Arschdenk: Der doppelte Bärendienst - oder: Zur Verkommenheit des Wirtschaftsjournalismus
Ein schönes Beispiel für Arschdenk findet sich in meiner LieblingsHAZ vom Wochenende. Herr Ruzic, Wirtschaftsredakteur / Experte für regionale Wirtschaftsthemen, klärt im Wirtschaftsteil (S. 13) auf, warum die "Schlecker-Frauen" nur schwer neue Jobs finden. Dabei bezieht er sich - so sagt er jedenfalls - auf eine aktuelle IAB-Untersuchung, nach der bisher nur rund die Hälfte der Schlecker-Arbeitslosen wieder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden oder sich selbstständig gemacht hat. Dort heißt es:
Qualifizierung sei ein notwendiger wie erfolgversprechender Schritt, um die Schlecker-Arbeitslosen beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu unterstützen – das betonen die 41 Fach- und Führungskräfte der Arbeitsagenturen, die im Rahmen einer qualitativen Studie vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) befragt wurden. Wegen der hohen Zahl an ungelernten Kräften sowie der veralteten technischen Ausstattung bei Schlecker, beispielsweise der Kassen- und EDV-Systeme, seien Qualifizierungsmaßnahmen zentrale Elemente im Vermittlungsprozess.
Weiter heißt es dann in der Presserklärung des IAB:
Die IAB-Befragung hat jedoch auch ergeben, dass von den Fach- und Führungskräften der Arbeitsagenturen Qualifizierung allein nicht als hinreichend bewertet wird. Gerade bei den Schlecker-Arbeitslosen sei die Konzessionsbereitschaft ein entscheidender Faktor. Die Bereitschaft, Einschnitte bei der Wiederaufnahme der Beschäftigung hinzunehmen, sei im Falle der Schlecker-Arbeitslosen von besonderer Bedeutung, da die von der Firma Schlecker gezahlten Löhne im Vergleich zu ähnlichen Tätigkeiten vergleichsweise hoch ausfielen ...
Die Fachkräfte der Arbeitsagenturen hätten sich damit gerade in den ersten Monaten nach der Schlecker-Insolvenz in einem Handlungsdilemma befunden, erklären die Arbeitsmarktforscher: Einerseits waren sie gehalten, die Schlecker-Arbeitslosen möglichst umgehend in den Arbeitsmarkt zu integrieren, auch um die Entstehung von Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern. Andererseits hätten nicht wenige der verfügbaren Arbeitsstellen für die Schlecker-Arbeitslosen einen erheblichen und damit teilweise rechtlich nicht zumutbaren finanziellen Abstieg bedeutet.
Was die IAB-Forscher als Handlungsdilemma der Fachkräfte der Arbeitsagenturen beschreiben, wird dem Ruzic zum mahnenden Beispiel für die Schädlichkeit einer Tarifeinigung mit der dem Anton " einst verhassten Gewerkschaft ver.di":
Plötzlich war der als Lohndrücker bekannte Konzern bereit, seine Mannschaft deutlich über dem Niveau des Flächentarifs zu bezahlen. Die Beschäftigten freute es, die Talfahrt des damals schon kränkelnden Riesen beschleunigte das Ganze noch. Am Ende stand eine der größten Pleiten der deutschen Nachkriegsgeschichte ... ... und "die schlechte Einmündungsquote" ist bei ihm die Folge der zuletzt so hohen der Löhne der "Schlecker-Frauen". Die veralteten Kassen- und EDV-Systeme, also das Qualifikationsproblem, das das IAB als zentral im Vermittlungsprozess beschreibt, erwähnt Ruzic nur kurz gegen Ende seines "Artikels", so dass die Moral dann so ausfallen kann:
Der Konzern hat dem Arbeitsmarkt also schlecht ausgebildete, relativ hoch bezahlte Beschäftigte überlassen – und ihnen damit einen doppelten Bärendienst erwiesen.
[20.04.2013 / HAZ Seite 13 Ressort: WIRT]
Wohlgemerkt: Ihnen - nicht dem Arbeitsmarkt ...!
Die Logik der Unmoral ist bestechend: Nicht mit der Gewerkschaft höhere Löhne durchsetzen, denn sonst wird's nach der Pleite nichts mit der Anschlussverwendung! Immer an die Zumutbarkeitsregelungen denken und mit dem Lohn hübsch drunter bleiben! Sonst Bärendienst!!
Oder - an die Adresse des anderen Sozialpartners -: Wer Beschäftigten relativ hohe Löhne zahlt, geht 1. selbst daran zu grunde und schadet 2. den Beschäftigten nur!
Oder auch: Nicht der Arbeitsmarkt hat ein Problem, sondern Sie haben eins!
La Fontaines Fabel L'ours et l'amateur des jardins (dt. Der Bär und der Gartenfreund) endet mit der Moral:
Rien n'est si dangereux qu'un ignorant ami
Mieux vaudroit un sage ennemi.
Nichts bringt so viel Gefahr uns als ein dummer Freund;
weit besser ist ein kluger Feind.
Wes dummer Freund der Ruzic ist, vermag ich nicht zu sagen;
- es könnt der Rösler sein:
„Jetzt gilt es für die Beschäftigten - mehr als 10.000 vornehmlich Frauen, einzelne Mütter und ältere Frauen - schnellstmöglich eine Anschlussverwendung selber zu finden.”
Wes dummer Feind der Ruzic ist,
liegt auf der Hand.
Zu Bärendienst fällt mir noch der Witz vom Jäger und dem Bären ein; - hier eine zweitklassige Fassung aus der Harald Schmidt Show.
Am besten wird der Witz erzählt von Karin in Frank Schulz' meisterhaftem Roman Das Ouzo-Orakel (S. 228 f.)
Zusammengefasst lautet also Ruzics Moral:
Besser sich vom Bären ficken lassen als nach der möglichen Pleite der Bär e.K. lange auf Anschlussverwendung zu warten.
__________________________
Dazu passt:
tp: Armut und Reichtum in deutschen Medien
Nach der Studie (Hans Jürgen Arlt und Wolfgang Storz : Portionierte Armut, Blackbox Reichtum) über die Berichterstattung großer deutscher Zeitungen findet eine kritische Auseinandersetzung mit der Macht großer Privatvermögen nicht statt ...
Qualifizierung sei ein notwendiger wie erfolgversprechender Schritt, um die Schlecker-Arbeitslosen beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu unterstützen – das betonen die 41 Fach- und Führungskräfte der Arbeitsagenturen, die im Rahmen einer qualitativen Studie vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) befragt wurden. Wegen der hohen Zahl an ungelernten Kräften sowie der veralteten technischen Ausstattung bei Schlecker, beispielsweise der Kassen- und EDV-Systeme, seien Qualifizierungsmaßnahmen zentrale Elemente im Vermittlungsprozess.
Weiter heißt es dann in der Presserklärung des IAB:
Die IAB-Befragung hat jedoch auch ergeben, dass von den Fach- und Führungskräften der Arbeitsagenturen Qualifizierung allein nicht als hinreichend bewertet wird. Gerade bei den Schlecker-Arbeitslosen sei die Konzessionsbereitschaft ein entscheidender Faktor. Die Bereitschaft, Einschnitte bei der Wiederaufnahme der Beschäftigung hinzunehmen, sei im Falle der Schlecker-Arbeitslosen von besonderer Bedeutung, da die von der Firma Schlecker gezahlten Löhne im Vergleich zu ähnlichen Tätigkeiten vergleichsweise hoch ausfielen ...
Die Fachkräfte der Arbeitsagenturen hätten sich damit gerade in den ersten Monaten nach der Schlecker-Insolvenz in einem Handlungsdilemma befunden, erklären die Arbeitsmarktforscher: Einerseits waren sie gehalten, die Schlecker-Arbeitslosen möglichst umgehend in den Arbeitsmarkt zu integrieren, auch um die Entstehung von Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern. Andererseits hätten nicht wenige der verfügbaren Arbeitsstellen für die Schlecker-Arbeitslosen einen erheblichen und damit teilweise rechtlich nicht zumutbaren finanziellen Abstieg bedeutet.
Was die IAB-Forscher als Handlungsdilemma der Fachkräfte der Arbeitsagenturen beschreiben, wird dem Ruzic zum mahnenden Beispiel für die Schädlichkeit einer Tarifeinigung mit der dem Anton " einst verhassten Gewerkschaft ver.di":
Plötzlich war der als Lohndrücker bekannte Konzern bereit, seine Mannschaft deutlich über dem Niveau des Flächentarifs zu bezahlen. Die Beschäftigten freute es, die Talfahrt des damals schon kränkelnden Riesen beschleunigte das Ganze noch. Am Ende stand eine der größten Pleiten der deutschen Nachkriegsgeschichte ... ... und "die schlechte Einmündungsquote" ist bei ihm die Folge der zuletzt so hohen der Löhne der "Schlecker-Frauen". Die veralteten Kassen- und EDV-Systeme, also das Qualifikationsproblem, das das IAB als zentral im Vermittlungsprozess beschreibt, erwähnt Ruzic nur kurz gegen Ende seines "Artikels", so dass die Moral dann so ausfallen kann:
Der Konzern hat dem Arbeitsmarkt also schlecht ausgebildete, relativ hoch bezahlte Beschäftigte überlassen – und ihnen damit einen doppelten Bärendienst erwiesen.
[20.04.2013 / HAZ Seite 13 Ressort: WIRT]
Wohlgemerkt: Ihnen - nicht dem Arbeitsmarkt ...!
Die Logik der Unmoral ist bestechend: Nicht mit der Gewerkschaft höhere Löhne durchsetzen, denn sonst wird's nach der Pleite nichts mit der Anschlussverwendung! Immer an die Zumutbarkeitsregelungen denken und mit dem Lohn hübsch drunter bleiben! Sonst Bärendienst!!
Oder - an die Adresse des anderen Sozialpartners -: Wer Beschäftigten relativ hohe Löhne zahlt, geht 1. selbst daran zu grunde und schadet 2. den Beschäftigten nur!
Oder auch: Nicht der Arbeitsmarkt hat ein Problem, sondern Sie haben eins!

Rien n'est si dangereux qu'un ignorant ami
Mieux vaudroit un sage ennemi.
Nichts bringt so viel Gefahr uns als ein dummer Freund;
weit besser ist ein kluger Feind.
Wes dummer Freund der Ruzic ist, vermag ich nicht zu sagen;
- es könnt der Rösler sein:
„Jetzt gilt es für die Beschäftigten - mehr als 10.000 vornehmlich Frauen, einzelne Mütter und ältere Frauen - schnellstmöglich eine Anschlussverwendung selber zu finden.”
Wes dummer Feind der Ruzic ist,
liegt auf der Hand.
Zu Bärendienst fällt mir noch der Witz vom Jäger und dem Bären ein; - hier eine zweitklassige Fassung aus der Harald Schmidt Show.

Am besten wird der Witz erzählt von Karin in Frank Schulz' meisterhaftem Roman Das Ouzo-Orakel (S. 228 f.)
Zusammengefasst lautet also Ruzics Moral:
Besser sich vom Bären ficken lassen als nach der möglichen Pleite der Bär e.K. lange auf Anschlussverwendung zu warten.
__________________________
Dazu passt:
tp: Armut und Reichtum in deutschen Medien
Nach der Studie (Hans Jürgen Arlt und Wolfgang Storz : Portionierte Armut, Blackbox Reichtum) über die Berichterstattung großer deutscher Zeitungen findet eine kritische Auseinandersetzung mit der Macht großer Privatvermögen nicht statt ...
gebattmer - 2013/04/21 17:04