Unterschichtenproblem II

Nun haben sie (kurzfristig-in wenigen Tagen wird das kampagnenmäßig erledigt sein) ein Problem: Becks Amtsvorgänger, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, wandte am Montag ein, mit dem Wort „Unterschicht“ würden Menschen stigmatisiert. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering bestreitet gleich alles: „Es gibt keine Schichten in Deutschland“, wandte er sich gegen den Begriff „lebensfremder Soziologen“. „Es gibt Menschen, die es schwerer haben, die schwächer sind. Das ist nicht neu. Das hat es schon immer gegeben. Aber ich wehre mich gegen die Einteilung der Gesellschaft.“ Und sein Sprecher Stefan Giffeler betonte: „Der Klassifizierung von Menschen schließen wir uns dezidiert nicht an.“
Angela Merkel wartete mit der Erkenntnis auf, das Thema „Spaltung der Gesellschaft“ hänge „ganz eng mit Familien zusammen“. Man müsse überlegen, wie die Erziehungsfähigkeit der Eltern durch den Staat gestärkt werden könnte. „Wir finden uns nicht ab damit“, versprach die Kanzlerin, „dass diese Spaltungen so existieren.“
Da ist nun die Kanzlerin heller als der Sozialdemokrat (der, wie schon bei den Heuschrecken, mal wieder gar nichts begriffen hat), wenn sie die Existenz von Spaltungen anerkennt. Sie meint das aber anders, nämlich so wie Beck: Dass die Leute selbst schuld sind. Aber glaubt die wirklich, dass die Leute ihre Kinder zu Unterschicht erziehen? (Klaus, du wirst mal Unterschicht, ne!? Keine Widerrede jetz!) Die Stärkung meiner Erziehungsfähigkeit durch den Staat stelle ich mir auch nicht so angenehm vor. (Vielleicht könnte sie im Hinblick auf die niedrige Geburtenrate die Zeugungsfähigkeit durch den Staat stärken ...)
Am besten aber gefällt mir der hier:
SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner: „Wenn es um Probleme der sogenannten Unterschicht geht, müssen wir uns ehrlich machen.“
Das "sogenannte" kenn ich noch von der DDR: die gab's eigentlich auch nicht und dann wirklich nicht mehr. Da sollten sich die Unterschichten vorsehen, wenn der Brandner sich ehrlich macht.
Biochemicalslang linkt zum gleichen Problem in den USA auf die NYT:

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In the United States, this economic slice, including wages, health insurance and pension benefits, declined 2.5 percentage points from 2000 to 2005, to 56.5 percent of gross domestic product, according to the United States Bureau of Economic Analysis. ...
In Western Europe, collective bargaining has been more successful in keeping wages up. These differences affect the distribution of the workers’ share. America’s low-wage labor market is virtually nonexistent in the European Union. There is no Western European equivalent of the American earning $5.15 an hour, the federal minimum wage, on the overnight shift as a convenience store cashier. A $7-an-hour baby-sitter is nearly impossible to find in London. Over all, the wage distribution in Europe is much less polarized than it is in the United States.
BUT the institutional differences have done little to halt the slide in the share of the economy that is devoted to workers’ compensation.
Mr. Blanchard suggested that the decline in the labor share in Europe might have been prompted in the 1970’s by strong unions pushing up employee wages — which led companies to shed workers, eliminating many occupations entirely — the late-night cashier, for example — and replacing others with machines.
“The decline in the wage share is bound to level off,” said David Grubb, a labor economist at the O.E.C.D. But the question is, when will it stop falling, and how?
If historical experience in the United States serves as any guide, workers’ compensation could still fall a long way. It was a different world then, but it is worth noting that in 1929, workers had less than half of the economic pie.
Interessant ist 1., dass die Einführung von low-wage labour hier wohl nicht zu einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft führen wird (aber immerhin hat man dann statt der unemployed poor die working poor, was unter Verwertungs- und Kostengesichtspunkten und für FDP-Wähler, die sich gern den Einkauf einpacken lassen würden, sicherlich optimaler wäre - und 2., dass man nun weiß, wie weit es zurückgehen soll: 1929. Von da dann wieder vorwärts ...
gebattmer - 2006/10/17 23:08
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