Zur Psychopathologie der alten Bundesrepublik: Person und Gewissen
Wenn (mit einem Seminar) eine Bibliothek umzieht, kann vieles nicht mehr mitgenommen werden. Beim Aussortieren fehlt die Zeit sich einzulesen, um zu prüfen, ob Aufheben lohnte. So verschwindet vieles, was wohl nur noch Historiker interessieren würde (in diesem Falle Pädagogik-Historiker mit Forschungsschwerpunkt 50er bis 70er Jahre). Also weg!
Das eine oder andere Buch bleibt länger in der Hand, lohnt einen zweiten Blick, vielleicht einen ins Inhaltsverzeichnis ... Dies aufheben? ... wahrscheinlich eher ein Fall für Wenzel Storch!

Vielleicht doch eher dies (erschienen 1961):

- da findet sich nämlich folgender Text (S. 332ff. -hier nur Anfang und Schluss, das muss reichen ...):
Am Grabe der Opfer von Brettheim
In dem kleinen Dorffriedhof, auf dem wir uns heute zusammengefunden
haben, wurden einen Monat vor Ende des zweiten Weltkrieges drei Bürger
aus Brettheim, der Bauer Hanselmann, der Bürgermeister Gackstatter und der
Lehrer Wolfmeyer, hingerichtet. Das Todesurteil gegen diese drei Männer
war binnen knapp vier Tagen beschlossen und ausgeführt worden. Das Straf-
verfahren gegen diejenigen, die damals deren Tod beschlossen hatten, dauert
schon fünf Jahre an, und keines der drei Schwurgerichte, die sich mit dem Fall
zu befassen hatten, konnte ein Urteil finden, das die Erregung in der Öffent-
lichkeit beschwichtigt hätte.
Heute wird es in Deutschland nur wenige geben, die nicht anerkennen, daß
Hanselmann, Gackstatter und Wolfmeyer 1945 himmelschreiendes Unrecht
zugefügt worden ist. Die schließlich doch erfolgte Verteidigung des Dorfes
Brettheim war sinnlos, wie letztlich alle Opfer, welche die deutsche Zivil-
bevölkerung und die deutschen Soldaten im vergangenen Kriege brachten,
sinnlos waren. Wenn wir die kriegerische Zielsetzung anschauen, war die
Sinnlosigkeit des Widerstandes in Brettheim - vier Wochen vor dem Kriegs-
schluß - so offensichtlich, daß man es heute nicht mehr versteht, wie damals
noch viele glauben konnten, daß durch Fortsetzung des Widerstandes die
Niederlage Deutschlands verhindert werden könne. ...
Wir alle haben zu danken denen, die ihr Liebstes verloren haben und
seitdem schmerzvoll vermissen. Wir neigen uns in Ehrfurcht vor ihrer Trauer,
und wir wollen ihnen sagen, daß wir brüderlich und schwesterlich mit ihnen
empfinden. Wenn etwas ihren Schmerz lindern kann, dann ist es das Bewußt-
sein, daß in aller Sinnlosigkeit des Geschehens der Sinn nicht verborgen
geblieben ist, daß das Verständnis dieses geheimen Sinnes in der deutschen
Jugend lebt.
Wenn ein Volk von den Mächtigen betört und in die Irre geleitet wird
und wenn es im Verhängnis steht, dann wird die böse gewordene Macht nur
besiegt durch die äußerste Entschlossenheit der Guten, durch ihr Bekenntnis
zu den wahren Werten einer Nation. Dieses ist die eigentliche Lehre von
Brettheim, und dafür danken wir denen, die das Opfer ihres Lebens gebracht
haben.
Der Fall, dem sich der Redner hier widmet, ist vielfach dokumentiert, auch der Prozess gegen den ehemaligen Generalleutnant der Waffen-SS Max Simon. - Was einem beim Lesen der im Staatsanzeiger für Baden-Württemberg vom 3. Dezember 1960 abgedrucketen Rede den Atem raubt, ist der Name des Verfassers: Es war der der damalige Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Hans Filbinger! Jener "furchtbare Jurist", der (neben drei weiteren Todesurteilen, die er als Militärrichter der Kriegsmarine 1943 und 1945 beantragt oder gefällt hatte) am Todesurteil gegen den Deserteur Walter Gröger vom 16. Januar 1945 als Vertreter der Anklage mitgewirkt hatte und der „Leitender Offizier“ des Exekutionskommandos war, das den 22-jährigen Gröger im März 1945 erschoss.
Das alles wurde freilich erst bekannt, als Rolf Hochhuth Filbinger in einem Vorabdruck seines Romans Eine Liebe in Deutschland vom 17. Februar 1978 als „Hitlers Marinerichter, der sogar noch in britischer Gefangenschaft nach Hitlers Tod einen deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen verfolgt hat“, bezeichnete. Er sei „ein so furchtbarer Jurist gewesen, daß man vermuten muß – denn die Marinerichter waren schlauer als die von Heer und Luftwaffe, sie vernichteten bei Kriegsende die Akten – er ist auf freiem Fuß nur dank des Schweigens derer, die ihn kannten.“
Im Zuge seiner Verteidigung sprach Filbinger gegenüber Journalisten des „Spiegel“ den Satz aus, der bis heute diese Tätergeneration charakterisiert:
„Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“
Das alles kann man z.B. hier nachlesen: Der Fall Filbinger - Vortrag von Prof. Dr. Wolfram Wette
Wie aber kann man erklären, wie so einer solche Rede halten kann? Glaubt der auch nur im Ansatz, was er da sagt? Ist er stolz darauf, jetzt den Moralkeulen-Gedenkredner machen zu können, sozusagen angekommen zu sein im neuen Deutschland? Zittert der innerlich? - Um nicht falsch verstanden zu werden, - es geht mir überhaupt nicht um die Befindlichkeit eines Hans F., sondern um eine Erklärung für die pathologische Umdeutung von Wissen und Erfahrung im Sinne einer wahrscheinlich subjektiv völlig hinreichenden vollständigen Entschuldung, - die i.Ü. ein Großteil der Eliten der frühen BRD auszeichnet. Wie funktioniert sowas? Schade, dass die Hirnforscher da nicht mehr herankommen, das wäre mal ein lohnendes Forschungsgebiet gewesen!
Ein schönes Aperçu:
Im Jahre 2000 setzte die damalige Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg, Annette Schavan, Hochhuths historischen Roman „Eine Liebe in Deutschland“ als Unterrichtsstoff ab. Das Buch war bis dahin Pflichtlektüre auf dem Lehrplan für das Abitur an allen beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg.
Das wäre doch ein veritabler Rücktrittsgrund gewesen: Person und Gewissen - Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung
Und noch eines zu Hochhuth:
Dass der zuweilen auch nicht ganz dicht in der Birne ist, weiß man, seit er im März 2005 in einem Interview mit der Jungen Freiheit den britischen Publizisten David Irving verteidigt hatte, der mehrfach gerichtlich als Holocaustleugner verurteilt wurde (München 1993, London 2000, Wien 2006) und in Deutschland mit einem Einreiseverbot belegt ist. Hochhuth sagte: „Irving ist ein fabelhafter Pionier der Zeitgeschichte, der großartige Bücher geschrieben hat. Ganz zweifellos ein Historiker von der Größe eines Joachim Fest. Der Vorwurf, er sei ein Holocaustleugner, ist einfach idiotisch!“ Gegenüber dem Berliner Tagesspiegel bekräftigte Hochhuth die Parteinahme einen Tag später. Hier sagte er, dass Irving „sehr viel seriöser (sei) als viele deutsche Historiker“. Irving, mit dem er eine persönliche Freundschaft pflege, sei ein „ehrenwerter Mann“....
Die Farce um das Berliner Ensemble mag durchschauen, wer will: Hochhuth, dessen Stiftung das Haus gehört, hat den Mietvertrag gekündigt. Er zürnt dem Intendanten Claus Peymann, weil der sein Stück "Der Stellvertreter" nicht auf den Spielplan setzt.
Nachbemerkung zum Aufräumen: Dieses Heft habe ich denn auch nicht wegwerfen mögen:

Das eine oder andere Buch bleibt länger in der Hand, lohnt einen zweiten Blick, vielleicht einen ins Inhaltsverzeichnis ... Dies aufheben? ... wahrscheinlich eher ein Fall für Wenzel Storch!

Vielleicht doch eher dies (erschienen 1961):

- da findet sich nämlich folgender Text (S. 332ff. -hier nur Anfang und Schluss, das muss reichen ...):
Am Grabe der Opfer von Brettheim
In dem kleinen Dorffriedhof, auf dem wir uns heute zusammengefunden
haben, wurden einen Monat vor Ende des zweiten Weltkrieges drei Bürger
aus Brettheim, der Bauer Hanselmann, der Bürgermeister Gackstatter und der
Lehrer Wolfmeyer, hingerichtet. Das Todesurteil gegen diese drei Männer
war binnen knapp vier Tagen beschlossen und ausgeführt worden. Das Straf-
verfahren gegen diejenigen, die damals deren Tod beschlossen hatten, dauert
schon fünf Jahre an, und keines der drei Schwurgerichte, die sich mit dem Fall
zu befassen hatten, konnte ein Urteil finden, das die Erregung in der Öffent-
lichkeit beschwichtigt hätte.
Heute wird es in Deutschland nur wenige geben, die nicht anerkennen, daß
Hanselmann, Gackstatter und Wolfmeyer 1945 himmelschreiendes Unrecht
zugefügt worden ist. Die schließlich doch erfolgte Verteidigung des Dorfes
Brettheim war sinnlos, wie letztlich alle Opfer, welche die deutsche Zivil-
bevölkerung und die deutschen Soldaten im vergangenen Kriege brachten,
sinnlos waren. Wenn wir die kriegerische Zielsetzung anschauen, war die
Sinnlosigkeit des Widerstandes in Brettheim - vier Wochen vor dem Kriegs-
schluß - so offensichtlich, daß man es heute nicht mehr versteht, wie damals
noch viele glauben konnten, daß durch Fortsetzung des Widerstandes die
Niederlage Deutschlands verhindert werden könne. ...
Wir alle haben zu danken denen, die ihr Liebstes verloren haben und
seitdem schmerzvoll vermissen. Wir neigen uns in Ehrfurcht vor ihrer Trauer,
und wir wollen ihnen sagen, daß wir brüderlich und schwesterlich mit ihnen
empfinden. Wenn etwas ihren Schmerz lindern kann, dann ist es das Bewußt-
sein, daß in aller Sinnlosigkeit des Geschehens der Sinn nicht verborgen
geblieben ist, daß das Verständnis dieses geheimen Sinnes in der deutschen
Jugend lebt.
Wenn ein Volk von den Mächtigen betört und in die Irre geleitet wird
und wenn es im Verhängnis steht, dann wird die böse gewordene Macht nur
besiegt durch die äußerste Entschlossenheit der Guten, durch ihr Bekenntnis
zu den wahren Werten einer Nation. Dieses ist die eigentliche Lehre von
Brettheim, und dafür danken wir denen, die das Opfer ihres Lebens gebracht
haben.
Der Fall, dem sich der Redner hier widmet, ist vielfach dokumentiert, auch der Prozess gegen den ehemaligen Generalleutnant der Waffen-SS Max Simon. - Was einem beim Lesen der im Staatsanzeiger für Baden-Württemberg vom 3. Dezember 1960 abgedrucketen Rede den Atem raubt, ist der Name des Verfassers: Es war der der damalige Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Hans Filbinger! Jener "furchtbare Jurist", der (neben drei weiteren Todesurteilen, die er als Militärrichter der Kriegsmarine 1943 und 1945 beantragt oder gefällt hatte) am Todesurteil gegen den Deserteur Walter Gröger vom 16. Januar 1945 als Vertreter der Anklage mitgewirkt hatte und der „Leitender Offizier“ des Exekutionskommandos war, das den 22-jährigen Gröger im März 1945 erschoss.
Das alles wurde freilich erst bekannt, als Rolf Hochhuth Filbinger in einem Vorabdruck seines Romans Eine Liebe in Deutschland vom 17. Februar 1978 als „Hitlers Marinerichter, der sogar noch in britischer Gefangenschaft nach Hitlers Tod einen deutschen Matrosen mit Nazi-Gesetzen verfolgt hat“, bezeichnete. Er sei „ein so furchtbarer Jurist gewesen, daß man vermuten muß – denn die Marinerichter waren schlauer als die von Heer und Luftwaffe, sie vernichteten bei Kriegsende die Akten – er ist auf freiem Fuß nur dank des Schweigens derer, die ihn kannten.“
Im Zuge seiner Verteidigung sprach Filbinger gegenüber Journalisten des „Spiegel“ den Satz aus, der bis heute diese Tätergeneration charakterisiert:
„Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“
Das alles kann man z.B. hier nachlesen: Der Fall Filbinger - Vortrag von Prof. Dr. Wolfram Wette
Wie aber kann man erklären, wie so einer solche Rede halten kann? Glaubt der auch nur im Ansatz, was er da sagt? Ist er stolz darauf, jetzt den Moralkeulen-Gedenkredner machen zu können, sozusagen angekommen zu sein im neuen Deutschland? Zittert der innerlich? - Um nicht falsch verstanden zu werden, - es geht mir überhaupt nicht um die Befindlichkeit eines Hans F., sondern um eine Erklärung für die pathologische Umdeutung von Wissen und Erfahrung im Sinne einer wahrscheinlich subjektiv völlig hinreichenden vollständigen Entschuldung, - die i.Ü. ein Großteil der Eliten der frühen BRD auszeichnet. Wie funktioniert sowas? Schade, dass die Hirnforscher da nicht mehr herankommen, das wäre mal ein lohnendes Forschungsgebiet gewesen!
Ein schönes Aperçu:
Im Jahre 2000 setzte die damalige Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg, Annette Schavan, Hochhuths historischen Roman „Eine Liebe in Deutschland“ als Unterrichtsstoff ab. Das Buch war bis dahin Pflichtlektüre auf dem Lehrplan für das Abitur an allen beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg.
Das wäre doch ein veritabler Rücktrittsgrund gewesen: Person und Gewissen - Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung
Und noch eines zu Hochhuth:
Dass der zuweilen auch nicht ganz dicht in der Birne ist, weiß man, seit er im März 2005 in einem Interview mit der Jungen Freiheit den britischen Publizisten David Irving verteidigt hatte, der mehrfach gerichtlich als Holocaustleugner verurteilt wurde (München 1993, London 2000, Wien 2006) und in Deutschland mit einem Einreiseverbot belegt ist. Hochhuth sagte: „Irving ist ein fabelhafter Pionier der Zeitgeschichte, der großartige Bücher geschrieben hat. Ganz zweifellos ein Historiker von der Größe eines Joachim Fest. Der Vorwurf, er sei ein Holocaustleugner, ist einfach idiotisch!“ Gegenüber dem Berliner Tagesspiegel bekräftigte Hochhuth die Parteinahme einen Tag später. Hier sagte er, dass Irving „sehr viel seriöser (sei) als viele deutsche Historiker“. Irving, mit dem er eine persönliche Freundschaft pflege, sei ein „ehrenwerter Mann“....
Die Farce um das Berliner Ensemble mag durchschauen, wer will: Hochhuth, dessen Stiftung das Haus gehört, hat den Mietvertrag gekündigt. Er zürnt dem Intendanten Claus Peymann, weil der sein Stück "Der Stellvertreter" nicht auf den Spielplan setzt.
Nachbemerkung zum Aufräumen: Dieses Heft habe ich denn auch nicht wegwerfen mögen:

gebattmer - 2013/06/26 23:48
Typen wie Hochhuth haben in Deutschland eh Tradition. Von Luther über Friedrich II zu Bismarck und bis Mahler, Fischer ... Hochhuth. scheints eine deutsche Tradition zu geben...
Schöne Grüße vom Schwarzen Berg