CRISIS , WHAT CRISIS ? (XII): Desintegration und Unruhezyklen
Wo Ordnungen zerfallen, Eliten versagen, Beziehungen sich auflösen und Wertschätzung ausbleibt, wird Gewalt zu einer höchst attraktiven Quelle der Anerkennung. Die Botschaft der Jugendlichen lautet: “Uns gibt es noch!” Wie sind solche Unruhezyklen zu analysieren und zu erklären? Es sind immer drei zentrale Faktoren zu untersuchen: die gesellschaftlichen Hintergründe, das Agieren politischer Eliten und die Mechanismen der Eskalation.
Wilhelm Heitmeyer in der taz: Mechanismen der Eskalation
Wilhelm Heitmeyer ist Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld. Das Institut geht seit 2010 in einem DFG-Projekt der Frage nach, weshalb es in englischen Städten Riots gibt und in deutschen nicht.
Vgl. auch: Forschungsverbund Desintegrationsprozesse - Integrationspotenziale Stärkung von Integrationspotenzialen einer modernen Gesellschaft!
Der Forschungsverbund untersuchte soziale Probleme der deutschen Gesellschaft. Die zentrale Frage war: Befinden wir uns gegenwärtig in einem Prozess des zunehmenden Auseinanderfallens gesellschaftlicher Strukturen (Desintegrationsprozesse)?
Siebzehn Forschungsprojekte bearbeiteten diese zentrale Frage anhand unterschiedlicher Themen und aus verschiedenen Blickwinkeln. Es wurden gesellschaftliche Strukturkrisen wie z.B. Arbeitslosigkeit und politische (Nicht-) Beteiligung in den Blick genommen. Außerdem wurden verschiedene Aspekte menschlicher Beziehungen untersucht, so z.B. die Entwicklung von sozialen Bindungen oder Konflikte zwischen unterschiedlichen Gruppen. Besonderes Augenmerk galt den Phänomenen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus.
[Die Publikationen des Forschungsverbund Desintegration hier (als pdf)]
Slavoj Žižek "Der autoritäre Kapitalismus ist der Gewinner der Krise"
ZEIT ONLINE: Sind die Unruhen in London ein Teil der Suche nach neuen Modellen jenseits des Kapitalismus?
Žižek: Nein, ganz bestimmt nicht. Ich teile da auch nicht die Bigotterie vieler Linker, die im selben Atemzug die Gewalt verdammen, in dem sie für Verständnis für diese Leute werben – etwa was soziale Ursachen anbelangt. Nein. Was man hier sieht, ist genau die post-ideologische Gesellschaft, wie die Neoliberalen sie so gerne wollten. Zygmunt Bauman war auf dem richtigen Weg, als er von der Randale unbrauchbarer Konsumenten sprach. Es handelt sich um enttäuschte Konsumenten, die einer perversen Form des Konsums, einem Karneval der Zerstörung, nachgehen. In viel schlechteren Situationen haben es Menschen geschafft, sich politisch zu organisieren, was hier vollkommen misslang.
ZEIT ONLINE: Das gelang den "Empörten" in Spanien zum Beispiel besser.
Žižek: Die "Empörten" sprechen etwas an, das interessant ist. Die Nachfrage des Kapitalismus nach hochausgebildeten Arbeitskräften hat dazu geführt, dass man eine Klasse überqualifizierter Arbeitsloser schuf, die nicht nur arbeitslos sind, sondern ganz und gar unanstellbar. Aber als ich ihr Manifest las, konnte ich darin keine konkreten Entwürfe für Alternativen finden. Minimallöhne sind etwa nur ein Versuch, den Kapitalismus zu retten, so wie Almosen, nur Forderungen nach Gerechtigkeit … – aber an wen sind diese Forderungen letztlich gerichtet? Obwohl "die Empörten" der gesamten politischen Klasse misstrauen, richten sie ihre Forderungen an den Staat! Diese Menschen rufen ausschließlich nach einem neuen Herrn. Lassen Sie mich ein grausames Gedankenexperiment machen: Würde sich ein ehrlicher, gemäßigter Faschist diesen Forderungen nicht anschließen?
Götz Eisenberg: Die große Wut der Überzähligen
Es gibt eine Revolte einer perspektivlosen Jugend fast überall in Europa, nur in Deutschland nicht. Die spontanen Emeuten bedürfen dringend der politisch-moralischen Orientierung und Kontrolle, sonst werden sie nicht nur zu nichts führen, sondern der Reaktion und dem Ausbau der staatlichen Gewaltapparate und der Militarisierung der inneren Sicherheit in die Hände arbeiten. Aber wo sind die Kräfte, die der Revolte eine Richtung und einen politischen Inhalt geben und sie der regulativen Idee der sozialen Emanzipation unterstellen könnten? ... via nds
Hans-Georg Soeffner geht auf Hobbes zurück und kommt zu ähnlichen Deutungsansätzen:
Der natürliche Mensch in Tottenham (FAZ)
... Vor 360 Jahren, fünfzehn Jahre vor dem „Großen Brand“ in London, erschien der „Leviathan“. Darin schlug Thomas Hobbes seinem durch Dauerfehden zerrissenen Land einen Gesellschaftsvertrag vor, mit dessen Hilfe das verhindert werden sollte, worunter der Autor und seine Zeitgenossen litten, was aber alle Gesellschaften bedroht: der Krieg aller gegen alle, der Bürgerkrieg ...
Oliver Nachtwey: Plasmabildschirme wollen auch sie – FAZ 30.08.11
Hat sich in den Londoner Krawallen wirklich der "natürliche Mensch" gemeldet, um gegen den Staat zu protestieren? Zur amoralischen Ökonomie der Revolte
Wilhelm Heitmeyer in der taz: Mechanismen der Eskalation
Wilhelm Heitmeyer ist Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld. Das Institut geht seit 2010 in einem DFG-Projekt der Frage nach, weshalb es in englischen Städten Riots gibt und in deutschen nicht.
Vgl. auch: Forschungsverbund Desintegrationsprozesse - Integrationspotenziale Stärkung von Integrationspotenzialen einer modernen Gesellschaft!
Der Forschungsverbund untersuchte soziale Probleme der deutschen Gesellschaft. Die zentrale Frage war: Befinden wir uns gegenwärtig in einem Prozess des zunehmenden Auseinanderfallens gesellschaftlicher Strukturen (Desintegrationsprozesse)?
Siebzehn Forschungsprojekte bearbeiteten diese zentrale Frage anhand unterschiedlicher Themen und aus verschiedenen Blickwinkeln. Es wurden gesellschaftliche Strukturkrisen wie z.B. Arbeitslosigkeit und politische (Nicht-) Beteiligung in den Blick genommen. Außerdem wurden verschiedene Aspekte menschlicher Beziehungen untersucht, so z.B. die Entwicklung von sozialen Bindungen oder Konflikte zwischen unterschiedlichen Gruppen. Besonderes Augenmerk galt den Phänomenen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus.
[Die Publikationen des Forschungsverbund Desintegration hier (als pdf)]
Slavoj Žižek "Der autoritäre Kapitalismus ist der Gewinner der Krise"
ZEIT ONLINE: Sind die Unruhen in London ein Teil der Suche nach neuen Modellen jenseits des Kapitalismus?
Žižek: Nein, ganz bestimmt nicht. Ich teile da auch nicht die Bigotterie vieler Linker, die im selben Atemzug die Gewalt verdammen, in dem sie für Verständnis für diese Leute werben – etwa was soziale Ursachen anbelangt. Nein. Was man hier sieht, ist genau die post-ideologische Gesellschaft, wie die Neoliberalen sie so gerne wollten. Zygmunt Bauman war auf dem richtigen Weg, als er von der Randale unbrauchbarer Konsumenten sprach. Es handelt sich um enttäuschte Konsumenten, die einer perversen Form des Konsums, einem Karneval der Zerstörung, nachgehen. In viel schlechteren Situationen haben es Menschen geschafft, sich politisch zu organisieren, was hier vollkommen misslang.
ZEIT ONLINE: Das gelang den "Empörten" in Spanien zum Beispiel besser.
Žižek: Die "Empörten" sprechen etwas an, das interessant ist. Die Nachfrage des Kapitalismus nach hochausgebildeten Arbeitskräften hat dazu geführt, dass man eine Klasse überqualifizierter Arbeitsloser schuf, die nicht nur arbeitslos sind, sondern ganz und gar unanstellbar. Aber als ich ihr Manifest las, konnte ich darin keine konkreten Entwürfe für Alternativen finden. Minimallöhne sind etwa nur ein Versuch, den Kapitalismus zu retten, so wie Almosen, nur Forderungen nach Gerechtigkeit … – aber an wen sind diese Forderungen letztlich gerichtet? Obwohl "die Empörten" der gesamten politischen Klasse misstrauen, richten sie ihre Forderungen an den Staat! Diese Menschen rufen ausschließlich nach einem neuen Herrn. Lassen Sie mich ein grausames Gedankenexperiment machen: Würde sich ein ehrlicher, gemäßigter Faschist diesen Forderungen nicht anschließen?
Götz Eisenberg: Die große Wut der Überzähligen
Es gibt eine Revolte einer perspektivlosen Jugend fast überall in Europa, nur in Deutschland nicht. Die spontanen Emeuten bedürfen dringend der politisch-moralischen Orientierung und Kontrolle, sonst werden sie nicht nur zu nichts führen, sondern der Reaktion und dem Ausbau der staatlichen Gewaltapparate und der Militarisierung der inneren Sicherheit in die Hände arbeiten. Aber wo sind die Kräfte, die der Revolte eine Richtung und einen politischen Inhalt geben und sie der regulativen Idee der sozialen Emanzipation unterstellen könnten? ... via nds
Hans-Georg Soeffner geht auf Hobbes zurück und kommt zu ähnlichen Deutungsansätzen:
Der natürliche Mensch in Tottenham (FAZ)
... Vor 360 Jahren, fünfzehn Jahre vor dem „Großen Brand“ in London, erschien der „Leviathan“. Darin schlug Thomas Hobbes seinem durch Dauerfehden zerrissenen Land einen Gesellschaftsvertrag vor, mit dessen Hilfe das verhindert werden sollte, worunter der Autor und seine Zeitgenossen litten, was aber alle Gesellschaften bedroht: der Krieg aller gegen alle, der Bürgerkrieg ...
Oliver Nachtwey: Plasmabildschirme wollen auch sie – FAZ 30.08.11
Hat sich in den Londoner Krawallen wirklich der "natürliche Mensch" gemeldet, um gegen den Staat zu protestieren? Zur amoralischen Ökonomie der Revolte
gebattmer - 2011/08/26 16:59
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