Diagnostik: The Proper Education: Heimerziehung in der BRD
Ohne weitere Worte: aus dem höchst lehrreichen Film Man Friday / Freitag und Robinson von Jack Gold aus dem Jahre 1975!
Nachtrag:
Das IPP hat von Mai 2011 bis Februar 2013 die individuellen Folgen und organisatorisch-strukturellen Hintergründe der Missbrauchs- und Misshandlungensvorfälle im Internat des Benediktinerklosters Ettal untersucht. IPP Bericht als PDF-Download
Demnach bestätigt auch dieser Untersuchungsbericht die Systematik des Terrors, dem Schüler im Internat "bis in die achtziger Jahre hinein" ausgesetzt waren. Wörtlich ist von einem "ein System der Unterdrückung" die Rede, von gezielt eingesetzter "Gewalt" als "pädagogisches Mittel". "Sexuelle Übergriffe" werden als Teil dieses Gewaltsystems beschrieben und die Schule in Ettal als "totale Institution, aus der es kein Entrinnen gab". Thomas Pany, tp 07.03.
Sehr auffällig, schreibt Marcel Malachowski (Eure Armut kotzt uns an!, tp 11.03.), ist auch das Missverhältnis der Aufmerksamkeit im Heim- und Missbrauchsskandal: Der zahlenmäßig relativ geringe sexuelle Missbrauch in katholischen Einrichtungen wurde wochenlang zum medialen Top-Thema, umgehend wurden Hilfsfonds, Opferberatungen etc. eingerichtet. Betroffen vom Missbrauch waren vor allem Internatsschüler aus wohlhabenderen Familien. Die systematische Ausbeutung und Misshandlung von hunderttausenden Heimkindern in den Nachkriegsjahren dagegen fand erst mit jahrzehntelanger Verspätung den vereinzelten Weg in die Berichterstattung der großen Medien, obgleich der körperliche Schaden erheblich größere Ausmaße hatte und spätere Erwerbstätigkeit verhinderte. Diese Heimkinder entstammten fast ausnahmslos den unteren Schichten, hatten "gefallene" Mütter. Bis heute wurden zumeist gar keine, teils allenfalls symbolische Entschädigungen gezahlt.
Und alle haben geschwiegen - Über das Leid der Heimkinder
Nicht für alle waren die 50er und 60er Jahre in der Bundesrepublik eine Zeit des Aufbruchs. In kirchlichen und in staatlichen Heimen wurden etwa 800.000 Kinder jahrelang unter heute unvorstellbaren Bedingungen gedemütigt, geschlagen, ausgebeutet und eingesperrt.
Es waren meist nichtige Gründe, die zur Einweisung in die Erziehungsanstalten führten – Gründe, die ein gesellschaftliches Kartell bestimmte, zu dem Jugendbehörden, Gerichte, Lehrer, Nachbarn, Eltern und vor allem die damals noch einflussreichen Kirchen gehörten.
Umfangreiches Hintergrundmaterial sowie Film und Dokumentation in der Mediathek des ZDF!!
Ich finde es, solche Nachrichten und Darstellungen wahrnehmend, immer wieder faszinierend - vulgo: zum Kotzen - mit welcher Überheblichkeit und Dummbatzigkeit die "ehemalige BRD" ganz selbstverständlich als modern, liberal, demokratrisch, rheinisch-kapitalistisches Paradies der Sozialpartnerschaft und was weiß ich noch alles (insbesondere im Vergleich zur DDR) angesehen wird. Da ist ein Geschichtsbild konstruiert und durchgesetzt worden, das jeglicher Grundlage entbehrt ...
- [Siehe z.B. Kritik und Kunst: Aus meiner Korrespondenz - Mail an *** - betreff: mein Kopf, zu viele Löcher]
Es gibt ja nicht wenige Hinweise darauf, dass die Radikalisierung der Meinhof, Baader, Enslin nur zu begreifen ist im Zusammenhang mit ihrem Engagement für Heimzöglinge - und dass die zweite Generation der RAF sich rekrutierte u.a. aus ehemaligen Heimzöglingen.
Im schleswig-holsteinischen Glückstadt gab es in der Nacht vom 7. zum 8. Mai 1969 einen Aufstand von Heimzöglingen, der möglicherweise sogar mit Hilfe von Marinesoldaten niedergeschlagen wurde. Unter den rebellierenden Jugendlichen, die als Strafe teilweise KZ-Kleidung tragen mussten, war auch der spätere RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock...
Die in Haus 1 und 2 untergebrachten 80 Heimzöglinge zündeten Matratzen und Kleidungsstücke an, rissen sanitäre Anlagen aus den Wänden, zertrümmerten Fenster wie Möbel und attackierten das Heimpersonal. Einer der Rebellierenden war der damals 17-jährige Peter-Jürgen Boock, der nach der Heimrevolte in das hessische Jugendhaus von Rengshausen verlegt wurde. Dort kam er unter anderem mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin in Kontakt, die sich wie Meinhof für die Interessen von Heiminsassen einsetzten, und fand kurze Zeit später Unterschlupf in deren WG, ehe er selbst zum Terroristen der zweiten Generation wurde...
Dieter Hanisch: Aufstand der Heimkinder; Freitag 08.05.2009
Vgl. Archäologie CXCIV: Bambule
Meinhofs Film von 1970 kritisiert die autoritären Methoden der Heimerziehung (Fürsorgeerziehung) in einem Mädchenheim. Im Verlauf der Handlung kommt es zu einer Revolte der Heiminsassinnen gegen die unterdrückenden Strukturen. Die Handlung des Films wird oft auch als Parabel auf die gesellschaftlichen Zustände der Zeit verstanden, denen eine neue, verschärfte Form des Klassenkampfes entgegengesetzt werden müsse.
Man darf es wohl bemerkenswert nennen, dass man das, was heute aufgearbeitet wird, schon 1970 wissen konnte - wenn man denn wissen wollte. Aber man tue bitte nicht so, als hätte man nicht wissen können!!
gebattmer - 2013/03/07 22:20
Trackback URL:
https://gebattmer.twoday.net/stories/319820615/modTrackback