CRISIS , WHAT CRISIS ? (XVI): Mechanismen der Eskalation - und ihre Bearbeitung im Politikunterricht
Anknüpfend an meinen Hinweis auf Heitmeyers scharfsinnige Analyse der britischen Riots (CRISIS , WHAT CRISIS ? (XII): Desintegration und Unruhezyklen) hier ein Auszug aus dem dort schon erwähnten Aufsatz von Götz Eisenberg: Die große Wut der Überzähligen, den ganz zu lesen ich dringend empfehle:
... Die sozialpsychologische Situation der Gegenwart ist dadurch gekennzeichnet, dass immer mehr Menschen in eine anomische Position gedrängt werden, in eine objektive Kränkungs- und Entwertungssituation. Gleichzeitig wird die Fähigkeit, mit Kränkungen angemessen und reif umzugehen, immer weniger erworben. Genau daraus resultiert der immer häufiger zu beobachtende Ausbruch narzisstischer Wut und raptusartiger Gewalt. Die jungen Leute leben im Zustand einer permanenten Frustration: Sie werden tagein-tagaus mit Bildern des Luxus vollgestopft und gleichzeitig verwehrt man ihnen die Mittel, um die Gegenstände auf legalem Weg erwerben zu können. Gleichzeitig bildet sich das zurück, was man Frustrationstoleranz nennt. Zum Begreifen der Kriminalität, die sich in diese städtischen Revoltformen mischt, braucht man eigentlich nur Robert K. Mertons soziologische Kriminalitäts-Theorie: Die jungen Leute begehren, was alle begehren und was man besitzen muss, wenn man dazu gehören will – also Markenturnschuhe, Plasma-Bildschirme, gewisse Handytypen usw. -, aber sie verfügen nicht über die gesellschaftlich vorgegebenen Mittel, um an diese Dinge heranzukommen. Ihre Kriminalität ist, wenn man so will, devianter Konformismus. Sie plündern Vodafone-Filialen und Elektrogeschäfte, erbeuten Turnschuhe, Plasma-Bildschirme, Smartphones und Süßigkeiten. Wenn die Teilnahme am Konsum mehr und mehr über die Zugehörigkeit zur Gesellschaft entscheidet, gehört, wer bestimmte Dinge nicht vorzeigen kann, eben nicht dazu. Die Jugendlichen holen sich die Dinge nun auf ihre Weise. Der britische Historiker Owen Jones hat deshalb vorgeschlagen, von „Konsumkrawallen“ zu sprechen. Die Krawalle erinnern ihn eher an einen massenhaften Ladendiebstahl, denn an politisch motivierte Widerstandshandlungen gegen den Staat.
Meine „Vandalismus-Formel“ lautet also: Gesellschaftliche Desintegration (also Schrumpfen des Arbeitsmarktes, Mehrfach-Ausgrenzungen) plus psychische Entstrukturierung (also Über-Ich-Schwund, verbreitete Ich-Schwäche, Neigung zu primitiven Formen der Abwehr, unintegrierte, archaische Wut) = Wahrscheinlichkeit, dass raptusartige Gewaltausbrüche zunehmen...
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Der von Heitmeyer - und hier von Eisenberg weiter - verfolgte Ansatz ist i. Ü. sehr gut geeignet im Politikunterricht grundlegende Modelle und Analysekategorien zu erarbeiten, die den didaktischen Vorteil haben, am konkreten, aktuellen Beispiel entwickelt werden zu können und hernach auf ihre Tragfähigkeit zur Deutung anderer Integrations-/Desintegrationsprozesse, latenter und manifester Konflikte und der Mechanismen der Eskalation geprüft und ggfs. erweitert zu werden. Begriffe der Konfliktanalyse können auf diese Weise m.E. tatsächlich als "arbeitendes Wissen" (Klafki) angeeignet werden - und nicht als leere Hülsen oder Wortketten ...
Beispiele: Entwürfe/Ergebnisse einer Gruppenarbeit (12. Jg.):
Mechanismen der Eskalation nach Heitmeyer:
Interessant, genauer zu untersuchen wäre hier z.B. der unterschiedliche Zugriff: Wie modellieren SchülerInnen Heitmeyers Konfliktanalyse - sozusagen als Theorieangebot?
- Einmal mit der Fokussierung auf "Normlosigkeit"- ausgehend von einem angeeigneten, re-konkretisierten Begriff Desintegration als Wutpotenial -, einmal mit der Fokussierung auf Handlungsmotive - ausgehend von einem Alltagsbegriff Unzufriedenheit ...
Auszuhandeln wäre der Erklärungswert der gewählten Begriffe ...
Nebenbei bemerkt: SchülerInnen fühlen sich durchaus ernst genommen, wenn solcherart ihr Denken thematisiert wird...
2 notwendige Nachbemerkungen:
Jeder Unterricht könnte ungeheuer spannend und produktiv sein, wenn LehrerInnen Zeit/Muße hätten, die Denkbewegungen der SchülerInnen in den Blick zu nehmen ...
Dazu müssten sie nicht Stoffkatalogen, die - getarnt als Kerncurricula und verbindliche Vorgaben für das Zentralabitur - das Handeln unter Zeit- und zweifelhaften Output-Druck setzen, hinterherlaufen müssen ...
... Die sozialpsychologische Situation der Gegenwart ist dadurch gekennzeichnet, dass immer mehr Menschen in eine anomische Position gedrängt werden, in eine objektive Kränkungs- und Entwertungssituation. Gleichzeitig wird die Fähigkeit, mit Kränkungen angemessen und reif umzugehen, immer weniger erworben. Genau daraus resultiert der immer häufiger zu beobachtende Ausbruch narzisstischer Wut und raptusartiger Gewalt. Die jungen Leute leben im Zustand einer permanenten Frustration: Sie werden tagein-tagaus mit Bildern des Luxus vollgestopft und gleichzeitig verwehrt man ihnen die Mittel, um die Gegenstände auf legalem Weg erwerben zu können. Gleichzeitig bildet sich das zurück, was man Frustrationstoleranz nennt. Zum Begreifen der Kriminalität, die sich in diese städtischen Revoltformen mischt, braucht man eigentlich nur Robert K. Mertons soziologische Kriminalitäts-Theorie: Die jungen Leute begehren, was alle begehren und was man besitzen muss, wenn man dazu gehören will – also Markenturnschuhe, Plasma-Bildschirme, gewisse Handytypen usw. -, aber sie verfügen nicht über die gesellschaftlich vorgegebenen Mittel, um an diese Dinge heranzukommen. Ihre Kriminalität ist, wenn man so will, devianter Konformismus. Sie plündern Vodafone-Filialen und Elektrogeschäfte, erbeuten Turnschuhe, Plasma-Bildschirme, Smartphones und Süßigkeiten. Wenn die Teilnahme am Konsum mehr und mehr über die Zugehörigkeit zur Gesellschaft entscheidet, gehört, wer bestimmte Dinge nicht vorzeigen kann, eben nicht dazu. Die Jugendlichen holen sich die Dinge nun auf ihre Weise. Der britische Historiker Owen Jones hat deshalb vorgeschlagen, von „Konsumkrawallen“ zu sprechen. Die Krawalle erinnern ihn eher an einen massenhaften Ladendiebstahl, denn an politisch motivierte Widerstandshandlungen gegen den Staat.
Meine „Vandalismus-Formel“ lautet also: Gesellschaftliche Desintegration (also Schrumpfen des Arbeitsmarktes, Mehrfach-Ausgrenzungen) plus psychische Entstrukturierung (also Über-Ich-Schwund, verbreitete Ich-Schwäche, Neigung zu primitiven Formen der Abwehr, unintegrierte, archaische Wut) = Wahrscheinlichkeit, dass raptusartige Gewaltausbrüche zunehmen...
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Der von Heitmeyer - und hier von Eisenberg weiter - verfolgte Ansatz ist i. Ü. sehr gut geeignet im Politikunterricht grundlegende Modelle und Analysekategorien zu erarbeiten, die den didaktischen Vorteil haben, am konkreten, aktuellen Beispiel entwickelt werden zu können und hernach auf ihre Tragfähigkeit zur Deutung anderer Integrations-/Desintegrationsprozesse, latenter und manifester Konflikte und der Mechanismen der Eskalation geprüft und ggfs. erweitert zu werden. Begriffe der Konfliktanalyse können auf diese Weise m.E. tatsächlich als "arbeitendes Wissen" (Klafki) angeeignet werden - und nicht als leere Hülsen oder Wortketten ...
Beispiele: Entwürfe/Ergebnisse einer Gruppenarbeit (12. Jg.):
Mechanismen der Eskalation nach Heitmeyer:
Interessant, genauer zu untersuchen wäre hier z.B. der unterschiedliche Zugriff: Wie modellieren SchülerInnen Heitmeyers Konfliktanalyse - sozusagen als Theorieangebot?
- Einmal mit der Fokussierung auf "Normlosigkeit"- ausgehend von einem angeeigneten, re-konkretisierten Begriff Desintegration als Wutpotenial -, einmal mit der Fokussierung auf Handlungsmotive - ausgehend von einem Alltagsbegriff Unzufriedenheit ...
Auszuhandeln wäre der Erklärungswert der gewählten Begriffe ...
Nebenbei bemerkt: SchülerInnen fühlen sich durchaus ernst genommen, wenn solcherart ihr Denken thematisiert wird...
2 notwendige Nachbemerkungen:
Jeder Unterricht könnte ungeheuer spannend und produktiv sein, wenn LehrerInnen Zeit/Muße hätten, die Denkbewegungen der SchülerInnen in den Blick zu nehmen ...
Dazu müssten sie nicht Stoffkatalogen, die - getarnt als Kerncurricula und verbindliche Vorgaben für das Zentralabitur - das Handeln unter Zeit- und zweifelhaften Output-Druck setzen, hinterherlaufen müssen ...
gebattmer - 2011/09/27 21:11
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