen ließ, kann auch Stealth-Bomber fliegen lassen ...
Wer sein Urteil auf nicht nur etwas mehr Fakten gründen möchte als Schneider, Fischer und was ist eigentlich aus Hufeisenplan-Scharping geworden, dem sei Gerhard Pipers (Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit) auführliche Darstellung des Konflikts bei telepolis empfohlen:
Der absurde Libyenkrieg
Zu denken könnte auch geben:
Der Standard.at: Gaddafis Neoliberaler ist nun Rebellenchef
... Mahmud Jibril, der bereits im Ausland für den Nationalrat verhandelt hat, ist eine der wenigen libyschen Oppositionsfiguren (ausgenommen die Exillibyer), die in der freien Welt ganz gut vernetzt sind. Jibril ist 1952 in Bengasi geboren, hat in Kairo und danach in Pittsburgh in den USA studiert und dort seinen Master und sein Doktorat in "Strategischer Planung" gemacht. Etliche Jahre unterrichtete er sein Fach in Pittsburgh und schrieb dazu Bücher. Für etliche arabische Regierungen - auch die libysche - erstellte und managte er Trainingsprogramme für Führungskräfte, die sich die wirtschaftliche Öffnung ihrer Länder vorgenommen hatten.
2007 trat er vollends in die Dienste Muammar al-Gaddafis: Der Neoliberale Jibril wurde Chef des NEDB, des National Economic Development Board. Die Sanktionszeit war vorbei, die libysche Wirtschaft sollte auf Vordermann gebracht werden. Manche sagen, dass er dabei brav den Ratschlägen von US-Konsulenten folgte und damit auch die Interessen seiner amerikanischen Freunde vertrat. ..
... und die aktuelle Meldung:
Der Übergangsrat der Regimegegner in Bengasi, das 370 Kilometer nordöstlich von Ras Lanuf entfernt liegt, wandte sich indes mit der Bitte um Lieferung von wirksameren Waffen an die internationale Gemeinschaft. Der britische Premierminister David Cameron erklärte am Mittwoch, nach Auffassung seiner Rechtsberater wäre eine Versorgung der Aufständischen mit Waffen unter Umständen von der jüngsten UN-Resolution gedeckt...
... und die historische Dimension, auf die Hartmut Finkeldey verweist:
"A hundred years ago, Italian planes inaugurated aerial bombardment over these very cities. The Futurist Tommaso Marinetti flew on one sortie, finding the bombing runs to be “hygienic” and a good “moral education.” The air force communiqué from November 6, 1911 considered the runs to “have a wonderful effect on the morale of the Arabs.”
Indeed: Der Italiener Douhet war eine der frühesten Theoretiker des Luftkriegs; wesentliche erste Erfahrungen sammelte er 1911 in Libyen. Das hat dann auch den Futirismus eines Marinetti befeuert. So, wie heute Intellektuelle Kriege bejubeln.
Kritik und Kunst zu Libyen
Nachtrag:
Kritik und Kunst verweisen auch auf
Morgendämmerung
Arno Klönne in Ossietzky:
... Die vielbeschworene »Zivilgesellschaft« wird erkennbar als Pflegestätte kriegerischer Gesinnung. »Stahlgewitter« sind wieder willkommen, jetzt freilich so, daß sie dort stattfinden, wo Flugverbote gelten. Für die Unterlegenen.
Gerhard Schröder und Joseph Fischer können zufrieden sein: Im sogenannten rot-grünen Lager und in dessen literarisch-publizistischem Umfeld ist die »Enttabuisierung des Militärischen« gelungen.
Irritierend ist nicht vor allem die Tatsache, dass die Autoren den Militaereinsatz befuerworten. Der Reflex, dem Despoten 'in den Arm zu fallen', ist aller Ehren wert, zu wuerdigen auch aus einer Perspektive, die diese Zustimmung nicht teilt. Irritierend ist, dass die Pro-Autoren ihrerseits - darunter auffallend viele mit linker Vergangenheit - die andere Meinung nicht ertragen...
All diese Texte atmen eine große, moralisch-ethische Eindeutigkeit, und das ist kein Kompliment. Die Welt in zwei klar geschiedene Möglichkeiten aufzuteilen, mag in der wahlkämpfenden Politik zum Handwerk gehören. Auch hier allerdings helfen moralisch aufgeladene Gut-Böse-Aufstellungen in der Praxis eher nicht. Wer es aber schon von Berufs wegen etwas anspruchsvoller bevorzugt – und tun das unsere Intellektuellen nicht? –, wäre verpflichtet, sich der Schwarz-Weiß-Logik zu enthalten und die Unübersichtlichkeit des Themas zu ertragen. Nichts gegen klare Haltungen und klare Entscheidungen. Aber tragfähig sind sie nur, wenn ihnen Abwägung vorausgeht....
Nun, da an Europas Grenzen, in seinen ehemaligen Kolonien ungeahnte Bewegungen keimen, ergibt sich für diese gewendeten Linken die Chance, Position zu beziehen, sich noch einmal im Eigentum der einzigen wahren Moral zu wähnen wie einst im 68er Mai. Diesmal allerdings nicht gegen Nato, USA und Neo-Kolonialismus, sondern im Bündnis mit den Feinden von damals.
Man könnte diesen Vorgang feiern als die endgültige gesellschaftliche Versöhnung zwischen dem Imperium USA und seinen einst schärfsten Kritikern. Doch diese Versöhnung funktioniert nur um einen schrecklich hohen Preis: Die wichtigsten Köpfe der ehemaligen Linken opfern ihre Fähigkeit und ihre Pflicht zum kritischen Denken auf dem Altar eines falschen Friedens, besiegelt ausgerechnet durch einen Krieg. Die Kritik, besser kann man das traurige Ende nicht illustrieren, bleibt am Ende Leuten mit begrenzter Argumentationskraft überlassen, etwa Guido Westerwelle und Dirk Niebel...
Nur in einem zeigen unsere 68er und ihre jüngere Gefolgschaft eine beachtliche Kontinuität: An der Feindseligkeit gegenüber Andersdenkenden, am Verweisen der abweichenden Meinung ins Reich der politischen Unmoral hat sich nichts geändert. Nicht inhaltlich, wohl aber in der Form weisen diese Beiträge zur Kriegsdebatte erschreckende Ähnlichkeiten mit den Mechanismen auf, die aus der Zeit der geschlossenen Weltbilder stammen. So beleben sie die einzige Eigenschaft der alten Linken neu, die heute kein Mensch braucht. (fr-online vom 27.03.2011)
Es lohnt sich, den Debatten-Beitrag von Stephan Hebel ganz zu lesen, u. a. wegen der Kritik an Peter Schneiders Zu-kurz-Denk . Könnte es allerdings sein, dass Hebel den Peter "Zwar kann ich mich rühmen, den Fall der Mauer vorausgesagt zu haben, und zwar im Sommer 1989 in der „New York Times“ Schneider überbewertet?
"Schon seit einiger Zeit konnte er das weise Marxgesicht über seinem Bett nicht mehr ausstehen. Er hatte es schon einmal verkehrt herum aufgehängt. Um den Verstand abtropfen zu lassen, hatte er einem Freund erklärt. Er sah Marx in die Augen: 'Was waren deine Träume, alter Besserwisser, nachts meine ich? Warst du eigentlich glücklich?' ...
Er verließ das Haus. Es war noch früh, die Vögel brüllten ..."
Peter Schneider, Lenz, Rotbuch Verlag 1973
Wer Vögel brüllen ließ, kann auch Stealth-Bomber fliegen lassen ...
Wer sein Urteil auf nicht nur etwas mehr Fakten gründen möchte als Schneider, Fischer und was ist eigentlich aus Hufeisenplan-Scharping geworden, dem sei Gerhard Pipers (Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit) auführliche Darstellung des Konflikts bei telepolis empfohlen:
Der absurde Libyenkrieg
Zu denken könnte auch geben:
Der Standard.at: Gaddafis Neoliberaler ist nun Rebellenchef
... Mahmud Jibril, der bereits im Ausland für den Nationalrat verhandelt hat, ist eine der wenigen libyschen Oppositionsfiguren (ausgenommen die Exillibyer), die in der freien Welt ganz gut vernetzt sind. Jibril ist 1952 in Bengasi geboren, hat in Kairo und danach in Pittsburgh in den USA studiert und dort seinen Master und sein Doktorat in "Strategischer Planung" gemacht. Etliche Jahre unterrichtete er sein Fach in Pittsburgh und schrieb dazu Bücher. Für etliche arabische Regierungen - auch die libysche - erstellte und managte er Trainingsprogramme für Führungskräfte, die sich die wirtschaftliche Öffnung ihrer Länder vorgenommen hatten.
2007 trat er vollends in die Dienste Muammar al-Gaddafis: Der Neoliberale Jibril wurde Chef des NEDB, des National Economic Development Board. Die Sanktionszeit war vorbei, die libysche Wirtschaft sollte auf Vordermann gebracht werden. Manche sagen, dass er dabei brav den Ratschlägen von US-Konsulenten folgte und damit auch die Interessen seiner amerikanischen Freunde vertrat. ..
... und die aktuelle Meldung:
Der Übergangsrat der Regimegegner in Bengasi, das 370 Kilometer nordöstlich von Ras Lanuf entfernt liegt, wandte sich indes mit der Bitte um Lieferung von wirksameren Waffen an die internationale Gemeinschaft. Der britische Premierminister David Cameron erklärte am Mittwoch, nach Auffassung seiner Rechtsberater wäre eine Versorgung der Aufständischen mit Waffen unter Umständen von der jüngsten UN-Resolution gedeckt...
... und die historische Dimension, auf die Hartmut Finkeldey verweist:
"A hundred years ago, Italian planes inaugurated aerial bombardment over these very cities. The Futurist Tommaso Marinetti flew on one sortie, finding the bombing runs to be “hygienic” and a good “moral education.” The air force communiqué from November 6, 1911 considered the runs to “have a wonderful effect on the morale of the Arabs.”
Indeed: Der Italiener Douhet war eine der frühesten Theoretiker des Luftkriegs; wesentliche erste Erfahrungen sammelte er 1911 in Libyen. Das hat dann auch den Futirismus eines Marinetti befeuert. So, wie heute Intellektuelle Kriege bejubeln.
Kritik und Kunst zu Libyen
Nachtrag:
Kritik und Kunst verweisen auch auf
Morgendämmerung
Arno Klönne in Ossietzky:
... Die vielbeschworene »Zivilgesellschaft« wird erkennbar als Pflegestätte kriegerischer Gesinnung. »Stahlgewitter« sind wieder willkommen, jetzt freilich so, daß sie dort stattfinden, wo Flugverbote gelten. Für die Unterlegenen.
Gerhard Schröder und Joseph Fischer können zufrieden sein: Im sogenannten rot-grünen Lager und in dessen literarisch-publizistischem Umfeld ist die »Enttabuisierung des Militärischen« gelungen.
gebattmer - 2011/03/30 20:47
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