Ihre Heiligkeit: Die Ökonomie
... Die Wandlung der Steuerungsmittel des Marktes von einer Art „Wissenschaft“ zu einer Art „Unterhaltung“ funktioniert über etwas, was der Ökonomie schon immer inne war, ihre „Heiligkeit“. Ökonomie war ursprünglich, hierzulande, nichts anderes als ein Ausdruck der göttlich gefügten Balance. Dann schien es, als würde sich ein Markt in etwa so ordnen, wie sich die Natur ordnet (indem ausgeschlossen ist, was „unnatürlich“ sei, bleibt das Existierende auch das Vernünftige, und auf jede Störung würde, wie ein Meer des Lebens, der Markt reagieren, bis der Sturm sich gelegt und das Meer wieder seine ursprüngliche Gestalt habe); das Marktfeindliche also sei zugleich das Unnatürliche, dergestalt, dass der neue Frankenstein nur ein Goldfinger sein könne, welcher sich so sehr gegen den Markt zu versündigen versuche wie ersterer sich gegen die Schöpfung zu versündigen versuchte. Leider haben nun die Goldfinger die Macht in der Wirtschaft übernommen, so dass nichts anderes übrig bleibt, als eben sie, die sich gezielt gegen den Markt (als System des Ausgleich und ausgeglichenes System) versündigen, zum Teil, ja zum Wesen der Markt/Natur zu erklären. Der Kapitalismus erklärt sich stets nach seiner eigenen Realität, wie eine Religion, die ihre Ideologie um vorhandene Mythologien rankt.
Das Heilige, so viel ist schon jenseits der religiösen Konkretionen klar, bedeutet eine Beziehung zwischen Chaos und Ordnung. An einem heiligen Ort trifft sich beides, und wird voneinander geschieden. Während der weltliche Fürst gefälligst die Ordnung in der Welt zu gewährleisten habe, noch vor jeder Gerechtigkeit, und von Freiheit wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht reden, muss am heiligen Ort das kosmische Chaos gebannt werden. Nicht indem man es zum Verschwinden brächte (wie sollte das gehen?) sondern indem man es „konzentriert“, in einem Bild, einem Text, einem Ritus. Die Gläubigen akzeptieren „das Geheimnis“, sie akzeptieren etwas, das Jenseits der weltlichen Ordnung liegt, das wir ebenso gut göttliche Ordnung oder universales Chaos nennen können.
Die absurde Dialektik zwischen Chaos und Ordnung bringt in beiden Fällen, in der Religion und im Kapitalismus, besondere Formen von Kult und Text hervor. Da man weiß, dass der Widerspruch zwischen Chaos und Ordnung nicht aufzulösen ist (außer in der Praxis des Kults und im Bild) entsteht das Phantomsystem einer Wissenschaft mit nichtwissenschaftlichem Inhalt. Die Theologie redet unendlich von etwas, von dem eigentlich nichts zu sagen ist, bzw. andersherum: alles mögliche.
Zu Zeiten, in denen sie sich nicht als Terror direkt fortsetzen kann, darf Theologie daher nicht nur als „weltfremd“, sondern auch als „antidemokratisch“ gedacht werden (unter anderem, weil man längst eine „Volksfrömmigkeit“ als authentische Abspaltung kennen lernte, und weil man nicht die Wahrheit, sondern die Macht der Kirchen als ihr Wesen zu begreifen hatte).
Weltliche Ordnung und Heiligkeit verhalten sich widersprüchlich zueinander. Es ist eine, im großen und ganzen konformistische und „politische“ Annäherung (die im „Fundamentalismus“ zugleich Höhepunkt und Zusammenbruch erlebt; der Versuch, eine religiöse Ordnung zugleich zur weltlichen zu erklären, führt nicht nur automatisch zum Terror, sondern über kurz oder lang stets zur Selbstaufhebung des Religiösen, das in seiner eigenen Verweltlichung verschwindet: Wenn die Religion die Welt beherrscht, verliert sie den Himmel).
Wo Chaos auf Ordnung trifft, beides so, als suchte es jeweils seine „reinste Form“, da hilft nur Heiligkeit. Oder Unterhaltung, die nichts anderes ist, als in unendlich viele kleinste Partikel aufgelöste Heiligkeit. (Karnevalisiert, wie sie sein mögen.)
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Das Problem der Theologisierung der Welt (wie der Entertainisierung) besteht in der Erzeugung einer für den Bestand einer Kultur lebensbedrohenden Borniertheit und Selbstgerechtigkeit, nicht unbedingt „unten“ oder „oben“, sondern eben in jener Mitte, auf die es, was den liberalen Kapitalismus anbelangt, gerade ankommt. (In den USA, nur zum Beispiel, wären ja derzeit viele der „Superreichen“ durchaus bereit mehr Steuern zu zahlen, doch ausgerechnet jener bornierte, selbstgerechte Mittelstand, dem das vermutlich am meisten zugute käme, sperrt sich gegen das Phantasma der Steuererhöhung als wäre es der Beginn der kommunistischen Apokalypse.)
Die Tea-Party-Bewegung – Satiriker müssten sie erfinden, wenn es sie nicht gäbe – zeigt die Anfälligkeit einer Kultur für militante Borniertheit als eine der Autoimmunerkrankungen des liberalen Kapitalismus. Das System erzeugt Menschen, die unfähig dazu geworden sind, die Mehrdeutigkeit seiner Elemente zu begreifen. Betonköpfe stören am Ende nicht nur den Liberalismus, sondern auch den Markt...
... unbedingt lesen: Georg Seeßlen: Kapitalismus & Chaos - Sept 01 2011
Das Heilige, so viel ist schon jenseits der religiösen Konkretionen klar, bedeutet eine Beziehung zwischen Chaos und Ordnung. An einem heiligen Ort trifft sich beides, und wird voneinander geschieden. Während der weltliche Fürst gefälligst die Ordnung in der Welt zu gewährleisten habe, noch vor jeder Gerechtigkeit, und von Freiheit wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht reden, muss am heiligen Ort das kosmische Chaos gebannt werden. Nicht indem man es zum Verschwinden brächte (wie sollte das gehen?) sondern indem man es „konzentriert“, in einem Bild, einem Text, einem Ritus. Die Gläubigen akzeptieren „das Geheimnis“, sie akzeptieren etwas, das Jenseits der weltlichen Ordnung liegt, das wir ebenso gut göttliche Ordnung oder universales Chaos nennen können.
Die absurde Dialektik zwischen Chaos und Ordnung bringt in beiden Fällen, in der Religion und im Kapitalismus, besondere Formen von Kult und Text hervor. Da man weiß, dass der Widerspruch zwischen Chaos und Ordnung nicht aufzulösen ist (außer in der Praxis des Kults und im Bild) entsteht das Phantomsystem einer Wissenschaft mit nichtwissenschaftlichem Inhalt. Die Theologie redet unendlich von etwas, von dem eigentlich nichts zu sagen ist, bzw. andersherum: alles mögliche.
Zu Zeiten, in denen sie sich nicht als Terror direkt fortsetzen kann, darf Theologie daher nicht nur als „weltfremd“, sondern auch als „antidemokratisch“ gedacht werden (unter anderem, weil man längst eine „Volksfrömmigkeit“ als authentische Abspaltung kennen lernte, und weil man nicht die Wahrheit, sondern die Macht der Kirchen als ihr Wesen zu begreifen hatte).
Weltliche Ordnung und Heiligkeit verhalten sich widersprüchlich zueinander. Es ist eine, im großen und ganzen konformistische und „politische“ Annäherung (die im „Fundamentalismus“ zugleich Höhepunkt und Zusammenbruch erlebt; der Versuch, eine religiöse Ordnung zugleich zur weltlichen zu erklären, führt nicht nur automatisch zum Terror, sondern über kurz oder lang stets zur Selbstaufhebung des Religiösen, das in seiner eigenen Verweltlichung verschwindet: Wenn die Religion die Welt beherrscht, verliert sie den Himmel).
Wo Chaos auf Ordnung trifft, beides so, als suchte es jeweils seine „reinste Form“, da hilft nur Heiligkeit. Oder Unterhaltung, die nichts anderes ist, als in unendlich viele kleinste Partikel aufgelöste Heiligkeit. (Karnevalisiert, wie sie sein mögen.)
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Das Problem der Theologisierung der Welt (wie der Entertainisierung) besteht in der Erzeugung einer für den Bestand einer Kultur lebensbedrohenden Borniertheit und Selbstgerechtigkeit, nicht unbedingt „unten“ oder „oben“, sondern eben in jener Mitte, auf die es, was den liberalen Kapitalismus anbelangt, gerade ankommt. (In den USA, nur zum Beispiel, wären ja derzeit viele der „Superreichen“ durchaus bereit mehr Steuern zu zahlen, doch ausgerechnet jener bornierte, selbstgerechte Mittelstand, dem das vermutlich am meisten zugute käme, sperrt sich gegen das Phantasma der Steuererhöhung als wäre es der Beginn der kommunistischen Apokalypse.)
Die Tea-Party-Bewegung – Satiriker müssten sie erfinden, wenn es sie nicht gäbe – zeigt die Anfälligkeit einer Kultur für militante Borniertheit als eine der Autoimmunerkrankungen des liberalen Kapitalismus. Das System erzeugt Menschen, die unfähig dazu geworden sind, die Mehrdeutigkeit seiner Elemente zu begreifen. Betonköpfe stören am Ende nicht nur den Liberalismus, sondern auch den Markt...
... unbedingt lesen: Georg Seeßlen: Kapitalismus & Chaos - Sept 01 2011
gebattmer - 2011/09/01 18:50
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