Jan Philipp Reemstma - Generation ohne Abschied
... Wo liegt die eigentliche Indifferenz in der Präsentation des Themas Tod? Sie liegt darin dass im ganzen Stück nur die eine Seite des Todes im Krieg erwähnt wird, die »eigene«, deutsche. Im Wald bei Gorodok sind nur Deutsche gefallen, der »Einbeinige« ist ein verstümmelter deutscher Soldat. Die Verantwortung ist nur dann ein Problem, wenn es um deutsche Leben geht, Schuld gibt es nur bei verwundeten oder toten Deutschen. Die fragenden Frauen und Kinder sind deutsche Frauen und Kinder, die nach dem Verbleib deutscher Männer fragen. Der blutige General des Alptraums ist ein deutscher General, der die Schuld am Tode Deutscher trägt, und der »Oberst« wird allein nach seiner Verantwortung für den Tod deutscher Soldaten gefragt.
Auch hier gilt das oben Gesagte. So eine Haltung politisch kritisieren zu wollen, wäre von 1992 aus eine so wohlfeile wie langweilige Angelegenheit. Wieder interessiert mich nicht, darauf zu zeigen, daß Borchert ein politisch fragwürdiges Stück geschrieben hat, noch geht es mir darum zu fragen, wie denn ein politisch sympathischeres Stück hätte aussehen können. Für die Frage aber, was ein Theaterstück zu einem so plötzlichen wie anhaltenden Erfolg macht, ist allerdings von Belang, was es aufweiche Weise thematisiert, und wenn der Erfolg als Ausweis für die Existenz eines »anderen Deutschland« genommen wird, ist es gerechtfertigt, hier von einem Problem zu sprechen - und zwar mit Blick auf die, denen die einseitige Thematik des Todes kein Problem gewesen ist.
Überbewerte ich hier nicht eine Stelle? Nein. Es zieht sich die einseitige Thematisierung durch alle Szenen, An dieser einen Szene wird das Problem allerdings besonders deutlich, da ihre ästhetische Brüchigkeit den Blick darauf frei macht, daß da thematisch allerhand nicht stimmt. Man könnte umgekehrt sogar erwägen, ob hier nicht das moralische Problem sich Gehör verschafft hat, indem es die ästhetische Form beschädigte, und diese Auffassung könnte dem Verfasser sogar eine größere, wenn auch sich nicht im Bewußtsein Geltung verschaffende Sensibilität zusprechen als seinen Verehrern. Ich möchte auch dies offen lassen, denn es scheint mir wichtiger, das politisch-moralische Problem mit dem Stil des Ganzen in Zusammenhang zu bringen. Auch wenn Beckmann die Verantwortung an der Verstümmelung eines Menschen und am Tode anderer zugeschrieben wird, so tritt er doch im Verein mit den deutschen Soldaten insgesamt-»einer aus der grauen Zahl«-in die Rolle des reinen Opfers zurück. Beckmann ist aus der Zahl derer, denen Leid und Unrecht geschehen sind, nicht einer von denen, die Leid und Unrecht zugefügt haben - und wenn doch, dann ist es Unrecht gewesen, weil es an einem Gleichartigen, einem »von uns« begangen ward. Und selbst dort ist Beckmann ein passiver Täter. Er hat einen Befehl ausgeführt. Erschossen haben seine Kameraden die anderen, die nicht einmal genannten, die weniger als gesichtslos bleiben, keine Farbe haben, nicht einmal grau sind, die keiner zählt, die es gar nicht gibt, obwohl die Wälder und Städte genannt werden: Gorodok, Stalingrad. Die »andere Seite« ist nur als Natur, genauer Schnee vorhanden: »Der viele viele Schnee« (so heißt eine Erzählung) und als Schuß aus dem Nichts: »Sie schießen bei Tag, sie schießen bei Nacht. Sie schießen - sage ich, denn das eigene Schießen hören wir nicht mehr, nur das Schießen der anderen«.11 Das ist die einzige Stelle, wo durchscheint, daß etwas fehlt.
Hierbei finden wir die politische Seite der adoleszenten Regression, die Ableugnung von Verantwortlichkeit, das larmoyante Insistieren darauf, das Opfer zu sein. Das ist es, was Borcherts Stil zuweilen so unerträglich pubertär macht, und wohl auch das Geheimnis seines Erfolges. Ähnlich wie bei »Rambo« - es ist die Larmoyanz des Mörders. Mit einem Unterschied. Der Film »Rambo« ist ehrlicher …
Auch hier gilt das oben Gesagte. So eine Haltung politisch kritisieren zu wollen, wäre von 1992 aus eine so wohlfeile wie langweilige Angelegenheit. Wieder interessiert mich nicht, darauf zu zeigen, daß Borchert ein politisch fragwürdiges Stück geschrieben hat, noch geht es mir darum zu fragen, wie denn ein politisch sympathischeres Stück hätte aussehen können. Für die Frage aber, was ein Theaterstück zu einem so plötzlichen wie anhaltenden Erfolg macht, ist allerdings von Belang, was es aufweiche Weise thematisiert, und wenn der Erfolg als Ausweis für die Existenz eines »anderen Deutschland« genommen wird, ist es gerechtfertigt, hier von einem Problem zu sprechen - und zwar mit Blick auf die, denen die einseitige Thematik des Todes kein Problem gewesen ist.
Überbewerte ich hier nicht eine Stelle? Nein. Es zieht sich die einseitige Thematisierung durch alle Szenen, An dieser einen Szene wird das Problem allerdings besonders deutlich, da ihre ästhetische Brüchigkeit den Blick darauf frei macht, daß da thematisch allerhand nicht stimmt. Man könnte umgekehrt sogar erwägen, ob hier nicht das moralische Problem sich Gehör verschafft hat, indem es die ästhetische Form beschädigte, und diese Auffassung könnte dem Verfasser sogar eine größere, wenn auch sich nicht im Bewußtsein Geltung verschaffende Sensibilität zusprechen als seinen Verehrern. Ich möchte auch dies offen lassen, denn es scheint mir wichtiger, das politisch-moralische Problem mit dem Stil des Ganzen in Zusammenhang zu bringen. Auch wenn Beckmann die Verantwortung an der Verstümmelung eines Menschen und am Tode anderer zugeschrieben wird, so tritt er doch im Verein mit den deutschen Soldaten insgesamt-»einer aus der grauen Zahl«-in die Rolle des reinen Opfers zurück. Beckmann ist aus der Zahl derer, denen Leid und Unrecht geschehen sind, nicht einer von denen, die Leid und Unrecht zugefügt haben - und wenn doch, dann ist es Unrecht gewesen, weil es an einem Gleichartigen, einem »von uns« begangen ward. Und selbst dort ist Beckmann ein passiver Täter. Er hat einen Befehl ausgeführt. Erschossen haben seine Kameraden die anderen, die nicht einmal genannten, die weniger als gesichtslos bleiben, keine Farbe haben, nicht einmal grau sind, die keiner zählt, die es gar nicht gibt, obwohl die Wälder und Städte genannt werden: Gorodok, Stalingrad. Die »andere Seite« ist nur als Natur, genauer Schnee vorhanden: »Der viele viele Schnee« (so heißt eine Erzählung) und als Schuß aus dem Nichts: »Sie schießen bei Tag, sie schießen bei Nacht. Sie schießen - sage ich, denn das eigene Schießen hören wir nicht mehr, nur das Schießen der anderen«.11 Das ist die einzige Stelle, wo durchscheint, daß etwas fehlt.
Hierbei finden wir die politische Seite der adoleszenten Regression, die Ableugnung von Verantwortlichkeit, das larmoyante Insistieren darauf, das Opfer zu sein. Das ist es, was Borcherts Stil zuweilen so unerträglich pubertär macht, und wohl auch das Geheimnis seines Erfolges. Ähnlich wie bei »Rambo« - es ist die Larmoyanz des Mörders. Mit einem Unterschied. Der Film »Rambo« ist ehrlicher …
gebattmer - 2007/04/06 20:10
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