Die wunderbare Welt der Privatisierung (III): Die öffentliche Demütigung von Menschen als Teil der bundesrepublikanischen Medien- und Alltagskultur
Mit rund 7,77 Millionen Zuschauern beim Start der neuen Staffel konnte die Ekelsendung Dschungelcamp einen neuen Rekordwert aufstellen, der RTL eine fette Quote von 36,5 Prozent bei der werberelevanten Altersgruppe zwischen 14 und 49 Jahren bescherte. Und es geht weiter aufwärts: Am 14. Januar konnte das Dschungelcamp sogar einen neuen Rekordwert von bis zu 8,1 Millionen Zuschauern verbuchen...
Tomasz Konicz fragt (tp - "Bloch vs. Dschungelcamp"): Worin besteht die Erbschaft einer Zeit, in der sadistische Demütigungsshows ein begeistertes Millionenpublikum finden?
... und verweist auf historische Vorläufer:
Sydney Pollack hat diese frühe Ausbeutung der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit durch die Kulturindustrie in seinem ganz großen Film They Shoot Horses, Don't They mit Jane Fonda und Michael Sarrazin 1969 eindrucksvoll gestaltet. Wenn Sie die DVD irgendwo erwischen: unbedingt kaufen und ansehen!! (Zur Not auch hier!!) Hier erstmal der Trailer:
Besonders widerlich finde ich das Hochjazzen der aktuell perfiden Ausbeutung der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit durch die Kulturindustrie auf ein scheinbar intellektuelles Niveau durch Intellektuellen-Darsteller wie Ulf Poschardt (Wo Viertelprominente ihre Würde zurückgewinnen - Die WELT):
Und was bitte wäre die Flucht aus der Ironie, wenn wir es mal dabei belassen wollen, anderes als die simple Identifikation mit dem So-Sein des Gezeigten? Und das ist dann - voyeuristisch ermöglichte - Empathie?? Nein, das ist
Zugabe: Last couple standing during a dance marathon, 1930, Merry Gardens Dance Hall (across the street from the Vic), Chicago --> hier!
Update:
Nominierungen zum 49. Grimme-Preis 2013 bekanntgegeben
Michael Spreng: Kack die Wand an, da kriegst du Karneval im Kopf: das altehrwürdige Grimme-Institut hat endlich Anschluss an das Fernsehen von heute bekommen. Eine überfällige Korrektur. Das Grimme-Institut verharrt nicht länger in den antiquierten Qualitätsmaßstäben des vergangenen Jahrhunderts, sondern stellt sich mutig an die Spitze des Zeitgeistes...

Tomasz Konicz fragt (tp - "Bloch vs. Dschungelcamp"): Worin besteht die Erbschaft einer Zeit, in der sadistische Demütigungsshows ein begeistertes Millionenpublikum finden?
... und verweist auf historische Vorläufer:
- Dabei stellt dieses Fernsehformat keine vollständige Innovation dar. Die historischen Vorläufer der heutigen Demütigungs-Shows finden sich in den 20er und 30er Jahren, als sogenannte "Tanzmarathons" in Mode kamen, bei denen die Teilnehmer mitunter wochenlang bis zur totalen Erschöpfung um ein Preisgeld gegeneinander tanzen mussten. Und es sind gerade solche Manifestationen kaum gezügelten Sadismus, die einen zuverlässigen Indikator für die Zunahme autoritärer und reaktionärer Einstellungen in der Gesellschaft, wie etwa der späten Weimarer Republik, liefern.
Angefacht von der Weltwirtschaftskrise der frühen 30er Jahre, machten sich in der Weimarer Zeit lange vor der Machtergreifung der Nazis autoritäre und reaktionäre Anschauungen breit, die oftmals gänzlich "unpolitisch" wirkten, aber beim genaueren Hinsehen einen Ausblick in den Abgrund erlaubten, auf den das Land zusteuerte. Der Faschismus kam somit nicht aus heiterem Himmel über Deutschland. Eine scharfsinnige und immer noch beeindruckende Auseinandersetzung mit dem deutschen Präfaschismus, der genau dieses Kunststück gelang, ist die 1932 von Ernst Bloch verfasste, 1935 in Zürich publizierte Schrift "Erbschaft dieser Zeit" ...
Bloch identifizierte - hierbei Siegfried Kracauer folgend - als einer der ersten Beobachter eine damals "neue Art Mitte", die in der Krise um sich zu schlagen beginne, "besonders nach unten, wohin sie zu sinken" drohe. Neben dem klassischen Kleinbürgertum, den in den Krisenwirren irrlichternden Krämerseelen und der niederen Beamtenschaft, zählte er zu dieser "Mitte" vor allem das rasch anwachsende Heer der Angestellten, das sich in der gleichen Zeit verfünffacht habe, "in der sich die Arbeiter nur verdoppelt haben". Trotz krisenbedingter faktischer Proletarisierung fühlten sich diese Angestellten "noch als bürgerliche Mitte". Auf diese sich damals in der Weltwirtschaftskrise konstituierende, hasstriefende und angstschwitzende "Mitte" war Blochs Allegorie von den Kälbern gemünzt, "die ihren eigenen Metzger wählen, wäre der Geruch vieler dieser Kälber nicht gerade der von Metzgern".
Der Metzgergeruch der "Kälber" stieg besonders intensiv überall dort auf, wo die gerade im Entstehen begriffene Kulturindustrie in ersten zaghaften Schritten die aufgestaute Wut der desperaten Massen zu ihrer Geschäftsgrundlage machte. In dem Abschnitt "Wut und Lachlust" beschreibt Bloch einen 1929 abgehaltenen Marathon-Tanzwettbewerb, bei dem die teilnehmenden Paare über Wochen nach dem KO-Prinzip buchstäblich gegeneinander antanzten...
Inzwischen greift das Prinzip der Casting-Shows übrigens auch auf die Arbeitswelt über: Immer mehr Unternehmen lassen ihre Arbeitsplatzbewerber in mehreren Runden nach dem KO-Prinzip vorsprechen, wobei der Umfang der Prüfungen von Runde zu Runde zunimmt, und die Bewerber immer intimere Fragen über sich ergehen lassen müssen. Längst ist es üblich, in die Arbeitsplatzbewerbung möglichst viel von einer in "Selbstoptimierung" kreierten Persönlichkeit einfließen zu lassen ...
Sydney Pollack hat diese frühe Ausbeutung der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit durch die Kulturindustrie in seinem ganz großen Film They Shoot Horses, Don't They mit Jane Fonda und Michael Sarrazin 1969 eindrucksvoll gestaltet. Wenn Sie die DVD irgendwo erwischen: unbedingt kaufen und ansehen!! (Zur Not auch hier!!) Hier erstmal der Trailer:
Besonders widerlich finde ich das Hochjazzen der aktuell perfiden Ausbeutung der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit durch die Kulturindustrie auf ein scheinbar intellektuelles Niveau durch Intellektuellen-Darsteller wie Ulf Poschardt (Wo Viertelprominente ihre Würde zurückgewinnen - Die WELT):
- Die Spannung, welche die sieben Millionen Zuschauer im Bann hält, wird getragen von jenen Fluchten aus der Ironie und der Zynik, die jede Sekunde möglich sind.
Am Ende wachsen einem einige dieser Menschen mehr ans Herz, als dies jede Figur des idealistisch-moralischen Kulturkomplexes, Theater, Literatur und deutsches Fernsehspiel, tun könnte. Einfach deshalb, weil die Menschen nicht verklärt, sondern in ihrem So-Sein ernst genommen werden.
Der Humor der Moderatoren fängt – etwas überspitzt formuliert – den Ernst der Lage ab. Anteilnahme hat stets eine voyeuristische Note. Sie ist die Empathie, welche Neugier am Mitmenschen erst möglich macht. Weiterhin gute Unterhaltung!
Und was bitte wäre die Flucht aus der Ironie, wenn wir es mal dabei belassen wollen, anderes als die simple Identifikation mit dem So-Sein des Gezeigten? Und das ist dann - voyeuristisch ermöglichte - Empathie?? Nein, das ist
Phrasenauswurf und Wortkotze, syntaktisch hemmungslos und mit schwach verankerten Sinngeländern
- offenbar aber geeignet, das massenhafte Delektieren an der Demütigung in der Mitte der Gesellschaft goutierbar zu machen und zu legitimieren ...Zugabe: Last couple standing during a dance marathon, 1930, Merry Gardens Dance Hall (across the street from the Vic), Chicago --> hier!
Update:
Nominierungen zum 49. Grimme-Preis 2013 bekanntgegeben
Michael Spreng: Kack die Wand an, da kriegst du Karneval im Kopf: das altehrwürdige Grimme-Institut hat endlich Anschluss an das Fernsehen von heute bekommen. Eine überfällige Korrektur. Das Grimme-Institut verharrt nicht länger in den antiquierten Qualitätsmaßstäben des vergangenen Jahrhunderts, sondern stellt sich mutig an die Spitze des Zeitgeistes...

gebattmer - 2013/01/24 20:15
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